Schattenblick →INFOPOOL →SOZIALWISSENSCHAFTEN → PSYCHOLOGIE

VERKEHR/045: Kognitive Mechanismen beim Einparken - Gekonnt geparkt (RUBIN)


RUBIN - Wissenschaftsmagazin, Sonderheft 10/2010 - Junge Forschung Ruhr-Universität Bochum

Kognitive Mechanismen beim Einparken
Gekonnt geparkt

Von Claudia Christine Wolf


"Frauen können nicht einparken", "Männer können sich nicht auf zwei Dinge gleichzeitig konzentrieren" - im täglichen Leben sehen wir uns immer wieder mit solchen Vorurteilen konfrontiert. Ob Frauen wirklich Probleme damit haben, ihr Auto in eine Parklücke zu manövrieren, wollte unser Team um Professor Güntürkün nun genau wissen. Es stellte sich heraus, dass biologische und soziale Faktoren die Leistung beeinflussen können. Unser Tipp: Die vermeintliche Bedrohung als Herausforderung nehmen!


Wohl kaum ein Vorurteil ist weiter verbreitet als das der mangelnden weiblichen Fahrkünste: Die Suchmaschine Google kennt über 90 Einträge zum Thema "Frauen" und "Einparken"; die Eingabe der entsprechenden englischen Suchbegriffe liefert sogar mehrere Millionen Treffer. Die enorme Nachfrage nach pseudowissenschaftlicher Literatur à la Allan und Barbara Pease Bestseller "Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken" bestätigt das gesellschaftliche Interesse für den "kleinen Unterschied". Doch sei es das Zuhören, Einparken, Multitasking oder Kartenlesen - ob Klischees einer eingehenden wissenschaftlichen Untersuchung standhalten können, ist fraglich. Erst kürzlich lieferte eine in der renommierten Fachzeitschrift "Science" veröffentlichte Studie den Beweis, dass Männer und Frauen gleich viel reden - das Vorurteil, Frauen seien Quasselstrippen und Männer wortkarg, hat also weder Hand noch Fuß. "Ungeprüfte Behauptungen sind weit verbreitet", bestätigt Sebastian Ocklenburg, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Psychologie der Ruhr-Universität. Und tatsächlich: Die Eheleute Pease nennen keine Quelle für ihre These, dass Männer besser einparken können. "Angeblich wollen die Leiter der Studie nicht genannt werden", berichtet Ocklenburg. "Doch auch die Methoden und Ergebnisse bleiben undurchsichtig".

Wir wollten es genau wissen. Unter der Leitung von Onur Güntürkün, Professor an der Abteilung für Biopsychologie, testeten wir die Einparkfähigkeit von 17 Fahranfängern und 48 fortgeschrittenen Autofahrern. In einem abgetrennten Bereich eines Parkhauses der Universität ließen wir unsere männlichen und weiblichen Teilnehmer drei verschiedene Einparkmanöver durchführen: vorwärts, rückwärts und parallel, mal von rechts und mal von links kommend. Um eine möglichst realitätsnahe Situation zu schaffen besorgten wir Schrottautos, die die Parkplätze begrenzten. Alle Probanden starteten von festgelegten Positionen und parkten dasselbe Auto - ein Fahrzeug, mit dem sie keine Vorerfahrung hatten. So sicherten wir die Vergleichbarkeit unserer Daten (s. Info 1).

Was war das Ergebnis unseres Einparktests? Trotz gleicher Fahrpraxis parkten Frauen insgesamt langsamer ein als Männer. Auch manövrierten sie das Auto weniger genau auf die vorgegebenen Markierungen. Die größten Unterschiede fanden sich beim parallelen Parken: Hier waren Männer 42 Sekunden schneller und 3 Prozent genauer als Frauen (Abb. 2). Die Geschwindigkeitsdifferenz (s. Abb. 3 A) war also wesentlich auffälliger als die Genauigkeitsdifferenz (s. Abb. 3 B). Zwar schnitten fortgeschrittene Fahrer unterm Strich besser ab - der Unterschied zwischen den Geschlechtern blieb jedoch auch unter ihnen erhalten.

