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BERICHT/001: Technik, Mensch und Selbstbestimmung - Optimierte Leistung? (SB)


"(Un-)Sicherheit, (Bio-)Macht und (Cyber-)Kämpfe: Kritische Theorieperspektiven auf Technologien als Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzung"

Einführung in die Technologiekritik-Tagung und Human-Enhancement-Technologien

Panel I: Mike Laufenbergs Kritik an Human-Enhancement-Technologien und seine Kritik an der Kritik


Moderne und im Hintergrund ältere Gebäude der TU Hamburg-Harburg - Foto: © 2012 by Schattenblick

Technische Universität lädt zur Technologiekritik ein
Foto: © 2012 by Schattenblick

Einführung in die Technologiekritik-Tagung und Human-Enhancement-Technologien

Außerhalb der Umweltdebatte wird heutzutage so gut wie keine Technologiekritik geleistet. Das ABC des Energiesparens und der Senkung von Treibhausgasemissionen können schon die Erstklässler aufsagen, aber eine grundlegende Kritik an Technologieentwicklung führt selbst im universitären Getriebe ein Nischendasein. Allenfalls werden noch im Medizinbereich kritische Fragen zur Anwendung moderner psychopharmakologischer, pränataler und schönheitschirurgischer Mittel und Methoden gestellt. Darüber hinaus gilt es aber bereits als kritischer Standpunkt, wer eine Überbrückung der digitalen Kluft zwischen Armuts- und Wohlstandsländern fordert, ganz so, als lösten sich durch den Export von Computern in die Armutsregionen die akuten existentiellen Probleme von Hunger und Krankheiten in Nichts auf. Eine übergreifende Kritik an der Innovationsdynamik und den gesellschaftlichen Folgen technischer Zurichtung bleibt indessen aus.

Um so erfreulicher ist es, daß am 23./24. März 2012 drei universitäre Einrichtungen - die Sektion "Wissenschafts- und Technikforschung" der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS), der Arbeitskreis "Politik, Wissenschaft und Technik" der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) und die Arbeitsgruppe Arbeit-Gender-Technik der TU Hamburg-Harburg - eine gemeinsame Frühjahrstagung zur Technologiekritik veranstaltet und diese auf breite thematische Füße gestellt haben. Zudem sollte sich herausstellen, daß die gewählte Form von einzelnen Panels, die etwa zur einen Hälfte aus Referaten und dazu vorbereiteten Kommentaren und zur anderen aus einem Diskussionsteil bestanden, eine ausgesprochen ergiebige Auseinandersetzung mit den aufgeworfenen Fragen ermöglichte.

Der etwas sperrig wirkende und sich unter Umständen nicht auf den ersten Blick erschließende Titel "(Un-)Sicherheit, (Bio-)Macht und (Cyber-)Kämpfe: Kritische Theorieperspektiven auf Technologien als Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzung" verliert an Deutungsschwere, wenn man sich die Aussagen der einzelnen Satzelemente vergegenwärtigt und dabei das Pferd von hinten aufzäumt. Es ging auf der Tagung um "gesellschaftliche Auseinandersetzungen", also um Widersprüche sozialer und politischer Art, wie sie jeder alltäglich am eigenen Leib erfährt.

Technologien als "Ort" zu definieren, rührt an offenen Fragen der Erkenntnistheorie. Technologie wird hier nicht (oder nicht ausschließlich) im üblichen Verständnis von Ort als über ein räumliches Koordinatensystem bestimmbar verstanden, sondern auch als Beziehung oder Verhältnis, gar als Potential, das heißt als ein noch nicht zur Wirkung gelangtes oder nie eintretendes Ereignis. Eine behelfsweise Analogie dazu wäre vielleicht das Flugzeug, das als solches ein Ort der Technik ist, sich bei der Erfüllung seiner Funktion, Passagiere oder Waren von A nach B zu befördern, irgendwo zwischen zwei Orten befindet und so unter ihnen eine vorübergehende Beziehung herstellt. Noch deutlicher wird dies an der "ortlosen" Bezeichnung "Flug" beim Aufruf am Terminal. Sie steht für Flugzeug, Besatzung und Passagiere sowie Route und Ziel.

