Schattenblick →INFOPOOL →SOZIALWISSENSCHAFTEN → PSYCHOLOGIE

RATGEBER/043: Du sollst es einmal besser haben (welt der frau)


welt der frau 5/2008 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Du sollst es einmal besser haben
Müssen Kinder die Träume ihrer Eltern leben? "Wichtig ist Kindern die Freiheit zuzugestehen, sich anders als von den Eltern gewünscht entscheiden zu können", meint der Psychotherapeut Rudolf Liedl

Von Michaela Herzog


WELT DER FRAU: Was läuft zwischen Eltern und Kindern, wenn Erwachsene versuchen, ihre Träume und Wünsche den Kindern überzustülpen?

LIEDL: In den meisten Fällen wollen Eltern das Beste für ihr Kind. Die Frage ist nur, was das Beste ist. Manchmal passt der Wunsch der Eltern für ihre Kinder. Meine Mutter hätte so gerne als Kind ein Musikinstrument lernen wollen, sie hat aber nicht die Gelegenheit dazu bekommen. Deshalb hat sie mich und meine beiden Brüder musikalisch sehr gefördert und ständig zum Üben motiviert. Musik ist für mich bis heute ein unverzichtbares Hobby.

Einem Kind den eigenen Traum überzustülpen kann aber auch schiefgehen, vor allem wenn Kinder nicht das Talent oder Interesse dafür mitbringen und sie dazu gezwungen werden.

WELT DER FRAU: Welche Chance haben Kinder, sich unter Umständen dagegen zu wehren?

LIEDL: Um den Eltern zu gefallen, ihre Liebe nicht zu verlieren, erklären sich Kinder oft mit den Wünschen der Eltern einverstanden. Zumindest vordergründig. Wenn sie nicht wirklich einverstanden sind, reagieren sie häufig indirekt über verschiedene Symptome. Sie gehen zwar brav ins Sporttraining, obwohl sie viel lieber Theater spielen und zeichnen würden. Aber sie beginnen in anderen Bereichen zu opponieren. Sie werden vielleicht lästig, auffällig und schwierig zu erziehen, stehen nicht auf, räumen ihr Zimmer nicht mehr zusammen. Kinder sollten ermutigt werden, direkt zu sagen: Ich will das nicht tun, ich möchte viel lieber etwas anderes machen.

WELT DER FRAU: Der deutsche Psychotherapeut Helm Stierlin verwendet den Begriff "Delegation". Wie ist er zu verstehen?

LIEDL: Auf elterliche Wünsche und Träume bezogen kann delegieren heißen: Mache du, was ich immer wollte, mach es besser oder anders als ich. Solche Aufträge können sehr subtil gegeben werden. Eltern haben natürlich Erwartungen, Fantasien und Wunschvorstellungen, wie ihr Kind sein könnte oder sollte. Diese hängen eng mit der eigenen Erziehung zusammen, der sozialen Schicht, aus der jemand kommt, und auch gesellschaftlichen Trends. Wenn mit den elterlichen Wunschvorstellungen ein gutes Stück Entscheidungsfreiheit und Eigenverantwortung der Kinder mitschwingt, ist das gut. Wenn es aber ein fixer Auftrag ist, dann kann es für alle Beteiligte ziemlich problematisch werden.

WELT DER FRAU: Wie können Eltern die Balance zwischen ihren Wünschen und denen ihrer Kinder finden?

LIEDL: Hilfreich kann sein, sich die unbewussten Wünsche im Hinblick auf die Erziehung der Kinder ein Stück weit bewusst zu machen. Ist das, was ich mir vorstelle, wirklich das Beste für mein Kind? Mache ich das für mein Kind oder mehr für mich? Diskussionen mit dem Partner oder der Partnerin, mit Verwandten und anderen Eltern bieten die Chance, eigene Vorstellungen zu überdenken. Balance setzt die Grundhaltung voraus, dem Kind vorzuschlagen und anzubieten, und dann gemeinsam zu schauen, ob der Vorschlag tatsächlich passt.

WELT DER FRAU: Heißt das, Eltern können gute Berater ihrer Kinder auf der Suche nach Lebenszielen sein?

LIEDL: Ja, diese Rolle sollten sie auf jeden Fall haben, ohne sich an allzu fixe Vorstellungen zu binden. Manche Kinder sind glücklich, den Handwerksbetrieb des Vaters oder die Anwaltskanzlei der Mutter zu übernehmen, während es für andere keine Perspektive ist.

Es ist selbstverständlich, dass Eltern ihren Kindern vieles mitgeben. Vorgaben sind bis zu einem gewissen Grad sinnvoll und tragen zur Orientierung bei. Kinder entwickeln für ihr Leben aber auch eigene Ziele, die nur teilweise mit denen der Eltern übereinstimmen. Dann ist es wichtig, ihnen die Freiheit zu vermitteln, sich anders entscheiden zu dürfen - mit dem Wissen, den "Segen" dafür zu bekommen und die Liebe der Eltern nicht zu verlieren.

Mag. Rudolf Liedl ist Psychotherapeut im Verein Kinderhilfswerk, Linz. (www.kinderhilfswerk.at)


*


Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Ausgabe 5/2008, Seite 10
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
Redaktion: Welt der Frau Verlags GmbH
4020 Linz, Lustenauerstraße 21, Österreich
Telefon: 0043-(0)732/77 00 01-11
Telefax: 0043-(0)732/77 00 01-24
info@welt-der-frau.at
www.welt-der-frau.at

Die "welt der frau" erscheint monatlich.
Jahresabonnement: 29,- Euro (inkl. Mwst.)
Auslandsabonnement: 41,- Euro
Kurzabo für NeueinsteigerInnen: 6 Ausgaben 8,70 Euro
Einzelpreis: 2,42 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juni 2008