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MEDIEN/017: Der kleine Unterschied ist auch im Web nicht zu verbergen (idw)


Universität Hohenheim - 05.09.2007

Durchschaut: Der kleine Unterschied ist auch im Web nicht zu verbergen

Second Life als Forschungsgegenstand: Ab Herbst mischen sich Wissenschaftler der Universität Hohenheim unter die Avatare


Parallel-Universum mit Politik, Wirtschaft, Konsum: Vom Freizeitspaß bis zur Werbeplattform hat sich die Ersatzwelt Second Life eine breite Nutzerschicht erschlossen. Nun soll der virtuelle Maskenball im Web 2.0 auch als Forschungsinstrument eingesetzt werden. Ab Herbst 2007 will Wirtschaftsinformatikerin Prof. Dr. Mareike Schoop das Tool für die Verhandlungsforschung verwenden. Bisherige Forschungsergebnisse lassen allerdings vermuten: Ein wirkliches zweites Leben lässt sich auf Dauer nur schwerlich aufbauen. Selbst als digitales Alter Ego bleibt der Mensch auch im Internet seinem wahren Wesen treu.

Einmal ausprobieren, wie es so ist als Frau. Das wünscht sich mancher Mann. Und die eine oder andere Frau möchte mal den starken Kerl mimen. Wo könnte man das besser als in der virtuellen Welt des Internets! Doch gibt es ein zweites Leben? Oder bleibt Second Life immer ein Abbild des First Life?

Auf Dauer kann man auch in der virtuellen Welt niemanden täuschen. Davon ist Prof. Mareike Schoop von der Universität Hohenheim überzeugt. Die Wirtschaftsinformatikerin entwickelt Programme, mit denen im Internet elektronische Verhandlungen gestaltet werden können. Mit dieser Software kann man sogar Zwischentöne ins Gespräch einbringen oder virtuelle Kaffeepausen einlegen. Die Wissenschaftlerin erforscht unter anderem, inwieweit sich Frauen und Männer in ihrem Verhalten unterscheiden.

Dafür bietet Second Life, die virtuelle Welt im Web 2.0, eine willkommene Spielwiese. Die Versuchspersonen erfahren, worüber sie verhandeln sollen und ob sie dabei als Frau oder Mann auftreten werden. Dann basteln sie sich ihr Alter Ego, den Avatar, und los geht's.

Die Studenten werden, während sie im Internet agieren, genau beobachtet. Am Bildschirm befinden sich diskrete Kameras, die genau registrieren, wohin die Augen sehen und wie lange sie dort verharren. Dadurch kann man zum Beipiel erkennen, inwieweit der Avatar des Partners für den Dialog überhaupt wichtig ist. Da die Studenten auch noch ihre Gedanken und Reaktionen aussprechen, kann der Ablauf genau dokumentiert werden.

Man könnte meinen, dass Verhandlungen im Internet fairer ablaufen als in der realen Welt. Dominante Gesten, ironische Untertöne, abschätzige Mimik - all das müsste bei textorientierten Verhandlungen entfallen. Weit gefehlt. Je länger der Kommunikationsprozess andauert, desto klarer wird, ob sich hinter dem weiblichen Verhandlungspartner in Wahrheit ein Mann verbirgt. Dominanzgesten lassen sich nämlich auch in Text übersetzen. Und damit kommt man dem Mann hinter der Avataren-Frau ganz schnell auf die Schliche. Und umgekehrt.

Doch worin unterscheiden sich Männer und Frauen? "Frauen versuchen eine Lösung zu finden, bei der jeder gewinne", erklärt Schoop. Männer hingegen fechten häufiger einen Verteilungskampf aus. Sie gingen davon aus, dass jeder Vorteil des anderen automatisch zu eigenen Verlusten führe. Integrativ versus distributiv nennt man das in der Wissenschaft.

Der praktische Nutzen dieser Untersuchungen liegt auf der Hand. Die Erkenntnisse helfen dabei, für jede elektronische Verhandlung das optimale Team zusammen zu stellen. Sie geben Hinweise, in welcher Phase besser eine Frau und wann besser ein Mann das Gespräch führen sollte. Es wird sich auch zeigen, ob die Verhandlungen in Second Life eher einem realen Dialog oder einer schriftlichen Kommunikation ähneln - oder ob man besser ganz neue Kommunikationsverfahren entwickelt.

Hintergrund:
Die internationale Forschungsgruppe, der Schoop angehört, untersucht die Kommunikationsqualität in elektronischen Verhandlungen, insbesondere im internationalen Zusammenhang. Das Experiment in Second Life dient zur Weiterentwicklung des Hohenheimer Verhandlungssystems Negoisst. Diese Software kann für elektronische Verhandlungen in allen Bereichen eingesetzt werden. Voraussichtlich werden die Versuchspersonen ab Herbst 2007 mit den Verhandlungen in der virtuellen Welt beginnen. Mehrere hundert Studenten aus Australien, Österreich, Deutschland, Taiwan und den USA nehmen daran teil.

Internationale elektronische Verhandlungswettbewerbe
Prof. Dr. Schoop ist Expertin auf dem Gebiet elektronischer Verhandlungen. Seit mehreren Jahren organisiert sie mit Kollegen aus Nordamerika, Europa und Asien internationale Wettbewerbe zu elektronischen Verhandlungen, an denen auch Hohenheimer Studierende erfolgreich teilnehmen. "Verhandlungen erfolgen verstärkt über elektronische Medien. Mit unserem Verhandlungssystem Negoisst haben wir ein System entwickelt, das auch sehr komplexe Verhandlungen elektronisch ermöglicht. Hier wollen wir den Studierenden die Fähigkeiten zu elektronischen Verhandlungen vermitteln, um gerade auch im internationalen Kontext erfolgreich sein zu können", erläutert Prof. Dr. Schoop.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution234


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Hohenheim, Florian Klebs, 05.09.2007
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. September 2007