Die Vorstellung, was genau ein Ort sei, beginnt vollends zu verschwimmen, wenn beispielsweise gefragt wird, wo sich eine Information befindet. Wer heute im Internet surft und eine Seite aufruft, kann nicht wissen, an welchen Orten welche Information "ist", die bewirkt, daß etwas auf dem Computerschirm angezeigt wird. Da sollte es auch nicht wundern, daß in der Informatik Konzepte wie "Wolke" oder "Cloud Computing" zum Aufbau von Netzstrukturen aufgekommen sind. Die Ungewißheit der Ortsbestimmung setzt sich bis in die physikalische Grundlagenforschung fort. Selbst Physiker geraten ins Schwitzen, sollten sie versuchen, den exakten Ort von etwas zu bestimmen. Bei den allerkleinsten Dingen, den sogenannten Quanten, löst sich Materie sozusagen in Wohlgefallen auf. Sie wird ungreifbar, eine Ortsbestimmung ist dann nicht mehr möglich oder, um mit den Physikern zu sprechen, sie ist sinnlos. Kein Halt, nirgendwo - in der "Kopenhagener Deutung" aus dem Jahre 1927 haben die Experten diesen Umstand quasi zur Gesetzmäßigkeit erklärt. Man zieht es vor, anstatt von Ort eher von Aufenthaltswahrscheinlichkeiten zu sprechen. Ort und damit auch Dinge wie Elementarteilchen stellen sich somit als eine statistische Häufung heraus. Die Geistes- und Sozialwissenschaften setzen nun auf diese Denkweise auf und verwenden "Ort" in seiner Unbestimmtheit.

Referentin bei der Kommentierung - Foto: © 2012 by Schattenblick

Lebhafter Kommentar zum Thema 'Zwischen Dekonstruktion und Materialität' Foto: © 2012 by Schattenblick

Der Tagungstitel läßt außerdem darauf schließen, daß mit "gesellschaftlicher Auseinandersetzung" nicht oder zumindest nicht in erster Linie sogenannter Aktivismus gemeint ist, wie er sich an diesen und anderen Themen regelmäßig entzündet und mit Demonstrationen und Formen gewaltfreien Widerstands einhergeht, sondern eben die Theorie von all dem. Genauer gesagt, eine kritische Theorie"perspektive", was darauf hindeutet, daß die vorhandenen Theorien zu den genannten Themenfeldern aus Sicht des Organisationsteams der Tagung ungenügend sind, um die "Orte" der Auseinandersetzung angemessen zu beschreiben.

Zugestanden, auch diese Ausführungen verhelfen am Ende nicht wirklich zu einem geschlossenen Bild, worüber genau auf der Tagung referiert und diskutiert wurde. Bei der Analyse geht wohl der Blick fürs Ganze verloren, während zuvor der Versuch, das Ganze zu erfassen, in analytische Eskapaden mündete. Das Gefühl des unzulänglichen Begreifens sollte sich aber spätestens dann auflösen, wenn man sich die Vortragstitel im einzelnen anschaut. Da ist von gentechnisch veränderter Nahrung, Zukunftswissen und sozialen Bewegungen im Internet die Rede. Oder auch von Nanotechnologien, der Präimplantations-Diagnostik (PID) und der Ökonomisierung des Gesundheitswesen. Diese kleine Auswahl läßt bereits die Bandbreite der theoretisch zu beleuchtenden Konflikte und gesellschaftlichen Widersprüche erahnen. Sie bilden zugleich den übergreifenden Bogen der Technologiekritik, zu der sich die etwa 30 bis 40 Expertinnen und Experten zusammengefunden hatten.

Im ersten Panel, das "Zwischen Dekonstruktion und Materialität" überschrieben ist, wurde unter anderem über sogenannte Human-Enhancement-Technologien gesprochen. Human Enhancement ist ein relativ neuer Begriff und meint die Verbesserung oder Optimierung der menschlichen Kognition und Physis. Die Idee, die Möglichkeiten des Menschen in der Bewältigung von Problemen mit Hilfe technischer Mittel zu erweitern, reicht bis in die Frühzeit der Menschheitsgeschichte zurück. Bereits der Werkzeuggebrauch hat etwas mit Enhancement zu tun und stellt eine Lebensbewältigungsstrategie dar. Allerdings haben Technologien nicht einfach nur ein wachsende Bedeutung erlangt und immer mehr Lebensbereiche bestimmt, der Preis für diese Entwicklung bestand und besteht weiterhin in einer weitreichenden Abhängigkeit von Technologie. Ohne Fremdmaterialien und ihre technologische Nutzbarmachung (Kleidung, Häuser, Heizung, etc.) wären die wenigsten Menschen überlebensfähig. Mancher kommt heute nicht einmal ohne sein Mobiltelefon aus. Fest steht, daß sich die ursprünglich in den technischen Fortschritt gesetzten Erwartungen nicht erfüllt haben. So blieb auch das eine Zeitlang propagierte Ideal der Gesellschaft, in der Roboter die Arbeit erfüllen und die Menschen keinen Hunger und keine Not mehr leiden, so daß sie sich anderen Dingen als denen der Überlebensbewältigung und Existenzsicherung widmen können, eine Wunschvorstellung.

