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MELDUNG/1494: Boxen ist kein Marathonlauf (SB)




Manny Pacquiao und Chris Algieri auf Pressetour

Am 22. November verteidigt Manny Pacquiao den Titel der WBO im Weltergewicht im Venetian Resort Hotel in Macao gegen Chris Algieri. Der US-Amerikaner hat sich bei seinem letzten Auftritt durch einen Punktsieg über den favorisierten Ruslan Prowodnikow den WBO-Gürtel im Halbweltergewicht gesichert und will nun einen zweiten Titel im höheren Limit erringen. Zur Bewerbung ihres Duells haben Pacquiao und Algieri den ersten Termin einer Pressetour absolviert, die sie durch sechs Städte führt.

Wie der Philippiner dabei hervorhob, habe sein kommender Gegner bei dem Erfolg im Juni eine außergewöhnliche Leistung geboten. Ihn beeindrucke Algieris gleichsam wissenschaftliche Herangehensweise an das Training und den Kampf. Es handle sich möglicherweise um den klügsten und körperlich bestvorbereiteten Kontrahenten, mit dem er es je zu tun bekommen habe, und das mache Algieri so gefährlich. Zugleich unterstrich Pacquiao, welch harter Arbeit es bedurft hatte, um den Titel im Weltergewicht wiederzugewinnen. Er werde mit einer intensiven Vorbereitung die Voraussetzungen dafür schaffen, auch nach diesem Kampf Weltmeister zu sein.

Klugheit im landläufigen Sinn kann man Chris Algieri tatsächlich nicht absprechen, da er einen Bachelor-Abschluß in Gesundheitsmanagement und einen Master in Klinischer Ernährung vorzuweisen hat. Solche akademischen Qualifikationen sind unter Weltklasseboxern dünn gesät, wobei sich natürlich die Frage stellt, inwieweit Kenntnisse über Ernährung und Körperfunktionen dazu beitragen können, einen Gegner zu besiegen, der bereits Weltmeister in acht verschiedenen Gewichtsklassen war und seit Jahren zu den herausragendsten Akteuren der Branche zählt.

Da nach der Ankündigung dieses Kampfs Unmut laut wurde, weil die Mehrzahl der Experten bezweifelte, daß der noch vor wenigen Monaten weithin kaum bekannte Herausforderer eine nennenswerte Chance gegen Pacquiao hat, zieht Promoter Bob Arum alle Register, den Amerikaner verbal aufzuwerten. Wenngleich Pacquiao Schnelligkeit und Schlagwirkung auf einzigartige Weise verbinde, könne ihm Algieri dennoch mit seinen geschwinden und präzisen Schlägen das Leben schwermachen. In dieser Schlacht zweier Weltmeister werde man erleben, wie der unablässige Angriffsdruck des Philippiners auf die lasergleichen Aktionen des Herausforderers treffe.

Unbeeindruckt zeigt sich Pacquiaos Trainer Freddie Roach, der auch Ruslan Prowodnikow unter seinen Fittichen hat. Wie er einräumt, habe er Algieri im Juni unterschätzt, doch werde er sich diesen Fehler kein zweites Mal leisten. Seines Erachtens läuft der Amerikaner aber viel zuviel weg, da er offenbar Boxen mit einem Marathonlauf verwechsle. Das werde ihm jedoch im Falle des Philippiners nichts nützen, der ihm den Weg abschneiden und ihn früher oder später stellen könne. [1]

Was bei der Pressekonferenz in Macao sofort ins Auge stach, war der enorme Größenunterschied dieser Boxer. Die beiden haben sich zwar auf eine Gewichtsgrenze von knapp über 65 kg geeinigt, doch überragt der 1,78 m messende Herausforderer den 9 cm kleineren Titelverteidiger deutlich. Pacquiao merkte denn auch an, daß die Schwierigkeit für ihn vor allem darin bestehen werde, mit einem so hochgewachsenen Kontrahenten klarzukommen.

