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FORSCHUNG/062: Ideendiebstahl für die Hausarbeit (Agora - Uni Eichstätt-Ingolstadt)


Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ausgabe 2 - 2008

Ideendiebstahl für die Hausarbeit

Von Claudia Krell


Plagiate von Studierenden sind nichts Neues. Aber warum schreiben manche von ihnen für Haus- und Abschlussarbeiten ungeniert ab? Im Rahmen eines Lehrforschungsprojektes gingen Eichstätter Soziologinnen und Soziologen der "Copy & Paste"-Mentalität nach.


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Obgleich das Problem des Plagiarismus durch Studierende nicht neu ist, hat es in den letzten Jahren durch technische Entwicklungen eine neue Qualität und - glaubt man zahlreichen Medienberichten - Quantität angenommen. Der Einsatz von Computern erleichtert nicht nur prozessuales Schreiben, sondern auch das Einfügen und Arrangieren von fremden Inhalten in "eigene" Texte bzw. zu "eigenen" Texten. Das Phänomen des studentischen Plagiarismus ist quantitativen Studien zufolge, die sich vor allem auf den angelsächsischen Bereich konzentrieren, relativ weit verbreitet. Je nach Studie und Intensität des erfragten Verhaltens - von einzelnen Paraphrasen ohne Quellenangabe bis hin zu Totalplagiaten - bewegen sich die Prävalenzraten zwischen knapp 20 und fast 90 Prozent. Demnach könnte man davon ausgehen, dass mindestens jeder fünfte Studierende Erfahrungen mit dem Anfertigen von Plagiaten hat.

Die Projektgruppe am Lehrstuhl für Soziologie und empirische Sozialforschung interessierte sich weniger für die quantitative Verbreitung von Plagiaten, sondern ging vielmehr der Frage nach, welche subjektiven Einstellungen und Meinungen Studierende zu Plagiaten haben und wie sie ein solches wissenschaftliches Fehlverhalten begründen. Diese Fragen waren Gegenstand eines Lehrforschungsprojekts im Wintersemester 2007/2008, in dem neben der theoretischen Erarbeitung einer qualitativ-empirischen Interviewstudie die praktische Umsetzung im Mittelpunkt stand: von der Planung über die Datenerhebung bis hin zur Auswertung. Die Besonderheit bestand darin, dass Forschung in der Lehre vermittelt wurde, gleichzeitig aber ein Aspekt der Lehre - das Anfertigen von Studienarbeiten - Gegenstand der Forschung war. Insgesamt führten die Studierenden 14 problemzentrierte Interviews durch, die von ihnen anonymisiert transkribiert und mit der Analysesoftware MaxQDA inhaltsanalytisch ausgewertet wurden. Befragt wurden Studierende der Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften an der KU sowie anderer Universitäten, insgesamt sieben junge Männer und sieben junge Frauen zwischen 19 und 32 Jahren zwischen dem ersten und elften Fachsemester. Vier Befragte haben nach eigener Angabe schon Plagiate angefertigt.

Die erste Frage war, wie Studierende "Abschreiben" bzw. Plagiieren definieren. Ihre Sicht stimmt mit der wissenschaftlichen Definition darin überein, dass ein Plagiat dann vorliegt, sobald Inhalte aus fremden Texten in eigene Texte übernommen werden, ohne diese Übernahme korrekt zu kennzeichnen. Teilweise erweitern sie ihre Definition auch auf so genannte Strukturplagiate, in denen Gliederungen oder das Inhaltsverzeichnis übernommen werden. Bei der Definition und der zugestandenen Legitimität zeichnen sich aber feine Nuancen ab: Studierende differenzieren vor allem nach dem Umfang des Plagiats und den verwendeten Quellen, häufig orientiert an Vorgaben zum wissenschaftlichen Arbeiten. Betrachten Dozenten die Quelle als unseriös oder ungesichert (zum Beispiel Wikipedia) und befürchten Studierende bei einem entsprechenden Quellenverweis eine schlechtere Bewertung, ist die Übernahme "kein Bescheißen, weil die Quelle ist ja doch für mich persönlich akzeptabel" (männlich, 23 Jahre, 5. Fachsemester Sozialwissenschaften). Hinsichtlich des Umfangs wird weniger das einmalige Umformulieren eines Absatzes als Vergehen angesehen, sondern eher die Übernahme längerer Textpassagen. Auch ist es aus studentischer Sicht legitimer, Gedanken oder eine Gliederung zu übernehmen, als wortwörtlich abzuschreiben.