Statt dessen ist der Mensch zu einem Anhängsel der Technologie verkommen und wird auf diese Weise verfügbar gemacht. Sicher gilt dies nicht in allen Fällen und auch nicht a priori, aber meistens dienen Technologien nicht der Befreiung des Menschen, sondern der Bemächtigung seiner durch fremdnützige Interessen. Tagein, tagaus, Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr, fast ihr ganzes Leben lang leisten Menschen im Umgang mit Technologie fremdbestimmte Arbeit, und der technologische Fortschritt hat zur einer höheren Leistungsanforderung geführt. Beispielsweise verrichten Menschen in Fabriken als bioorganische Einheiten, deren Nahrungszufuhr- und Stoffwechselausscheidungsvorgänge sekundengenau bemessen und vorgegeben werden, unverzichtbare, das heißt durch keine robotischen Apparate zu verrichtende repetitive und verschleißträchtige Tätigkeiten; oder sie sitzen vor Bildschirmen und verschieben bis zur Erschöpfung Zahlenkolonnen und Diagramme; oder sie sind im Gesundheitsbereich in nicht weniger streng regulierte und sowohl zeitlich als auch räumlich aufs engste gefaßte Abläufe einer Art Not- oder Verwahrpflege für jene eingebunden, die nicht oder nicht mehr "funktionieren", denen also keine Produktivität abgewonnen werden kann. Aus diesen Feststellungen ergibt sich keineswegs zwangsläufig ein Aufruf zur Maschinenstürmerei oder die pauschale Negation von Technologien, wohl aber könnten sie mit einer höheren Bereitschaft einhergehen, die Vorherrschaft der über Technologien vermittelten Interessen zu bestreiten.

Heute werden unter Human Enhancement beispielsweise Technologien verstanden, bei denen mit pharmazeutischen Produkten die Leistungsfähigkeit erhöht werden soll. Schülerinnen und Schüler, Studierende, Freiberufler und Angestellte sind einem erheblichen Leistungsdruck ausgesetzt, und die "Dealer" aus der Pharmaindustrie bieten ihren Kunden eine bunte Palette an "Enhancern" an, mit dem Versprechen, daß durch deren Einnahme die gesellschaftlichen Anforderungen besser erfüllt werden können. Vor allem in den Vereinigten Staaten wachsen bereits ganze Generationen von Schulkindern heran, von denen viele als Folge der Intoxikation mit legalen Psychopharmaka auf Kurs gebracht und zu nützlichen, das heißt für die unablässige Verwertungsmaschinerie des Kapitals ausbeutbaren Mitgliedern der Gesellschaft getrimmt werden.

Tagungsteilnehmerinnen in der Diskussion - Foto: © 2012 by Schattenblick

Zwanglose Debatte um gewichtige Fragen
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Letztlich ist selbst jene Variante des Human Enhancement, bei dem kein vermeintlicher Defekt behoben, sondern von einer Normalität ausgehend eine Leistungssteigerung erbracht werden soll, keine neue Idee. So wird das Thema schon seit langem von der Kulturindustrie aufgegriffen, noch bevor Bezeichnungen wie Human Enhancement und Biomedizin existierten. Erinnert sei hier an die beliebte Comic-Serie "Asterix und Obelix", in dem ein Zaubertrank kraftsteigernd wirkt, und an die vor über 40 Jahren gesendete Fernsehserie "Immer wenn er Pillen nahm" (Original: Mr. Terrific, USA 1967). Darin wurde das Thema, daß jemand dank einer Pille Superfähigkeiten entwickelt, auf komische Weise verarbeitet. Die Hauptfigur Stanley Beamish wurde, solange die Wirkung der Pille anhielt, zu einer Art Super-Agent.

Das kommt dem heutigen Trend der "Superisierung" mittels biomedizinischer Technologien schon recht nahe. Das Human Enhancement des 21. Jahrhunderts richtet sich auch auf die Schaffung eines Super-Soldaten, wobei die Verbesserung nicht allein durch pharmazeutische Produkte erreicht werden soll. Ähnlich wie im Leistungssport besteht die Erwartung, mittels gentechnischer Eingriffe die Leistungsfähigkeit bereits auf molekularbiologischer Ebene steigern zu können. Dieses "Gen-Doping" könnte eines Tages "Kampfmaschinen", die über eine höhere Ausdauer und Kraft verfügen als Normalbürger, für das Gefechtsfeld wie für seine zivile Variante, die Sportarena, hervorbringen.

