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GESELLSCHAFT/200: Die eigene Rolle finden - Wie junge Männer sich Vatersein vorstellen (DJI)


DJI Bulletin 83/84 - 3/4/2008
Deutsches Jugendinstitut e.V.

Wege in die Vaterschaft I
Die eigene Rolle finden:
Wie junge Männer sich Vatersein vorstellen

Von Claudia Zerle


Aktive Väter - das heißt engagierte statt abwesende, im Alltag beteiligte statt Wochenendväter, kurzum »neue Väter« - prägen die gesellschaftlichen Debatten um die heutige Rolle von Männern in Familien. Viele junge Männer möchten sich als Vater in die Kinderbetreuung und in das Familienleben voll einbringen - und dies ist auch der Wunsch ihrer Partnerinnen, die ihren Platz nicht mehr nur in der Familie, sondern auch in der Arbeitswelt sehen. Gleichzeitig aber ist Männlichkeit weiterhin untrennbar verbunden mit beruflichem Engagement sowie mit der Konzentration auf die Erwerbsarbeit. Egalitäre Rollenmodelle werden häufig kritisch beäugt. Trotz dieser diffusen Anforderungen müssen junge Männer heute auch ihre Rolle als Väter (neu) er-finden.
Die DJI-Bertelsmann-Studie »Wege in die Vaterschaft: Vaterschaftskonzepte junger Männer« gibt anhand ihrer Ergebnisse darüber Aufschluss, wie junge Männer sich Vatersein vorstellen.


Die jungen Männer sehen sich vor allem verantwortlich für die Familienfinanzen

Das Erreichen der mit Vaterschaft verbundenen »harten« Randbedingungen (wie Arbeitsplatzsicherheit oder ein Lebensunterhalt sicherndes Einkommen) ist für junge Menschen heute mit großen Unsicherheiten verbunden:

Verzögerte Übergänge ins Erwerbsleben sowie die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt führen zu einer späteren finanziellen Ablösung vom Elternhaus. Das macht es jungen Männern und Frauen schwer, schon früh eine eigene finanzielle Basis aufzubauen, die junge Männer als Grundvoraussetzung dafür sehen, eine eigene Familie gründen zu können. Obwohl sich die gesellschaftlichen Normen für die Aufgabenteilung zwischen Mann und Frau in den letzten Jahrzehnten stark verändert haben, sehen die jungen Männer die Hauptverantwortung für die Familienfinanzen nach wie vor bei sich selbst.

Mit steigender Erwerbsbeteiligung von Frauen und der dadurch brisant werdenden Frage, wer sich um die Betreuung der Kinder kümmert, entfachte sich eine Diskussion um »traditionelle« oder »moderne« Väter (Zulehner 2004) sowie um »Väter als Ernährer« und »Väter als Erzieher« (Fthenakis/Minsel 2002).

Dabei wird aber deutlich: Die Pluralität nebeneinander existierender Vaterschaftskonzepte lässt das Bild von einem »guten Vater« zunehmend diffuser werden.


Die Vorstellung einer klassischen Aufgabenteilung zwischen Mann und Frau hält sich neben anderen Modellen

Seit Ende der 1980er-Jahre nimmt die Zustimmung zum traditionellen männlichen Ernährermodell europaweit bei Frauen sowie bei Männern kontinuierlich ab (Hofäcker 2007; 2004). Mit dem Leitbild des »aktiven«, »engagierten« oder »involvierten« Vaters geht jedoch bisweilen der Blick auf die Realität verloren. Auch wenn sich auf der Einstellungsebene viel getan hat, zeigt sich auf der Handlungsebene, dass nach wie vor überwiegend die Frauen den Beruf zurückstellen, um sich in Kinderbetreuung und Familienarbeit zu engagieren.

Dieses Fortbestehen alter Rollenmodelle zeigt sich auch bei den für die DJI-Bertelsmann-Studie befragten jungen Männern zwischen 15 und 42 Jahren: Trotz der vorhandenen Akzeptanz egalitärer Modelle hat ein relativ hoher Anteil der jungen Männer nach wie vor ein recht traditionelles Bild der Tätigkeitsschwerpunkte von Mann und Frau.


Alter und Bildung spielen bei den Vorstellungen eine Rolle

Fast die Hälfte (47,8 %) ist für die klassische Aufgabenteilung »Der Mann geht arbeiten und die Frau versorgt die Kinder«. Mit höherem Bildungsniveau tendieren die jungen Männer eher zu egalitären Arrangements, und je jünger die Befragten sind, desto traditioneller ist ihre Einstellung. Werden sie älter und leben alleine oder auch schon mit einer Partnerin zusammen, können sich die Befragten egalitäre Modelle vorstellen, die sie dann leben, wenn vor der Geburt eines Kindes beide erwerbstätig sind.

