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RATGEBER/060: Besser lernen (Gehirn und Geist)


Gehirn und Geist 10/2013
Das Magazin für Psychologie und Hirnforschung

Gedächtnis
Besser lernen

Mehr als 100 Jahre Lernforschung, tausende von Experimenten, eine Fülle von Modellen und Methoden - und was hat es gebracht? Wir lernen heute zwar nicht unbedingt besser als früher, allerdings müssen wir viel mehr und ständig neues Wissen bewältigen. Eine Reihe nützlicher Faustregeln hilft dabei.

Von Steve Ayan



AUF EINEN BLICK

Gut gemerkt ist halb gewonnen

1. Am Lernen sind je nach Gegenstand und Situation verschiedene Gedächtnissysteme beteiligt, die sich grob in bewusste und unbewusste unterteilen lassen.
2. Selbsttests, portionsweises Lernen und erklärende Warum-Fragen zählen laut Forschern zu den effektivsten Lerntechniken. Als weniger hilfreich erwiesen sich das Markieren von Informationen und wiederholtes Lesen - zwei besonders verbreitete Methoden.
3. Wird der Wissenserwerb von positiven Gefühlen begleitet und übt man den Abruf in verschiedenen Situationen, so steigt die Chance weiter, dass viel hängen bleibt.


»Merhaba, Steve bey. Nasılsiniz?« Äh, Moment - gleich hab ich's. »Merhaba! Çok iyiyim. Te ... teşe ... teşeküler!«(*) Die Lehrerin strahlt, als hätte ich eines der großen Welträtsel gelöst. »Çok iyi!« - »Sehr gut«, lobt sie. Dabei mache ich nur meine ersten, holperigen Gehversuche im Türkischen.

(*) zu Deutsch: »Guten Tag, wie geht es Ihnen?« »Guten Tag! Es geht mir sehr gut. Danke!«

Okay, jeder hat klein angefangen. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass mir das Fremdsprachenlernen einmal leichter fiel. Damals, als ich noch jünger war und wendiger im Kopf. Oder bilde ich mir das nur ein, weil ich ja weiß, dass ich keine 20 mehr bin, und das alternde Gehirn bekanntlich an Flexibilität einbüßt?

Solche Überzeugungen hinsichtlich der eigenen mentalen Ausstattung - Metakognitionen genannt (von griechisch: »meta« = über, lateinisch: »cogitare« = denken) - prägen nicht nur, wie wir uns selbst einschätzen und unsere Leistungen bewerten. Sie können auf subtile Weise auch den tatsächlichen Lernerfolg schmälern.

Das zeigten etwa Untersuchungen des Psychologen Thomas Hess von der University of North Carolina in Raleigh (USA). Präsentiert man älteren Menschen eine Reihe von negativen, auf das Alter bezogenen Wörter wie »senil«, schneiden sie im anschließenden Gedächtnistest schlechter ab, als wenn sie zuvor positive Begriffe wie »weise« lasen. Kurz: Wo kein Zutrauen ist, bleibt auch weniger hängen.

Was meine Fortschritte im Türkischen betrifft, so kann ich das verschmerzen, denn ich lerne die Sprache nur zum Zeitvertreib. Doch in meinem wie sicher auch in Ihrem Alltag gibt es noch weit mehr Gelegenheit, neue Fakten und Fertigkeiten zu erwerben. Gelegenheit? Ach was: Notwendigkeit!

In der modernen Wissensgesellschaft prasseln laufend Informationen auf uns ein; wir müssen uns dem technischen Fortschritt, veränderten Arbeitsabläufen und Kommunikationsformen anpassen, uns fortbilden und Kompetenzen schulen, um auf dem aktuellen Stand zu bleiben. Kam einst nach Ende der Schul- und Ausbildungszeit kaum grundlegend Neues hinzu, so macht heute das Schlagwort vom lebenslangen Lernen die Runde. Und anders als frühere Pennäler, die nach festen Vorgaben büffelten, bleibt es heute vielfach uns selbst überlassen, wie wir all die Anforderungen meistern.

Auch Lernen will gelernt sein

Wir müssen das Lernen mehr denn je aktiv gestalten, und dabei sind metakognitive Fähigkeiten gefragt. Richtig lernen will gelernt sein!

