Schattenblick →INFOPOOL →SOZIALWISSENSCHAFTEN → REPORT

BERICHT/017: Quo vadis Sozialarbeit? - Nach der Decke strecken... (SB)


Letztbegründung "Schuldenbremse"

Workshop des Bundeskongresses Soziale Arbeit zum Thema "Die Soziale Arbeit in Folge der Schuldenbremse"

Die Podiumsrunde mit sechs Teilnehmern - Foto: © 2012 by Schattenblick

Das Podium (v.l.n.r.): Cristina Boll, Michael Opielka, Simon Güntner, Michael Löher, Ralf Ptak, Dietrich Wersich
Foto: © 2012 by Schattenblick

Die Soziale Arbeit als Zusammenschluß aus Sozialarbeit und Sozialpädagogik bewegt sich in einem innerhalb der Profession unauflösbaren Spannungsverhältnis, so die ihr seitens des Staates übertragenen Ordnungs-, Fürsorge- und Kontrollaufgaben in Konflikt geraten mit den Ansprüchen und Ambitionen der in ihr tätigen Menschen. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts hatten gesellschaftskritische Impulse aus der Studentenbewegung das unter Sozialarbeitenden entwickelte Berufsbild und Selbstverständnis noch verstärkt, und so wurde der Anspruch formuliert, auf Menschen in prekären Situationen nicht im Sinne einer qualifizierten Anpassung und Duldsamkeit einzuwirken, sondern sie zu ermutigen und zu befähigen, in obrigkeitskritischer Weise ihre Interessen eigenständig in die Hand zu nehmen und durchzusetzen. Dieser Zweig der Sozialen Arbeit wollte in den Augen der Klientel keineswegs als verlängerter Arm einer allmächtigen Staatsgewalt, sondern als vertrauenswürdiger Bündnisgenosse im Ringen um eine Verbesserung der konkret-persönlichen wie auch gesellschaftlichen Verhältnisse wahrgenommen werden.

Einem solchem Berufsverständnis treu zu bleiben, hat sich in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten zunehmend als schwierig erwiesen, da auf die Soziale Arbeit Kräfte einwirken, die deren Freiräume sowie die beanspruchte Eigenständigkeit mehr und mehr einschränken. Die Profession sieht sich mit einer administrativen Logik und Systematik konfrontiert, deren tatsächliche Natur und immanente Grausamkeit und Rücksichtslosigkeit es mit sich bringen, daß die begründbaren Interessen betroffener Menschen zurückzustehen haben gegenüber der Durchsetzung gesellschafts- wie ordnungspolitischer Zielsetzungen. In dem Berufsfeld der Sozialen Arbeit, in dem in der Bundesrepublik Deutschland über eine Million Menschen tätig sind, wird durch diese Entwicklung das in der Profession grundlegende Versprechen, in solidarisch-unterstützender Weise auf die gesellschaftliche Teilhabe der Klientel hinzuwirken, zunehmend in Frage gestellt.

Auf dem 8. Bundeskongress Soziale Arbeit, der vom 13. bis 15. September 2012 in Hamburg stattfand, wurde die "immer stärker werdende Tendenz, das Soziale nur noch unter dem Aspekt seiner 'Nützlichkeit' zu betrachten und es auf diese Weise dem Ökonomischen zuzuschlagen als Angriff auf das Selbstverständnis der Sozialen Arbeit" [1] bewertet. Einer der drei thematischen Tagungsstränge wurde dieser Thematik gewidmet. Unter der Leitthese "Das Ökonomische vom Sozialen her denken" habe sich die Soziale Arbeit der Kongreß-Programmatik zufolge "mit den aktuellen Folgen der neoliberalen Offensive und dem Wohlfahrtsstaatsabbau" auseinanderzusetzen, wobei es in zentraler Weise um die "marktförmige 'Vernützlichung' des Menschen" [1] gehen sollte.