Es war also tatsächlich etwas dran am Vorurteil! "Natürlich wollten wir der Ursache unserer Beobachtung auf den Grund gehen und herausfinden, welche kognitiven Mechanismen dem Einparkprozess zugrunde liegen", erklärt Güntürkün. "Wir glaubten, dass insbesondere die Fähigkeit zur sogenannten mentalen Rotation entscheidend sein könnte". Dabei handelt es sich um eine Fähigkeit der räumlichen Wahrnehmung, die mit einem speziellen Test abgefragt wird (Mentaler Rotationstest, s. Abb. 4 u. 5). Bei diesem Test vergleichen die Probanden dreidimensionale Figuren, die aus unterschiedlichen Perspektiven abgebildet sind und versuchen, identische Versionen ausfindig zu machen. Das Besondere an dem Test: Er ist "geschlechtssensitiv" - Männer schneiden im Durchschnitt besser ab. Doch was haben mentale Rotation und Einparken miteinander zu tun? "Um sein Fahrzeug in eine Parklücke zu manövrieren, muss sich der Fahrer die Umgebung vor seinem inneren Auge vorstellen", berichtet Güntürkün. "Er muss also nicht nur wissen, wie die momentane Position seines Fahrzeugs relativ zu parkenden Autos oder der Bordsteinkante ist. Er muss auch wissen, wie sich seine Position verändert, wenn er das Gaspedal betätigt." Beim Einparken scheint also jene Fähigkeit zur Perspektivenübernahme gefragt, die auch beim mentalen Rotieren notwendig ist.

Doch können die von uns beobachteten Geschlechtsunterschiede beim Einparken allein auf unterschiedliche räumliche Fähigkeiten zurückgeführt werden? "Das wirkliche Leben ist viel komplexer als das Labor", weiß Güntürkün. "Meist spielen biologische und soziale Faktoren eine Rolle." Daher testeten wir unsere Probanden nicht nur im Mentalen Rotationstest. In einem detaillierten Fragebogen gaben sie außerdem an, wie sie ihre Fähigkeiten am Steuer einschätzen. Resultat: Bei den Fahranfängern hing die Geschwindigkeit des Einparkens eng mit der Raumkognition zusammen. Je besser sie Objekte aus unterschiedlichen Perspektiven vor dem geistigen Auge betrachten konnten, desto zügiger ihre Manöver. Hingegen wirkte sich die Selbsteinschätzung auf die Genauigkeit aus: Fahranfänger, die an ihr Talent glaubten, parkten exakter als jene, die sich weniger zutrauten. Mit zunehmender Erfahrung schwand der Einfluss der räumlichen Fähigkeiten - bei fortgeschrittenen Fahrern und Fahrerinnen bestimmte allein das Selbstbild die Leistung. Letztlich konnten wir die bessere Leistung der Männer auf zwei Ursachen zurückführen: Im Durchschnitt erreichten sie eine höhere Punktzahl im Mentalen Rotationstest und schätzten ihr Talent zudem selbstbewusster ein (s. Abb. 6).

Das "weibliche Dilemma" könnte beim mentalen Rotieren beginnen, das Frauen im Schnitt größere Probleme bereitet. Dies zieht eine Kette unerwarteter Folgen nach sich. Zunächst lässt es Fahranfängerinnen vergleichsweise langsam einparken. Die Frauen bemerken ihre Schwäche und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten sinkt: Trotz zunehmender Erfahrung schätzen Autofahrerinnen ihr Können weniger selbstbewusst ein als die von ihren Fahrkünsten überzeugten Männer. Es folgt eine negative Erwartungshaltung, die Selbstbild und zukünftige Leistung schwächt. Die Parklücke in den Augen der Frau: eine Gefahr, die vermieden wird. Die Parklücke in den Augen des Mannes: eine Herausforderung, die bewältigt werden will. So schließt sich der Kreis und Frauen bestätigten das Vorurteil, das sie eigentlich im Griff haben wollten.

Es bedarf nicht einmal einer negativen Rückmeldung über die eigene Leistung, um die Abwärtsspirale in Gang zu setzten - schließlich hing die Genauigkeit beim Einparken schon bei unseren Fahranfängern/-innen vom jeweiligen Selbstbild ab. Tatsächlich können gesellschaftliche Klischees bereits für sich genommen die Leistung schwächen. Komplexe motorische Aufgaben wie das Einparken sind besonders anfällig für solche "Stereotypen", denn sie profitieren vom "gedankenlosen" Automatismus. Nur so können sie zügig und koordiniert durchgeführt werden. Doch stigmatisierte Personen neigen zur bewussten Handlungskontrolle. Die Folge: Aus einem gleichmäßigen, präzisen Bewegungsstrom werden langsame und durch ständige Kontrollen unterbrochene Bewegungsfragmente.