Eine weitere Frage war, wie Studierende Plagiarismus begründen und rechtfertigen. Beleuchtet wurden dabei sowohl Gründe für eigenes Plagiieren als auch die Gründe, die Plagiatoren unterstellt werden. Unabhängig von eigenen Erfahrungen im Anfertigen von Plagiaten werden erwartungsgemäß pragmatische Gründe genannt: Man hat zu wenig Zeit, zu spät angefangen, nutzt seine Zeit lieber für andere Aktivitäten oder ist zu faul. Plagiarismus wird des Weiteren durch mangelnde Anreize für gute Leistungen sowie durch eine subjektiv empfundene Leistungsungerechtigkeit begünstigt: Entweder ist die Note "egal" oder die Benotungspraxis einiger Dozenten gilt als intransparent und/oder egalisierend. In diesem Fall wird der langfristige Lerneffekt nicht berücksichtigt, im Vordergrund stehen lediglich Scheinerwerb oder Note. Andere Studierende hingegen verbinden mit einer fehlenden eigenständigen Auseinandersetzung sehr wohl einen geringeren Lerneffekt. Sie stellen auch einem kurzfristigen Nutzen durch die Aufwandsersparnis einen langfristigen und möglicherweise bis in das Berufsleben hineinreichenden Schaden durch das Anfertigen eines Plagiats gegenüber. Auch tatsächliche oder antizipierte Anforderungen an Hausarbeiten oder Idealvorstellungen über Hausarbeiten können nach Ansicht der Studierenden Plagiarismus begründen: Erstens sollen Hausarbeiten eine eigene Leistung darstellen und daher nicht vollständig aus Zitaten bestehen. Einzelne Befragte gehen davon aus, dass es eine "informelle" Obergrenze für den Anteil an Zitaten in Hausarbeiten gibt, sowohl in Relation zum Selbstverfassten als auch absolut. Deshalb lässt ein Plagiator bei der Übernahme eines ganzen Absatzes lieber den Verweis auf die Quelle weg, um diese gedachte Obergrenze nicht zu überschreiten. Zweitens sollen Hausarbeiten eine qualitativ gute Leistung darstellen. So wird Plagiatoren - faktisch vorhandene oder subjektiv empfundene - Leistungsschwäche, Hilflosigkeit oder Unsicherheit in fachlich-inhaltlicher sowie formaler Hinsicht unterstellt.

Gegen das Plagiieren sprechen für die Studierenden mögliche Transaktionskosten. Zwar spare man sich den Aufwand zum Schreiben, doch müssten die fremden Inhalte zum Teil noch irgendwie implementiert oder in ein einheitliches Ganzes zusammengefasst werden, weshalb der Aufwand insgesamt nicht wesentlich geringer ist. Hinzu kommt, dass Zitieren "nichts kostet" und als ein Zeichen der Befähigung zu korrektem wissenschaftlichen Arbeiten sogar gewünscht sei. Wenn die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens klar sind, werden sie also nicht mehr als Hindernisse, sondern als Chance angesehen, Kompetenzen unter Beweis zu stellen. Auf emotionaler Ebene spielen ein schlechtes Gewissen beim Anfertigen von Plagiaten und das fehlende "tolle Gefühl, was in der Hand zu haben, wo du sagst: 'Woah, das hab ich gemacht'" (männlich, 23 Jahre, 5. Fachsemester Sozialwissenschaften), eine wichtige Rolle.