Vielleicht denken Sie jetzt: Was denn noch alles? Genügt es nicht, dass man sich mit andauernden Software-Updates und den neuesten Finessen des Steuerrechts herumschlägt - muss man jetzt auch noch das Lernen lernen? Die Wahrheit ist: Sie tun es sowieso. Jeder bildet automatisch Vorstellungen davon, wie er welche Inhalte am besten behält, verfolgt bestimmte Lernstrategien und legt sich Methoden zurecht, die seinen mutmaßlichen Talenten entsprechen. Das passiert oft, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Und hier lauert eine Gefahr, denn so mancher sitzt dabei Irrtümern auf, die das Lernen eher behindern als es zu erleichtern.

Psychologen um Robert Bjork von der University of California in Los Angeles sichteten in einer 2013 erschienenen Überblicksarbeit die unter US-Collegestudenten beliebtesten Lerntechniken. Nach Auswertung umfangreicher Befragungen identifizierten die Forscher vier besonders häufige Fallen.

Fehler Nummer eins: Je mehr, desto besser. Oft versuchen Lernende möglichst viel auf einmal abzuarbeiten und stopfen jede Lektion randvoll mit Informationen. Besser verteiltes, gestaffeltes Lernen bringt den Forschern zufolge dagegen mehr. Statt also 50 Vokabeln an einem Tag »durchzupauken«, lernt man lieber nur 10 pro Abend - und erfreut sich am Wochenende des Gelernten.

Fehler Nummer zwei: Schema F. Ob aus Gewohnheit oder weil es vermeintlich dem eigenen Typ entspricht, lernen viele auf stets gleiche Weise, etwa indem sie ihnen wichtig erscheinende Abschnitte im Lehrbuch markieren und immer wieder durchgehen. Dabei hilft gerade Abwechslung, Wissen im Gehirn zu verankern. Den Beispieldialog aus dem Sprachkurs ständig zu wiederholen, ist folglich weniger angebracht als zu lesen, zu hören, sich selbst vorzusagen sowie die betreffenden Wendungen praktisch einzusetzen. Möglichst vielfältig eben.

Fehler Nummer drei: Abhaken. Passives Aufnehmen von Fakten, die man sich nicht selbst erschlossen oder gedanklich durchdrungen hat, ist vielfach Zeitverschwendung - Wissen in eigenen Worten wiederzugeben, es anzuwenden und auf andere Beispiele zu übertragen dagegen die bessere Strategie. Eine Grammatikregel, deren Sinn man begriffen hat, ist allemal besser als eine stur auswendig gelernte.

Und Fehler Nummer vier: Angst vor Patzern. Um nicht »dumm dazustehen« meidet so mancher das selbstständige Reproduzieren - etwa, in einer Fremdsprache zu radebrechen, in der man noch nicht sattelfest ist. Die Scheu ist jedoch kontraproduktiv, denn aktive Wiedergabe von Gelerntem, egal wie rudimentär, ist eine effektive Methode (siehe »Die Top-5 der Lerntechniken«, S. 34). Warum nicht beim Türken mal auf Türkisch bestellen? Schlimmstenfalls erntet man eben fragende Blicke.

Doch lassen sich so allgemein gültige Regeln überhaupt aufstellen? Schließlich gleicht kaum ein Lernvorgang dem anderen: Sportarten wie Tennis oder Bogenschießen zu trainieren ist grundverschieden vom Büffeln fürs Physikum und schlagfertig mit Kritik umzugehen kaum vergleichbar mit Programmieren lernen.

Eine der wichtigsten Lehren aus mehr als 100 Jahren Lernpsychologie lautet, dass es mehrere, unabhängig voneinander funktionierende Gedächtnissysteme gibt (siehe Hirngrafik S. 33). Und für jedes gelten teils eigene Maximen.

Wollen Sie etwa Ihre Allgemeinbildung verbessern, um mit Faktenwissen und Bonmots beim Smalltalk zu glänzen? Dann ist Ihr semantisches Gedächtnis gefragt, welches bewusst gespeicherte und abrufbare Informationen enthält. Zentrale Schaltstelle ist der Hippocampus, eine etwa seepferdchengroße und ebenso geformte Windung auf der Innenseite des mittleren Schläfenlappens. Seine Verarbeitungskapazität stellt so etwas wie den Flaschenhals des Faktenlernens dar. Deshalb sollten Sie die fraglichen Informationen nicht nur gut auswählen (Sie können einfach nicht alles behalten!), sondern vor allem mit Bedeutung versehen.

