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MELDUNG/2171: Kubanische Karrieren in den USA ausgebremst (SB)



Tiefverwurzelte Vorbehalte im Gelobten Land

Der Abstieg Yuriorkis Gamboas zeugt auf wenngleich dramatische, so doch charakteristische Weise vom Schicksal zahlreicher hochtalentierter und hervorragend ausgebildeter Boxer, die sich aus Kuba abgesetzt haben, um in den USA ihr Können im Ring zu versilbern. Warum sich politisch unterstützte, kollektiv geförderte und sozial eingebettete sportliche Fertigkeiten nicht ohne weiteres unter den Bedingungen des Profigeschäfts individuell vermarkten lassen, ist auf verschiedene Gründe zurückzuführen, die von Fall zu Fall in ihrer Gewichtung variieren. Einige dieser Boxer hielten sich aufgrund ihrer früheren Dominanz im Amateurbereich offenbar für derart überlegen, daß sie der Fülle verfügbarer Konsumfreuden den Vorzug vor hartem Training und disziplinierter Lebensführung gaben. Andere gingen den Einflüsterungen und Verlockungen vermeintlicher Förderer auf den Leim, wieder andere schienen alles richtig zu machen und doch bei ihrem Aufstieg in Gipfelnähe ausgebremst zu werden. Wollte man von einem übereinstimmenden Muster sprechen, so scheinen in den USA tiefverwurzelte Vorbehalte gegenüber kubanischen Boxer vorzuherrschenden, so daß ihnen auf die eine oder andere Weise Steine in den Weg gelegt werden.

Yuriorkis Gamboa, hochtalentiert und ehemals Weltmeister in zwei Gewichtsklassen, konnte sich am vergangenen Wochenende nur knapp gegen Alexis Reyes durchsetzen, der als Kanonenfutter engagiert worden war. Als krasser Außenseiter gehandelt, forderte Reyes seinem favorisierten Gegner alles ab, was dieser noch aufzubieten hat. Es war kein einmaliger Ausrutscher, da Gamboa vor nur drei Monaten vorzeitig gegen Robinson Castellanos verloren hatte, für den 24 Siege und dreizehn Niederlagen zu Buche stehen. Wenngleich man der Fairneß halber erwähnen muß, daß Castellanos immerhin schon gegen achtbare Kontrahenten wie Celestino Caballero und Rocky Juarez gewonnen hatte, war er doch ein Kandidat, der vor einiger Zeit nie und nimmer auch nur die Chance bekommen hätte, gegen den Kubaner anzutreten.

Vor fünf oder sechs Jahren schien Gamboa auf dem besten Weg zu sein, sich als einer der herausragenden Boxer aller Gewichtsklassen zu etablieren. Er war bereit, sich jedem namhaften Gegner zwischen dem Federgewicht und dem Leichtgewicht zu stellen, doch blieb ihm die Gelegenheit weitgehend versagt, sich im besten Licht zu zeigen. Letztlich war Terence Crawford sein einziger wirklich prominenter Kontrahent, doch konnte sich der Kubaner in diesem Kampf schon aufgrund seiner körperlichen Unterlegenheit nicht durchsetzen.

Heute ist der Olympiasieger von 2004 definitiv auf dem absteigenden Ast, auch wenn ihn die Golden Boy Promotions noch unterstützen und Kämpfe organisieren. Im Falle des inzwischen 35jährigen Kubaners läßt sich die Phase des Bruchs in seiner Karriere zeitlich recht klar eingrenzen. Er stand zwischen 2012 und 2015 bei dem Rapper "50 Cent" (Curtis Jackson) unter Vertrag, der sich nicht allzu erfolgreich als Promoter versuchte. Dies führte dazu, daß Gamboa auf dem Höhepunkt seines Könnens kaum Auftritte bekam und später nie wieder an seine früheren Qualitäten anknüpfen konnte. Er hat in der Vergangenheit Gegner wie Daniel Ponce de Leon, Orlando Salido und Darleys Perez überzeugend besiegt, doch wenn er eines nicht allzu fernen Tages die Boxhandschuhe an den Nagel hängt, werden sich bald wohl nur noch Experten lebhaft an ihn erinnern.

