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FORSCHUNG/125: Streß fördert gewohnheitsbasiertes Verhalten (RUB)


RUB - Ruhr-Universität Bochum - 4. Juni 2009

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Stress fördert gewohnheitsbasiertes Verhalten

RUB-Forscher berichten im Journal of Neuroscience


Unter Stress spulen wir Gewohntes ab - egal ob es sinnvoll ist oder nicht. Zielgerichtetes Lernen hingegen wird durch Stress behindert. Das haben Bochumer Kognitionspsychologen um Dr. Lars Schwabe in einer Studie herausgefunden, die in der aktuellen Ausgabe des Journal of Neuroscience veröffentlicht ist. Versuchspersonen, die unter Stress gelernt hatten, welcher Klick wahrscheinlich eine Belohnung mit Saft oder Kakao auslöst, klickten später weiter auf das Symbol, obwohl sie keinen Saft oder Kakao mehr wollten. Lerner ohne Stressbelastung vermieden hingegen die entsprechenden Symbole. Außerdem waren sie sich des Gelernten eher bewusst als die Gestressten.

Essen weil es schmeckt oder weil man es immer macht um halb eins

Die Fähigkeit zu lernen, dass wir unseren Hunger beseitigen können, indem wir mittags in ein Restaurant oder die Mensa gehen, um dort zu essen, ist für unser Leben von zentraler Bedeutung. Derartige Lernprozesse können durch zielgerichtete oder durch gewohnheitsbasierte, habituelle Prozesse gesteuert werden. Beispielsweise könnten wir zielgerichtet in die Mensa gehen, weil uns das Essen dort so gut schmeckt und unser Hunger dort am Besten gestillt wird. Oder aber wir könnten mittags in die Mensa gehen, weil wir dies nun mal jeden Tag um halb eins tun, ganz egal ob wir hungrig sind oder nicht. Was bestimmt, welcher der beiden Prozesse unser Lernverhalten kontrolliert? Gibt es eine Möglichkeit, die Nutzung dieser zielgerichteten oder habituellen Prozesse beim Lernen zu beeinflussen? Basierend auf früheren Arbeiten, die zeigten, dass Stress einen Einfluss darauf hat, welche Lernstrategie wir zur Aufgabenbearbeitung verwenden, vermuteten die Bochumer Forscher Dr. Lars Schwabe und Prof. Dr. Oliver Wolf, dass Stress möglicherweise auch die Nutzung zielgerichteter und habitueller Prozesse beim Lernen reguliert.

Stressreaktion bleibt lange messbar

Um diese Hypothese zu prüfen, ersannen die Forscher einen komplexen Versuchsablauf. Sie teilten freiwillige Versuchspersonen zunächst zufällig in zwei Gruppen ein. Die eine Gruppe musste zu Beginn eine Stresssituation durchstehen: Sie musste ihre Hand in Eiswasser halten, währenddessen in eine Kamera blicken, die ihre Mimik aufzeichnete, und sich dabei von einem unfreundlichen Versuchsleiter kritisch beäugen lassen. Die andere Gruppe hielt die Hand einfach in warmes Wasser. Messungen von Blutdruck, Erregung und dem Spiegel des Stresshormons Cortisol belegten, dass die erste Gruppe eine deutliche Stressreaktion zeigte. 20 Minuten danach begann der Test. "Blutdruck und Erregung normalisieren sich schnell wieder, der Cortisolspiegel bleibt aber bis etwa 60 Minuten nach dem Stressereignis erhöht", erläutert Dr. Schwabe.

Klick wird mit Kakao belohnt

Das Experiment bestand aus zwei Durchgängen: Im ersten Durchgang wurden die Probanden mit verschiedenen Formpaaren auf einem Monitor konfrontiert, die sie anklicken konnten. Der Klick auf bestimmte Formen hatte mit einer hohen Wahrscheinlichkeit die Gabe von kleinen Mengen Orangensaft oder Kakao zur Folge, den die Versuchspersonen, die vorher gefastet hatten, gerne haben wollten. Alternativ wurden Wasser oder Pfefferminztee verabreicht. Die Getränke wurden über Schläuche gegeben, welche die Probanden wie Strohhalme im Mund hielten. Schnell hatten die Versuchspersonen sich gemerkt, welcher Klick wahrscheinlich Saft oder Kakao versprach. Nach dieser ersten Phase durften die Versuchspersonen entweder so viele Orangen oder so viel Schokoladenpudding essen wie sie wollten. "Auf diese Weise wurde, wie die subjektiven Einschätzungen der Probanden bestätigten, ihre Lust auf Orangensaft bzw. Kakao reduziert", erklärt Dr. Schwabe. "Diese Getränke wurden sozusagen éentwertet'."

Zweite Phase: Kakao oder Saft sind unbeliebt

Danach startete der zweite Testdurchgang. Dabei wurden den Versuchspersonen erneut die aus der Lernphase bekannten Reizpaare präsentiert, erneut sollten sie sich jeweils für einen der beiden Reize entscheiden. Keiner hatte mehr Lust auf Kakao oder Organgensaft. Wer zielgerichtet gelernt hatte, musste also tunlichst die Klicks auf die Symbole vermeiden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eines dieser Getränke bedeuteten. Nicht gestresste Probanden verhielten sich auch genauso. Die vor dem Lernen gestressten Probanden hingegen blieben beim einmal eingeschliffenen Verhaltensmuster: Sie machten auch weiterhin jeweils den Klick, der zum "entwerteten" Getränk führte - obwohl sie es, wie sie selbst angaben, nicht mehr mochten. "Ihr Verhalten war also offenbar gewohnheitsbasiert und vom Wert des Verhaltensergebnisses unabhängig", fasst Dr. Schwabe zusammen.

Folgen von Stress in der Schule

"Die Implikationen der aktuellen Studie gehen weit über die Frage des Mensabesuches bei Hunger hinaus", so Schwabe. "Sie deuten auf mögliche Folgen von Stress in Lernumgebungen wie der Schule oder dem Arbeitsplatz hin." Zudem könnten sie zu einem besseren Verständnis der Entstehung und Aufrechterhaltung von Zwangsstörungen oder Substanzabhängigkeiten beitragen, die maßgeblich durch festgefahrene, vom eigentlichen Ziel losgelöste Verhaltensgewohnheiten gekennzeichnet sind, schätzen die Forscher. Die Studie wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG; SCHW 1357/2-1) gefördert.

Titelaufnahme
Lars Schwabe and Oliver T. Wolf: Stress Prompts Habit Behavior in Humans. In: Journal of Neuroscience, Stress Prompts Habit Behavior in Humans, J. Neurosci. 2009 29: 7191-7198;
doi:10.1523/JNEUROSCI.0979-09.2009

Redaktion: Meike Drießen


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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 169 vom 4. Juni 2009
RUB - Ruhr-Universität Bochum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juni 2009