Kommt das erste Kind in die Beziehung, zeigt sich jedoch schnell ein Rückfall in traditionelle Vorstellungen der Aufteilung (»Retraditionalisierung«), bei der überwiegend die junge Frau die Betreuung der Kinder übernimmt und der Mann für das Einkommen zuständig ist. Diese Haltung spiegelt sich auch in den Rollenorientierungen der befragten jungen Väter wider:

47,8 % der Befragten stimmen der Aussage zu: »Wenn Kinder da sind, sollte der Mann arbeiten gehen und die Frau zu Hause bleiben und die Kinder versorgen«.

38,7 % der Befragten stimmen der Aussage zu: "Auch wenn eine Frau arbeitet, sollte der Mann der Hauptverdiener sein, und die Frau sollte die Verantwortung für den Haushalt tragen«. (DJI-Bertelsmann-Studie: Zerle/Krok 2008; N=1.803)


Ein Kind erst dann, wenn es finanziell geht - die jungen Männer wollen »moderne Ernährer« sein

Der finanziellen Sicherheit kommt beim Thema Familiengründung ohnehin eine prominente Stellung zu: Ein fester Arbeitsplatz und ein sicheres Einkommen ist für junge Männer die Grundlage einer Familiengründung. In den Augen der Befragten soll ein Kind erst dann kommen, wenn sie eine Familie ernähren können (57,2 %). Und noch immer sagen 38,7 % der befragten jungen Männer: »Geht auch die Frau arbeiten, sollte der Mann dennoch der Hauptverdiener sein«.

Das Ernährermodell ist in den Köpfen nach wie vor stark verankert, auch wenn Vatersein für die jungen Männer in erster Linie bedeutet, Verantwortung zu übernehmen und für die Familie zu sorgen - und nicht mehr nur »Brotverdiener« zu sein. Sie sehen es im Besonderen als ihre (spätere) väterlich-männliche Aufgabe an,

- der »Familie ein Heim zu bieten«,
- den »Lebensunterhalt für die Familie zu verdienen«,
- sich um einen »sicheren Arbeitsplatz und ein sicheres Einkommen zu kümmern«.

Neben der Schaffung einer finanziellen Grundlage sehen sie es aber genauso als ihre Aufgabe an, sich
(später)

- »Zeit für das Kind zu nehmen« und
- sich »in der Betreuung zu engagieren«.
   (siehe Tabelle)


Zustimmung zu den Aufgaben eines Vaters

   in Prozent
Der Familie ein Heim bieten
95,5     
Den Lebensunterhalt für die
Familie verdienen
94,6     
Sich um einen sicheren Arbeitsplatz
und ein sicheres Einkommen bemühen
94,5     
Sich Zeit nehmen für das Kind
94,9     
Das Kind betreuen und beaufsichtigen
80,7     
Den Beruf in der Zeit direkt nach
der Geburt des Kindes zurückstellen
45,4     
Die eigene Berufskarriere zugunsten
des Kindes zurückstellen
43,0     

Das Engagement in der Familie darf nicht zu Lasten des Berufs gehen

Die befragten jungen Männer wollen zu mehr als 40 % den »Beruf in der Zeit direkt nach der Geburt des Kindes zurückstellen« oder gar die »Berufskarriere für ein Kind zurückstellen« (Zerle/Krok 2008). Für die reale Umsetzung zeigt die Forschung bislang hierfür andere Erkenntnisse:

In der Studie »männerleben« der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA 2004) arbeiten Männer nach der Geburt eines Kindes tendenziell eher mehr als vor dem ersten Kind.

Andererseits deutet der Wunsch vieler, sich zwar in die Betreuung einzubringen, ohne im Beruf zurückzustecken, auf den Widerspruch im »modernen Ernährer« hin (Matzner 2004).

Dieser Widerspruch scheint die Männer in der Realität häufig wieder auf die Nebenrolle in der Familienarbeit zu verweisen und den Frauen das Zurückstellen der Karriere zu überlassen.


Der gute Wille ist da, der Wunsch nach Beteiligung vorhanden

Warum es an der Umsetzung einer »aktiven Vaterschaft« noch hakt, hat mehrere Gründe:

Strukturen des Arbeitsmarktes:
Sie sorgen in Gestalt noch immer wesentlich höherer Durchschnittslöhne für männliche Erwerbstätige (Hinz/Gartner 2005) dafür, dass gerade das Einkommen der Männer die Basis für den Familienunterhalt ist.