Simon Güntner - Foto: © 2012 by Schattenblick

Simon Güntner
Foto: © 2012 by Schattenblick

Der erste, diesem Tagungsstrang zugeordnete Workshop fand am 13. September unter dem Titel "Die Soziale Arbeit in Folge der Schuldenbremse" statt und war, wie Simon Güntner von der HAW Hamburg, der die Podiumsdiskussion moderierte, klarstellte, absichtlich als Streitgespräch konzipiert worden zwischen Teilnehmern, die die zu diesem Thema bestehenden unterschiedlichen Positionen vertreten, weshalb um einer kontroversen Diskussion willen gar nicht erst der Versuch unternommen werden sollte, zwischen den Diskutanten eine gemeinsame Linie zu suchen. Güntner ging sodann auf die "Schuldenbremse" und damit einen Begriff ein, der eher der Ökonomie bzw. Haushaltsgestaltung als dem Sozialen zuzuordnen wäre. Auf Bundesebene, so referierte er, bestehe bis 2016 das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts, während die Schuldenbremse in die Hamburger Verfassung aufgenommen wurde mit der Zielvorgabe, ab 2019 keine Schulden mehr zu machen. Das Für und Wider dieses keineswegs unumstrittenen Verfassungskonstrukts wurde auf dem Workshop allerdings nicht näher thematisiert, problematisiert oder zur Diskussion gestellt.

Güntner führte vielmehr aus, daß bei der Schuldenbremse zwei Gerechtigkeitsvorstellungen aufeinanderprallten. Dabei gehe es um Generationengerechtigkeit, worunter zu verstehen sei, daß künftigen Generationen keine (ungerechten und sie benachteiligenden) Schuldenberge hinterlassen werden dürften, sowie um Verteilungsgerechtigkeit, mit der soziale Kürzungen zu Lasten der sozial ohnehin Benachteiligten sicherlich nicht zu vereinbaren wären. Der Moderator stellte Generationen- und Verteilungsgerechtigkeit in ein gegensätzliches Verhältnis und leitete daraus für Politik und Soziale Arbeit die Frage ab, ob wir tatsächlich einen Sparzwang hätten oder ob in der aktuellen wirtschaftlichen Situation eine aktive Zukunftsvorsorge des Staates nicht besser wäre. Für die Wort- und Diskussionsbeiträge der geladenen Gäste wurde der inhaltliche Rahmen ein wenig vorgegeben; wenn diese von einem Sparzwang ausgingen, so Güntner, sollte die Frage lauten, ob es so etwas wie ein "gerechtes Sparen" gäbe und wie dies zu organisieren sei.

Cristina Boll - Foto: © 2012 by Schattenblick

Cristina Boll
Foto: © 2012 by Schattenblick

Cristina Boll, promovierte Volkswirtin am Hamburger Weltwirtschaftsinstitut, machte den Anfang. Sie war früher als finanzpolitische Expertin des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands sowie des rheinländ-pfälzischen Wirtschaftsministeriums tätig und wollte sich darauf beschränken, etwas zur Schuldenbremse zu sagen. Wenn eine Finanzexpertin, die die deutschen Bundesregierung in sozialpolitischen Fragen berät, auf einem Kongreß der Sozialen Arbeit, der nach eigenem Anspruch den Einfluß des Ökonomischen auf das Soziale zurückdrängen will, ihre fachspezifischen Auffassungen darlegen kann, ohne daß diese als eine von mehreren möglichen Positionen kenntlich gemacht und zur Diskussion gestellt wird, kann es nicht verwundern, wenn dies zu einer gewissen Irritation im interessierten Publikum führt.

Boll stellte zunächst möglicherweise provokativ, wie sie selbst sagte, fest, daß "wir zuviele Schulden haben" und führte aus:

Wir haben in Deutschland Ende dieses Jahres einen Schuldenberg angehäuft von etwa 2,2 Billionen Euro, das sind 2200 Milliarden, und Hamburg hat davon allein rund 24 Milliarden.