Welchen Unterschied das macht, erkennt man leicht, wenn etwa nackte historische Fakten wie der Fall der Berliner Mauer in eine anschauliche, sogar bewegende Geschichte gekleidet werden. Der Hippocampus ist eng verknüpft mit der nahe gelegenen Amygdala, die Sinnesreizen emotionale Bedeutung zuweist. So kommt es, dass wir uns an Dinge, die Gefühle auslösen, in aller Regel besser erinnern.

Oder wollen Sie endlich einmal Tennisspielen lernen? Dann führt kein Weg am regelmäßigen Üben vorbei, das Ihr so genanntes prozedurales Gedächtnis aktiviert. Prämotorische und motorische Areale der Großhirnrinde speichern Bewegungsprogramme, die von den tief im Gehirn liegenden Basalganglien feinjustiert werden. Stellen Sie sich die koordinativen Abläufe in Gedanken vor, zerlegen Sie sie in Einzelschritte, üben und korrigieren Sie sie so lange, bis sie nach und nach automatisiert vonstattengehen. Einmaliges Abspeichern genügt hier leider nicht - der Körper ist eine Gewohnheitsmaschine.

In der Ruhe liegt die Kraft

Oder haben Sie eine weiter gefasste Kompetenz im Sinn, die Ihnen bei bestimmten Gelegenheiten zupasskäme - etwa souverän verhandeln oder charmant flirten? Oft macht einem hier nicht mangelndes Wissen einen Strich durch die Rechnung, sondern die Aufregung, das Drumherum. Dann kommt es darauf an, im entscheidenden Moment locker zu bleiben und »abzurufen«, was an Esprit in Ihnen steckt.

Die dafür nötige Handlungskontrolle besorgen Teile des Stirnlappens, etwa der präfrontale Kortex. Um sie zu stärken, muss man sich der jeweiligen Situation immer wieder aussetzen und zwar systematisch - etwa mit steigendem Schwierigkeitsgrad. Testen Sie den Ernstfall, sei es ein fingiertes Verkaufsgespräch oder der Plausch an der Kneipentheke.

Muss man jetzt auch noch das Lernen lernen? Die Wahrheit ist: Sie tun es sowieso

Wie man am besten lernt, hängt also mindestens vom Gegenstand, von der Situation und dem Ziel des Lernens ab. Und was ist mit der Persönlichkeit? Ist sie nicht ebenso entscheidend? »Individuelle Vorlieben spielen beim Lernen keine so große Rolle«, erklärt die Psychologin Elsbeth Stern von der ETH Zürich. Natürlich fällt manchen Menschen das Lernen leichter als anderen; doch wie man es, im Rahmen seiner individuellen Möglichkeiten, am besten anstellt, ist weniger Typfrage als viele meinen (siehe »Welcher Lerntyp bin ich?«, S. 38).

Meistens lernen wir sogar, ohne es recht zu bemerken. Wir meiden die Treppenstufe, an der wir zuletzt hängen blieben. Wir legen uns eine Replik für die nächste Gardinenpredigt des Chefs zurecht. Oder wir versuchen den eigenen Nachwuchs rechtzeitig von der Riesenpackung Gummibärchen im Supermarktregal abzulenken.

Man kann folglich gar nicht nicht lernen - allerdings wollen wir meist ganz bestimmte Dinge für bestimmte Zwecke parat haben. Und um uns das zu erleichtern, lohnt es sich, die folgenden Maximen zu beherzigen.

Faustregel Nummer 1: Wer lernen will, muss auswählen. Das Wichtige vom Unwichtigen trennen, sich aufs Wesentliche konzentrieren -das ist der erste Schritt zum Lernerfolg. Statt immer mehr Details anzusammeln und sich im wahrsten Sinn zu verzetteln, ist Mut zur Lücke gefragt. Wie viel Stoff genug ist, das hängt freilich von vielen Faktoren ab - etwa von der verfügbaren Zeit und der eigenen Begabung. Orientieren Sie sich am besten an anderen, die das gleiche Lernziel verfolgen wie Sie (übrigens ein nützlicher Nebeneffekt von Studienzirkeln und Lerngruppen).

