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INTERVIEW/001: Technik, Mensch und Selbstbestimmung - Mike Laufenberg (SB)


Zur Leistungsoptimierung

Interview mit Mike Laufenberg am 23. März 2012 an der TU Hamburg-Harburg


Bauarbeiter reparieren Treppenaufgang der TU Hamburg-Harburg - Foto: © 2012 by Schattenblick

Ob Materialität oder Virtualität - Keine Dekonstruktion ohne Konstruktion Foto: © 2012 by Schattenblick

Mike Laufenberg ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der TU Berlin. Am 23./24. März 2012 nahm er an einer gemeinsamen Frühjahrstagung der Sektion "Wissenschafts- und Technikforschung" der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS), des Arbeitskreises "Politik, Wissenschaft und Technik" der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) und der Arbeitsgruppe Arbeit-Gender-Technik der TU Hamburg-Harburg (TUHH) teil. Im Anschluß an seinen Vortrag "Technologien der Macht: Human Enhancement und der Kampf um Subjektivierung" aus dem ersten Panel "Zwischen Dekonstruktion und Materialität" [1] erhielt der Schattenblick die Gelegenheit, dem Referenten einige Fragen zum Thema zu stellen.


Schattenblick: Im Titel deines Vortrags kommt der Begriff "Kampf" vor. Für was kämpfst du?

Mike Laufenberg: Für was kämpfe ich? (lacht) Das ist eine große Frage. Ich engagiere mich in Bezug auf mein Vortragsthema zunächst einmal dafür, die Verhältnisse so zu gestalten, daß Menschen selbstbestimmt, solidarisch und mit gleichen materiellen Ressourcen ausgestattet leben können. Und ich denke, daß Technologie kein Dämon ist, der dem im Wege steht, sondern daß wir überlegen können, wie sich mit Technologie tatsächlich auch die Verhältnisse verbessern lassen. Die Rede von einem "Kampf um Subjektivierung" in meinem Titel spielt aber noch auf etwas Konkreteres an, nämlich daß Technologien immer auch bestimmte Lebensformen mit sich bringen. Eine bestimmte Technologie zu kritisieren kann dann gleichzeitig heißen, daß man nicht der oder die sein will, die man durch diese Technologie wird.

SB: Glaubst du, daß die Technologie die Möglichkeit zur Subversion enthält? Und wenn, welche Konsequenzen könnte das haben?

ML: Ja, ich glaube, das Internet ist ein gutes Beispiel dafür, daß Technologien keine geschlossenen und unveränderlichen Systeme sind, die den Menschen einfach übergestülpt werden. Sondern Technologien lassen sich auch auf eine bestimmte Art und Weise aneignen und dadurch transformieren. So ist das Internet zum Beispiel ursprünglich im Kontext der Militärforschung entstanden. Es hat sich dann aber verselbstständigt und begann Menschen eine Form der Öffentlichkeit zu bieten, die vorher nicht vorgesehen war: neue Wege der Kommunikation und Assoziation. Dann hat natürlich eine immense Kommerzialisierung des Internets eingesetzt, aber dennoch "gehört" das Internet heute nach wie vor niemandem. So stellt es auch ein vielfältiges Medium für den politischen Aktivismus dar, etwa für eine Bewegung, die gegen Eigentumslogik und für "Gemeingüter" (Commons) kämpft. Aber auch für die Koordination internationaler Proteste.

SB: Du meinst den sogenannten arabischen Frühling?

ML: Genau, oder die Occupy-Bewegung. Es gibt vielfach Versuche, Technologien in diesem Sinne zu politisieren. Und selbst wenn uns die politischen Ziele im einzelnen nicht immer gefallen, macht es deutlich, daß wir Technologien an sich weder als etwas Neutrales betrachten können noch als reine Herrschaftsinstrumente. Sie sind eher Ausdruck von Kräfteverhältnissen und daher auch offen für neue Verknüpfungen und Verschiebungen. Ich denke, das gilt für viele Technologien, wenn auch nicht für alle. Deshalb macht es letztlich keinen Sinn, per se von "der" Technologie zu reden. Man muß schon konkret schauen, um was es sich handelt. Aber ich denke, bei vielen Technologien wird es genau darum gehen zu überlegen, wie sie sich auch in einem nicht-produktivistischen Sinn verwenden lassen. Nicht, wie z.B. beim sogenannten Human Enhancement, um eine weitere Verwertung von Leben, von Natur, von Mensch vorzunehmen, sondern um ein selbstbestimmteres Leben mit der Technik zu ermöglichen.

