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MELDUNG/1766: Über den Tisch gezogen (SB)



WBO erkennt Demetrius Andrade den Titel ab

Die WBO hat Demetrius Andrade den Titel im Halbmittelgewicht aberkannt, da er ihn seit vierzehn Monaten nicht verteidigt hatte. Der Entscheidung des Verbands war vor zwei Wochen die Androhung dieses Schritts vorausgegangen, sollten Andrade und seine Co-Promoter Artie Pelullo (Banner Promotions) und Joe DeGuardia (Star Boxing) den Nachweis konkreter Pläne für einen Kampf schuldig bleiben. Laut den Statuten der WBO kann ein Titel für vakant erklärt werden, sollte ihn der Weltmeister nicht binnen neun Monaten verteidigen.

Der 27 Jahre alte Andrade aus Providence, Rhode Island, gehörte 2008 der US-amerikanischen Olympiamannschaft an und wurde im Profilager durch einen Punktsieg über Vanes Martirosian im November 2013 Champion der WBO. Bei seiner ersten und einzigen Titelverteidigung setzte er sich im Juni 2014 gegen den britischen Pflichtherausforderer Brian Rose in der siebten Runde durch, womit er in 21 Kämpfen ungeschlagen blieb. Daraufhin schienen ihm alle Türen offenzustehen, und so erhielt er das Angebot, für die bis dahin höchste Börse seiner Karriere von 550.000 Dollar am 13. Dezember im MGM Grand in Las Vegas gegen Jermell Charlo anzutreten. Überdies sollte dies der erste von insgesamt drei Kämpfen im Rahmen eines Vertrags mit dem Sender Showtime sein.

Demetrius Andrade wies dieses attraktive Angebot jedoch zurück. Die Hintergründe dieser überraschenden Entscheidung werden in einem Rechtsstreit zur Sprache kommen, den Pelullo und DeGuardia vor wenigen Tagen angestrengt haben. In ihrer Klage vor dem New York Supreme Court fordern sie 20 Millionen Dollar plus Schadenersatz von dem Unternehmen Roc Nation Sports des prominenten Rapmusikers Jay Z. Wie es in der Klageschrift heißt, habe sich Roc Nation Sports in ihren Exklusivvertrag als Promoter Andrades eingemischt und versprochen, den Boxer unter Vertrag zu nehmen, sobald die Modalitäten ausgehandelt seien, ihn aus seinem laufenden Kontrakt mit Banner Promotions und Star Boxing herauszukaufen. Andrade ließ sich demnach darauf ein, zumal ihm eine Zahlung in Höhe von 550.000 Dollar versprochen wurde, und lehnte sowohl den Kampf gegen Charlo als auch den Vertrag mit Showtime ab. [1]

Roc Nation Sports war im August letzten Jahres erstmals als neuer Akteur im Boxgeschäft in Erscheinung getreten und hatte begonnen, prominente Akteure unter Vertrag zu nehmen. Damit stand das Unternehmen insbesondere in Konkurrenz zu dem einflußreichen Berater Al Haymon, der ebenfalls aus der Musikbranche kommt und mit seinem innovativen Geschäftsmodell die alteingesessenen Promoter ins Abseits zu drängen droht. Da Haymon mit dem Sender Showtime zusammenarbeitet und Jermell Charlo unter Vertrag hat, versuchte Roc Nation Sports offenbar, Andrades Zusammenarbeit mit dem Konkurrenten zu verhindern.

In der Klageschrift wird geltend gemacht, daß Pelullo und DeGuardia zwei Millionen Dollar für die Abtretung ihrer Rechte an Andrade in Aussicht gestellt wurden, während der Boxer einen lukrativen Vertrag mit dem Sender HBO erhalten sollte. Zudem hätten die Beklagten die falsche Furcht geschürt, Al Haymon verfüge bei Showtime über zu großen Einfluß, was einen fairen Umgang mit Andrade verhindern würde. [2]

Warum die Verhandlungen mit Roc Nation Sports letztendlich im Sande verliefen und das Unternehmen nach Angaben Pelullos und DeGuardias keines seiner Versprechen einlöste, ist ungewiß. Jedenfalls standen Andrade und seine beiden Promoter plötzlich mit leeren Händen da, worauf man sich wieder zusammenraufte und fieberhaft versuchte, andere Kämpfe auszuhandeln. Als mögliche Optionen waren ein Auftritt in Connecticut, einer gegen Anthony Mundine in Australien sowie ein dritter mit Liam Smith im Frühherbst im Gespräch. Die WBO lehnte jedoch eine Titelverteidigung gegen Mundine ab, da dieser nicht unter den Top 15 des Verbands geführt wird. Und da auch die anderen beiden Möglichkeiten offenbar noch nicht allzu weit gediehen waren, zog der Verband die angedrohten Konsequenzen.

Die beiden Promoter zeigen sich natürlich angesichts der Entscheidung der WBO tief enttäuscht, zumal sie große Anstrengungen unternommen hätten, Andrade einen Titelkampf zu verschaffen. Die lange Inaktivität des Boxers hänge ursächlich mit den Umständen zusammen, die man in der Klage gegen Roc Nation Sports ausführe. Man werde nichts unversucht lassen, Andrade wieder zum Weltmeister zu machen.

Wie die WBO mitteilte, habe sie bei ihrer Entscheidung die in der Klage erhobenen Vorwürfe durchaus berücksichtigt. Diese machten jedoch Andrades Versäumnis nicht wett, dem Reglement des Verbands zu entsprechen. Man habe sich in seinem Fall ohnehin sehr großzügig gezeigt, könne nun aber nicht länger zögern. Wenngleich man Andrades Potential als Boxer, seine Fähigkeit als Champion wie auch den Umstand, daß er möglicherweise als Weltmeister schlecht beraten worden sei, in Betracht ziehe, sei man doch an die eigenen Regeln gebunden.

Demetrius Andrade bleiben zwei Wochen Zeit, Einspruch bei der WBO einzulegen, doch wäre dies sicher wenig aussichtsreich. Da Dan Rafael von ESPN, der über diese Vorgänge berichtet hat, zwar die Klageschrift einsehen und mit den beiden Promotern sprechen konnte, jedoch noch keine inhaltliche Stellungnahme von Roc Nation Sports bekommen hat, scheint der große Bogen klar zu sein, jedoch manches Detail einer weiteren Klärung zu harren. Andrade und sein Team haben einen beträchtlichen finanziellen Verlust erlitten, den Titel verloren und sitzen derzeit zwischen allen Stühlen: Al Haymon und Showtime brüskiert, kein Vertrag mit HBO in Aussicht und ohne den Gürtel des Champions in einer sehr viel schlechteren Verhandlungsposition als zuvor. Wissenswert bleibt natürlich insbesondere, was Roc Nation Sports zum Rückzug veranlaßt hat. Darüber sollte der Prozeß Aufschluß geben.


Fußnoten:

[1] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/13358310/demetrius-andrade-stripped-junior-middleweight-world-title-wbo-due-inactivity

[2] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/13351263/demetrius-andrade-promoters-file-suit-jay-z-roc-nation-sports

4. August 2015


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