Das sei "eindeutig zuviel", so die Referentin, allerdings ohne die genannten Zahlen in irgendeiner Weise zu etwas anderem in Bezug zu setzen. Zur Begründung, warum dies "zuviel" sei, führte sie volkswirtschaftliche Argumente an. Eine hohe Schuldenstandsquote wie 83 Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt sei schlecht, weil sie das Wachstum bremse, die wirtschaftliche Produktivität lähme und eine solche Verschuldung die Chancen und Spielräume kommender Generationen erheblich einschränkten. Da wir von diesem Schuldenberg runter müßten und deshalb auch, was völlig richtig sei, die Schuldenbremse eingeführt hätten, sei die Frage, wo der Rotstift anzusetzen sei.

Tatsächlich sind diese Zusammenhänge nicht einmal unter Ökonomen so klar und zweifelsfrei, wie die Referentin es in diesem Workshop unter fachfremden Zuhörern aus Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit darzustellen suchte. Unter Wirtschaftswissenschaftlern besteht keineswegs Einigkeit darüber, ob eine steigende oder eine sinkende Staatsquote besser sei. Anhänger einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik reden einer möglichst niedrigen Staatsquote das Wort mit der Begründung, der Staat solle auf Eingriffe am Markt möglichst verzichten und deshalb für öffentliche Einrichtungen und Aufgaben weniger Geld ausgeben. Die Gegenposition einer nachfrageorientierten Politik befürwortet das genaue Gegenteil, nämlich bei steigender Staatsquote höhere Staatsausgaben und damit einen aktiven Staat, weil dieser durch seine Ausgaben und Investitionen Arbeitsplätze schaffe [2].

Welch einen Grund mag es dafür gegeben haben, daß die HWWA-Expertin darauf verzichtete, diese selbst unter Volkswirten kontroversen Sichtweisen auch nur anzudeuten? Wäre es vorstellbar, daß auf diesem Wege mit der Schuldenbremse ein Sachzwang in den in der Sozialen Arbeit geführten Diskurs implementiert werden sollte? Von Kritikern wie dem Sozialen und Alternativen Wohlfahrtsverband e.V. Hamburg wird beispielsweise eingewandt, die Schuldenbremse habe sich längst als "Bildungsbremse" entpuppt. [3] Und ist nicht bereits durch den Titel des Workshops - "Die Soziale Arbeit in Folge der Schuldenbremse" - vorgegeben, daß zwar der aktuelle Stand und mögliche Weiterentwicklungen der Profession thematisiert werden, jedoch immer nur "in Folge der Schuldenbremse"? Güntner machte diese Sachzwangsargumentation am Ende noch einmal deutlich, als er die Diskutanten aufforderte, unter folgender Maßgabe ihre Abschlußstatements abzugeben:

Wir haben die Schuldenbremse. Sie steht in der Landesverfassung in Hamburg und auf Bundesebene im Grundgesetz. Was können die sozialen Dienste, die sozialen Träger und die Soziale Arbeit tun, um damit klarzukommen und um damit umzugehen?

Wer mag da noch einwenden, daß auf dem selben Wege, auf dem die Schuldenbremse in die Verfassungen hineingekommen ist, sie auf rechtstaatlich korrekteste und demokratisch unanfechtbare Weise auch wieder hinausgebracht werden könnte, wenn es denn der politische Wille der parlamentarischen Mehrheit wäre? Und wer mag da noch einwenden, daß die Schuldenbremse unter demokratischen Gesichtspunkten einen inakzeptablen Eingriff in das Haushaltsrecht der Parlamente darstellt?

Michael Opielka - Foto: © 2012 by Schattenblick

Michael Opielka
Foto: © 2012 by Schattenblick

Prof. Michael Opielka, Sozialwissenschaftler an der Fachhochschule Jena, pflichtete der Volkswirtin Boll bei. Er attestierte ihr, "einen wunderbaren Aufschlag mit den 2,2 Billionen Euro" (Schuldenberg Deutschlands) gemacht zu haben. Auch er ließ diese Zahl allein durch ihre abstrakte Größe auf das Publikum einwirken. Als Kernfragen formulierte er, wie "Gerechtigkeit durch Sozialpolitik unterstützt" und wie eine "teilhabeorientierte, menschenrechtsbasierte Politik unter schwierigsten Bedingungen" realisiert werden könne, womit natürlich die von den Schuldenbremsenbefürwortern gemeinten fiskalischen Sachzwänge gemeint waren.

