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MELDUNG/1946: Kleiner Cousin mit großen Ambitionen (SB)



Hughie Fury folgt den Fußstapfen Tyson Furys

Der überaus optimistischen Prognose seines Promoters Frank Warren zufolge könnte der britische Schwergewichtler Hughie Fury binnen sechs Monaten um die Weltmeisterschaft kämpfen. Klappern gehört nun einmal zum Geschäft und sollte keinesfalls mit einer fundierten Einschätzung verwechselt werden. Wenngleich der 21 Jahre alte Cousin des Champions Tyson Fury in 19 Kämpfen ungeschlagen und in der Wahl seiner Gegner durchaus vorangekommen ist, heißt das noch lange nicht, daß er so gut wie bereit für eine Thronfolge wäre.

Am 30. April bekommt es der jüngere Fury in der Londoner Copper Box Arena mit seinem bislang anspruchsvollsten Gegner zu tun. Im auf zehn Runden angesetzten Hauptkampf des Abends, der von BoxNation übertragen wird, trifft der Brite auf Fred Kassi, für den 18 Siege, vier Niederlagen sowie ein Unentschieden zu Buche stehen. Da der 1,98 m große Fury seinen 1,83 m messenden Kontrahenten beträchtlich überragt, der zudem 15 Jahre älter ist, sprechen die körperlichen Voraussetzungen für den Favoriten aus Manchester. [1]

Ursprünglich sollte Hughie Fury im Vorprogramm antreten, da als eigentliche Attraktion der Veranstaltung die Titelverteidigung von Billy Joe Saunders gegen Max Bursak vorgesehen war. Der WBO-Champion im Mittelgewicht mußte seinen Auftritt jedoch wegen einer Verletzung an der linken Hand, die er sich im Training zugezogen hat, absagen. Saunders hatte den Titel am 19. Dezember 2015 durch einen knappen Punktsieg über den Iren Andy Lee in Manchester gewonnen. Danach schlug er ein hochdotiertes Angebot Gennadi Golowkins, im Frühjahr einen Vereinigungskampf auszutragen, unter einem fadenscheinigen Vorwand aus und wählte statt dessen für seine erste Titelverteidigung mit dem früheren Europameister Bursak aus der Ukraine einen wesentlich schwächeren Gegner. Wie schnell der Brite wieder einsatzfähig ist und ob der ausgefallene Kampf dann nachgeholt wird, ist derzeit natürlich noch ungewiß. [2]

Damit steht Hughie Fury im vollen Scheinwerferlicht und könnte mit einem überzeugenden Auftritt viel für seinen Ruf und sein Fortkommen tun. Fred Kassi hat im November 2014 in der siebten Runde gegen Amir Mansour verloren. Auf diese verheerende Niederlage folgte ein überraschendes Unentschieden gegen den favorisierten Chris Arreola im Juli 2015, der bereits zweimal mit einem Weltmeister im Ring gestanden, jedoch sowohl gegen Vitali Klitschko als auch Bermane Stiverne verloren hatte. Im September mußte sich Kassi dann Dominic Breazeale umstritten nach Punkten geschlagen geben, der 2012 der US-amerikanischen Olympiastaffel angehört hatte.

Wenngleich der Schwergewichtler aus New Orleans damit zwei seiner letzten drei Auftritte verloren und einen unentschieden abgeschlossen hat, spiegelt diese Bilanz doch nicht sein tatsächliches Können wider. So vertraten diverse Experten die Auffassung, daß Kassi sowohl gegen Arreola als auch Breazeale der bessere Boxer gewesen, doch von den Punktrichtern benachteiligt worden sei. Zudem stellt der US-Amerikaner insofern eine recht ungewöhnliche Ausnahme dar, als er sich trotz seiner 36 Jahre seit der Niederlage gegen Amir Mansour deutlich verbessert hat. Inzwischen gilt er als ein Kandidat, der es mit vielen Gegnern aus den Top 10 der Weltverbände aufnehmen könnte.

Fury, der in diesem Kampf den vakanten internationalen Titel der WBO gewinnen möchte, denkt trotz seines erfahrenen Kontrahenten weit über den Tag hinaus. Er habe nach seinem Sieg gegen Dominick Guinn am 26. März das Training sofort wieder aufgenommen und sei in bester Verfassung. Nachdem er sich den ersten bedeutenden Gürtel gesichert habe, werde er weiter darangehen, dem Schwergewicht seinen Stempel aufzudrücken. Er sehe nicht viele Gegner, die ihn aufhalten könnten, und folge dem Vorbild seines Cousins Tyson mit dem klaren Ziel, in absehbarer Zeit ebenfalls Weltmeister zu werden.