Mit dem Problem, in der entscheidenden Phase des Aufstiegs einfach nicht die richtigen Gegner zu bekommen, steht Yuriorkis Gamboa nicht allein. Beispielsweise war Rances Barthelemey nie für ein Duell mit Mikey Garcia im Gespräch, und daß Guillermo Rigondeaux eine Chance gegen Wassyl Lomatschenko bekommt, ist eher unwahrscheinlich. Da der Ukrainer derzeit im Superfedergewicht kämpft, aber den Weg in höhere Gewichtsklassen eingeschlagen hat, macht es für ihn wenig Sinn, um dieses vielfach geforderten Kampfes willen wieder umzukehren. Rigondeaux boxt derzeit zwei Limits tiefer im Superbantamgewicht, so daß sich die beiden theoretisch in der Mitte treffen könnten. Letztendlich liefe dieses Duell aber auf das gleiche Mißverhältnis wie beim Kampf zwischen Crawford und Gamboa hinaus, da auch Rigondeaux erheblich leichter als Lomatschenko wäre und schon deswegen kaum eine Chance hätte, vom überragenden Können des Ukrainers einmal ganz abgesehen. Die Gelegenheit, durch einen Sieg in diesem Prestigeduell über Nacht zum vielbeachteten Star aufzusteigen, wird Guillermo Rigondeaux jedoch ohnehin kaum bekommen. Er sollte statt dessen wohl eher Carl Frampton, Leo Santa Cruz, Abner Mares oder Jesse Magdaleno ins Visier nehmen, was allerdings damit verbunden wäre, mindestens zwei Gewichtsklassen aufzusteigen. [1]

Ein anderer Kubaner, der inzwischen eine aussichtsreiche Position erreicht hat, ist Luis Ortiz im Schwergewicht. Der Verband WBA hat ihn zum Pflichtherausforderer Anthony Joshuas nominiert, dessen Promoter Eddie Hearn diesen Kampf bereits für das Frühjahr 2018 plant, sofern sein Boxer die Pflichtverteidigung gegen den Bulgaren Kubrat Pulew bei der IBF zuvor erfolgreich über die Bühne gebracht hat. Obgleich der in 27 Kämpfen ungeschlagene Kubaner als eines der größten Talente der Königsklasse gilt und seit sieben Jahren im Profigeschäft ist, hat er noch nie einen Titelkampf bekommen. Offensichtlich wußte die Konkurrenz um seine Gefährlichkeit und dachte nicht im Traum daran, ihm in die Quere zu kommen. Vermutlich warten mutmaßliche Gegner darauf, daß er nachzulassen beginnt, was inzwischen der Fall zu sein scheint. Sein größter Erfolg war ein vorzeitiger Sieg über Bryant Jennings im Jahr 2015, doch in den folgenden Kämpfen gegen Tony Thompson, Malik Scott und David Allen konnte er trotz seiner Siege nicht überzeugen. Ortiz gibt sein Alter mit 39 Jahren an, doch kursieren Gerüchte, er habe wohlweislich etliche weitere Jahre unterschlagen. Die Chance, sich am Ende doch noch mit einem Weltmeister zu messen, dürfte für ihn zu spät kommen.

Andere Kubaner wie Yoan Pablo Hernandez und Juan Carlos Gomez haben es seinerzeit in Deutschland bei den Promotern Wilfried Sauerland und Klaus-Peter Kohl zu Titeln und Einkünften gebracht, wobei Gomez ähnlich wie später Odlanier Solis den Verlockungen des Wohllebens verfiel, bis die Karriere in Scherben lag. Nach Europa zu gehen, könnte sich auch für andere kubanische Boxer als keine schlechte Idee erweisen. So hat sich Mike Perez inzwischen in der Republik Irland niedergelassen, und Rigondeaux, der auch schon in Asien gekämpft hat, war insbesondere von der Begeisterung der britischen Fans beeindruckt. Möglicherweise führt die selten bezweifelte Vorstellung, daß ein Boxer - zumal ein kubanischer - nur in den USA sein Glück machen und jede Menge Geld verdienen könne, oftmals in eine Sackgasse. Dort ist Boxen im Grunde ein Nischensport, der von vergleichsweise wenigen Zuschauern verfolgt wird. Wer keinen Namen hat, kommt kaum nach oben, doch um nach oben zu kommen, braucht man einen Namen, der dem Publikum vertraut ist. Diesen Teufelskreis zu durchbrechen, der in den USA besonders stabil ist, gelingt Kubanern im Unterschied zu Mexikanern, Puertoricanern oder Iren, die in bestimmten Regionen jeweils eine riesige Fangemeinde mobilisieren können, in aller Regel nicht. Die exilkubanische Hochburg Miami ist nun einmal kein Mekka des Boxens.

Letzten Endes fällt einem nur ein kubanischer Boxer ein, der sich im US-amerikanischen Profigeschäft seine Träume in hohem Maße erfüllt haben dürfte. Joel Casamayor bekam die Gelegenheit, sich auf dem Höhepunkt seines Könnens mit den besten Rivalen seiner Ära wie Acelino Freitas, Nate Campbell, dreimal Diego Corrales, Jose Luis Castillo und Michael Katsidis zu messen. Ob es vor allem daran lag, daß er im Unterschied zu manch anderen seiner boxenden Landsleute nicht nur sehr effektiv, sondern auch spektakulär und damit publikumsfreundlich zu Werke ging, ist ein plausibler Erklärungsansatz, doch sicher nicht der einzige.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/08/cuban-boxing-crisis/#more-240650

18. August 2017


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