Ralf Ptak, wie Boll Wirtschaftswissenschaftler, Privatdozent an der Universität Köln und Vertreter des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt der Nordelbischen Kirche (KDA-Nordelbien), bezog in diesen Fragen eine gegensätzliche Position. Er fragte, was "Schuldenbremse" eigentlich bedeute und wies darauf hin, daß es schon vor den jüngsten Neuregelungen eine im Grundgesetz verankerte Schuldenbegrenzung gegeben habe. Der Staat durfte schon zuvor nur in dem Ausmaß Schulden machen, wie auch öffentliche Investitionen getätigt werden, wobei als einzige Ausnahme eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts möglich war. Die Neuregelung von 2009, derzufolge sich der Bund ab 2016 jährlich nur noch bis zu einer Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschulden darf, während die Bundesländer ab 2020 keine Schulden mehr machen dürfen, werde, so Ptak, starke Auswirkungen auf die Sozialpolitik haben. Durch den europäischen Fiskalpakt würden diese strengen Haushaltsregeln noch weiter verschärft.

Mit Gerechtigkeit habe dies nichts zu tun, die soziale Ungerechtigkeit werde sogar noch verstärkt. Im Gegensatz zu Opielka, der explizit erklärte, daß es überhaupt nicht stimme, daß wir uns in der Situation des Rückbaus des Sozialstaats befinden, sprach Ptak von einem "massiven Rückbau des Sozialstaats". Empirisch ließe sich eine wachsende soziale Ungleichheit durch die Steuer-, Lohn- und Arbeitsmarktpolitik belegen. Entgegen der Propaganda sei die Staatsquote gesunken und lag nach 48 Prozent Ende der 1990er Jahre im Jahr 2008 bei 44 Prozent. Seit 1945 haben wir in Deutschland noch nie eine so ungleiche Gesellschaft wie heute gehabt, und das, "obwohl wir immer reicher werden".

Ralf Ptak - Foto: © 2012 by Schattenblick

Ralf Ptak
Foto: © 2012 by Schattenblick

Als Ökonom stellte Ptak fest, daß es zwar öffentliche Schulden in bedenklicher Höhe gäbe, daß ihnen aber auf der anderen Seite sehr hohe Vermögenswerte gegenüberstünden, auf die ggf. zuzugreifen wäre (Stichwort Vermögensabgabe). Eine hohe Staatsverschuldung sei nicht unbedingt zum Nachteil kommender Generationen, was davon abhinge, ob die Mittel konsumtiv oder investiv, beispielsweise für Kindergärten, die auch spätere Generationen nutzen könnten, eingesetzt werden. In der Frage, wie das im Grundgesetz in den Artikeln 20 und 28 verankerte Sozialstaatsprinzip zu gewährleisten sei, sprach er sich im Unterschied zu seinen Kollegen für eine Stärkung der Einnahmenseite aus (Stichwort Spitzen- und Vermögenssteuer). In seinem Schlußwort machte Ptak geltend, daß die Sozialleistungen positiv zum Bruttoinlandsprodukt beitrügen und insofern nicht bloß Kosten seien. Die 1,2 Millionen in der Sozialen Arbeit Beschäftigten würden eine bedeutende öffentliche Funktion erfüllen, da sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt stabilisierten, indem sie Menschen Lebens- und Teilhabechancen eröffneten.