Dennoch gibt es Frauen, die ebenso gut oder sogar besser als Männer parken: Insgesamt beobachteten wir eine Leistungsüberlappung von etwa 50 Prozent. Wie kommt das? Abhilfe könnte ein Perspektivenwechsel schaffen, der Sozialpsychologen schon seit geraumer Zeit bekannt ist. Wenn wir eine vermeintliche Bedrohung zur Herausforderung umdeuten, gehen wir selbstbewusster zu Werke und unsere Leistung steigt.


info 1
Einparkmanöver im Test

Nach einer kurzen Testfahrt führten die Probandinnen und Probanden drei verschiedene Einparkmanöver durch: Sie parkten vorwärts und rückwärts in eine Parkbox ein sowie rückwärts in eine Parallelparklücke, jeweils von der linken und der rechten Seite kommend. Um die Vergleichbarkeit sicherzustellen, starteten alle Probanden von festgelegten Positionen und parkten dasselbe Auto, einen Audi A6 C6, mit dem sie keine Vorerfahrung hatten.


info 2
Die grossen Fragen um Wahrnehmung, Gedanken und Verhalten

Die Abteilung für Biopsychologie gehört zum Institut für Kognitive Neurowissenschaft der Fakultät für Psychologie. Ein interdisziplinäres Team von Psychologen, Biologen und Biochemikern erforscht hier unter Leitung von Prof. Dr. Dr. h.c. Onur Güntürkün wie sich rechte und linke Gehirnhälfte in ihrer Funktion unterscheiden. Ein weiteres Forschungsfeld ist der sog. präfrontale Cortex, eine komplexe Hirnstruktur, die in vielfacher Weise an Wahrnehmung, Gedanken und Verhalten beteiligt ist. In die aktuellen Untersuchungen zur isolierten Balkenagenesie (Agenesie des Corpus callosums) ist auch die Doktorandin Claudia Wolf eingebunden. Bei den betroffenen Patienten fehlt die größte Neuronenverbindung (Balken) zwischen den Gehirnhälften. Die Forscher wollen herausfinden, wie sich diese angeborene Fehlbildung auf die menschliche Wahrnehmung auswirkt.


Den gesamten Artikel inkl. allen Bildern finden Sie im Internet im PDF-Format unter:
www.ruhr-uni-bochum.de/rubin/


Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildungen:

Abb. 1: Exaktes Einparken als eine Hürde, die genommen werden muss - zumindest vermittelt das hier der angestrengte Blick in den Rückspiegel. Daher interessierte die Forscher nicht nur, wie schnell und genau eingeparkt wurde. Sie wollten auch wissen, ob zunehmende Routine Autofahrerinnen selbstsicherer macht und das Einparken vielleicht positiv beeinflusst.

Abb. 2: Frauen benötigen mehr Zeit zum Einparken als Männer und manövrieren das Auto weniger genau auf die vorgegebenen Markierungen. Die größten Unterschiede zeigen sich beim parallelen Parken.

Abb. 3: Exakt eingeparkt? Die Messungen ergaben, dass Frauen nicht nur langsamer (A), sondern auch ungenauer einparken. Nach Beendigung eines Manövers bedeckte ihr Fahrzeug einen geringeren prozentualen Anteil der markierten Parkplatzfläche (B). Die größten Unterschiede fanden sich beim parallelen Parken.

Abb. 4: Eine Teilnehmerin beim Mentalen Rotationstest unter Anleitung von Claudia Wolf (rechts).

Abb. 5: Mentaler Rotationstest: Bei diesem geschlechtsspezifischen Test sollen die Probanden aus einer Vielzahl dreidimensionaler, in unterschiedlichen Perspektiven abgebildeten Figuren, die identischen herausfinden.

Abb. 6: Mentaler Rotationstest - die Ergebnisse: Männer erreichten eine höhere Punktzahl und schätzten ihr Einparktalent selbstbewusster ein.


*


Quelle:
RUBIN - Wissenschaftsmagazin, Sonderheft 10/2010 - Junge Forschung,
S. 55 - 59
Herausgeber: Ruhr-University Research School (RURS)
in Verbindung mit der Pressesstelle der Ruhr-Universität Bochum
Anschrift: Pressestelle der Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum
Telefon: 0234/32-22 133, -22 830, Fax 0234/32-14 136
E-Mail: rubin@presse.ruhr-uni-bochum.de
Internet: www.ruhr-uni-bochum.de/rubin/

RUBIN erscheint zweimal im Jahr
(sowie ein Themenheft pro Jahr).
Das Einzelheft kostet 2,50 Euro.
Jahreabonnement: 5,00 Euro (zzgl. Versandkosten)


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. November 2010