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GESELLSCHAFT/205: Vaterschaft und Inhaftierung - Es fehlt der Kontakt zum Kind (DJI)


DJI Bulletin 83/84 - 3/4/2008
Deutsches Jugendinstitut e.V.

Vaterschaft und Inhaftierung -
Eine qualitative Studie zur Konstruktion von Vaterschaft   
Es fehlt der Kontakt zum Kind

Von Katharina Eichinger
Ehemalige Stipendiatin am DJI


Der Vater ist ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit gerückt und man thematisiert zunehmend vielfältige Aspekte seiner Vaterschaft. Dazu haben die politischen Debatten und Entscheidungen zum Elterngeld nicht unerheblich beigetragen. Auch der Stellenwert des Vaters für das Kind wird mehr betont - ebenso die Bedeutung des Kindes für den Vater.
Jenseits der öffentlichen Debatten findet aber auch eine andere Entwicklung statt: Mit der steigenden Zahl von Verurteilungen, die eine Unterbringung in einer forensischen Psychiatrie (Forensik) vorschreiben und teilweise eine erhöhte Verweildauer in den entsprechenden Institutionen nach sich ziehen, gibt es mehr (junge) inhaftierte Väter, die von ihrem Kind bzw. ihren Kindern getrennt sind. Vaterschaft ist in der institutionellen Logik der Forensik jedoch prinzipiell nicht vorgesehen: sie erfährt keine Beachtung und wird auch in der Strafvollzugsstatistik nicht erfasst. Demnach gibt es keine genauen Zahlen von in der Forensik inhaftierten Vätern. Umso dringlicher ist es, sich mit ihnen zu befassen.
Im deutschen Maßregelvollzug haben die untergebrachten Väter aufgrund eines Stufenplanes zur Regelung von Ausgangszeiten prinzipiell die Möglichkeit, Kontakt zu ihrem Kind herzustellen. Die Untersuchung »Vaterschaft und Inhaftierung - Eine qualitative Studie zur Konstruktion von Vaterschaft« ging der Frage nach, wie es den betroffenen Vätern gelingt, ihre Vaterschaft im Maßregelvollzug auszuüben. Dazu im Folgenden erste Ergebnisse.



Wer wurde befragt?

Bei den acht interviewten Vätern handelt es sich um Inhaftierte im deutschen Maßregelvollzug mit unterschiedlichen Delikten, wie unerlaubter Besitz und/oder Handel mit Betäubungsmitteln, Diebstahl oder (versuchte) Vergewaltigung.

Die durchschnittliche Strafzeit der Inhaftierten beträgt vier Jahre fünf Monate.

Die Einstufung der Väter im Stufenplan erstreckt sich von »Keine Lockerung« bis zur Möglichkeit eines »Übernachtungsurlaubes«.


Ausübungsformen der Vaterschaft: persönlicher Kontakt an erster Stelle

Bei der Frage, ob und wie die befragten Väter ihre Kontaktmöglichkeiten nutzen, lassen sich drei Kontaktarten unterscheiden:

- persönlicher Kontakt,
- telefonischer Kontakt,
- schriftlicher Kontakt.

Bei den befragten Vätern liegt die Priorität beim persönlichen Kontakt. Schriftlicher Kontakt wird nur ausgeübt, wenn keine andere Art des Kontaktes möglich ist. Der telefonische Kontakt wiederum hängt meist komplett von der Zustimmung der Mutter ab; prinzipiell ist er aber jederzeit möglich, da sich auf den Stationen frei zugängliche Telefone befinden.

Der persönliche Kontakt fällt bei den Vätern entsprechend dem jeweiligen Stufenplan unterschiedlich aus, beispielsweise Besuche des Kindes auf der Station oder Treffen mit dem Kind außerhalb des Klinik-Bereiches.

Wenn überhaupt Kontakt zum Kind besteht, werden prinzipiell die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Ausübung von Vaterschaft genutzt. Steht der Vater in schriftlichem Kontakt zum Kind, so nutzt der Vater diesen zwar voll aus, bevorzugt aber eigentlich den persönlichen Kontakt und setzt ihn sich als Ziel.


Kontrollierte Vaterschaft - mehrfach gefangen

Die Situation der inhaftierten Väter wird bestimmt durch ihre Orientierung an Kontrollinstanzen. Was ist darunter zu verstehen? Sie bedeutet nichts anderes als eine bewusste oder unbewusste Ausrichtung an Einrichtungen und/oder Personen, die dem Vater während des Aufenthalts im forensischen Bereich »begegnen«. Insgesamt konnten vier solche Instanzen festgestellt werden:

- die Mutter des Kindes,
- die Therapie in der Klinik,
- die bezahlte Arbeit,
- die weitere Familie (Eltern, Geschwister, Anverwandte).