Obwohl die Entdeckungs- und Sanktionswahrscheinlichkeit von Plagiaten als gering eingeschätzt wird, wollen viele Studierende nicht das Risiko eingehen, erwischt zu werden. Die Befragten selbst haben keine direkten und kaum indirekte Erfahrungen mit Sanktionen und wissen meist auch nicht, wie Fehlverhalten in ihrem Studiengang geahndet werden würde. Die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden, hängt nach Ansicht der Befragten von folgenden Faktoren ab: Erstens ist das Interesse des Dozenten relevant, da den Studierenden zum Teil bewusst ist, welcher Aufwand mit einer umfassenden Überprüfung sämtlicher Textstellen verbunden wäre. Unterschiede in der (subjektiv wahrgenommenen) Betreuung sind demnach relevant für die Motivation zu korrektem Arbeiten. Je besser Dozenten Stil und Leistung ihrer "Schützlinge" kennen, desto höher wird das Risiko einer Entdeckung eingeschätzt. Zweitens hängt die Sanktionswahrscheinlichkeit von der Quelle ab, denn Internetquellen sind leichter über Suchmaschinen auffindbar als beispielsweise "alte" Bücher. Drittens ist die Sorgfalt des Studierenden von Bedeutung: Wer nicht gerade "stümperhaft" plagiiert, muss weniger damit rechnen, erwischt zu werden. Ein vierter Faktor ist die Methode des Plagiierens: Wer den fremden Text umformuliert oder nur Ideen übernimmt, hat weniger zu befürchten als diejenigen, die wortwörtlich abschreiben. Die Art der Arbeit ist, fünftens, insofern relevant, da bei Diplomarbeiten eine intensivere Kontrolle seitens der Professoren vermutet wird. Schließlich wird auch der Umfang des Plagiats angeführt, da mit zunehmendem Umfang plagiierten Materials auch die vermutete Entdeckungswahrscheinlichkeit steigt. Zudem ist Abschreiben, das sich auf wenige Stellen beschränkt, im Falle eines Erwischt-Werdens noch als vergessenes Zitieren darstellbar, die Intentionalität also abstreitbar.

Diese Ergebnisse zeigen die Vieldimensionalität des Phänomens und legen mögliche präventive Maßnahmen nahe: Da Studierende unterschiedliche Vorstellungen von Plagiaten haben, wäre es zunächst wichtig, ihnen klare Kriterien für wissenschaftliches Arbeiten an die Hand zu geben. Auch hinsichtlich der Sanktionshärte und -wahrscheinlichkeit sollten die einzelnen Fachbereiche klare und einheitliche Richtlinien vorgeben und vor allem durchsetzen. Ein weiterer Ansatzpunkt sind die Kompetenzen Studierender: Sowohl Fertigkeiten als auch die Bereitschaft zu wissenschaftlichem Arbeiten müssen gestärkt werden, um den souveränen Umgang mit entsprechenden Regeln zu fördern und etwaige Hemmnisse und Unsicherheiten abzubauen. Die Richtlinien werden häufig als unzureichend empfunden, Hilfestellungen nur in den seltensten Fällen aktiv eingefordert, um fehlende Kompetenzen nicht eingestehen zu müssen. Zum anderen zeigen sich aber auch ein gewisses Desinteresse und eine Unterschätzung der Bedeutung, die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens zukommt.

Eine mögliche Lösung bestünde darin, zum einen in Einführungen die normative und ethische Bedeutung dieser Regeln zu behandeln. Zum anderen könnten die Kompetenzen der Studierenden durch Schreibtrainings gefördert werden, die idealiter nicht auf singuläre Veranstaltungen zu Beginn des Studiums beschränkt sind, sondern kontinuierlich erfolgen und individuelles Feedback einschließen. Dazu ist es aber nötig, dass derartige Angebote, die in unterschiedlichen Formen bereits bestehen, auch in Anspruch genommen werden. Voraussetzung dafür ist in erster Linie, Sinn und Zweck der Regeln wissenschaftlichen Arbeitens aufzuzeigen. Darüber hinaus sollte auch eine größere Transparenz der Bewertung angestrebt werden. Wer weiß, was warum wie bewertet wird, kann sich darauf einstellen und nimmt seinen eigenen Einfluss auf die Bewertung besser wahr. Dies wiederum steigert die Qualität studentischer Haus- und Abschlussarbeiten sowie die Qualität wissenschaftlichen Arbeitens an Universitäten insgesamt - was im Interesse aller Beteiligten liegen dürfte.


Claudia Krell ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Soziologie und empirische Sozialforschung. Die hier vorgestellte Untersuchung entstand zusammen mit den Studierenden Anja Hlawatsch, Sebastian Neumeyer, Anabel Stöckle und Janika Weigel.


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Quelle:
Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ausgabe 2/2008, Seite 10-11
Herausgeber: Der Vorsitzende der Hochschulleitung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2009