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MELDUNG/1458: Tanz um das Goldene Kalb (SB)




Saul "Canelo" Alvarez - Kronprinz von wessen Gnaden?

Wenn die anerkannt besten Boxer des Halbmittelgewichts gegeneinander antreten, um die Frage der Führerschaft zu klären, dieser Kampf jedoch im Mittelgewicht ausgetragen wird, mutet das seltsam an. Saul "Canelo" Alvarez und Erislany Lara hatten sich vor ihrem spektakulären Duell im MGM Grand von Las Vegas auf eine Gewichtsgrenze geeinigt, die ein Pfund über dem Halbmittelgewicht liegt. Solche Abmachungen sind inzwischen gang und gäbe, wenn zwei mehr oder minder prominente Akteure die Kräfte messen und damit ansehnliche Börsen kassieren.

Warum man mitunter um ein einziges Pfund feilscht, ist darauf zurückzuführen, daß in solchen Konstellationen fast immer einer der Kontrahenten vor seinem Auftritt erheblich mehr Gewicht reduzieren muß als der andere. Nach dem offiziellen Wiegen, bei dem Alvarez und Lara im vereinbarten Limit gelegen hatten, machten die beiden einen höchst unterschiedlichen Eindruck. Der Kubaner wirkte frisch, in bester körperlicher Verfassung und wie ein Boxer, der das Kampfgewicht problemlos erreicht hatte. Ganz anders der junge Mexikaner, der wie ein Schatten seiner selbst auftrat. Im Interview mit dem Sender Showtime ließ er typische Symptome einer radikalen Entwässerung erkennen: Er wirkte abwesend, sprach schleppend und atmete schwer, was unter anderem auf eine beeinträchtigte Lungenfunktion durch den übermäßigen Wasserverlust zurückzuführen ist. Das Blut wird dickflüssiger, so daß die Frequenz der Atemzüge zunimmt, um die Zirkulation und damit die Sauerstoffversorgung zu gewährleisten.

Vernünftigerweise hätte Alvarez in dieser Situation etwas Flüssigkeit zu sich nehmen sollen, was er jedoch aus ungeklärten Gründen nicht tat. Daß es ungesund ist, durch Dehydration das Gewicht in kürzesten Fristen zu reduzieren, liegt auf der Hand. Wie viel "Canelo" abkochen mußte, ist nicht bekannt, doch ließ sein Erscheinungsbild auf eine beträchtliche Spanne schließen. Nicht minder gefährlich ist die nachfolgende Rehydration in den verbliebenen Stunden bis zum Kampf am Abend des folgenden Tages, da die Belastung des kardiovaskulären Systems dabei rapide zunimmt. Nichtsportler wären durch eine solche Prozedur akut gefährdet, doch auch Athleten muten ihrem Körper bei solchen Praktiken eine extreme Belastung zu. [1]

Um solche Exzesse einzudämmen, sind einige Verbände dazu übergegangen, vor Titelkämpfen ein Nachwiegen am Morgen des folgenden Tages obligatorisch zu machen. Dabei dürfen die Boxer eine festgelegte Gewichtszunahme seit dem ersten Wiegen nicht überschreiten. Vom Schutz der Gesundheit abgesehen, versucht man des Widersinns Herr zu werden, daß manche Akteure über Nacht derart zulegen, daß sie zum Kampf zwei Gewichtsklassen über ihrem Gegner anzutreten scheinen.

Eine häufig zu beobachtende Folge übermäßigen Abkochens sind konditionelle Schwächen im Kampf, die sich vor allem bei höherer Rundenzahl bemerkbar machen. Saul Alvarez ließ keinen derartigen Einbruch erkennen, wenn man einmal davon absieht, daß er nach einer Dominanz zur Mitte des Kampfes seinem Gegner in den letzten drei Runden wieder die Initiative überlassen mußte. Daß der Mexikaner bereits zum zweiten Mal in Folge im Mittelgewicht antrat, läßt darauf schließen, daß er sein früheres Limit allenfalls unter größten Mühen erreichen kann.

Seit sich Saul Alvarez am vergangenen Wochenende knapp nach Punkten gegen Lara durchgesetzt hat, reißt in den einschlägigen Medien die Kontroverse nicht ab, wie dieser Ausgang des Kampfes einzuschätzen sei. Während das eine Lager erklärt, der Kubaner sei nicht zum Kämpfen gekommen und vor "Canelo" weggelaufen, macht die Gegenpartei geltend, daß Lara den Mexikaner ausgeboxt und die Mehrzahl der klaren Treffer ins Ziel gebracht habe. Alvarez, so argumentieren dessen Kritiker, sei für die Golden Boy Promotions einfach zu wertvoll, um ihn im Zweifelsfall verlieren zu lassen.

Daß der junge Mexikaner volle Rückendeckung erhält, zeigte sich schon vor seiner letztjährigen Niederlage gegen Floyd Mayweather. Damals belegte er in der allerdings unverbindlichen Auflistung der besten Boxer aller Gewichtsklassen vorübergehend den zweiten Platz, obwohl er keinen Gegner der allerersten Garnitur besiegt hatte. Berücksichtigt man, daß damals Sergio Martinez, Wladimir Klitschko und Andre Ward hinter Alvarez eingestuft wurden, kann man diese Rangfolge schwerlich ernst nehmen. [2]

Wenngleich noch nicht feststeht, wann Floyd Mayweather seine Karriere beendet und damit die Führungsposition der gesamten Branche räumt, läßt Oscar de la Hoya nichts unversucht, Saul Alvarez zum Nachfolger aufzubauen. Zwar hat "Canelo" bislang nur gegen Mayweather verloren, doch zeigte sich dabei in aller Deutlichkeit, daß er im Kampf mit den technisch versiertesten Gegnern einen schweren Stand hat. Der Mexikaner begeistert die hispanischen Fangemeinde, die maßgeblich zu den Umsätzen der Branche beiträgt. Sollte das Boxgeschäft den Tanz um das Goldene Kalb jedoch zu seiner Ultima ratio machen, ohne wie im Falle Floyd Mayweathers wenigstens außergewöhnliches Können im Ring vorzuhalten, käme dies einem tiefen Schnitt ins eigene Fleisch gleich.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2014/07/weights-canelo-155-lara-155/#more-178845

[2] http://www.boxingnews24.com/2014/07/canelo-proves-hes-the-best-170-pounder-in-the-junior-middleweight-division/#more-179086

18. Juli 2014