Die Rolle der Mutter

Die Mutter kann vom inhaftierten Vater als Kontrollinstanz auf mehreren Ebenen wahrgenommen werden:

Sie fungiert bezüglich der Kinder als »Gatekeeper«, d. h. sie kann den Zugang des Vaters zum Kind kontrollieren. Dabei ist grundsätzlich zu unterscheiden, ob sie den Kontakt zwischen Kind und Vater verweigert oder akzeptiert. Verwehrt die Mutter den Kontakt (»verwehrte Vaterschaft«) und stellt dementsprechende Bedingungen für den Kontakt mit dem Kind, fühlt der inhaftierte Vater sich auf bestimmte Rollen reduziert, wie »der Vater als Geldgeber«, »der Vater als Versager«, »der Vater als Erzeuger« oder »der Vater als der Böse«.

Akzeptiert oder fördert die Mutter jedoch den Kontakt des Vaters zum Kind, löst diese Haltung der Mutter beim inhaftierten Vater ein Sicherheitsgefühl aus und ermöglicht andere Rollen des Vaters: »der Vater als Ratgeber der Mutter«, »der Vater als Erzieher des Kindes«, »der Vater als Beschützer des Kindes« sowie »das Kind als Motivation für ein geregeltes Leben«. Die mütterliche Unterstützung erzeugt beim inhaftierten Vater ein verändertes Bewusstsein in seiner Vaterrolle und steigert deren Bedeutung, wodurch er seine Vaterschaft frei (er)leben und gestalten kann.


Die Rolle der Therapie in der Klinik

Die Klinik mit ihrem Therapieangebot wird von den Vätern als wichtiger Bestandteil ihrer Entwicklung angesehen. Der Einfluss der Therapie wird dabei auf verschiedene Art und Weise gedeutet.

Grundsätzlich schafft die Therapie bei den inhaftierten Vätern ein Bewusstsein für die anderen Kontrollinstanzen (weitere Familie, Mutter und Arbeit). Dabei lassen sich zwei gegensätzliche Positionen ausmachen:

- Therapie als Hilfestellung und Unterstützung,
- Therapie als Verunsicherung.

Sieht der inhaftierte Vater die Therapie als Unterstützung, dann reflektiert er sein Verhalten sowie seine Einstellungen vor der Inhaftierung und nimmt diese gegebenenfalls heute als bewusst verändert wahr. Dadurch kann er mit alltäglichen Konfrontationen, wie Stresssituationen oder Auseinandersetzungen, anders umgehen und schafft ein Bewusstsein für seine Rolle als Vater.

Fühlt sich der inhaftierte Vater jedoch durch die Therapie verunsichert, so liegt dies oft daran, dass nach seinen Aussagen »falsche« Themen angesprochen werden und er sich schon zu lange in Therapie befindet. Der Vater sieht seine eigene Meinung durch die Tatsache der Inhaftierung entwertet und hat das Gefühl, durch die Therapie/Klinik künstlich von seinem Kind ferngehalten zu werden.


Die Rolle der Arbeit

Die Arbeit bzw. Arbeitsstelle, die der inhaftierte Vater aufsucht - sei es auf dem Klinikgelände oder außerhalb - hat einen sehr hohen Stellenwert in der Selbstwahrnehmung des Vaters.

Besteht zum Kind ein persönlicher Kontakt, so stellt die Arbeitsstelle oftmals für den inhaftierten Vater eine Möglichkeit dar, das Kind im Anschluss an die Arbeit kurz zu besuchen. Das Kind zuhause »zurückzulassen« und wieder in die Klinik zurückfahren zu müssen, kann allerdings für ihn äußerst belastend sein. Die Mutter spielt hier eine wichtige Rolle, wenn sie das Gefühl vermittelt bzw. verstärkt, dass die Klinik für das familiale Leben eine Beschwernis ist und den inhaftierten Vater von seinen »wirklichen« familialen Aufgaben abhält.

Die Arbeit hat ebenfalls eine überaus positive Rolle, denn Arbeit ist oftmals die erste Gelegenheit, wieder Geld zu verdienen. Damit können beispielsweise die Alimente bezahlt werden, wodurch dem Vater der Zugang zum Kind gewährt wird, oder er kann ihm etwas kaufen, und seien es nur Kleinigkeiten.