Kraftverstärkende Exo-Skelette zählen ebenso zum Human Enhancement wie auch die Bestückung mit Neuroimplantaten, Anti-Aging-Präparate ebenso wie Smart Drugs. Sogar mittels der Gen-Analyse kann Human Enhancement betrieben werden, wobei die vermeintliche Verbesserung darin besteht, daß werdenden Menschen mit unerwünschten genetischen Dispositionen, die eine geringere Verwertbarkeit in der Knochenmühle des Produktions- und Reproduktionsapparats erwarten lassen, von vornherein eine Lebensentstehung vorenthalten wird. Bei der Idee, mit Human Enhancement die Leistungsfähigkeit zu optimieren, wäre somit immer zu fragen, zu wessen Nutzen.


Panel I: Mike Laufenbergs Kritik an Human-Enhancement-Technologien und seine Kritik an der Kritik

Im ersten Panel der Tagung zur Technologiekritik sprach Mike Laufenberg, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der TU Berlin, zum Thema "Technologien der Macht: Human Enhancement und der Kampf um Subjektivierung". Der Referent hat sich in seinem Vortrag nicht lange mit der Beschreibung und Abgrenzung einzelner Human-Enhancement-Technologien, die der Optimierung der kognitiven, genetischen und allgemein physischen Fähigkeiten des Menschen dienen sollen, aufgehalten, sondern ist zügig in medias res gegangen und hat sich der gängigen Kritik am Human Enhancement gewidmet. Ohnehin verwendete er die Bezeichnung Human Enhancement nur als Arbeitstitel und brachte seine Unsicherheit darüber zum Ausdruck, ob er überhaupt als Begriff für eine kritische Analyse geeignet ist.

Aus seiner Unzufriedenheit über die Argumente der Kritiker heraus hat Laufenberg geschaut, was der französische Philosoph Michel Foucault über Technologien geschrieben hat. Von da aus ist er schlußendlich dem Begriff sowie der Kritik daran erneut zu Leibe gerückt und schlägt abschließend eine differenzierte Herangehensweise vor, bei der Human-Enhancement-Technologien kritisiert werden, ohne aber per se das Begehren nach körperlicher Transformation durch Technik zu verurteilen. Wie wir im folgenden erläutern wollen, sucht Laufenberg nach Wegen, wie sich technische Veränderbarkeit von Körpern denken läßt, ohne dadurch eugenische Normen und den Primat der Produktivität zu bedienen.

Der Referent teilt die Kritik an Human-Enhancement-Technologien, wie sie unter anderem seitens der Disability Studies vorgebracht wird, daß sie zu einer Normalität einer liberalen Do-it-yourself-Eugenik und der Entstehung unterschiedlich gut oder schlecht enhancter Menschenklassen führen. Problematisch findet er hingegen, wenn das Enhancement mit dem moralphilosophischen Argument, daß es der Menschenwürde widerspreche, oder mit einer biologistischen Begründung, wonach die Leistungsoptimierung der Naturwüchsigkeit entgegenstehe, abgelehnt wird.

So habe Francis Fukuyama [1] Human Enhancement als gefährlichste Ideologie unserer Zeit bezeichnet und in seiner Argumentation eine naturwüchsige Unvollkommenheit des Menschen gegen eine Rationalität des Enhancement gesetzt. Ähnlich begründe der Philosoph Jürgen Habermas [2] seine Ablehnung technologischer Eingriffe in das menschliche Erbgut. Das sei eine Gefahr für die "menschliche Gattung", gegen die Dystopie des gemachten Menschen müsse auf dessen Gewordenheit beharrt werden, so Habermas. In Anlehnung an Volker Gerhardt [3] kritisiert Laufenberg diese Gegenüberstellung des Gewachsenen mit dem Gemachten, da auf diese Weise die technische Veränderung, welche die Entstehung menschlicher Kulturen ausmacht, negiert werde.

Laufenberg wendet sich allerdings auch gegen den von Gerhardt und anderen vollzogenen anthropologischen Rekurs auf die immer schon technische Natur des Menschen. Human Enhancement steht aus Sicht des Referenten aus mindestens zwei Gründen gerade nicht in einer Linie mit der technologischen Entwicklung der Menschheitsgeschichte. Erstens erfolgten die Eingriffe zur Leistungsoptimierung heute nicht mehr indirekt. Die Biotechnologie greife in die biologischen Grundprozesse ein, indem beispielsweise nicht mehr nur Mittel gegen das Altern verabreicht werden, sondern indem in die molekularen Mechanismen interveniert werde. Hierin sieht Laufenberg einen qualitativen Sprung, den er in seinem unveröffentlichten Vortragsskript anhand der Gentechnologie erläutert: Während die Mendelsche Genetik noch auf der Unterscheidung von Geno- und Phänotyp im Sinne von Anlagen und deren potentiellen Ausprägungen beruhe, werde diese Unterscheidung mit der gegenwärtigen Gentechnologie letztlich hinfällig, da nicht mehr die Potenzialität von Genen, sondern sie selbst zum Gegenstand gezielter Manipulation und Rekombination würden.

