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MELDUNG/1771: Weder Fisch noch Fleisch (SB)



Antonio Tarver und Steve Cunningham trennen sich unentschieden

Obgleich als Hauptkampf der Veranstaltung in Newark, New Jersey, angekündigt, stand das Schwergewichtsduell mit Antonio Tarver und Steve Cunningham doch im Schatten der spektakulären Ringschlacht zwischen den Cruisergewichtlern Marco Huck und Krzysztof Glowacki. Was die beiden zuvor an spannungsgeladenem Boxen geboten hatten, legte die Latte an diesem Abend in unerreichbare Höhe. Als Tarver und Cunningham dann auch noch träge starteten, ließen die 5843 zahlenden Zuschauer ihrem Unmut freien Lauf. Wenngleich das Geschehen im Ring später doch noch Fahrt aufnahm und sich zu einem recht ansehnlichen Kampf entwickelte, korrespondierte das letztendliche Unentschieden (115:113, 113:115, 114:114) doch mit dem unbefriedigenden Eindruck, weder Fisch noch Fleisch vorgesetzt bekommen zu haben.

Der 46jährige Tarver aus Tampa, Florida, war vor einigen Jahren Weltmeister im Halbschwergewicht. Der sieben Jahre jüngere Cunningham aus Philadelphia kann auf zwei Regentschaften als Champion im Cruisergewicht zurückblicken. Beide haben den Zenit ihrer Karriere längst überschritten und möchten sich im Schwergewicht als mögliche Herausforderer eines Weltmeisters ins Gespräch bringen. Obgleich sie eine Niederlage abwendeten, die ihre Pläne wohl endgültig durchkreuzt hätte, hilft das Ergebnis doch keinem von beiden wirklich weiter.

Antonio Tarver haderte denn auch heftig mit dem Unentschieden und warf den Punktrichtern vor, seine vorzügliche Deckungsarbeit und die Dominanz im Ring nicht angemessen gewürdigt zu haben. Schließlich habe er die härteren Schläge ins Ziel gebracht, das Tempo diktiert und bis zum Ende konditionell mitgehalten. Er habe die Schläge seines Gegners kaum gespürt, fleißig mit dem Jab gearbeitet und alles Erforderliche getan, um die Oberhand zu behalten. Seines Erachtens habe er gewonnen und könne deshalb das Resultat nicht akzeptieren.

Ähnlich, wenngleich weniger entrüstet, stellte auch Cunningham die Wertung in Frage. Für seine Leistung brauche er sich nicht zu schämen, doch sehe er keinen Grund, sich nun wie ein enttäuschtes Kind zu beklagen. Er werde sich mit seinem Team und seiner Familie zusammensetzen und in aller Ruhe die nächsten Schritte beraten. Promoter Lou DiBella zog mit den Worten Bilanz, nach dem bislang aufregendsten Kampf dieses Jahres und dem sensationell anmutenden Titelverlust Marco Hucks hätten die beiden Schwergewichtler älteren Jahrgangs schlichtweg vor dem unlösbaren Problem gestanden, den hochgespannten Erwartungen des Publikums zu genügen.

Der in der Rechtsauslage boxende Tarver brachte in der vierten und fünften Runde wuchtige Schläge ins Ziel, die Cunninghams rechte Augenpartie anschwellen ließen. Da Cunningham aggressiver zu Werke ging, Tarver jedoch die gefährlicheren Einzeltreffer erzielte, wogte das Geschehen hin und her. Antonio Tarver hatte seine beste Szene, als er den Gegner im neunten Durchgang in der Ecke festsetzte und heftig traktierte. In der elften Runde mußte Cunningham wiederum einen schweren Treffer verdauen, worauf er in der Schlußrunde noch einmal zulegte, jedoch wenige Sekunden vor dem Schlußgong erneut Tarvers Linke zu spüren bekam.

Während für Antonio Tarver, der wie sein Gegner eine Börse von 250.000 Dollar erhielt, nun 31 Siege, sechs Niederlagen und ein Unentschieden zu Buche stehen, kann Steve Cunningham mit 28 gewonnenen und sieben verlorenen Auftritten sowie einem unentschieden gewerteten Kampf aufwarten. Lou DiBella schloß eine Revanche mit der Einschätzung aus, daß für beide vielleicht noch ein letzter bedeutender Auftritt von Interesse sein könne. Vor allem Tarver habe angesichts seines Alters und seiner Verdienste einen Titelkampf verdient. Ein Duell mit Deontay Wilder wäre sicher unterhaltsam. Antonio Tarver stimmte mit DiBella überein, daß ein Rückkampf gegen Cunningham keinen Sinn mache. Der sei zwar ein zäher Bursche, aber von einem 46jährigen lektioniert und fast auf die Bretter geschickt worden. [1]

Deontay Wilder, der den Kampf mit Interesse verfolgt hatte, zollte Antonio Tarver Respekt für dessen Durchhaltevermögen gegen den jüngeren und schnelleren Cunningham. Zugleich unterstrich der WBC-Weltmeister jedoch, daß Tarver gegen ihn keine Chance hätte, über die volle Distanz zu gehen. Wilder, der in 34 Profikämpfen ungeschlagen ist und 33 von ihnen vorzeitig gewonnen hat, würde mit diesem wesentlich älteren Veteranen höchstwahrscheinlich kurzen Prozeß machen, da er ihm an Größe, Schnelligkeit und Schlagwirkung weit überlegen ist.

Der WBC-Champion verteidigt seinen Titel aller Voraussicht nach am 26. September in Birmingham, Alabama, gegen Johann Duhaupas. Der an Nummer zwölf der WBC-Rangliste geführte Franzose hat 32 Kämpfe gewonnen und zwei verloren. Er gilt als talentiert und machte in seinen letzten beiden Auftritten eine guter Figur. Manuel Charr besiegte er über zehn Runden nach Punkten, und seine Niederlage gegen Erkan Teper fiel knapper aus, als es die Wertung wiedergab. Duhaupas war versierter und boxte seinen Gegner aus, der jedoch härter zuzuschlagen verstand.

Wilder hat mit diesem Herausforderer eine gute Wahl getroffen, zumal es ihm um die Vorbereitung auf einen Kampf gegen Wladimir Klitschko geht. Der Ukrainer muß sich allerdings am 24. Oktober in Düsseldorf gegen den Briten Tyson Fury durchsetzen, während dem US-Amerikaner noch eine Pflichtverteidigung gegen Alexander Powetkin ins Haus steht. Der Russe gehört zu den gefährlichsten Titelaspiranten, ist aber bereits an Klitschko gescheitert.

Sollte sich Deontay Wilder gegen Duhaupas, Powetkin und Klitschko durchsetzen, wäre er der unangefochtene Weltmeister aller Verbände im Schwergewicht und stiege zu einem herausragenden Star des zeitgenössischen Sports auf. Gegner wie Tyson Fury und dessen Cousin Hughie Fury, Anthony Joshua und Dillian Whyte, dazu Bryant Jennings, Kubrat Pulew und Mike Perez dürften keine ernsthafte Gefahr für Wilder darstellen, der eine lange Regentschaft in der Königsklasse des professionellen Boxsports etablieren könnte. [2]


Fußnoten:

[1] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/13441895/antonio-tarver-steve-cunningham-fight-split-draw-heavyweight-bout

[2] http://www.boxingnews24.com/2015/08/deontay-wilder-theres-no-way-tarver-would-hang-in-there-with-the-bronzebomber/#more-197596

18. August 2015


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