SB: Ein zentraler Begriff in deinem Vortrag zum Thema Human Enhancement war "Begehren". Verstehst du die Stillung des Begehrens als eine rein technologische Möglichkeit oder denkst du beispielsweise auch an körperliche Bemühungen. Ein einfaches Beispiel dafür wäre vielleicht das Body-Building. Wäre auch das ein Thema, mit dem du dich beschäftigst?

ML: Ja, das ist insofern mein Thema, als daß ich Body-Building ebenfalls als Teil einer Technologie ansehen würde. Ich versuche ja, den Technologiebegriff sehr breit anzusetzen, und ich würde sagen, daß Body-Building eine Technik ist, die innerhalb einer übergeordneten Technologie entsteht, nämlich auf Basis eines bestimmten Wissens und mit Hilfe bestimmter Geräte seinen Körper zu formen und zu verändern. Dann stellt sich aber die Frage: Nach welchen Normen, nach welchen Vorstellungen werden diese Veränderungen vorgenommen?

Ich würde über Body-Building, wenn Leuten das Spaß macht, erst mal nicht sagen, daß es etwas Bedenkliches ist - zumindest was extremes Body-Building angeht, entspricht dies ja auch allem anderen als der Norm. Vielmehr finde ich an einer solchen technisch vermittelten Bearbeitung seiner Selbst interessant, daß es auf fast selbstverständliche Weise deutlich macht, daß wir nicht einer schicksalhaften Naturwüchsigkeit ausgeliefert sind, sondern daß sich Körper durch Techniken verändern. Und hier halte ich wie gesagt die Frage für wichtig, an welchen Kriterien sich diese Umarbeitungen orientieren. Nicht daß Körper technisch veränderbar werden halte ich für das Problem, sondern daß dies häufig im Namen von Produktivität, Körperbeherrschung oder geschlechtlichen und behindertenfeindlichen Körpernormen geschieht.

SB: In deinem Vortrag hattest du auch die Frage nach der Unsterblichkeit aufgeworfen. Die wird in der Menschheitsgeschichte ja nicht unbedingt nur über die Technik beziehungsweise technische Bemittelung gedacht, sondern über Körpertechniken. Beispielsweise erhebt Yoga auch den Anspruch, das Leben zumindest verlängern zu können. Solche Körpersysteme haben heute den Ruf der Esoterik, aber wäre das auch ein Forschungsbereich, der dich interessiert? Und könntest du dir vorstellen, daß da Gedanken entwickelt werden, die von den Sozialwissenschaften gar nicht beachtet werden, weil sie vielleicht eher auf die Technologie, die Technifizierung, abheben?

ML: Man sagt ja eigentlich, daß die Sozialwissenschaften gerade durch eine rigorose Technikvergessenheit charakterisiert sind, daß sie sich gar nicht so sehr für die Technologie interessieren - bis auf eine kleine Sparte, nämlich die Techniksoziologie. Ich finde es interessant zu überlegen, welche unterschiedlichen Formen Menschen gewählt haben und auch heute wählen, um mit der größten existentiellen Kränkung umzugehen, die es gibt, nämlich daß man endlich ist. Daß man lernen muß zu sterben. Derrida [2] hat in einem sehr schönen Text kurz vor seinem Tod einmal gesagt, daß es ihm nie gelungen sei, leben zu lernen, weil, radikal zu Ende gedacht, leben lernen bedeuten würde, sterben zu lernen.

Ich denke, daß die vielen Techniken, die sich gerade auch um das Altern drehen, versuchen, einen ganz praktischen Umgang mit diesem Wissen um die Endlichkeit zu finden. Ironischerweise sind hier auf Langlebigkeit zielende Technologien wie z.B. Hormonersatztherapien nicht weniger religiös als die Vorstellung von einem Leben nach dem Tod, denn sie funktionieren weniger über konkrete Erfolgsbeweise als über Glauben und Hoffnung. Gewissermaßen beuten solche Technologien hier so etwas wie Todesangst und ein Begehren nach Leben aus. Und dies verstärkt sich durch den Zusammenhang, in dem sie entstehen, dem Kapitalismus. Man kann den Kapitalismus als eine riesengroße Verdrängungsmaschinerie verstehen, in dem Sinne, daß er absolute Endlichkeit vergessen macht, sie existiert für ihn nicht. Als seine Subjekte werden wir entsprechend unaufhörlich produktiv gemacht und aktiviert.

