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JUGEND/080: Ausgegrenzt - mit übergewichtigen Kindern will niemand befreundet sein (Thieme)


Thieme Verlag - FZMedNews - Donnerstag, 4. Dezember 2008

Ausgegrenzt - mit übergewichtigen Kindern will niemand befreundet sein


fzm - Schwer übergewichtige Menschen leben gefährlich. Sie erkranken schneller am Herzen, leiden häufiger an Bluthochdruck und bekommen im Alter eher Diabetes als der Durchschnittsdeutsche. Das ist seit Jahren bekannt und empirisch belegt. Weniger bekannt ist: Stark dickleibige Menschen werden sozial ausgegrenzt und negativ beurteilt. Wie eine soeben veröffentlichte Studie in der Fachzeitschrift "PPmP - Psychotherapie Psychosomatik Medizinische Psychologie" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2008) belegt, werden adipöse Kinder und Jugendliche von ihren Altersgenossen für unsympathisch, unattraktiv, faul und wenig intelligent gehalten.

Ein Forscherteam um den Sportpädagogen und Psychogerontologen Ansgar Thiel von der Universität Tübingen legte 454 Kindern im Alter von zehn bis 15 Jahren eine Vielzahl von Fotografien vor. Darauf abgebildet: Normalgewichtige Jungen und Mädchen, Kinder im Rollstuhl und fettleibige junge Menschen. Die Probanden sollten angeben, ob sie mit den auf den Fotos abgebildeten Kindern gerne spielen würden und ob sie die dargestellten Personen klug und sympathisch fänden.

Das Ergebnis: Fettleibige Kinder haben einen sehr geringen sozialen Status - kaum jemand möchte mit ihnen spielen. Sie werden für weniger sympathisch und für unintelligenter gehalten als normalgewichtige oder körperbehinderte Kinder. "Die Ergebnisse zeigen, dass die adipösen Kinder insgesamt im Mittel als am wenigsten sympathisch angesehen werden und auch bei der Spielkameradenpräferenz am schlechtesten abschneiden", resümiert Thiel. Außerdem werden dickleibige Kinder häufiger als andere für dumm und faul gehalten. Besonders hart fällt das Urteil über schwergewichtige Jungen aus: Sie sind die Faulsten der Faulen. Und als Spielpartner tabu.

Versuchspersonen schließen von der Physis eines Menschen auf dessen psychische Eigenschaften. Hierbei verfahren sie nach einer einfachen "Regel", die da lautet: Dick gleich dumm. Die Gründe hierfür: Zum einen gilt Schlankheit als Idealzustand in westlichen Gesellschaften. Wer dieser Norm nicht entspricht, muss mit Ausgrenzung rechnen. Zum andern wird Übergewicht als selbstverschuldet und damit verurteilungswürdig angesehen.

Mit dieser Studie gelang erstmals der Nachweis, dass nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland adipöse Menschen massiv abgewertet werden, ohne dass es dafür einen rationalen Grund gäbe. Wie mehrere amerikanischen Untersuchungen zeigen, wollen Studenten in Nordamerika lieber mit einem Blinden, einem Ladendieb oder einem Kokainabhängigen liiert sein als mit einem dicken Menschen. So ist es nicht verwunderlich, dass das soziale Netz von adipösen Kindern wesentlich kleiner ist und dass sie häufig körperlichen Attacken ausgesetzt sind. Die Diskriminierung von übergewichtigen Menschen beginnt im Kindesalter, so Thiel.


A. Thiel et al.:
Stereotypisierung von adipösen Kindern und Jugendlichen durch ihre Altersgenossen.
PPmP - Psychotherapie Psychosomatik Medizinische Psychologie 2008; 58 (12): S. e16-e24


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Quelle:
FZMedNews - Donnerstag, 4. Dezember 2008
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Dezember 2008