Eine neue Qualität von Technologie sieht Laufenberg auch im Wandel des Menschenbilds. Bis ins späte Mittelalter hätten sich die auf Menschen und Körper angewendeten Techniken nach einem metaphysischen Menschenbild gerichtet, mit dem Ziel, das angenommene Menschenwesen zu verwirklichen. Moderne Human-Enhancement-Technologien wären nicht mehr teleologisch begründet, sie zielten nicht mehr auf ein Wesen des Menschen und besäßen damit nicht mehr ein endgültiges Ziel. Die Grenzen würden immer weiter geschoben. Human Enhancement wäre nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern das Mittel wäre zugleich der Zweck. Der Mensch werde verbessert, damit er besser ist; Lebenszeit würde verlängert, weil Menschen länger leben wollten.

Für Laufenberg stellen ökonomiekritische Perspektiven hinsichtlich des Human Enhancements zurecht den historischen Zusammenhang zwischen der Entstehung der modernen Biotechnikwissenschaften und dem Kapitalismus heraus. Die Natur erscheine der modernen Biologie als per se produktiv und nach Selbstoptimierung trachtend. Dabei handele es sich aber um eine Projektion, die der Kapitalismus verstärke und auf sich selbst wieder rückprojiziere, indem er sich naturalisiere. So wie die Biowissenschaften das Leben treibe auch das Kapital seine eigenen Grenzen stetig vor sich her. In diesem Zusammenhang spricht Laufenberg von einer zunehmenden Inwertsetzung der körperlichen Substanz.

Seiner Ansicht nach laufen viele ökonomiekritische Perspektiven Gefahr, einem Technikdeterminismus aufzusitzen, der die Menschen letztlich zu passiven Anhängseln der Technologien macht. In jener Lesart würden Technologien nur erfunden, um Menschen noch effizienter mit den Produktions- und Reproduktionsbedürfnissen der Ökonomie kurzzuschließen. Der Wunsch, sich zu verändern, würde dann schnell als bloße Unterwerfung gedeutet, als Verinnerlichung der Enhancement-Technologie. Doch das Begehren nach Selbsttransformation und Selbstüberschreitung sei nicht einfach nur Produkt moderner Technologien, sondern weise sogleich über sie hinaus. Allerdings, gab Laufenberg zu bedenken, beuteten die heutigen Human-Enhancement-Technologien dieses Begehren aus, indem sie es als Motor nutzten, um es dann mit falschen Lösungen abzuspeisen.

An dieser Stelle blickt Laufenberg zurück und fragt, was Foucault zu Technologie gesagt hat. Seiner Meinung ergibt sich daraus, den "Kurzschluß" des ökonomiekritischen Standpunkts, bei dem das Subjekt gänzlich als Objekt der Technologie verinnerlicht werde, zu vermeiden. Es müsse ein Standpunkt erarbeitet werden, bei dem nicht Technologie und Biologie als das Artifizielle und das Natürliche gegenübergestellt werde. Auch gelte es, das Begehren nach einer technischen Bearbeitung des Körpers prinzipiell zu verteidigen, wenngleich dabei die entscheidende Frage sei, wie dies möglich wäre, ohne die Gewalt einer instrumentellen Naturbeherrschung und eines Autonomismus zu reproduzieren, die den neuzeitlichen Biotechnowissenschaften inhärent war bzw. ist. Laufenberg räumt ein, daß es eine offene Frage sei, wie ein solches Leben mit der Technik aussehen könnte.

Foucault habe keine in sich geschlossene, ausgearbeitete Theorie zur Technologie aufgestellt, sich aber an zahllosen Stellen seiner Werke zu Technologie geäußert und mit Metaphern aus dem Technologischen gearbeitet. Er begreife Technologie nicht allein als unmittelbar materielle Gegenstände, sondern betont ihre Medialität. Technologie, die selber oftmals unsichtbar bleibe, vermittle Machtverhältnisse und bestimme Gedanken, Wahrnehmung und Handeln. Foucault spreche von der Technologie der Produktion, der Technologie der Zeichensysteme, der Technologie der Macht und der Technologie des Selbst. Diese funktionierten immer nur in Verbindung zueinander, sie seien miteinander verkettet. Somit sieht Laufenberg in Human-Enhancement-Technologien mehr als nur technische Instrumente - laut Vortragsskript sieht er in ihnen ein ganzes Beziehungsgefüge von diesen Technologien mit Personen, Wissensformen, Fähigkeiten, Körpern, Institutionen, Rationalitäten, Psychen, Begehren, Kontrollmechanismen, etc.

