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FORSCHUNG/045: Neue Manns-Bilder der Soziologie (Agora Uni Eichstätt)


Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ausgabe 2 - 2005

Neue Manns-Bilder der Soziologie

Von Nina Baur und Siegfried Lamnek


Wie definiert sich ein Mann als Mann? Und welche Eigenschaften zeichnen Männer nach Ansicht von Frauen aus? Eichstätter Soziologen betraten Forschungsneuland und fanden erstaunliche Unterschiede in der Selbst- und Fremdwahrnehmung des vermeintlich starken Geschlechts.


*


Die Soziologie verfügt mittlerweile über ein recht klares theoretisches und empirisches Bild über die soziale Konstruktion von Weiblichkeit sowie typische Probleme und Formen der Diskriminierung von Frauen in den verschiedensten Lebensbereichen. Das Wissen über Männer ist dagegen erstaunlich karg, da sie systematisch aus der Analyse ausgeblendet werden: Die meisten klassischen soziologischen Theorien gehen implizit vom Mann als dem "Normalen" und der Frau als dem "Abweichenden" aus, wobei sie sich meist nicht die Mühe machen, dieses "Normale" zu definieren. Das "moderne Subjekt" ist "männlich", wobei als zentrales Kriterium für die gesellschaftliche Integration und den Erwerb von sozialer Identität die Erwerbsarbeit gesetzt wird. Auch noch heute wird postuliert, dass sich Männer vor allem über Erwerbsarbeit definieren. Allerdings gibt es zu wenig empirische Untersuchungen, die Männlichkeit aus der Perspektive der Akteure, also der Männer, behandeln.

Dagegen befasst sich die Geschlechtersoziologie hauptsächlich mit Frauen - der Mann wird in der Regel negativ definiert als Referenzkategorie, als das Nicht-Weibliche, als der Deviante, als der gesellschaftlich Herrschende, dem gegenüber die Gleichberechtigung der Frauen aktiv eingefordert werden muss. Die Veränderungen von Lage und Mentalität von Frauen durch den sozialen Wandel wurde relativ eingehend untersucht, vergleichbare Analysen für Männer sind dagegen selten. Anders als im angelsächsischen Bereich hat sich in Deutschland bislang noch keine eigenständige Männerforschung etabliert; über die kulturellen Eigenheiten deutscher Männlichkeiten liegt hierzulande relativ wenig Wissen vor.

Wie also werden Männer in der Gesellschaft wahrgenommen? Was macht Männer zu Männern? Ist es die Arbeit? Muss ein Mann stark oder intelligent sein? Sollte ein Mann "ein Haus bauen, einen Baum pflanzen und einen Sohn zeugen", also eine Familie gründen und Vater werden, oder ist es heute wichtiger, dass er beruflich erfolgreich ist, viel Sport treibt, einen Sportwagen fährt oder einen PC bedienen kann? Welche Probleme verbinden Männer mit ihrem Dasein als Mann? Und welche gesellschaftspolitischen Implikationen hat dies?

Solchen Fragen ist der Lehrstuhl für Soziologie und empirische Sozialforschung in einer Telefonumfrage nachgegangen. Von März bis Mai 2006 wurden 709 volljährige deutsche Staatsbürger in dreißig, nach theoretischen Gesichtspunkten ausgewählten Gemeinden in vier Bundesländern (Baden-Württemberg, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt) befragt. In jeder Gemeinde wurde mit Hilfe der Einwohnermeldeämter eine nach Alter und Geschlecht disproportional geschichtete Zufallsstichprobe gezogen. Ausgewählte Ergebnisse dieser Studie sollen im Folgenden präsentiert werden.

Ein möglicher Hinweis darauf, was einen Mann zum Mann macht, ist, was Frauen an Männern attraktiv oder unattraktiv finden. Da Partnerschaften für die meisten Deutschen sehr wichtig und die meisten Männer heterosexuell sind, liegt es nahe, dass sie ihr Leben unter anderem daran orientieren, was sie meinen, dass Frauen von ihnen erwarten. In unserer Studie wurde gefragt, ob man glaubt, dass bestimmte Eigenschaften Männer besonders attraktiv bzw. besonders unattraktiv für Frauen machen. Diese Eigenschaften lassen sich grob in die drei Bereiche unterteilen: Partner- und Familienorientierung, körperliche Attraktivität sowie Versorgerfähigkeit.