Gegenwärtige Arbeitsmarktkulturen:
Mit der Akzentuierung möglichst langer zeitlicher Präsenz im Betrieb oder Büro gestatten sie es Familienvätern häufig nicht, ihre Arbeitszeit für die Familie ohne Verlust von Karrierechancen zu reduzieren (Lange/Zerle 2008). Der Wunsch nach Beteiligung und die tatsächlichen Möglichkeiten der Umsetzung einer »aktiven Vaterschaft« klaffen in der Realität auseinander.

Nach wie vor geltende Rollenbilder:
Entsprechend solcher Vorstellungen gehört der Erfolg im Beruf zum Mann-Sein wie der Betreuungsinstinkt zur Mutter. Männern, die ihren Beruf für die Familie zurückstellen, wird häufig eine mangelnde Karriereorientierung oder gar Unmännlichkeit unterstellt. Der Unterstützung eines solchen Modells von Partnerin und Umfeld kommt also bei der Umsetzung einer »aktiven Vaterschaft« höchste Bedeutung zu.

Die Vermittlung egalitärer Rollenbilder muss früh ansetzen

Junge Männer sollten sich schon frühzeitig mit vielfältigen und egalitären Rollenmodellen auseinandersetzen. Bis zur Sekundarstufe kommen Mädchen und Jungen heute kaum mit männlichen Erziehern in Berührung. So liegt die Frauenquote bei den Fachkräften im Vorschulbereich bei 98,3 % und im Primarbereich bei 82,9 % (Statistisches Landesamt Berlin 2006).

Positive Beispiele, in denen auch Männer für Betreuung und Erziehung zuständig sind und trotzdem »männlich« sein können, sind rar. Sichtbare Vorbilder spielen hier als Identifikationsfiguren eine große Rolle: Aktive Väter in der Nachbarschaft oder im Sportverein, bzw. ein in seiner Familie engagierter Chef oder Lehrer können vermitteln, dass eigene Kinder und Familie nicht bedeuten, selbst Vollzeit arbeiten zu müssen und dabei kaum in der Familie präsent zu sein.

Ferner sollte auch die Entlastung der Männer von der finanziellen Alleinverantwortung durch die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen deutlich gemacht werden. Dies kann zum einen mehr finanzielle Sicherheit schaffen, aber auch ein Gefühl der Gemeinsamkeit und Stabilität innerhalb der Partnerschaft vermitteln. Durch die Übernahme von sozialer Verantwortung in jungen Jahren, etwa im Rahmen von Projekten, wird Verlässlichkeit sowie Übernahme von Verantwortung in einer später gelebten Partnerschaft frühzeitig eingeübt.


Kontakt: zerle@dji.de


Literatur:

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (2004): männerleben. Eine Studie zu Lebensläufen und Familienplanung. Basisbericht. Köln

Fthenakis, Wassilios / Minsel, Beate (2002): Die Rolle des Vaters in der Familie. Stuttgart

Hinz, Thomas / Gartner, Hermann (2005): Geschlechtsspezifische Lohnunterschiede in Branchen, Betrieben und Berufen. Zeitschrift für Soziologie, 34. Jg., H. 1, S. 22-39

Hofäcker, Dirk (2004): Zustimmung zum traditionellen Alleinverdienermodell auf dem Rückzug. Einstellungen von Frauen zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung im internationalen Vergleich. Informationsdienst soziale Indikatoren 32, S. 12-15

Hofäcker, Dirk (2007): Gut gemeint ist noch lange nicht getan. Eine international vergleichende Analyse zur partnerschaftlichen Arbeitsteilung im Haushalt. Informationsdienst soziale Indikatoren 37, S. 12-15

Lange, Andreas / Zerle, Claudia (2008): Väter im Familienalltag. Die Kluft zwischen Einstellung und Verhalten. In: BZgA Forum Sexualaufklärung und Familienplanung. H. 2, S. 17-20

Matzner, Michael (2004): Vaterschaft aus der Sicht von Vätern. Subjektive Vaterschaftskonzepte und die soziale Praxis der Vaterschaft. Wiesbaden

Statistisches Landesamt Berlin (2006): Internationale Bildungsindikatoren im Bundesländervergleich. Pressemitteilung vom 13.09.2006

Zulehner, Paul M. (2004): Neue Männlichkeit - Neue Wege der Selbstverwirklichung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, H. 46, S. 5-12

Zerle, Claudia / Krok, Isabelle (2008): Null Bock auf Familie? Der schwierige Weg junger Männer in die Vaterschaft. Gütersloh


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Quelle:
DJI-Bulletin Heft 83/84, 3/4/2008, S. 10-12
Herausgeber:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Februar 2009