Faustregel Nummer 2: Wer lernen will, muss verknüpfen. Nichts, was wir lernen, steht isoliert für sich. Jedes Datum, jede Vokabel, jede wissenschaftliche Theorie und jeder Tanzschritt fügt sich ein in das, was wir schon kennen oder beherrschen. Wie in einem riesigen Netzwerk knüpfen wir beim Lernen Beziehungen zwischen Dingen, die zunächst nichts miteinander zu tun hatten. Und weil dem Ideenreichtum hierbei kaum Grenzen gesetzt sind, ist unser Gedächtnis potenziell unerschöpflich (siehe »Ist der Speicherplatz im Kopf begrenzt?« S. 39).

Der Fundus an vorhandenem Wissen entscheidet mit darüber, ob und wie Neues hängen bleibt: So können Menschen, die bereits viel gelernt haben, weitere Inhalte meist leichter behalten; sie haben schlicht mehr Anknüpfungspunkte. Auch für das Gedächtnis gilt: Wer hat, dem wird gegeben!

Faustregel Nummer 3: Wer lernen will, muss vergessen. Selbst Gedächtniskünstler vergessen viel. Ausmisten ist für das Gehirn quasi unvermeidlich, wenn es neue Informationen aufnimmt, denn das Gedächtnis ist kein starre Datenbank, sondern ein lebendiges Netzwerk. Aktuelles verdrängt darin Altes, Erinnerungen verblassen, kehren zurück und werden bei jedem Abruf etwas anders gespeichert. Um dieses ständige Reorganisieren des Wissens zu unterstützen, sind zwischen lernintensiven Phasen regelmäßige Pausen und Müßiggang angebracht. Auch im Schlaf bringt sich unser Gedächtnis auf »Reiseflughöhe«, indem es Ballast abwirft (siehe »Können wir im Schlaf lernen?«, S. 40).

Faustregel Nummer 4: Wer lernen will, muss fühlen. Emotionen sind mit Lernprozessen eng verwoben. Es kann uns nicht nur ziemlich wurmen, wenn wir wieder eine Telefonnummer vergessen haben oder uns partout nicht einfällt, was »Briefmarke« auf Spanisch heißt. Mancher entwickelt regelrecht Angst davor, sein Gedächtnis könnte ihn im Stich lassen - und blockiert dann umso eher. Um dem Blackout vorzubeugen, gilt es, möglichst positive Gefühle mit dem Gelernten zu verbinden. Das mag bei binomischen Formeln, medizinischen Fachbegriffe oder Strafrechtsparagrafen manchmal schwerfallen, doch es gibt fast immer einen Weg, sich das Lernen angenehm zu machen: etwa in spielerischer Form als Quiz, im Austausch mit anderen oder indem man sich den praktischen Nutzen des Ganzen vor Augen führt. Spaß und Aha-Erlebnisse sind häufig unterschätzte Zutaten für den bekömmlichen Lerncocktail.

Schnüren wir das Wichtigste zum Schluss noch einmal handlich zusammen:

Reproduzieren bringt mehr als passives Durchnehmen! Auch wenn es häufig Mühe kostet, der Aufwand lohnt sich: eigene Erklärungen suchen, Zusammenhänge nachvollziehbar machen, mit anderen darüber reden!

Emotional geht's leichter! Wer mit Freude lernt, profitiert davon oft mehr als von ausgeklügelter Didaktik. Leider lässt unser Bildungssystem dies immer noch zu häufig außer Acht.

Gelernt ist noch nicht erinnert! Um an erworbenes Wissen heranzukommen, sollte man den Ernstfall schon beim Lernen proben. Üben Sie, auch bei Stress konzentriert zu bleiben. Und wenn das alles nichts nützt, tragen Sie es am besten mit Humor. Wissen ist zwar bekanntlich Macht, aber nichts wissen macht ... na, Sie wissen schon.

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Bewusst versus unbewusst: Die wichtigsten Gedächtnisformen

Das menschliche Gedächtnis lässt sich grob in zwei Systeme aufteilen: ein deklaratives (auch »explizites«) und ein nichtdeklaratives, implizites. Während ersteres bewusst gelernte und abrufbare Fakten enthält - von der Präambel des Grundgesetzes bis zur Handy-PIN -, sind in letzterem unbewusste Verknüpfungen und Fertigkeiten abgelegt. Beide Gedächtnisformen sind funktional und anatomisch weit gehend getrennt voneinander.

Der Hippocampus im mittleren Schläfenlappen gilt als Zentrum des bewussten Lernens. Nichtdeklarativer Wissenserwerb beansprucht dagegen weiter verteilte Hirnareale, darunter die Amygdala, die Basalganglien, den prämotorischen und den präfrontalen Kortex im Stirnhirn sowie Teile des Parietalkortex.