In der Gesamtschau aller befragten Männer und Frauen wird ersichtlich, dass das mit Abstand wichtigste Attraktivitätsmerkmal eines Mannes ist, wie stark er sich für Partnerin und Familie engagiert. Es folgt die körperliche Attraktivität, die Versorgerfähigkeit bildet das Schlusslicht (!). Innerhalb dieser Bereiche gibt es jedoch Differenzierungen.

Zunächst zum Bereich Partner- und Familienorientierung: Von allen abgefragten Eigenschaften und Verhaltensweisen von Männern, die von Engagement für die Familie zeugen, glauben mindestens zwei Drittel der Befragten, dass dies Männer besonders attraktiv für Frauen macht. Das mit Abstand wichtigste Attraktivitätsmerkmal eines Mannes ist, dass er Humor besitzt. Für die Hälfte der Befragten gilt ein Mann als besonders unattraktiv für eine Frau, wenn er keine Kinder mag oder keine Zeit für seine Frau hat. In dieselbe Richtung gehen die Haltungen gegenüber Männern, die ihren Partnerinnen nicht im Haushalt helfen. Umgekehrt ist etwa ein Drittel uneingeschränkt der Auffassung, dass Männer, die gut mit technischen Geräten umgehen können, besonders attraktiv sind. Knapp 30 Prozent der Befragten stimmen voll zu, dass Männer, die mit ihren Frauen shoppen gehen, besonders attraktiv für diese sind.

Dass Männer körperlich attraktiv sein sollen, ist für die Befragten ebenfalls wichtig. Ihre Meinungen unterscheiden sich aber hinsichtlich der relativen Bedeutung einzelner körperlicher Merkmale: Etwa drei Viertel halten Männer, die viel Sport machen, für besonders attraktiv für Frauen. Etwa 70 Prozent der Befragten beurteilen Männer, die eine Frau sexuell nicht erfüllen können, als besonders unattraktiv, etwa 60 Prozent denken dasselbe über dicke Männer. Darüber, ob muskulöse Männer besonders attraktiv sind, scheiden sich dagegen die Geister.

Bezogen auf den Aspekt Versorgerfähigkeit gehen Sozialwissenschaftler und Politiker in der Regel davon aus, dass der Mann primär Versorger ist, berufstätig sein und eine Familie finanziell absichern soll. Die Versorgerkompetenz ist dagegen nach Ansicht der meisten Befragten eher von nachgeordneter Bedeutung: Etwa die Hälfte der Interviewten ist der Ansicht, dass Männer besonders attraktiv für Frauen sind, wenn sie nicht arbeitslos sind, einen Universitätsabschluss haben und viel verdienen, aber nur etwa jeder sechste Befragte stimmt voll zu, dass dies sehr wichtige Attraktivitätsmerkmale seien. Dass Männer ihren Frauen teure Geschenke machen sollten, finden nur etwas mehr als ein Drittel der Interviewten. Der Besitz von Luxusgütern, zum Beispiel ein teures Auto zu fahren, macht nach Meinung von nur einem Viertel der Befragten Männer besonders attraktiv.

Bislang haben wir alle Befragten betrachtet. Analysiert man die Ansichten geschlechtsspezifisch (vgl. Tab), so zeigt sich, dass Männer und Frauen sich nur darin einig sind, dass Männer besonders attraktiv für Frauen sind, wenn sie Humor haben (98% Zustimmungsrate) und dass Männer für Frauen besonders unattraktiv sind, wenn sie diesen nicht im Haushalt helfen (etwa zwei Drittel stimmen zu). Ansonsten zeigen sich geschlechtsspezifisch differenzierte Denk- und Wahrnehmungswelten:

