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Anthony Joshuas Wahl fällt auf Dominic Breazeale

Wie zu erwarten war, hat sich der britische Schwergewichtler Anthony Joshua für seine erste freiwillige Titelverteidigung den US-Amerikaner Dominic Breazeale ausgesucht. Der in 16 Kämpfen ungeschlagene neue IBF-Weltmeister trifft damit am 25. Juni in der Londoner O2 Arena auf einen ebenfalls unbesiegten Herausforderer, der sogar 17 Erfolge vorzuweisen hat. Dennoch gilt Breazeale unter den Optionen des 26jährigen Champions als eine vergleichsweise leicht lösbare Aufgabe, da er noch keinen einzigen namhaften Gegner auf regulärem Weg besiegt hat.

Der 30 Jahre alte US-Amerikaner hat früher als Quarterback in der National Football League gespielt und dann zum Boxen umgesattelt. Er nahm im Superschwergewicht an den Olympischen Spielen 2012 in London teil, wo er jedoch bereits zum Auftakt dem Russen Magomed Omarow klar unterlag und ausscheiden mußte. Im Profilager hat er zunächst 15 schwache Gegner besiegt und sich zuletzt mit sehr viel Glück gegen zwei anspruchsvollere Kontrahenten durchgesetzt. Im September 2015 traf er im Vorprogramm des Titelkampfs zwischen WBC-Weltmeister Deontay Wilder und dem Franzosen Johann Duhaupas in Birmingham, Alabama, auf Fred Kassi. Dieser schien die Oberhand zu behalten, da der ehemalige Olympiaboxer regelrecht unbeholfen wirkte, mußte sich aber nach den zehn vereinbarten Runden umstritten nach Punkten geschlagen geben.

Bei seinem letzten Auftritt bekam es Breazeale im Januar mit Amir Mansour zu tun, der ihn in der dritten Runde auf die Bretter schickte. Der 43jährige war auch in der Folge Herr des Geschehens und schien einem unangefochtenen Sieg entgegenzusteuern, bis er sich nach der fünften Runde aufgrund einer Verletzung zur Aufgabe gezwungen sah. Damit blieb Dominic Breazeale weiter ungeschlagen, doch täuscht diese Bilanz darüber hinweg, daß er in seinen beiden letzten Kämpfen der schwächere Akteur war. Wieso er unter diesen Umständen einen Titelkampf bekommt, ist eine Frage, die sich aus Perspektive Joshuas leicht beantworten läßt.

Während der Herausforderer in den USA wenig bekannt ist, läßt er sich als ehemaliger Olympiateilnehmer mit einer weißen Weste im Profilager in England sicher recht gut vermarkten, zumal der populäre Anthony Joshua ohnehin der entscheidende Publikumsmagnet ist. Der Kampf wird von Sky Box Office im Pay-TV für die britischen Fans übertragen, während vorerst noch ungeklärt ist, ob HBO oder Showtime für das US-Publikum mit von der Partie sein wird. Joshuas Promoter Eddie Hearn verhandelt derzeit mit beiden Sendern und kündigt für den 25. Juni eine von Anfang bis Ende hochklassige Veranstaltung an. Viele andere Boxer hätten erst einmal ihren Erfolg ausgiebig gefeiert, doch der neue britische Superstar kehre sofort in den Ring zurück, um seine Regentschaft auszubauen. Der Herausforderer sei mit seinen 2,01 m sogar noch drei Zentimeter größer als der Champion, ein hochklassiger Amateurboxer gewesen und habe fast genauso viele Gegner vorzeitig besiegt wie Joshua, redet Hearn den Gegner stark.

Wie Anthony Joshua dazu mitteilt, hätten seine Trainer den US-Amerikaner schon geraume Zeit beobachtet, da sich dessen Aufstieg abgezeichnet habe. Nun biete sich die Gelegenheit, eine Schlacht im Ring auszutragen, die er stilvoll für sich entscheiden werde, um danach den Vereinigungskampf mit einem anderen Weltmeister auszutragen, den alle Welt erwarte. Sollte sich Joshua wie erwartet gegen Breazeale durchsetzen, könnte es im November zum Duell mit Tyson Fury kommen. Dieser müßte allerdings bei der Revanche gegen Wladimir Klitschko am 9. Juli erneut die Oberhand behalten, was jüngsten Meldungen zufolge eher unwahrscheinlich anmutet. Zum einen scheint der Champion in einer schlechten körperlichen Verfassung zu sein, zum anderen erklärt er offenherzig, er habe mit seinem Sieg über den langjährigen Weltmeister alles erreicht und wolle nur noch seine Einkünfte verzehren. Ob Fury tatsächlich keine Lust mehr hat, eine befürchtete Niederlage vorab zu erklären versucht oder Klitschko auf diese Weise irritieren will, wird sich herausstellen.

Joshua hatte für seine erste Titelverteidigung keine große Auswahl. Hearn nannte ihm Bermane Stiverne, Eric Molina und Dominic Breazeale, wobei angeblich zuletzt auch Johann Duhaupas im Gespräch war. Letzteres ist jedoch sehr unwahrscheinlich, da der robuste Franzose gegen Deontay Wilder eine gute Figur gemacht hat und sich erst in der elften Runde geschlagen geben mußte. Daher steht zu vermuten, daß Duhaupas lediglich erwähnt wurde, um die Palette möglicher Gegner anspruchsvoller aussehen zu lassen, als sie tatsächlich ist. [1]

Stiverne und Molina sind nicht nur in die Jahre gekommen, sondern auch beide von Wilder besiegt worden. Kämpfte Joshua gegen einen von ihnen, würde das wohl den Eindruck erwecken, er fegte die Straße hinter dem WBC-Weltmeister. Dominic Breazeale dürfte in sportlicher Hinsicht sogar schwächer als die beiden anderen Kandidaten sein, läßt sich aber der uneingeweihten Mehrzahl der Fans als frische Option verkaufen.

Daß Anthony Joshua in nur 16 Kämpfen Weltmeister im Schwergewicht geworden ist, verdankt sich nicht zuletzt dem Umstand, daß er mit Charles Martin den mit Abstand schwächsten Titelverteidiger vor die Fäuste bekam. Der US-Amerikaner hatte den Gürtel nur drei Monate zuvor überraschend gewonnen, weil sein favorisierten Gegner Wjatscheslaw Hlaskow wegen einer Knieverletzung aufgeben mußte. Daß dabei der vakante IBF-Titel auf dem Spiel gestanden hatte, lag wiederum daran, daß ihn der Verband dem Briten Tyson Fury abgenommen hatte, der natürlich die Revanche mit Klitschko einer Titelverteidigung gegen den Pflichtherausforderer Hlaskow vorzog.

Die Demontage Charles Martins vollzog sich in der O2 Arena binnen zwei Runden, in denen der Titelverteidiger allen Ankündigungen eines erbitterten Kampfs zum Trotz kaum einen Versuch unternahm, der Übermacht des Herausforderers etwas entgegenzusetzen. Anthony Joshua, der alle Gegner vorzeitig besiegt und nur bei seinem Landsmann Dillian Whyte länger als drei Runden dafür gebraucht hat, ist auf die leichtestmögliche Weise Weltmeister geworden, die in Aussicht stand. Deontay Wilder, Tyson Fury oder Wladimir Klitschko und wohl auch sein Landsmann David Haye würden ihm größere Probleme bereiten. [2]


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/04/208766/#more-208766

[2] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/15335588/anthony-joshua-defend-ibf-belt-vs-breazeale-june-25

27. April 2016


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