Ob Schuhe binden, Auto fahren oder schwimmen: Sobald wir die Abläufe automatisiert haben, bedürfen sie keiner bewussten Kontrolle mehr. Explizit Gelerntes kann also ins implizite Gedächtnis übergehen. Das gilt vor allem für die Bewegungskoordination.

Umgekehrt wird semantisches Wissen (zum Beispiel: »Palma ist die Hauptstadt von Mallorca.«) zwar bewusst gelernt, verändert sich beim erneuten Abruf jedoch oft unbemerkt und erhält neue Nuancen (etwa nach dem Inselurlaub eine emotional besonders positive Note). Viele Forschungen zeigten zudem, wie anfällig das menschliche Gedächtnis für Verzerrungen ist - zum Glück, sonst erschiene uns mancher Urlaub rückblickend kaum so romantisch.

*

Die Top-5 der Lerntechniken

Der Psychologe John Dunlosky von der Kent State University in Ohio (USA) hat gemeinsam mit Kollegen rund 700 Arbeiten gesichtet, die verschiedene Lerntechniken einem Praxistest unterzogen. Auf Basis dieser Daten erstellten die Forscher eine Rangfolge von empfehlenswert bis eher hinderlich. Am schlechtesten schnitten das Hervorheben von Informationen (etwa per Textmarker) sowie wiederholtes Lesen ab. Doch gerade dies sind laut Umfragen unter Studierenden sehr verbreitete Methoden. Fünf andere bewerteten die Forscher um Dunlosky hingegen als nützlich:

1. Teste dich selbst!
Der sicherste Weg, neues Wissen zu behalten, besteht darin, es aktiv wiederzugeben. Erklären Sie anderen, was Sie gelernt haben, und lassen Sie sich Löcher in den Bauch fragen. Dabei bemerkt man auch am ehesten, was man noch nicht verstanden hat. Selbsttests schlagen sogar dann an, wenn man eigentlich noch gar nichts weiß: In einem Experiment baten Forscher Probanden vor einer Lerneinheit zu erklären, was sie über das betreffende Thema wussten. Von der folgenden Lektion blieb mit der Trockenübung deutlich mehr hängen als ohne! Offenbar hilft die gedankliche Vorbereitung später, neue Informationen in das bereits Bekannte einzubetten.

2. Lerne in handlichen Portionen!
Häppchenweises, über größere Zeiträume verteiltes Lernen ist in der Regel effektiver als sich geballte Wissensladungen aufzuhalsen. Teilen Sie Ihr Lernpensum also in möglichst handliche Abschnitte auf und legen Sie zwischen den Lerneinheiten regelmäßig Test- und Entspannungsphasen ein!

3. Stelle Warum-Fragen!
Wieso liefert die Evolutionslehre eine Erklärung für die natürliche Artenvielfalt? Weshalb stehen Adjektive im Italienischen mal vor und mal hinter dem Hauptwort? Warum kann man sich nicht selbst kitzeln? Derart zum Mit-, Durch- und Querdenken angeregt, bleiben die betreffenden Antworten meist besser haften.

Gute Pädagogen wissen, dass es wenig bringt, Schüler mit vorgefertigten Antworten zu bombardieren. Was ist das Problem? Warum lohnt es sich, es zu lösen? Und wie könnte das gelingen? Von solchen Fragen profitieren Lernende in der Regel mehr. Viele Unterrichtslektionen und Lehrbücher bieten für das eigenständige Erschließen allerdings wenig Anreiz. Ein möglicher Grund: Es kann dauern, bis die zündende Einsicht kommt -Lösungen vorzugeben, funktioniert da schneller. Aber auch schlechter.

4. Wisse, was du (noch) nicht weißt!
Nah verwandt mit den Warum-Fragen ist, was Psychologen als »Selbstexplikation« bezeichnen. Hier zielt das Nachbohren jedoch nicht auf den Lerninhalt selbst, sondern auf den eigenen Hintergrund: Was hat das mit dem zu tun, was ich schon kenne? Erinnert mich das an etwas? Wie fügt es sich in mein Vorwissen ein? Wo habe ich noch Lücken? Ein Vorteil dieser Methode: Das so aktivierte »metakognitive« Wissen erleichtert es, sich einen Weg durch den Informationsdschungel zu schlagen. Zu wissen, was man (noch) nicht weiß, hilft oft erstaunlich viel.