Was die körperliche Attraktivität als Beurteilungsmaßstab betrifft, schätzen Männer Frauen für wesentlich strenger ein als diese wirklich sind: 82 Prozent der Männer, aber nur 72 Prozent der Frauen stimmen zu, dass Männer, die viel Sport treiben, für Frauen besonders attraktiv sind. Drei Viertel der Männer, aber nur etwas über zwei Drittel der Frauen glauben, dass ein Mann besonders unattraktiv für eine Frau ist, wenn er sie sexuell nicht erfüllen kann. Zwei von drei Männern, aber nur drei von fünf Frauen halten dicke Männer für besonders unattraktiv. Während sich hinsichtlich der bisher genannten körperlichen Merkmale Männer und Frauen wenigstens insofern einig waren, als die Mehrheit sie für ein relevantes Kriterium hielt, scheiden sich hinsichtlich männlicher Muskelkraft die Geister: 55 Prozent der Männer aber nur etwa 40 Prozent der Frauen pflichten der Aussage bei, dass muskulöse Männer für Frauen besonders attraktiv wären.

Auch hinsichtlich der Frage, wie wichtig es ist, ob Männer Zeit für ihre Partnerin haben und mit ihr shoppen gehen, überschätzen Männer deutlich die Ansprüche der Frauen: Zwar halten beide Geschlechter dieses Kriterium für wichtig, doch dass ein Mann für eine Frau besonders unattraktiv ist, wenn er keine Zeit für sie hat, meinen drei von fünf Männern, aber nur zwei von fünf Frauen uneingeschränkt. Noch anspruchsloser sind Frauen, wenn es darum geht, ihre Männer zum Einkaufsbummel zu "verdonnern": Etwa ein Drittel der Männer, aber nur etwa 20% der Frauen stimmen der Aussage voll zu, dass Männer besonders attraktiv für Frauen seien, wenn sie mit ihnen shoppen gehen.

Am stärksten sind die geschlechtsspezifischen Diskrepanzen bezüglich der Versorgerfähigkeit von Männern: Eine deutliche Mehrheit der Männer glaubt, dass Frauen von ihnen erwarten, dass sie einen Universitätsabschluss haben, nicht arbeitslos sind, viel verdienen und ihrer Partnerin teure Geschenke machen. Jeder vierte bis sechste Mann bewertet diese Kriterien sogar als sehr wichtig. Etwa 40 Prozent der Männer hält auch ein teures Auto für relevant. Dagegen gelten für weniger als die Hälfte der Frauen Männer mit Universitätsabschluss als besonders attraktiv und arbeitslose Männer als besonders unattraktiv. Dass Männer viel verdienen, ist nur jeder dritten Frau wichtig, dass sie teure Geschenke bekommen, nur jeder sechsten, und dass ein Mann ein teures Auto fährt, nur jeder zehnten.

In einem Punkt unterschätzen die Männer dagegen die Ansprüche der Frauen: Zwar sind sich die überwiegende Mehrheit der Befragten einig, dass Frauen Technikkompetenz und eine positive Einstellung gegenüber Kindern an Männern zu schätzen wissen. Während aber von den Männern nur etwa 40 Prozent bzw. 25 Prozent voll zustimmen, dass ein Mann besonders unattraktiv für eine Frau ist, wenn er keine Kinder mag, bzw. dass Männer besonders attraktiv für Frauen seien, wenn sie gut mit technischen Geräten umgehen können, stimmen von den Frauen 60 Prozent bzw. 40 Prozent diesen Aussagen voll zu.

Insgesamt sind Frauen also weniger anspruchsvoll in der Beurteilung der Attraktivität eines Mannes, als Männer gemeinhin denken. Während aber Männer mehrheitlich immer noch der traditionellen Haltung verhaftet sind, es käme Frauen vor allem darauf an, dass ein Mann körperlich attraktiv ist und genug verdient, um seiner Partnerin und seinen Kindern einen hohen Lebensstandard bieten zu können, ist das Ideal der Frauen der humorvolle, kinderliebe Techniker, der sich Zeit für seine Partnerin nimmt.

Angesichts der derzeit heftigen öffentlichen Debatte über Kinderlosigkeit von Frauen regt dieses Ergebnis zu der Frage an, ob denn nicht vielleicht die Männer das Problem seien. Denn wenn Männer unterschätzen, wie wichtig Kinder für Frauen sind, sind Männern die Kinder möglicherweise selbst auch nicht so wichtig. Diese Aussage kann aufgrund der Studie nicht gehalten werden (wobei grundsätzlich betont werden muss, dass die Fallzahlen insgesamt doch gering, zufällige Schwankungen wahrscheinlich sind): Zunächst ist festzuhalten, dass in unserer Befragung der Wunsch nach weiteren Kindern bei Vätern in jeder Altersgruppe größer ist als bei Müttern.

