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MELDUNG/1526: Im Zwangskorsett überzogener Erwartungen (SB)




Britischer Schwergewichtler Anthony Joshua unter Druck

Wenngleich er sich erst im Alter von 18 Jahren diesem Sport zu widmen begann, war der 1,98 m große britische Schwergewichtler Anthony Joshua ein erfolgreicher Amateurboxer, der es bis zur Vizeweltmeisterschaft und einem Olympiasieg 2012 in London brachte. Im Oktober 2013 wechselte er zu Matchroom ins Profilager, wo er seither acht Kämpfe bestritten und alle vorzeitig gewonnen hat. Promoter Eddie Hearn sieht in dem 24jährigen bereits einen künftigen Champion und läßt nichts unversucht, ihn ins Gespräch zu bringen. Das könnte dazu beitragen, das mühselige Unterfangen zahlreicher unergiebiger Aufbaukämpfe abzukürzen, droht aber zugleich überzogene Erwartungen zu wecken und einen fundierten Lernprozeß zu durchkreuzen.

Am Samstag trifft Joshua in der Londoner O2 Arena im Kampf um den vakanten internationalen Titel des WBC auf den Kasachen Denis Bachtow, dessen Bilanz bei 38 Siegen und neun Niederlagen steht. Hearn hat es offenbar darauf abgesehen, seinen jungen Boxer in der WBC-Rangliste zu plazieren und sich damit ungewöhnlich früh in dessen Laufbahn auf die Schiene festzulegen, an deren Ende nicht Wladimir Klitschko wartet. Derzeit hält bekanntlich der Kanadier Bermane Stiverne den Titel des WBC, während Deontay Wilder als Pflichtherausforderer nach wie vor nicht weiß, wann und wo es endlich zu diesem Kampf kommt. Wilders Promoter Oscar de la Hoya sind die Hände gebunden, solange auf der Gegenseite Don King den Abschluß des Vertrags verzögert und der Verband die Verlängerung der festgesetzten Frist duldet.

Wilders Berater Al Haymon hat seinem in 32 Kämpfen ungeschlagenen Boxer größtenteils zweit- oder drittklassige Gegner vorgesetzt. Die gefährlichsten Kontrahenten waren bislang Audley Harrison und Malik Scott, so daß niemand weiß, wie es um die Nehmerqualitäten des hünenhaften US-Amerikaners bestellt ist. Da er alle Auftritte innerhalb der ersten vier Runden gewonnen hat, ist noch niemand dazu gekommen, seine Kondition und Standfestigkeit über eine längere Strecke auf die Probe zu stellen. Bermane Stiverne ist demgegenüber ein echter Prüfstein, da er zweifellos zu den weltbesten Schwergewichtlern gehört und selbst über enorme Schlagwirkung verfügt.

Anthony Joshua ist derzeit noch weit von einem Kampf um die Weltmeisterschaft entfernt. Kritiker bemängeln seine steife und bisweilen roboterhafte Bewegungsweise, wogegen man natürlich einwenden könnte, daß dasselbe Manko die Klitschkos nicht daran gehindert hat, die Schwergewichtsszene ein Jahrzehnt lang zu dominieren. Außerdem ist der junge Brite ja dabei, zu lernen und sich zu entwickeln, wie er das jüngst als Sparringspartner Wladimir Klitschkos getan hat. [1]

Der 34 Jahre alte Denis Bachtow hat 38 Kämpfe gewonnen und neun verloren, wobei er im vergangenen Jahr keine vollen fünf Runden mit Manuel Charr überstand. Verloren hat der Kasache auch gegen Andrzej Wawrzyk, Viatscheslaw Glatskow und Alexander Ustinow, so daß ein Sieg über Danny Williams sein einziges nennenswertes Ruhmesblatt ist. Für Anthony Joshua ist dieser Gegner zwar ein Fortschritt gegenüber seinem letzten Opfer Konstantin Airich, aber auf jeden Fall eine lösbare Aufgabe.

Wahrscheinlich macht der Brite kurzen Prozeß, da er nur zwei Wochen später seinen nächsten Kampf bestreiten will. Am 22. November wird er in Liverpool im Vorprogramm des Duells der beiden britischen Cruisergewichtler Nathan Cleverly und Tony Bellew im Bezahlfernsehen auftreten und dabei recht gut verdienen. Um diese Option nicht zu gefährden, darf er sich im Kampf gegen Bachtow keine Gesichtsverletzung einhandeln, deren Heilungsprozeß länger als die zweiwöchige Frist in Anspruch nehmen würde. In Liverpool bestreitet Joshua gegen den Veteranen Michael Sprott einen Ausscheidungskampf, dessen Sieger im nächsten Jahr um den britischen Titel boxt.

Eddie Hearn würde Joshua gerne Ende nächsten Jahres in einem Fußballstadion gegen den früheren Weltmeister David Haye kämpfen lassen, für den dieses Duell jedoch überhaupt keinen Sinn machen würde. Haye träumt davon, noch einmal Champion zu werden, was ihm nach Lage der Dinge allenfalls mit einem Sieg über Ruslan Tschagajew gelingen könnte, den regulären Weltmeister der WBA. Hearn geht es mit solchen Spekulationen ohnehin nur darum, Joshua mit den namhaftesten britischen Schwergewichtlern in Verbindung zu bringen, und so nennt er auch Tyson Fury, Dereck Chisora und David Price als weitere mögliche Gegner im kommenden Jahr. Anthony Joshua werde sie einen nach dem andern besiegen und so das Feld von hinten aufrollen. [2]

Daß Promoter Frank Warren entweder Fury oder Chisora gegen Joshua kämpfen läßt, ist höchst unwahrscheinlich. Die beiden treffen am 29. November in London zu einem Ausscheidungskampf der WBO aufeinander, dessen Sieger neuer Pflichtherausforderer Wladimir Klitschkos bei diesem Verband wird. Auch den Verlierer kann der britische Titel nicht reizen, den selbst David Price längst hinter sich zurückgelassen hat. Folglich wird Anthony Joshua im Frühjahr höchstwahrscheinlich auf Richard Towers treffen, der vierzehn Kämpfe gewonnen und einen verloren hat. Zuvor muß er natürlich Denis Bachtow und Michael Sprott besiegen, was ihm aber ohne allzu große Probleme gelingen sollte.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2014/10/anthony-joshua-attempts-to-break-onto-the-international-scene-this-saturday/#more-182787

[2] http://www.boxingnews24.com/2014/10/hearn-wants-to-match-anthony-joshua-against-haye-in-2015-in-stadium-fight/#more-182817

10. Oktober 2014