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JUGEND/092: Unterschätzte Familienrolle (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 146/Dezember 2014
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Unterschätzte Familienrolle

Differenziert erforscht: väterlicher Einfluss und die Folgen im Jugendalter

von Sarah Grace See


Kurz gefasst: Welchen Einfluss hat unsere Familie auf das, wer wir sind, was wir tun, wie wir werden? In diesem Zusammenhang denkt man oft über die Rolle der Mutter nach, oder auch die der Eltern. Die Rolle der Väter für unser Leben ist aber ebenfalls zentral. Dies belegt eine ökonomische Studie, die Daten amerikanischer Teenager auswertet. Untersucht wird, wie die gemeinsam verbrachte Zeit Verhaltensmuster wie Zigaretten- und Marihuana-Rauchen oder Alkoholkonsum prägt.


Die ersten Menschen, mit denen wir unmittelbar nach unserer Geburt in Kontakt treten, sind unsere Eltern. Kein Wunder also, dass die Familie in unserem Leben von großer Bedeutung ist. Durch den Vergleich und die Analyse von Testergebnissen, Bildungsentwicklung sowie Risikoverhalten haben psychologische und wirtschaftswissenschaftliche Studien belegt, dass die Familie eine bedeutende Rolle im Hinblick auf das Heranwachsen und die Entwicklung spielt.

Die in der Forschung untersuchte Rolle der Familie umfasst finanzielle wie nicht finanzielle Beiträge zur Entwicklung. Für gewöhnlich wird ein Haushalt (also beide Eltern) als eine Einheit betrachtet, und die Ressourcen werden zusammengefasst. Das ist manchmal praktisch, kann aber zu sehr vereinfachen. So wird beispielsweise nicht zwischen den Eltern unterschieden, also implizit vorausgesetzt, dass Väter und Mütter den gleichen Einfluss auf ihre Kinder haben. Zudem wird angenommen, dass sich Haushalte von Alleinerziehenden mit Zwei-Eltern-Haushalten vergleichen lassen.

In anderen Studien wird nur die Rolle der Mutter untersucht, da man davon ausgeht, dass Mütter insgesamt einen größeren Einfluss haben. Das liegt auch daran, dass das traditionelle Alleinernährer-Modell immer noch vorherrscht, bei dem Männer die Erwerbsarbeit und Frauen die Hausarbeit leisten. Doch dann drängen sich mehrere Fragen auf: Welche Rolle spielt jedes Elternteil im Hinblick auf das Heranwachsen der Kinder? Sind Väter und Mütter diesbezüglich gleichwertig? In welcher Lebensphase ist für ein Kind sein Vater wichtiger, wann wirkt sich der Einfluss der Mutter stärker aus?

In mehreren Ländern gibt es gesetzliche Maßnahmen, um Väter in die Kinderbetreuung aktiv mit einzubeziehen. Das zeigt, dass sich mittlerweile ein größeres Bewusstsein für die Bedeutung der Väter entwickelt hat. Deren Funktion wird nicht mehr auf die Rolle des Ernährers beschränkt. Auch begrenzt sich der wahrgenommene Einfluss der Väter nicht nur auf die ersten Lebensjahre des Kindes. Tatsächlich deuten meine Untersuchungen darauf hin, dass gerade die Zeit, die Väter während Kindheit und Vorpubertät mit ihren Kindern verbringen, eine mäßigende Auswirkung hat: Die Jugendlichen konsumieren weniger Zigaretten, Marihuana und Alkohol.

Dieser generelle Schluss leitet sich aus einer Forschungsarbeit her, die sich auf das Child Development Supplement (CDS) sowie das Programm Transition to Adulthood (TA) der Panel Study of Income Dynamics (PSID) stützt. Die in den USA erhobene PSID ist die am weitesten zurückreichende Langzeitstudie, die es überhaupt gibt. Sie birgt viele wichtige Informationen zur sozioökonomischen und demografischen Situation von Einzelpersonen. CDS und TA untersuchen Kinder und Jugendliche und umfassen mehrere Untersuchungsparameter. Ein großer Vorteil des CDS sind Tageszeit-Journale, in denen die Kinder festhalten, was sie zu bestimmten Tageszeiten mit wem gemacht haben und ob es sich um eine aktive oder um eine passive Beschäftigung handelte. Passive Beschäftigung heißt: Ein Kind beschäftigt sich selbst, während der Elternteil in der Nähe ist, ohne sich zu beteiligen.

In meiner Forschungsarbeit analysiere ich eine Gruppe von Jugendlichen im Alter von 10 bis 21 Jahren - eine Zeit, in der diese anfällig für gesellschaftliche Einflüsse sind. Drei Parameter für Risikoverhalten werden für diese Altersspanne ausgewertet: der Zigarettenkonsum während des vergangenen Monats, der Marihuanakonsum während des vergangenen Monats sowie der Alkoholkonsum während des vergangenen Jahres. Der Einfluss der Eltern wird eingeteilt in die Zeit, die die Teenager mit ihren Müttern und ihren Vätern fünf Jahre zuvor verbracht haben, während der Kindheit sowie der Phase der Vorpubertät.