5. Lerne variabel!
Lesen, Kernbegriffe notieren, sich selbst Zusammenhänge erklären, anderen davon erzählen und sich abfragen lassen: Ein bunter Methodenmix liefert die beste Gewähr für ein rundum gestärktes Gedächtnis. So verlockend es erscheinen mag, die »ultimative« Lerntechnik gefunden zu haben - Vielfalt wirkt meist nachhaltiger.

(Dunlosky, J. et al.: Improving Students' Learning with Effective Learning Techniques: Promising Directions from Cognitive and Educational Psychology. In: Psychological Science in the Public Interest 14, S. 4-58, 2013)


Steve Ayan ist Psychologe und Redakteur bei »Gehirn und Geist«. Beim Türkischlernen setzt er voll und ganz auf die Kraft der Emotionen - seine Frau stammt aus der Türkei.



Randspalten

Entdecke die Möglichkeiten! Es gibt so viele verschiedene Lernformen wie mögliches Wissen und Können. Auf welchem Weg man sie jeweils am besten erwirbt, erforschen Gedächtnispsychologen.


Fürs Leben lernen
Intrinsische Motive, die man »aus sich heraus« entwickelt (wie etwa Neugier), förderten den Lernerfolg mehr als extrinsische - etwa der Wunsch nach Lob und Anerkennung. So lautet ein alte Lehrmeinung. Die Studienlage ist hier jedoch uneindeutig: Prestige oder Geld können ebenso zum Lernen anreizen, auch wenn es nur »Mittel zum Zweck« ist.

(Schiefele, U.: Interests and Learning. In: Encyclopedia of the Science of Learning, Springer, Heidelberg 2012, S. 1623-1628)


Lernen mit Musik?
Extravertierte Menschen kommen mit Hintergrundmusik im Schnitt besser zurecht als introvertierte. Insgesamt ist die Beschallung aber eher hinderlich: Den anregenden Effekt macht die Ablenkung oft zunichte. Gesang können wir dabei schlechter ausblenden als Instrumentalmusik.

(Kämpfe, J. et al.: The Impact of Background Music on Adult Listeners: A Meta-Analysis. In: Psychology of Music 39, S. 442-448, 2011)


Gehen, sitzen, liegen
Bewegung bringt die grauen Zellen auf Trab. Doch hilft motorische Aktivität auch während des Lernens? Forschung zur »Embodied Cognition« (»verkörpertes Denken«) lieferte Belege dafür, dass Muskelaktivität häufig mentale Effekte hat: So fördern ausholende Armschwünge den Ideenreichtum, Fäuste ballen das Behalten von Wortlisten. Verantwortlich dafür ist vermutlich eine Art Vorglüheffekt: Das Gehirn wird durch die motorische Aktivität in Erregung versetzt, die auch das Lernen erleichtern kann. Allein darauf sollte man beim Studium freilich nicht setzen.

(Special Issue: Modalities of Body Engagement in Mathematical Activity and Learning. In: Journal of the Learning Sciences 21, 2012)


Quellen
Bjork, R. A. et al.: Self-Regulated Learning: Beliefs, Techniques, and Illusions. In: Annual Review of Psychology 64, S. 417-444, 2013
Roediger III, H. L. et al.: Ten Benefits of Testing and Their Applications to Educational Practice. In: Psychology of Learning and Motivation 55, S. 1-36, 2011

Weitere Quellen im Internet unter
www.gehirn-undgeist.de/artikel/1204066


Literaturtipps
Gasser, P.: Gehirngerecht lernen: Eine Lernanleitung auf neuropsychologischer Grundlage. hep, Bern 2010 Mit vielen Exkursen in die Neuropsychologie gespickter Ratgeber

Krengel, M.: Bestnote. Lernerfolg verdoppeln, Prüfungsangst halbieren. Eazybooks, Berlin, 2. Auflage 2012

Praktisches Arbeitsbuch für Schüler und Studierende
Metzig, W., Schuster, M.: Lernen zu lernen: Lernstrategien wirkungsvoll einsetzen. Springer, Heidelberg, 8. Auflage 2010 Metakognitives Lernwissen zum Selbststudium


© 2013 Steve Ayan, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Gehirn und Geist 10/2013, Seite 30 -36
Redaktion und Verlag:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Januar 2014