Die Rolle der weiteren Familie

Die weitere Familie spielt in vielen Fällen eine große Rolle, wenn es um die konkrete Ausübung von Vaterschaft außerhalb der Klinik geht. Mit dem Begriff »weitere Familie« sind hier nicht die Mutter oder das Kind gemeint, sondern die Eltern, Geschwister und näheren Verwandten des Vaters. Diese stellen oft ein »neutrales Terrain« dar, auf dem sich getrennt lebende Eltern nicht über den Weg laufen und für den inhaftierten Vater die Möglichkeit besteht, das Kind zu treffen.


Kontrollinstanzen haben Wirkung - ein Fazit

Die verschiedenen Kontrollinstanzen haben unterschiedliche Auswirkungen auf die inhaftierten Väter, wie »Unsicherheit in der Vater-Rolle«, »Empathie und Verständnis für die Mutter« oder »Normalitätskonstruktionen« (Vorstellungen von einem Leben mit dem Kind). Für bestehende Einstellungen und Sichtweisen spielen außerdem die biografischen Erfahrungen des Vaters eine Rolle; so lässt beispielsweise eine Sozialisation im Gewaltmilieu bei ihm den Wunsch entstehen, dass es seinem Kind »anders ergehen soll«.

Vaterschaft im Maßregelvollzug ist immer eine determinierte, kontrollierte Vaterschaft, die neben gesetzlichen, institutionellen und zeitlichen Beschränkungen auch durch die Kontrollinstanzen Mutter, Therapie, Arbeit und weitere Familie bestimmt wird.

Kontrollierte Vaterschaft bedeutet die Überwindung einer größeren Hürde als dies bei »normalen« Trennungen von Vater und Kind der Fall ist. Doch gerade diese gesonderten Anforderungen an die Vaterrolle führen zu einer verstärkten Auseinandersetzung des inhaftierten Vaters mit dem Thema Trennung, was häufig eine Umorientierung des Vaters im Verhältnis zu seinem Kind bewirkt.

Aus der Kombination dieser verschiedenen Aspekte versucht der inhaftierte Vater ein Vaterbild für sich und andere zu konstruieren, das auf seine aktuelle Lage abgestimmt ist und darüber hinaus sowohl mit seinen eigenen Vorstellungen von Vaterschaft als auch nach außen hin möglichst konform sowie kongruent ist.

Inwiefern diese einheitliche Konstruktion eines Vaterbildes nicht nur auf inhaftierte Väter, sondern auch auf »freie« Väter zutrifft und ob auch diese Väter bestimmten Kontrollinstanzen »ausgesetzt« sind, sollte zum Gegenstand weiterer Forschung gemacht werden.


Anregungen für die Praxis
Anhand der Ergebnisse dieser Studie lassen sich folgende Empfehlungen ableiten:

Mehr Beachtung für den Inhaftierten als Vater, da sein Status bislang erst dann relevant wird, sobald Probleme mit Kind oder Mutter auftauchen, bzw. wenn es darum geht, vor einer geplanten Entlassung den sozialen Empfangsraum des Vaters zu bestimmen und/oder vorzubereiten.

Angebot von Gesprächskreisen für Väter, um sich mit dem Thema Vaterschaft auseinandersetzen zu können. Sollte dies nicht umsetzbar sein, könnte dieses Thema bewusst in den (schon bestehenden regelmäßigen) Einzelgesprächen angesprochen werden.

Einführung von zusätzlichen und regelmäßigen Familiengesprächen, um zu verhindern, dass die Klinik nur als eine das Familienleben störende Instanz angesehen wird; dadurch lässt sich eine Einbindung der Familie in das Klinikleben erreichen.

Verstärkte Konzentration auf die Situation der Besuchszeiten, beispielsweise durch die Schaffung einer kindgerechten Umgebung (mit Spielzeug etc.). Dadurch wird die Kontaktaufnahme des Vaters mit seinem Kind erleichtert (insbesondere in Fällen langer zeitlicher Trennung) sowie die Verunsicherung des Kindes durch die fremde Umgebung vermindert.

Studie:
»Vaterschaft und Inhaftierung - Eine qualitative Studie zur Konstruktion von Vaterschaft«, Abschlussarbeit am Institut für Soziologie der Universität in München

Methoden:
Erhebung: Qualitative problemzentrierte Interviews (beteiligt waren acht inhaftierte Väter); Auswertung: Grounded Theory

Durchführung:
Katharina Eichinger
Kontakt: katharina.eichinger@gmx.de

Veröffentlichung der kompletten Studie am DJI als Arbeitspapier voraussichtlich Anfang 2009


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Quelle:
DJI-Bulletin Heft 83/84, 3/4/2008, S. 30-31
Herausgeber:
Deutsches Jugendinstitut e.V. (DJI)
Nockherstraße 2, 81541 München
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2009