Unterschiedliche Aggregationen werden aus den Tageszeit-Journalen abgeleitet, die es ermöglichen, quantitative Schlaglichter auf die Zeit, die Eltern und Kinder miteinander verbringen, zu werfen: die Betreuungszeit insgesamt, die weit gefasst wird und aktive wie passive Beteiligung im Zusammenwirken mit anderem Handeln betrachtet, die gesamte quality time (wozu lesen, spielen, Hilfe bei den Hausaufgaben, erzählen und zuhören, helfen und unterrichten, basteln; Mahlzeiten, sportliche Betätigung, der Besuch von Musik-, Theater- oder Tanzvorführungen, Museumsbesuche und die Teilnahme an religiösen Veranstaltungen zählen), gemeinsame Mahlzeiten und verwandte Tätigkeiten, die aktiv betrieben werden, sowie organisierte Tätigkeiten, die aktiv betrieben werden (hierzu zählen ausschließlich Sport, der Besuch von Musik-, Theater- oder Tanzvorführungen, Museumsbesuche und die Teilnahme an religiösen Veranstaltungen). Die Betreuungszeit der Mütter und Väter wird separat untersucht, um einen Vergleich zwischen den jeweiligen Elternrollen zu ermöglichen.

Es überrascht nicht, dass eine vermehrte Elternkontrolle einhergeht mit vermindertem Risikoverhalten der Teenager. Allerdings haben statistische Analysen ergeben, dass vor allem Merkmale des Kindes und der Familie (Geschlecht und Alter des Kindes, sozioökonomischer Status der Familie) bedingen, wie die Betreuung durch ein Elternteil oder beide Eltern und das Risikoverhalten der Teenager zueinander in Beziehung stehen. Einige Faktoren wie zum Beispiel die Einstellungen der Eltern, die sich nicht unmittelbar beobachten lassen, sind möglicherweise ebenfalls relevant. Eine methodische Lösung für dieses Problem liegt darin, Geschwister während eines bestimmten Zeitabraums zu vergleichen, wobei man ihre individuellen Eigenschaften im Auge behält; dieses Vorgehen war mit den von mir verwendeten Daten möglich. Die Ergebnisse zeigen, dass Väter einen hemmenden Einfluss auf das Risikoverhalten von Teenagern haben und im Vergleich zu den Müttern eine größere Rolle spielen. So führt beispielsweise eine Stunde pro Woche, die die Jugendlichen zusätzlich mit ihrer Mutter bei Mahlzeiten verbringen, dazu, dass sich die Wahrscheinlichkeit ihres Zigarettenkonsums um 1,9 Prozentpunkte erhöht. Eine auf ähnliche Weise verbrachte Stunde mit dem Vater senkt die Wahrscheinlichkeit um 2,4 Prozentpunkte. Nimmt man beides zusammen, so ist das Netto-Ergebnis ein verminderter Zigarettenkonsum von 0,5 Prozentpunkten.

Differenziert man die Auswertung nach dem Geschlecht der Teenager, dann ist der mäßigende Einfluss des Vaters auf das Risikoverhalten bei männlichen Jugendlichen stärker. Mehr Zeit im Beisein der Mütter steigert sogar das Risikoverhalten der Jugendlichen. Das Gegenteil gilt jedoch für junge Erwachsene, die etwas älter sind, zwischen 19 und 21 Jahren. Hier mindert mütterliche Betreuungszeit ihr Risikoverhalten, während zusätzliche Zeit, die mit den Vätern verbracht wird, riskante Verhaltenspraktiken steigert. Dies unterstützt die Annahme, dass mit zunehmendem Alter der Einfluss der Familie auf das Kind abnimmt und er oder sie weniger Zeit zu Hause verbringt und mehr Zeit in der Schule, mit Gleichaltrigen oder Freunden.

Wenn man annimmt, dass Teenager, die anfälliger für Risikoverhalten sind, zugleich "problematischer", also zum Beispiel aggressiver im Auftreten sind, deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die Betreuungszeit durch Väter auch unter diesen Jugendlichen ihren entschärfenden Einfluss beibehält.

Schließlich können wir den Einfluss der Eltern je nach sozioökonomischem Status differenzieren. Ein sehr gebildeter Elternteil, der ein höheres Bewusstsein von der schädlichen Auswirkung des Rauchens und Trinkens hat, übt möglicherweise einen anderen Einfluss aus als ein wenig gebildeter Elternteil. Wobei es stimmt, dass sich die zusätzliche Zeit, die Jugendliche aktiv mit einem ihrer beiden Eltern verbringen, präventiv auf ihr Risikoverhalten auswirkt.

Insgesamt zeigt sich deutlich, dass die Väter eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, das Risikoverhalten ihrer jugendlichen Kinder hinsichtlich Zigaretten-, Marihuana- und Alkoholkonsum zu reduzieren. Die Untersuchung verweist auf einige methodische Fragen und hebt zugleich bestimmte Aspekte hervor, die für gesetzliche Regelungen oder Richtlinien relevant sind.


Sarah Grace See ist Postdoctoral Fellow am Collegio Carlo Alberton in Turin. Die Ökonomin forscht über Bildung, Arbeit, Familie und Demografie.
sarahgracesee@gmail.com


Literatur

See, Sarah Grace: "Parental Supervision and Adolescent Risky Behaviors". In: Review of Economics of the Household, July 02, 2014. DOI 10.1007/s11150-014-9254-9.

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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 146, Dezember 2014, Seite 58-60
Herausgeber:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph.D.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. März 2015

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