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MELDUNG/1123: Wachsender Widerstand gegen Profiauftritte bei Olympia (SB)




Profiverbände befürchten Abwanderung namhafter Akteure

Nachdem die Pläne des Weltverbands der Amateurboxer (AIBA), bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro auch Profis zuzulassen, fast schon die Konsistenz einer unumstößlichen Faktenlage angenommen hatten, formiert sich nun immer massiverer Widerstand gegen dieses Vorhaben. So haben sich der Nordamerikanische Boxverband NABF, der Profiverband World Boxing Council (WBC) und die Europäische Boxunion (EBU) entschieden gegen diese Option ausgesprochen und wollen gemeinsam einen Protest formulieren.

Wie es in einer Stellungnahme der NABF heißt, sei Amateurboxen auf den Rückhalt aller Länder angewiesen und sollte nicht an den Rand gedrängt werden, wie dies die AIBA offenbar bei den Olympischen Spielen beabsichtigt. Profiboxen würde ohne den Amateursport gar nicht existieren. Man sei "entschieden dagegen, Profiboxen bei den Olympischen Spielen einzuführen, weil weniger entwickelte Länder einen deutlichen Nachteil hätten".

Als zweites Argument führen die drei Verbände Sicherheitsaspekte an, die eine Disziplin wie Boxen mit sich bringe. Da sich die Athleten gegenseitig schlagen, bestehe erhöhte Gefahr, daß ein unerfahrener Amateur im Kampf gegen einen Profi Verletzungen davontragen könnte. Auch die EBU weist darauf hin, daß Boxen ein gefährlicher Sport sei, in dem professionelle Sportler Gegner aus weniger entwickelten Ländern verletzen könnten. Man habe sich einstimmig dafür ausgesprochen, den Standpunkt des World Boxing Councils zu unterstützen und eine Protestnote gegen eine solche Entwicklung an die AIBA und das Olympische Komitee zu senden. [1]

José Sulaimán, seit 1975 Präsident des im Jahr 1963 gegründeten WBC, das neben der WBA, IBF und WBO zu den vier maßgeblichen Weltverbänden des Profiboxens gehört, kämpft mit harten Bandagen in eigener Sache. Er droht dem Amateurbox-Weltverband AIBA sowie dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und dessen Präsidenten Jacques Rogge mit Klagen. Wie der inzwischen 81jährige Verbandsveteran erklärt hat, erwarte er eine Antwort auf seine Einwände. Sollte diese weiterhin ausbleiben, müßten sich "Herr Rogge, das IOC und die AIBA" auf Klagen einstellen. Er vertrete nicht nur die Interessen des WBC, sondern spreche im Namen aller, die sich gegen die Errichtung von Monopolen wehren.

Vor einigen Wochen hatte sich der WBC-Präsident in schriftlicher Form bei IOC-Präsident Rogge über die jüngsten Pläne der AIBA beschwert. Dabei monierte Sulaimán insbesondere, daß der Amateurverband immer mehr Profis anlocke und diese im Alleingang nach Olympia bringen wolle. Diese Vorgehensweise generiere plötzlich einen riesigen Zuspruch des Amateurlagers, während den Profiverbänden das Wasser abgegraben werde. Offenbar fürchtet Sulaimán, daß das WBC seine Weltmeister und damit seine wichtigste Einnahmequelle an die AIBA verliert, mithin sein Lebenswerk in Gefahr ist.

Seinen Aussagen zufolge soll Rogge der AIBA schriftlich zugesichert haben, daß das IOC voll und ganz hinter der Professionalisierung der AIBA steht. Der scheidende IOC-Chef sieht darin offenbar eine Chance, die angestaubten olympischen Wettkämpfe aufzupolieren. Allerdings ist Rogge demnach auch bekannt, daß die AIBA für ihr neues Profiprogramm noch 130 Millionen Euro benötigt. Da AIBA-Präsident Wu Ching-Kuo eine Kandidatur als Rogge-Nachfolger erwogen hat, wäre im Falle seines Erfolgs das Programm der AIBA nicht mehr aufzuhalten. Es gilt jedoch als unwahrscheinlich, daß Wu Ching-Kuo tatsächlich das Rennen machen könnte. [2]

Wie diese Kontroverse zeigt, sind die angeführten Sachargumente gegen die Professionalisierung des olympischen Boxturniers zwar durchaus bedenkenswert, jedoch im Grunde nur der Schaum auf dem Gebräu konkurrierender Profitinteressen. Die seit Jahrzehnten von schweren Korruptionsfällen, Manipulationsvorwürfen und katastrophalen Fehlentscheidungen geprägte AIBA steht nach wie vor mit dem Rücken an der Wand und träumt vom großen Befreiungsschlag. Ihr derzeit wichtigster Bündnispartner ist Wladimir Klitschko, der sich in den Kopf gesetzt hat, an den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro teilzunehmen und dort seine zweite Goldmedaille nach 1996 in Atlanta zu gewinnen. Wenn der Weltmeister erklärt, es gehe ihm dabei nicht um Geld, sondern um Ruhm, zeugt dies von einem ausgeprägten Instinkt für eine erfolgreiche Selbstinszenierung und -vermarktung.

Nach dem geltenden Reglement der AIBA ist seine Olympiateilnahme schlechterdings unmöglich. Demnach dürfen nur Profis an den Spielen teilnehmen, die das 40. Lebensjahr nicht vollendet und maximal 15 Profikämpfe bestritten haben. Beides trifft für den Ukrainer nicht zu, der bereits 62 Profikämpfe absolviert hat und gut vier Monate vor der Olympiade in Rio de Janeiro 40 Jahre alt wird. Überdies müßte er sich der Profisparte der AIBA anschließen, was für ihn angesichts der Regularien mit hohen finanziellen Aufwendungen verbunden wäre. Hinzu kommt eine begrenzte Anzahl von Startplätzen sowie ein Qualifikationsmodus, so daß er Jahre vor den Spielen nicht mehr für seine eigene KMG-Promotion boxen dürfte.

Dessen ungeachtet zeichnet sich die Bereitschaft der Funktionäre ab, das Unmögliche möglich zu machen. Nach den Ringern fürchten auch die Boxer den olympischen Tod, weshalb unter den bedrohten Sportarten der Druck wächst, sich spektakulär und fernsehtauglich zu präsentieren. Die bloße Diskussion über einen möglichen Auftritt Klitschkos in Rio bescherte dem olympischen Boxen größere Aufmerksamkeit, als diese Disziplin während der gesamten letzten Spiele in London verbuchen konnte. Wladimir sei ein besonderer Botschafter seines Sports. Das wisse auch die AIBA, ist sich Klitschkos Manager Bernd Bönte der Zugkraft des Champions bewußt.

Fußnoten:

[1] http://www.boxen.de/news/immer-mehr-verbaende-gegen-profis-bei-olympia-27132

[2] http://www.handelsblatt.com/boxen-olympia-profiboxer-wollen-rogge-verklagen/8221890.html

19. Juni 2013