Demnach läuft seine auf Foucault gestützte Kritik an Human-Enhancement-Technologien darauf hinaus, daß, weil diese nicht von außen auf Subjekte und Körper einwirkten, sondern Subjekte und Körper bereits integraler Bestandteil der Technologie seien, die Subjektivierungslinien bzw. Subjekte des Human Enhancement in den Blick genommen werden müssen. Auseinandersetzungen um Technologien könnten zugleich als Kämpfe um Subjektivierungsweisen gedeutet werden, schreibt Laufenberg und gelangt so zu einer Frage, wie wir sie weiter oben bereits in ähnlicher Form wiedergegeben haben, nämlich wie wir werden möchten und wie wir leben wollen.


Fazit

Laufenberg sieht Human-Enhancement-Technologien ausdrücklich nicht als aktuelle Form einer technischen Bearbeitung von Körpern, die so alt ist wie die Menschheitsgeschichte selbst. Stattdessen meint er in ihnen eine neue Qualität von Technologie zu erkennen, da beispielsweise mittels gentechnischer Verfahren direkt in die Grundlagen des Biologischen eingegriffen wird. Die Annahme des Referenten beruht anscheinend auf einer idealisierten Vorstellung von Genen und ihren Funktionen, wie sie mittlerweile selbst von Genetikern zunehmend aufgeweicht wird [4]. Gene erscheinen heute nicht mehr, wie zu Beginn der Genforschung, als weitgehend stabile, in sich gefestigte Grundbausteine des Lebens, sondern als Funktionseinheiten, die im ständigen Wechselspiel mit der Umwelt stehen und von äußeren Faktoren wie Nahrung oder auch Luftschadstoffen beeinflußbar sind. Das ursprüngliche Modell von Genen als eigentliche Erbanlage besitzt nach wie vor Gültigkeit, aber dieses Modell genügt dem Praktiker der Genforschung bei weitem nicht mehr.

Bereits vor sechs Jahren definierten Forscher des Sequence Ontology Consortiums der Universität Berkeley ein Gen wie folgt: Ein Gen ist "a locatable region of genomic sequence, corresponding to a unit of inheritance, which is associated with regulatory regions, transcribed Regions and/or other functional sequence regions". Zu deutsch: Ein Gen ist eine lokalisierbare Region genomischer DNA-Sequenz, die einer Erbeinheit entspricht und mit regulatorischen, transkribierten und/oder funktionellen Sequenzregionen assoziiert ist. [5]

Hier wird dem "alten" Genmodell keine Absage erteilt, aber es wird sehr vorsichtig davon gesprochen, daß Gene mit bestimmten Funktionen "assoziiert" werden. Das dürfte ein Tribut an die Praktiker sein, die festgestellt haben, daß sie mit dem Modell einer vermeintlich zweifelsfrei bestimmbaren kausalen Kette von DNA - RNA - Protein nicht weiterkommen. Außerdem ist in den letzten Jahren die RNA, also die "Kopie" der DNA, als möglicher Erbfaktor zunehmend ins Blickfeld der Genetiker gerückt. In der Epigenetik wird erforscht, wie die Vererbung beeinflußt wird, ohne die DNA-Sequenz zu verändern. Das Resultat unterscheidet sich im Prinzip nicht von Manipulationen der DNA, was die Frage aufwirft, ob in der Epigenetik nicht ebenfalls Veränderungen der Grundlagen des Biologischen beschrieben werden.

Eine gelungene kritische Einordnung des Begriffs "Gen" liefert der Sozialwissenschaftler und Philosoph Thomas Lemke im "Glossar der Gegenwart". Darin schreibt er: "Die terminologischen Unklarheiten und semantischen Ambivalenzen waren politisch nützlich und wissenschaftlich hilfreich. Sie gestatteten es, von der DNA als 'Heiligen Gral' oder 'Buch des Lebens' zu sprechen. Auf diese Weise wurde die Bedeutung genetischer Forschungen entscheidend aufgewertet, so dass finanzielle Ressourcen in Form (öffentlicher) Forschungsgelder mobilisiert werden konnten. (...) Wenn von Genen die Rede ist, handelt es sich also keineswegs um naturgegebene Einheiten, deren empirische Eigenschaften feststehen und durch wissenschaftliche Methoden lediglich sichtbar gemacht werden müssten." [6]

Lemke schreibt auch, daß mit dem "Konzept des genetischen Risikos (...) die Naturalisierung und Moralisierung sozial relevanter Probleme" erleichtert wird, und sagt letztlich etwas zu Human-Enhancement-Technologien, ohne sie beim Namen zu nennen: "Die Genomforschung präsentiert sich als Hoffnungsträgerin und Produzentin von Sicherheit. Sie verspricht bislang unheilbare Krankheiten zu therapieren und erweckt den Eindruck, als ließe sich durch Steuerung und Manipulation der genetischen Information die Leibhaftigkeit und Endlichkeit des Lebens überwinden." Entscheidend für die gleichzeitige Angst- und Hoffnungsproduktion sei die Integration der Risikosemantik in den Gendiskurs (...) Der instittutionelle Glaube an die Macht der Gene erlaube es, von sozialen Machtverhältnissen abzusehen. [7]