Anders sieht es bei den Kinderlosen aus: Von den 18- bis 35-Jährigen, die noch keine Kinder haben, wünschen sich fast alle Kinder, allerdings entwickelt sich der Kinderwunsch bei Männern und Frauen zeitlich versetzt: 93 Prozent der 18- bis 25-jährigen kinderlosen Frauen wollen Kinder, danach nimmt der Kinderwunsch kontinuierlich ab von 86 Prozent bei 25- bis 35-Jährigen über 50 Prozent bei den 35- bis 45-Jährigen bis zu immerhin noch 20 Prozent der 45- bis 55-Jährigen. Dagegen wünschen sich nur 85 Prozent der 18- bis 25-jährigen kinderlosen Männer Nachwuchs. Am stärksten ist der Kinderwunsch bei kinderlosen Männern im Alter zwischen 25 und 35 (93 Prozent), um sich danach ähnlich reduzierend zu entwickeln wie bei Frauen.

Offenbar gibt es also einen prinzipiellen Kinderwunsch bei Frauen (unabhängig von der Zahl der Kinder), während Männer erst "auf den Geschmack" kommen müssen: Der Kinderwunsch entsteht bei ihnen später als bei Frauen. Möglicherweise wollen junge Männer noch unabhängig ihr Leben genießen, während junge Frauen die Fruchtbarkeit des jüngeren Alters nutzen wollen. Für Väter sind dagegen weitere Kinder wichtiger als für Frauen.

Die These, dass Männer "Spätzünder" sind, bestätigt sich, wenn man den Anteil der Befragten mit Kindern betrachtet: Im Alter von 35 bis 45 sind bereits vier von fünf Frauen Mütter, aber erst zwei von drei Männern Väter. Bei den 45- bis 55 jährigen ist der Anteil der Mütter wie bei den 35- bis 45-Jährigen, während nun immerhin drei von vier Männern Väter sind.

Es lässt sich also vermuten, dass Frauen, die unbedingt Kinder haben wollen, diese früh bekommen. Bei Männern entsteht der Kinderwunsch dagegen erst später - und dann ist es möglicherweise bereits zu spät für Kinder, denn in der Regel liegt in Deutschland das Alter von Partnern nur um wenige Jahre auseinander. Das heißt, wenn ein über 45-Jähriger Mann noch Kinder will, kann seine Partnerin mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nur mehr begrenzt Kinder bekommen. Die in der öffentlichen Debatte häufig gestellte Fragen: "Warum bekommen deutsche Frauen keine Kinder mehr?" müsste also modifiziert werden. Es ist vielleicht sinnvoller zu fragen: "Warum wollen deutsche Männer erst so spät (und vielleicht zu spät) Kinder, und was kann man dagegen tun?"


*


Partnerschafts- und Familienorientierung
Frauen
Männer
Humor
Zeit haben
Kinder mögen
Technikkompetenz
shoppen gehen
im Haushalt helfen
98%
75%
78%
78%
56%
64%
98%
84%
70%
65%
80%
65%

Körperliche Attraktivität
Frauen
Männer
Partnerin sexuell erfüllen
viel Sport
nicht dick
muskulös
68%
72%
59%
41%
76%
82%
64%
55%

Versorgerfähigkeit
Frauen
Männer
nicht arbeitslos
Universitätsabschluss
viel verdienen
teure Geschenke
teures Auto
keine Kinder mit einer anderen Frau
44%
44%
31%
15%
11%
23%
61%
59%
68%
56%
42%
28%

*


Quelle:
Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ausgabe 2/2006, Seite 11-13
Herausgeber: Der Präsident der Katholischen Universität,
Prof. Dr. Ruprecht Wimmer
Redaktion: Presse- und Öffentlichkeitsreferat der KU,
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veröffentlicht im Schattenblick am 16. November 2006

übernommen für den SB im Internet zum 13. April 2007