Die Soziale Arbeit sei zwar, da sie im Gegensatz zu maschinellen Produktionsabläufen von Menschen getätigt werde, relativ teuer und deshalb besonders leicht von Kürzungen betroffen, zeitige jedoch auch in ökonomischer Hinsicht viele positive Effekte. Ptak schlug vor, seitens der Sozialen Arbeit als ökonomisches Argument ins Feld der Debatte einzubringen, daß ihre Leistungen den Zusammenhalt der Gesellschaft garantierten. Deutschland sei weltweit das wirtschaftlich viertstärkste Land, weshalb es gar nicht sein könne, daß wir uns plötzlich so vieles nicht mehr leisten könnten. Armut und Reichtum seien keine objektiven Fragen, sondern hätten mit Interessen zu tun. Angesichts der für die Soziale Arbeit gravierenden Schuldenbremse müsse auch einmal gefragt werden, wie dieser Schuldenberg überhaupt zustandegekommen sei.

Dazu führte Ptak vier markante Punkte an: die steigenden Kosten der in den 1980er Jahren entstandenen Massenarbeitslosigkeit, die Finanzierung der deutschen Einheit, bei der illegalerweise in die Sozialkassen gegriffen wurde, dann die steuerreformbedingten Einnahmeausfälle, die auf die Regierung Kohl, aber auch auf die rot- grüne Bundesregierung, die dafür gesorgt hätten, daß der Staat immer weniger Einnahmen hat und handlungsunfähiger wird, zurückzuführen sind, und schließlich die exorbitant hohen Kosten der Finanzkrise. Das alles sei der Schuldenberg und nicht die Menschen, die Sozialleistungen beziehen, fügte Ptak unter spontanem Beifall der Anwesenden hinzu.

Aus seiner Sicht ist der Gerechtigkeitsbegriff verfassungs- und formalrechtlich klar geregelt, Deutschland ist eine soziale Demokratie. Die neoliberale Politik habe massiv daran gearbeitet, den sozialen Gerechtigkeitsbegriff zu destruieren, etwa durch die Behauptung, Gerechtigkeit könne gar nicht definiert werden, weil jeder und jede etwas anderes darunter verstünden. Dem stellte der Wirtschaftswissenschaftler entgegen, daß es sehr wohl eine konkrete Vereinbarung darüber gäbe, wie die Gesellschaft zusammengehalten werde und daß eine nachhaltige Ökonomie der ganzen Gesellschaft und nicht nur Teilen nützen müsse. Die Privatisierung habe dafür gesorgt, daß es in Deutschland so viele Menschen wie noch nie im Niedriglohnsektor gäbe, nämlich 21 Prozent, was neue Armutsprobleme geschaffen habe.

Michael Löher - Foto: © 2012 by Schattenblick

Michael Löher
Foto: © 2012 by Schattenblick

Neben Cristina Boll, Michael Opielka und Ralf Ptak nahmen auch Michael Löher, Vorstand des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, sowie Dietrich Wersich (CDU), Oppositionsführer in der Hamburger Bürgerschaft und ehemaliger Sozialsenator der Hansestadt (2008 bis 2011), an der Podiumsrunde teil. Löher erklärte klipp und klar, er sei froh, "daß wir die Schuldenbremse haben". In bestimmten Bereichen hätten wir bereits eine so hohe Verschuldung und politische Handlungsunfähigkeit der Körperschaften, daß "Griechenland schon hier" sei. Löher stellte im gleichen Atemzug die These auf, daß wir in vielen sozialen Systemen möglicherweise genug Geld hätten, weshalb zu fragen sei, ob es auch da ankomme, wo es hinsolle? Entgegen der Kongreßleitlinie, das Soziale gegenüber dem Ökonomischen wieder zu stärken, argumentierte Löher in folgender Weise:

Wenn wir uns darauf einlassen, daß eine Schuldenbremse da ist und das Lamentieren darüber keinen Sinn macht, sondern wir gucken müssen, wie gehen wir vernünftig damit um, werden wir nicht umhinkommen, unsere sozialen Sicherungssysteme insgesamt auf den Prüfstand zu stellen.