Der Philippiner hat es im Laufe seiner Karriere schon des öfteren mit erheblich größeren Gegnern zu tun gehabt. Das galt insbesondere für Oscar de la Hoya (2008) und Antonio Margarito (2010), die jedoch aufgrund eines erheblichen Gewichtsverlusts im Vorfeld des Kampfs so geschwächt waren, daß sie schon aus diesem Grund Pacquiao nicht standhalten konnten. De la Hoya hatte sein Gewicht mittels einer strengen Diät von fast 70 kg auf 66 kg reduziert und war körperlich nur noch ein Schatten besserer Tage. Margarito konnte keinen Druck entfalten und bewegte sich noch langsamer als zuvor. Zudem nutzte er seine Reichweitenvorteile nicht und boxte dicht am Gegner, womit er dem Philippiner ins offene Messer lief. [2]

Im Gegensatz dazu bleibt Chris Algieri nicht vor dem Gegner stehen, sondern bewegt sich sehr viel und schlägt vorzugsweise aus der Distanz, so daß Pacquiao diesen mobilen und konditionsstarken Kontrahenten zuerst einmal in die Enge treiben und stellen muß, was ihn beträchtlichen Aufwand kosten dürfte. Ruslan Prowodnikow legte es vergeblich darauf an, Algieri irgendwann mit einem Volltreffer endgültig von den Beinen zu holen. Freddie Roach wird seinem Boxer diesmal einschärfen, diesen Herausforderer nicht ständig weglaufen und aus der Distanz punkten zu lassen. Da Pacquiao in Verfolgung seiner Gegner wesentlich agiler als Prowodnikow boxt und zudem als vergleichsweise kleiner Weltergewichtler ohnehin mit dem Größenproblem vertraut ist, dürfte sich das Duell anders entwickeln als Algieris Titelgewinn im Juni.

Bob Arum ist sich dieser Konstellation bewußt und greift daher tief in die Mottenkiste der Boxgeschichte, um eine Parallele zu konstruieren, die den Kampf in Macao attraktiver erscheinen läßt. Auf der Pressekonferenz bemühte er einen Vergleich mit den beiden legendären Duellen zwischen Jack Dempsey und Gene Tunney in den Jahren 1926 und 1927, als der wegen seiner Schlagwirkung gefürchtete Dempsey von dem Techniker Tunney erfolgreich ausgeboxt wurde. Vor ihrer ersten Begegnung habe niemand dem leichteren Herausforderer eine Chance gegeben, und doch sei es diesem gelungen, sensationell Weltmeister zu werden und wenige Monate später bei der Revanche auch zu bleiben. Manny Pacquiao müsse daher auf der Hut sein, daß sich die Geschichte nicht wiederholt, so der Promoter.

Dieser Vergleich ist jedoch an den Haaren herbeigezogen, da Dempsey beim ersten Kampf längst ein reicher Mann mit entsprechendem Lebensstil war und drei Jahre nicht mehr im Ring gestanden hatte. Er war körperlich nicht in der Verfassung, es mit einem gefährlichen Gegner wie Tunney aufzunehmen. Auf die Revanche hatte sich Dempsey besser vorbereitet und so schickte er seinen Vorgänger denn auch in der siebten Runde auf die Bretter. Da ihm die erst kurz zuvor eingeführte Regel offenbar nicht geläufig war, in einer solchen Situation sofort die neutrale Ecke aufzusuchen, blieb er zunächst abwartend stehen. Der Ringrichter schickte ihn daraufhin zuerst in die Ecke, bevor er Tunney anzuzählen begann, der die zusätzliche Erholungszeit nutzte, um rechtzeitig wieder aufzustehen und letztendlich auch ihr zweites Duell nach Punkten zu gewinnen. [3]

Pacquiao ist durch seine Erfolge im Ring zwar ebenfalls wohlhabend geworden, hat aber keine Pause eingelegt und boxt zudem anders als Dempsey. Letzteres gilt auch für Algieri im Vergleich zu Tunney, so daß Arum für diese beiden mit der dürftigen Parallele hausieren muß, auch Gene Tunney habe einen akademischen Abschluß gehabt. Unter dem Strich hat sich nach der ersten Pressekonferenz nichts an der naheliegenden Einschätzung geändert, daß Chris Algieri kaum zwölf Runden lang vor Manny Pacquiao weglaufen kann und sich daher nach 20 Siegen auf seine erste Niederlage gefaßt machen muß.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2014/08/pacquiao-says-algieri-is-his-most-dangerous-opponent/#more-180911

[2] http://www.boxingnews24.com/2014/08/pacquiao-concerned-about-algieris-height-and-reach/#more-180923

[3] http://www.boxingnews24.com/2014/08/arum-compares-pacquiao-algieri-to-dempsey-tunney-fight/#more-180929

28. August 2014