Mit diesem kurzen und hier nur angerissenen Exkurs in die Genforschung soll auch aufgezeigt werden, daß moderne biotechnologische Verfahren auf der Möglichkeit beruhen, Werkzeuge extrem zu verkleinern, so daß sie auf molekularer Ebene etwas machen, was Werkzeuge auch in der Makrowelt machen, wie zum Beispiel etwas aufspalten, Bestandteile transportieren, aussortieren und Dinge zusammenfügen.

Da nach Ansicht der Biomedizin Gene durch Nahrung und andere Umweltfaktoren unmittelbar verändert werden, wie es beispielsweise in der Nutrigenomik erforscht wird, ist darüber hinaus nicht zu erkennen, warum den von Menschen eingesetzten Werkzeugen der Genmanipulation eine andere Qualität zugesprochen werden soll als jenen anderen äußeren Faktoren der Genmanipulation. Die Frage hat der Referent zumindest in seinem Vortrag nicht beantwortet, wo genau innerhalb der Bandbreite an Technologien, von der Makroebene bis hinunter zur Mikroebene, der von ihm angenommene qualitative Sprung anzusetzen sei.

Zudem argumentiert er hier dann doch wieder biologistisch, obgleich er sich in seiner durchaus stichhaltigen Kritik der Kritik an Human-Enhancement-Technologien gegen eine auf die Biologie gestützte Argumentation wendet, bei der das Gewordene gegenüber dem Gemachten verteidigt bzw. die Verletzung der Natürlichkeit und Menschenwürde durch die biotechnologischen Verfahren angeprangert wird. Zudem erinnert Laufenbergs Vorstellung eines qualitativen Sprungs der Human-Enhancement-Technologien gegenüber allen anderen Technologien an die Begründung von Biotechunternehmen, die auf dem Gebiet der Grünen Gentechnik Patentansprüche auf Leben reklamieren. Eben dort wird behauptet, man habe mittels mikrobiologischer Verfahren etwas Neues geschaffen, deswegen sei es patentierbar. Die Unternehmen profitieren nicht einfach nur von dem Glauben an einen qualitativen Sprung, sie sind sogar im gewissen Ausmaß darauf angewiesen.

Laufenberg wäre aber in der Weise zuzustimmen, daß zwar mit den modernen molekulargenetischen Werkzeugen nicht die Technologie einen qualitativen Sprung macht, wohl aber die Möglichkeit, den Verfügungsanspruch auf die menschliche Physis in Bereiche auszudehnen, die bislang verschlossen waren. Wie wir weiter oben zitierten, sagt Laufenberg selbst, "so wie die Biowissenschaften das Leben, treibt auch das Kapital seine eigene Grenze stetig vor sich her". Der Verwertungsprozeß kenne keine Finalität, keine natürlichen Grenzen.

Die Kritik Laufenbergs an Habermas' Fürsprache des Gewordenen, das gegenüber dem Gemachten zu bewahren sei, wäre dahingehend zu ergänzen, daß die Bewahrung der Natürlichkeit kein Gegenkonzept zum Human Enhancement als Fortsetzung der die menschliche Physis immer tiefer und umfänglich in Gebrauch nehmenden Kräfte sein kann, da die Naturvorstellung bereits ein menschliches Konstrukt ist, mit dem Verwertungsabsichten reklamiert werden. Da Wert eng an ein Interesse gebunden ist, müßte beim Human Enhancement gefragt werden, zu wessen Nutzen sie betrieben wird. Wenn im heutigen, vom Neoliberalismus beherrschten Wirtschaftsmodell immer mehr Leistung vom einzelnen abverlangt und dies regelrecht ideologisiert wird (Leistung muß sich lohnen ...), dann hat das Human Enhancement, mit dem auf diesen gesellschaftlichen Verwertungsdruck, und sei es als sozialer Reflex auf das Ansehen, reagiert wird, nichts mit jenem Human Enhancement gemein, das gedacht und betrieben werden könnte zum Zweck der Überwindung des von Laufenberg sogenannten Primats der Produktivität und der Do-it-yourself-Eugenik.