Ob er Fred Kassi bereits in der Tasche zu haben glaubt oder ihn demonstrativ übersieht, um Eindruck zu schinden, weiß nur sein engstes Umfeld. Die Furys sind jedenfalls für ihr großes Mundwerk wie auch die Taktik bekannt, den Gegner im Vorfeld des Kampfs durch ihr Gerede zu irritieren, wobei Hughie auch in dieser Hinsicht noch viel aufzuholen hat, will er mit seinem prominenteren Cousin gleichziehen.

Entgegen Frank Warrens Behauptung wird sich der jüngere Fury so schnell nicht mit einem Weltmeister messen, da dies in einem Debakel enden würde. Sein Landsmann Anthony Joshua hat jüngst den IBF-Titel fast spielend gewonnen, als sich sein Vorgänger Charles Martin in London erschreckend schwach präsentierte. Für Fury wäre der frischgebackene Weltmeister dennoch eine Nummer zu groß, da Joshua bislang sämtliche Gegner frühzeitig besiegt hat und auch mit ihm nicht anders verfahren würde. Wie sein 2,06 m großer Cousin verfügt auch Hughie Fury über eine für seine Statur schwach ausgeprägte Schlagwirkung und hat deshalb in jüngerer Zeit versucht, sich weniger schlagend als beweglich boxend aus der Affäre zu ziehen. Joshua ist zwar nicht gerade schnellfüßig, kann aber einen Gegner in die Enge treiben und dessen Deckung wuchtig durchschlagen. Dem hätte Fury vorerst kaum etwas entgegenzusetzen.

Anthony Joshua könnte eine Option für ihn sein, sofern dieser seinen Titel geraume Zeit behält und Fury am Ende doch noch lernt, wie er wirksamer zuschlagen kann. Tyson Fury scheidet natürlich als Gegner aus, so daß aus aktueller Sicht nur noch Deontay Wilder übrigbliebe, der Hughie Fury im letzten Jahr einen Kampf angeboten hatte. Das Team des Briten schlug die Offerte vernünftigerweise aus, da Fury chancenlos gewesen wäre, woran sich seither im Grunde nichts geändert hat. Der WBC-Weltmeister ist schnell, technisch versiert, beweglich und gebietet über eine außergewöhnliche Schlagwirkung, so daß er derzeit mit Fug und Recht als bester Akteur des Schwergewichts gilt.

Natürlich ist nicht auszuschließen, daß Tyson Fury die Revanche gegen Wladimir Klitschko am 9. Juli in Manchester verliert. Sollte das geschehen, könnte der Ukrainer von sich aus auf die Idee kommen, auch noch mit dem jüngeren Cousin abzurechnen, sofern er in ihm einen derzeit recht bekannten, aber nicht allzu gefährlichen Gegner sieht, mit dem sich in Deutschland oder England gutes Geld verdienen ließe. Doch das ist pure Spekulation, weshalb man derzeit allenfalls sagen kann, daß Anthony Joshua vielleicht in einem Jahr eine realistische und sicher lukrative Option für Hughie Fury sein könnte.

Das würde natürlich voraussetzen, daß sich Fury zügig an gefährlichere Kontrahenten als bislang heranwagt. George Arias, Emilio Ezequiel Zarate, Larry Olubamiwo und Dominick Guinn sind Vergangenheit, bald kommt Fred Kassi, worauf Bryant Jennings, Johann Duhaupas, Andy Ruiz, Jarrell Miller oder Artur Szpilka folgen könnten. Tyson Fury hat fünf Jahre im Profilager gebraucht, bis er bereit für hochklassige Gegner war. Hughie Fury ist nun drei Jahre im Geschäft und wäre gut beraten, seine Karriere nicht durch verfrühte Titelkämpfe zu ruinieren, die er nicht gewinnen kann.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/04/hughie-fury-fight-world-title-2017/#more-208088

[2] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/15195824/middleweight-billy-joe-saunders-injures-left-hand-withdraws-title-defense

16. April 2016


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