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MELDUNG/1778: Ein Pfau auf dem absteigenden Ast (SB)



Roy Jones träumt vom Titelkampf im Cruisergewicht

Roy Jones jun. galt von 1994 bis 2004 als bester Boxer aller Gewichtsklassen und wurde Weltmeister im Mittel-, Supermittel-, Halbschwer- und Schwergewicht. Daß er seine Laufbahn auch dann noch fortsetzte, als seine früheren Fähigkeiten schwanden und er in zunehmendem Maße von seinem ehemals legendären Nimbus zehren mußte, stellt die Erinnerung an seine damalige Ausnahmestellung in den Schatten eines quälend in die Länge gezogenen Niedergangs, dessen Ende nicht abzusehen ist. Während Bernard Hopkins noch im Alter von 49 Jahren Weltmeister im Halbschwergewicht war und sich nur dem überragenden Sergej Kowaljow beugen mußte, schlägt sich Jones mit bestenfalls zweitklassiger Konkurrenz herum und träumt dennoch von einem Titel im Cruisergewicht.

Der 46jährige brachte sich selbst als Herausforderer Marco Hucks ins Gespräch, als dieser noch WBO-Weltmeister war, die USA im Sturm erobern wollte und nicht abgeneigt schien, von der nach wie vor nicht erloschenen Prominenz dieses Gegners zu profitieren. Zuvor gedachte er jedoch, den ungeschlagenen polnischen Pflichtherausforderer Krzysztof Glowacki aus dem Weg zu räumen. Jones saß am 14. August in Newark, New Jersey, als interessierter Beobachter am Ring, als sich die Kontrahenten einen spektakulären Schlagabtausch lieferten, der nach einhelliger Einschätzung der Zuschauer und Experten eine Anwartschaft auf den Kampf des Jahres rechtfertigte. Der Pole erwies sich als ebenbürtiger Gegner und überstand selbst einen Niederschlag, um schließlich den Spieß umzudrehen und Huck in der elften Runde auf die Bretter zu schicken.

Dessen ehemaliger Trainer Ulli Wegner, der die Trennung seines Schützlings von Sauerland Event bedauert und vergeblich gehofft hatte, es ließe sich ein Arrangement zur Fortsetzung ihrer Zusammenarbeit finden, wurde als Kommentator eines Fernsehsenders Zeuge des Debakels. Zu seinem Leidwesen schien Huck vergessen zu haben, was er ihm unter jahrelangen Mühen beigebracht hatte, boxte der Titelverteidiger doch in der entscheidenden Phase offen wie ein Scheunentor. Als könne nichts und niemand seine entfesselte Angriffswucht überstehen, vernachlässigte er die Deckung, wofür ihn der nicht minder schlagstarke Pole hart bestrafte.

Roy Jones, der seine Felle unversehens davonschwimmen sah, machte umgehend seine Ansprüche geltend, anstelle Hucks den neuen WBO-Champion herauszufordern. Wie er alle Welt wissen ließ, habe er Glowacki noch in derselben Nacht angerufen und ihm mitgeteilt, daß er den Gürtel haben wolle. Der Pole habe Huck den Titel abgejagt und müsse sich ihm stellen, damit er sich holen könne, was ihm gehöre, so der US-Amerikaner. Daß man mit Bescheidenheit im Leben nicht weiterkomme, war seit jeher die Maxime des ehemaligen Ausnahmeboxers, der auf dem absteigenden Ast noch immer so argumentiert, als sei er der Nabel der Boxwelt. Diese Strategie entbehrt nicht einer gewissen Ratio, da Jones auf regulärem Weg unmöglich zum Titelaspiranten aufsteigen könnte. Ob er sich jedoch mit kühlem Kalkül ins Gespräch bringt oder am Ende doch selber glaubt, was er von sich gibt, ist ungewiß.

Auf welchem Niveau Roy Jones derzeit seine engen Kreise zieht, zeigte sich nur zwei Tage später, als er in Connecticut selber in den Ring stieg und den weithin unbekannten Clubboxer Eric Watkins nicht ohne Mühe in der sechsten Runde besiegte. Damit verbesserte er seine Bilanz auf 62 Siege und acht Niederlagen, wobei er sich schon seit geraumer Zeit vorzugsweise von Fallobst nährt. Im März hatte er binnen 22 Tagen zwei schwache Gegner besiegt, am 29. August nimmt er sich auf der niederländischen Karibikinsel Sint Maarten den 42jährigen Danny Santiago vor. Darauf soll bereits am 12. September in Liverpool der ebenfalls 42 Jahre alte Tony Moran folgen, der erst 21 Kämpfe bestritten und davon sechs verloren hat.

Moran, der natürlich trotz seines Heimvorteils als krasser Außenseiter gilt, macht sich nichts vor. Ihm sei natürlich klar, wer die Attraktion und wer das Anhängsel sei. Dennoch werde er in den Ring steigen, sein Bestes geben und sich keinesfalls freiwillig hinlegen. Sein Leben habe in den letzten drei Jahren einem Alptraum geglichen, weshalb er diese große Chance, es zum Besseren zu wenden, mit aller Kraft nutzen wolle. Er halte sich für einen guten Mann, der in eine böse Lage geraten sei, und betrachte den Kampf als wundersames Geschenk, wieder Fuß zu fassen und den Menschen in seinem Umfeld das Bestmögliche zu geben.

Wenngleich dieses Bekenntnis nicht darüber hinwegtäuschen kann, wie ungleich die Chancen verteilt sind, ist doch zumindest nicht völlig ausgeschlossen, daß Roy Jones einen Stolperstein unterschätzt. Der US-Amerikaner denkt längst über den Tag hinaus und verkündet großspurig, er werde es Danny Santiago und zwei Wochen später Tony Moran besorgen. Wer danach an die Reihe kommt, werde sich zeigen, denn schließlich müsse doch irgend jemand einem 46jährigen wie ihm eine Titelchance gewähren. [1]

Daß es ausgerechnet der in 25 Kämpfen ungeschlagene Glowacki sein könnte, ist Roy Jones nicht zu wünschen. Würde der 17 Jahre jüngere Pole auch nur annähernd so stark boxen wie gegen Marco Huck, müßte einem angst um bange um die Gesundheit des Amerikaners werden. Galt der Berliner zuvor als der gefährlichste Weltmeister im Cruisergewicht, so sind sein Nachfolger Glowacki wie auch die anderen Titelträger Denis Lebedew (WBA), Grigori Drosd (WBC) und Yoan Pablo Hernandez (IBF) nicht von schlechten Eltern. Jones klammert sich an die einzig verbliebene Hoffnung, am Ende doch noch einmal Champion zu werden, und läuft dabei Gefahr, daß sein Wunsch tatsächlich Gehör findet.


Fußnote:

[1] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/13502196/roy-jones-jr-wants-title-shot-krzysztof-glowacki

25. August 2015


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