Gleichzeitig gibt es eine Verdrängung von Sterblichkeit, von Pflegebedürftigkeit, von Erkrankung und so weiter - alles Bereiche, die derzeit eine zunehmende soziale Entsicherung erfahren. Es wird ganz in den Verantwortungsbereich der Individuen gelegt, damit umzugehen. Dadurch wird die Angst , krank oder leistungsunfähig zu werden, weiter geschürt - der Kapitalismus produziert sozusagen die Unsicherheit, aus der er dann Mehrwert schlägt, indem er entsprechende Absatzmärke wie Anti-Aging schafft. Und genau das ist eine Stoßrichtung meines Vortrags gewesen: wir müßten dafür sorgen, daß bei solchen existentiellen Problemen Technologien wie Enhancement nicht das letzte Wort haben. Technologien, die uns immer wieder weismachen wollen, daß individuelle Produktivität und Leistungsfähigkeit bis zum Schluß das einzig Erstrebenswerte ist und wir persönlich dafür verantwortlich sind, dieses Ziel zu erreichen.

SB: Geht es deiner Meinung nach beim Enhancement darum, den Menschen noch mehr auszubeuten?

ML: Es gibt zumindest einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Entstehung von Enhancement-Technologien und dem politisch-ökonomischen Versuch, die körperliche Produktivität über eine immer größere Lebensspanne zu steigern, ja. Das ist charakteristisch für die gegenwärtige Phase des Kapitalismus und weicht zugleich das Prinzip des Wohlfahrtsstaates auf, der noch viel in soziale Reproduktion investiert hat. Durch eine Verlängerung der Bildungszeiten traten dort Arbeitskräfte zunehmend später in Lohnarbeit, und gleichzeitig gab es einen Solidarpakt, der auch für die Reproduktion derjenigen, die nicht mehr arbeiten konnten, mitgesorgt hat. Heute geht die Entwicklung gerade im Sorgebereich in eine andere Richtung. In meinem Vortrag habe ich hier Gabriele Winker [3]‍ ‍von der TU Hamburg-Harburg zitiert, die angesichts der gegenwärtigen Krise der sozialen Reproduktion eine sogenannte Care Revolution fordert: eine Orientierung politischen Handelns an den konkreten und existentiellen Bedürfnissen der Menschen und nicht an der Steigerung der Profitrate.

Der Erfolg neuerer Technologien, die mit Wünschen wie Kontrolle und Verlangsamung des Alterungsprozesses spielen, ist meines Erachtens nicht zu trennen von dem geschilderten Rückzug aus einer sozialen Verantwortung für diejenigen, die nicht mehr so fit sind, die nicht mehr so viel leisten können. Die Individuen sollen sich mit Hilfe dieser Technologien selbst reproduzieren. Enhancement-Technologien sind in diesem Sinne Vereinzelungstechnologien, die letztlich vorgeben, keine sozialen Bindungen mehr zu brauchen und damit unsere Abhängigkeit von anderen leugnen. Da wird ein technischer Autonomismus gepriesen.

SB: Mike, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

[1]‍ ‍Einen Bericht zum Vortrag finden Sie unter:
http://schattenblick.com/infopool/sozial/report/sorb0001.html

[2]‍ ‍Der Philosoph Jacques Derrida, geboren 15. Juli 1930 in El Biar, Algerien, gestorben am 8. Oktober 2004 in Paris, gilt als wichtigster Vertreter des Konzepts der Dekonstruktion.

[3]‍ ‍Gabriele Winker, Professorin für Arbeitswissenschaft und Gender Studies an der TU Hamburg-Harburg und dort Leiterin des Arbeitsbereichs Arbeit-Gender-Technik; Mitgründerin des Feministischen Instituts Hamburg.

Graffiti auf Verteilerkasten im Park - Foto: © 2012 by Schattenblick

Kampf um Subjektivierung auf den Leerflächen urbaner
Infrastruktur Foto: © 2012 by Schattenblick

5.‍ ‍April 2012