Klärungsbedürftig scheint uns Michel Foucaults Schlußfolgerung - in der Lesart Laufenbergs - aus Analyse und Synthese der Technologien der Produktion, Zeichensysteme, Macht und des Selbst. Auch wenn nach Foucault die Disziplinargesellschaft von der Kontrollgesellschaft abgelöst wurde und es keiner starken Fremdeinwirkung auf die Subjekte bedarf, um Kontrolle über sie auszuüben, da sie die "die Macht" verinnerlicht haben und sich mit ihr identifizieren, so müßte diese Teilhaberschaft logischerweise überwindbar sein, solange sie als Teilhaberschaft identifizierbar ist. Das gleiche gilt für die "Fremdeinwirkung" auf die Subjekte: Wie klein auch immer sie angenommen wird, sofern sie als Begriff und Idee existiert, ist sie überwindbar.

Bildhafter gesprochen: Solange es die Idee der Fessel gibt, gibt es die Idee der Befreiung. Wovon sonst sollte sich ein Mensch befreien können, wenn nicht von seinen Fesseln? Erscheinen ihm die Fesseln klein, fängt er eben mit kleinen Fesseln an, und er könnte sich fragen, wieso er sie als klein empfindet, wo sie doch eine so große Wirkung haben. Wenn allerdings das Gefesseltsein bis zur Unkenntlichkeit verinnerlicht wurde, kann auch die Emanzipation davon nicht mehr gedacht werden. Schritte eine solche Entwicklung allgemein voran, nähme die menschliche Gesellschaft irgendwann endgültig einen biologischen Entwurfscharakter an, vergleichbar mit einem Bienenstaat, in dem jedes Mitglied seinen festen Platz hat, der von ihm nicht mehr in Frage gestellt wird.

Abschließend zu diesem ersten Teil der Berichterstattung über die Tagung zur Technologiekritik sei angemerkt, daß die konzentrierte Arbeitsatmosphäre, die lebhaften Debatten während und am Rande der offiziellen Programmpunkte sowie das entspannte Verhältnis der an Sachfragen interessierten Teilnehmenden untereinander zumindest die Ahnung aufkommen ließ, daß sich der Zuwachs von Fertigkeiten, wie er im Human Enhancement zwecks Optimierung der Leistung des einzelnen angestrebt wird, auch aus ganz anderen Produktivitätszusammenhängen ergeben könnte als denen einer Leistungsgesellschaft aus lauter hochgetrimmten Individuen. Laufenbergs Kritik an den Human-Enhancement-Technologien ist zuzustimmen. Das von ihm formulierte "Begehren des Subjekts", beispielsweise nicht altern und sterben zu wollen, hat nichts mit dem Begehren in Gestalt fremdnütziger Interessen an der fortgesetzten Ausbeutung des leistungsoptimierten Menschen gemein. Letzteres sollte selbstverständlich negiert werden, und dazu können sozialwissenschaftliche Forschungen, wenn sie sich denn eindeutig positionierten, durchaus beitragen.

(wird fortgesetzt)


Fußnoten:

[1]‍ ‍Francis Fukuyama, 1952 in Chicago geboren, ist US-amerikanischer Politikwissenschaftler. In seinem wissenschaftlichen Werk "Das Ende des Menschen" (2002) übt er Kritik an den Biowissenschaften und fordert eine stärkere staatliche Aufsicht.

[2]‍ ‍Jürgen Habermas, 1929 in Düsseldorf geboren, ist Philosoph und Soziologe, der der Frankfurter Schule zugerechnet wird. Er schrieb unter anderem "Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zur liberalen Eugenetik?" (2001)

[3]‍ ‍Volker Gerhardt, 1944 in Guben/Brandenburg geboren, lehrt Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

[4]‍ ‍Stadler, Peter F., et al: "Defining genes: a computational framework", Theory in Biosciences, August 2009; 128(3): 165-170; 26. Juni 2009.

[5]‍ ‍Pearson, H.: "Genetics: what is a gene?", Nature 441, Band 7092, S. 398 - 401, 25. Mai 2006.

[6]‍ ‍Bröckling, U., Krasmann, S., Lemke, T. (Hrsg): "Glossar der Gegenwart", Frankfurt am Main 2004, S. 89f.

[7]‍ ‍ebenda, S. 93.


Hinweis:
Ein Interview mit Mike Laufenberg finden Sie unter
http://schattenblick.com/infopool/sozial/report/sori0001.html

Zum gleichen Thema:
BERICHT/004: "Die Untoten" - Im Stahlbad der transhumanistischen Optimierungsdoktrin (SB)
http://schattenblick.com/infopool/bildkult/report/bkrb0004.html

Breite Treppe auf dem Campus der TU Hamburg-Harburg - Foto: © 2012 by Schattenblick

Der Aufstieg zur Erkenntnis ist oft stufenreich und mühsam Foto: © 2012 by Schattenblick

10.‍ ‍April 2012