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MELDUNG/377: Studie - Flüchtlinge sind im Durchschnitt sehr gewissenhaft, offen und verträglich (idw)


Universität des Saarlandes - 27.01.2017

Studie: Flüchtlinge sind im Durchschnitt sehr gewissenhaft, offen und verträglich


Gewissenhaftigkeit, Offenheit und Verträglichkeit sind drei von fünf Persönlichkeitsmerkmalen, die in der Psychologie als "Big Five" bekannt sind. Die Psychologin Elisabeth Hahn hat im ersten Teil der Längsschnitt-Studie "Wege in Deutschland" nun festgestellt, dass Flüchtlinge auf diesen drei Persönlichkeitsfaktoren im Schnitt höhere Werte aufweisen als eine vergleichbare deutsche Bevölkerungsstichprobe. In der Studie wurden 260 Flüchtlinge nach ihrer Biographie, ihrer Motivation und ihren Zukunftsplänen befragt und gleichzeitig Persönlichkeitsmerkmale abgefragt. Eine zweite Befragungsrunde soll nun feststellen, ob sich der Eindruck aus dieser ersten Erhebung untermauern lässt.

Das Thema Flüchtlinge ist in Deutschland derzeit bekanntermaßen ein sehr heikles und vielfach diskutiertes. Falschmeldungen über vorgebliche Straftaten machen schnell die Runde in sozialen Netzwerken, Empörung über die Fülle von Leistungen, die die Flüchtlinge vermeintlich vom Staat erhalten, breitet sich aus.

Dabei ist es schwierig, über eine solch riesige Anzahl von Menschen, die in so kurzer Zeit nach Deutschland gekommen sind, verlässliche Aussagen zu treffen. Welche Qualifikationen bringen Flüchtlinge mit? Wie sehen ihre Zukunftspläne aus? Wie motiviert sind sie? Eine Psychologin, die sich aus wissenschaftlicher Sicht dem Thema zu nähern versucht, ist Dr. Elisabeth Hahn. Sie hat im Frühjahr 2016 gemeinsam mit Dr. Nida Bajwa und Juniorprofessor Martin Obschonka insgesamt 260 Flüchtlinge überwiegend aus der Landesaufnahmestelle Lebach nach ihrer Biographie, ihren Fluchterlebnissen, ihrer Persönlichkeit sowie ihrer Zukunftsperspektive befragt.

"Es hat sich gezeigt, dass viele Flüchtlinge in meiner Stichprobe gut gebildet sind und zudem eine recht hohe Bereitschaft zeigen, in Deutschland einen weiteren Abschluss oder eine Ausbildung zu erlangen oder zu absolvieren", erklärt die Psychologin, die am Lehrstuhl für Differentiellen Psychologie und psychologischen Diagnostik von Professor Frank M. Spinath forscht. Im Schnitt geben die überwiegend männlichen Flüchtlinge auch eine sehr hohe Leistungsmotivation an. "Tendenziell sind die Flüchtlinge gewissenhafter, offener und verträglicher sowie weniger neurotisch als die Vergleichsgruppe", führt die Forscherin weiter aus. "In unserer Gesellschaft wird eine Person mit einem solchen Persönlichkeitsprofil allgemein als leistungsstark und gut geeignet angesehen, um herausfordernde Aufgaben zu übernehmen. Sie wäre höchstwahrscheinlich weniger stressanfällig und höher motiviert als der Durchschnitt." Zum Vergleich dient Elisabeth Hahn eine Gruppe, die sich in Alter und Geschlecht ähnlich wie die befragten Flüchtlinge zusammengesetzt und die aus dem Datenpool des Sozio-ökononischen Panels (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) entnommen wurde. Die Studie von Elisabeth Hahn ist im Aufbau und mit Bezug auf die Befragungsinhalte an der DIW-Langzeituntersuchung orientiert, um eine Vergleichbarkeit herzustellen.

"Die Ergebnisse sind allerdings wissenschaftlich noch nicht gesichert", erläutert Elisabeth Hahn. "Wir müssen noch überprüfen, ob die Antworten tatsächlich direkt übertragbar sind. Es könnte sein, dass das Antwortverhalten der Flüchtlinge kulturell bedingt vom Antwortverhalten unseres Kulturkreises abweicht", so Hahn weiter. Anders formuliert: Kreuzen Flüchtlinge auf einer Skala von 1-10 vielleicht tendenziell eher die Extremwerte an, während deutsche Probanden nachgewiesenermaßen eher zu mittleren Werten tendieren? Dies gilt es in der Interpretation der Ergebnisse zu berücksichtigen.

Um herauszufinden, ob und wie die Angaben der Flüchtlinge kurz nach ihrer Ankunft in Deutschland vor einem Jahr mit ihrer weiteren Entwicklung hier in Deutschland zusammenhängen, startet im Frühjahr 2017 eine weitere Befragung. Dann werden dieselben 260 Flüchtlinge nochmals kontaktiert und nach Zustimmung über ihren zwischenzeitlichen Werdegang und ihre aktuelle Gemütsverfassung befragt. Stellt sich heraus, dass die Flüchtlinge ihre angegebene hohe Leistungsbereitschaft tatsächlich tendenziell umsetzen konnten, wäre die Hypothese aus dieser ersten Untersuchung, dass Flüchtlinge im Schnitt motiviert sind sowie etwas leisten wollen, untermauert.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution8

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität des Saarlandes, Thorsten Mohr, 27.01.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Januar 2017

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