Löher leitete daraus die Frage ab, wie die Soziale Arbeit effektiver arbeiten könne. In seinem Abschlußstatement erklärte er, daß es zu weiteren Einsparungen kommen werde und fragte, wie sich die Soziale Arbeit darauf einstellen könne, "daß weniger Geld zur Verfügung steht bei offensichtlich gegenläufigen Tendenzen, was die realen Bedarfe angeht?" Rückübersetzt aus dem sozialpolitischen Fachjargon bedeutet dies nichts anderes als die vorbehaltlose Annahme einer Rolle, die der Profession der Sozialen Arbeit offenkundig zugedacht ist und von dieser bereitwillig, wenn auch sicherlich nicht von allen in diesem Bereich Tätigen, akzeptiert wird. Die Soziale Arbeit soll nicht nur weitere finanzielle Kürzungen hinnehmen, sondern unter diesen Voraussetzungen auch noch ansteigende Aufgaben bewältigen, was nur unter (weiteren) qualitativen Einbußen möglich sein wird.

Dietrich Wersich - Foto: © 2012 by Schattenblick

Dietrich Wersich
Foto: © 2012 by Schattenblick

Der ehemalige Sozialsenator Hamburgs, Dietrich Wersich, erwies sich als eloquenter Redner und verstand es mit rhetorischer Kunstfertigkeit, sich in gewissen Maßen mit Ralf Ptak solidarisch zu erklären. Der CDU-Politiker erklärte, die überbordende Staatsverschuldung sei unsozial und ungerecht, mache die Reichen reicher und die Armen noch ärmer und belaste künftige Generationen. Man beachte hierbei, daß Wersich zufolge nicht die Hamburger Senats- oder die bundesdeutsche Regierungspolitik, sei sie nun CDU- oder SPD- geführt ist, für derlei in kapitalistischen Gesellschaften keineswegs untypischen sozialen Verhältnisse verantwortlich zu machen sind, sondern einzig und allein "die Staatsverschuldung". Folgerichtig mahnte der ehemalige Sozialsenator in seiner zweiten These an, daß die Schuldenbremse die "einzig wirksame Maßnahme" sei, um "den gefährlichen Staatskapitalismus auf Pump zu stoppen". Und schließlich seine dritte These:

Engagierte Sozialpolitik, die die Ursachen von Armut und Ausgrenzung wirksam bekämpft und gleichzeitig eine soziale Mindestsicherung gewährleistet, ist auch in Zeiten der Schuldenbremse möglich und notwendig. Langfristig ist die Schuldenbremse die Voraussetzung für eine solche gestaltende Sozialpolitik.

Die Lebhaftigkeit, mit der die Diskutanten Fragen der Gerechtigkeit durchaus kontrovers erörterten oder über Begriffe wie Staatsverschuldung und Staatskapitalismus und deren Deutungen stritten, vermochte allerdings nicht darüber hinwegzutäuschen, daß die hier zusammengewürfelten Vertreter ihrer Zunft gegenüber der mit dem Begriff "Schuldenbremse" gelabelten Sachzwangsrhetorik einen Unterwerfungskurs fuhren, wovon lediglich Ralf Ptak auszunehmen ist, der wie ein einsamer Rufer in der Wüste gegen Behauptungen und Schlußfolgerungen antrat, die in ihrer inhaltlichen Brüchigkeit nachvollziehbar machten, warum entgegen der auf dem Kongreß formulierten Absichtserklärungen in der Profession der Sozialen Arbeit eine so hohe Bereitschaft anzutreffen ist, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, spiegeln sich doch in ihr auf vielleicht sogar recht präzise Weise die gesellschaftlich vorherrschenden und dominierenden Kräfte und (Teilhabe-) Interessen wider.

Podium und Publikum in der Aula der HAW - Foto: © 2012 by Schattenblick

Lebhafte Diskussion in der Aula der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg
Foto: © 2012 by Schattenblick

Fußnoten:
[1] Hauptprogramm 8. Bundeskongress Soziale Arbeit (Broschüre), S. 4

[2] http://www.hanisauland.de/lexikon/s/staatsquote.html

[3] Presseerklärung des Sozialen und Alternativen Wohlfahrtsverband e.V. Hamburg vom 28. September 2012
http://www.soal.de

2. November 2012