Schattenblick →INFOPOOL →SOZIALWISSENSCHAFTEN → PSYCHOLOGIE

MELDUNG/031: Wie man sich als Gruppe definiert (idw)


Friedrich-Schiller-Universität Jena, Axel Burchardt, 27.08.2010

Wie man sich als Gruppe definiert

Thomas Kessler ist neuer Lehrstuhlinhaber für Sozialpsychologie der Universität Jena


Jena (27.08.10) Wir sind zwar Individuen, definieren uns aber über die Zugehörigkeit zu Gruppen: über das Geschlecht, die Nationalität, als Fan eines Sportvereins. Die Mitgliedschaft in einer Gruppe, also die soziale Identität, definiert uns relativ zu anderen Gruppen: Man braucht eine andere Gruppe, um sich abzugrenzen. "Wessis" brauchen also die "Ossis" - und andersherum - und die damit verbundenen kritischen Emotionen. Selbst das Aufzeigen von Gemeinsamkeiten - wir sind alle Deutsche - reicht meist nicht aus, um Konflikte aufzulösen. "Auch wenn Konflikte zwischen Ost- und Westdeutschen durch eine gemeinsame Identität als Deutsche gemildert werden können, so kann doch der Ärger über Benachteiligung der Ostdeutschen auf eine andere Gruppe, etwa Ausländer, verschoben werden", weiß Prof. Dr. Thomas Kessler von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Der 45-jährige gebürtige Sigmaringer ist neuer Lehrstuhlinhaber für Sozialpsychologie und Spezialist für Intergruppenprozesse.

Bei diesem Thema ist er in Jena im Zentrum der Forschung angekommen, hat doch Kesslers Vorgängerin Prof. Dr. Amélie Mummendey hier bereits ein internationales Graduiertenkolleg und Forschergruppen etabliert, die sich mit der sozialen Identität von Gruppen und deren Verhalten beschäftigen. Kein Wunder, dass auch Thomas Kessler hier bereits geforscht hat. Der Sozialpsychologe hat sich 2004 über wahrgenommene Benachteiligung und gruppenbasierte Emotionen an der Friedrich-Schiller-Universität habilitiert, die ihn 2005 zum Juniorprofessor berufen hat. Nicht zuletzt gehörte er zu der Gruppe von Sozialpsychologen um Prof. Mummendey, die 2005 mit dem Thüringer Forschungspreis ausgezeichnet wurde.

Für Prof. Kessler und seine Familie ist es also eine Rückkehr nach Jena - die ihm aber nicht nur leicht gefallen ist. Exeter (England), wo er zuvor eine Professur innehatte, ist nicht nur ein weiteres Zentrum der sozialpsychologischen Gruppenforschung. Dort arbeitet man eng mit evolutionären Forschern zusammen, was Kessler sehr schätzt. An der Universität und im Jenaer Wissenschaftsnetzwerk hat er diese Möglichkeiten auch und so wurde er seinem Vorsatz - "ich bewerbe mich in den nächsten Jahren nicht nach Deutschland" - untreu: "Bei Jena mit seiner fantastischen Psychologie konnte ich nicht Nein sagen".

Hier wird er weiterhin über Emotionen von Gruppen forschen, wie er das bereits 1997 in seiner Dissertation an der Uni Münster tat, wo er die Sensibilität von Individuen beim Betrug untersuchte. Er stellte dabei nicht nur fest, dass bereits kleine Kinder Täuschungen wahrnehmen, sondern auch dass Menschen andere hervorragend einschätzen können, ob sie ehrliche oder betrügerische Absichten haben. Toleranz und Konflikte in Intergruppenbeziehungen bleiben ebenso Forschungsschwerpunkte wie Vorurteile und soziale Diskriminierung. Die Gestaltung sozialen Wandels durch motivationale und emotionale Prozesse ist ein weiterer Forschungszweig Kesslers, der gut zu den Schwerpunkten der Jenaer Universität passt. Und nicht zuletzt will der groß gewachsene Musikenthusiast evolutionäre Untersuchungen von Intergruppenbeziehungen anstellen. Wie kann man Menschen für eine Gruppe begeistern? Durch welche positiven oder negativen Maßnahmen kann man die Identifikation mit der Gruppe fördern? Welchen Einfluss und welche Nebeneffekte hat die soziale Kontrolle in diesem Prozess? Diesen Fragen will er u. a. in Zukunft in Jena nachgehen, wobei er genau weiß, dass es keine einfachen Antworten geben wird. "Schlichte Handlungsanweisungen, wie man Toleranz auf- oder Diskriminierungen abbauen kann, werden wir nicht geben können", warnt der neue Lehrstuhlinhaber. "Aber wir wollen wichtige Erkenntnisse zu diesen Prozessen beitragen", zeigt sich der begeisterungsfähige Psychologe überzeugt, der frühzeitig die Studierenden in die selbstständige Forschung einbeziehen will - "hier bei uns in Jena".

Weitere Informationen unter:
http://www.uni-jena.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter: http://idw-online.de/pages/de/institution23


*


Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Axel Burchardt, 27.08.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. September 2010