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MELDUNG/2175: Auf dem Gipfel Niemandsland (SB)



Terence Crawford fehlt es an attraktiven Optionen

Am 19. August hatte Terence Crawford in einem Kampf zweier Weltmeister durch einen Sieg über Julius Indongo bereits in der dritten Runde die Titel der Verbände WBA, WBC, WBO und IBF im Halbweltergewicht zusammengeführt. Keine zwei Wochen nach der seltenen Sternstunde, die seine herausragende Stellung in dieser Gewichtsklasse unterstrich, sah sich der 29jährige Champion veranlaßt, den Gürtel der IBF zurückzugeben. Ihm blieb kaum eine andere Wahl, da der Verband eine Titelverteidigung gegen den Pflichtherausforderer Sergej Lipinets angeordnet hatte, wobei die Versteigerung der Austragungsrechte bereits für den 31. August angesetzt war. Da der in 32 Auftritten ungeschlagene Crawford kein Interesse daran hat, sich für wenig Geld mit diesem weithin unbekannten Gegner abzugeben, waren ihm nur wenige Tage beschert, an denen er sich mit allen vier Trophäen schmücken konnte.

Warum er die anderen drei Titel überhaupt behält, ist nicht klar, da er in der Pressekonferenz nach seinem jüngsten Sieg den Aufstieg ins Weltergewicht angekündigt hat. Wäre er dazu tatsächlich fest entschlossen, würde es keinen Sinn machen, auf den Gürteln im Halbweltergewicht zu sitzen, statt sie anderen Kandidaten zur Verfügung zu stellen. Vielleicht hofft Crawford ja nach wie vor, daß er mit seinen Titeln Mikey Garcia locken kann. Dieser hat sich am 29. Juli in einem Prestigekampf des Leichtgewichts eindrucksvoll nach Punkten gegen Adrien Broner durchgesetzt, doch mutet eher unwahrscheinlich an, daß er wegen Crawford eine weitere Gewichtsklasse aufsteigt.

Dessen Promoter Bob Arum, der die bei ihm unter Vertrag stehenden Boxer bekanntlich am liebsten gegeneinander antreten läßt, um auf diese Weise die volle Kontrolle über ihre Vermarktung zu behalten, hat jüngst erwähnt, daß Crawford der Revanche zwischen Manny Pacquiao und Jeff Horn in Australien beiwohnen werde. Dabei trug sich der 85jährige offenbar mit dem Gedanken, einen Kampf Crawfords gegen den Sieger dieses Duells in die Wege zu leiten. Der ist eigenen Angaben zufolge sehr an dieser Option interessiert und würde dafür im ohnehin attraktiver besetzten Weltergewicht antreten.

Wie inzwischen jedoch bekannt geworden ist, kann der Philippiner aufgrund seiner politischen Verpflichtungen als Senator seines Landes nicht wie geplant immer November einen Rückkampf gegen Jeff Horn bestreiten. Dessen Co-Promoter Bob Arum und Duco Events müssen sich also überlegen, ob der WBO-Weltmeister seinen frischgewonnenen Titel zunächst gegen einen anderen Herausforderer aufs Spiel setzt und möglicherweise gleich wieder verliert, oder besser auf Pacquiao wartet, der im Frühjahr oder Frühsommer 2018 wieder zur Verfügung stehen dürfte. Da der Philippiner im Dezember 39 Jahre alt wird, kann man wohl davon ausgehen, daß er sich ein zweites Mal mit Horn messen möchte, um danach seine Karriere zu beenden.

Nach Lage der Dinge wird Terence Crawford also Pacquiao nicht mehr vor die Fäuste bekommen. Und da Top Rank daran arbeitet, ihn zu einem Star dieser Gewichtsregion aufzubauen, würde es wenig Sinn machen, ihn mit Jeff Horn zusammenzuführen. Crawford könnte dabei zwar Weltmeister der WBO werden und sich auf Anhieb im Weltergewicht etablieren, doch ist der Australier in den USA weithin unbekannt. Dort haben nur Experten und die relativ kleine Gemeinde ausgesprochener Boxfans mitbekommen, daß sich Horn in seiner Heimatstadt Brisbane umstrittenen gegen den favorisierten Pacquiao durchgesetzt und ihm den Titel abgenommen hat. Der Lokalmatador griff dabei zu diversen grenzwertigen Mitteln, doch versäumte es der Ringrichter, energisch dagegen einzuschreiten. Auch das letztendliche Urteil der Punktrichter war nicht gerade dazu angetan, von einer zweifelsfreien Entscheidung zu sprechen. Crawford könnte also nur in Australien mit Horn gutes Geld verdienen, liefe aber Gefahr, ebenfalls benachteiligt zu werden, und zöge auch im Falle des Sieges daraus kaum einen Vorteil für seine weitere Karriere.

Um sich einem breiteren Publikum in den USA nachhaltig zu empfehlen, müßte Terence Crawford schon gegen Shawn Porter, Adrien Broner, Keith Thurman, Errol Spence oder Amir Khan antreten, die jedoch alle nicht bei Top Rank unter Vertrag stehen. Zum einen wird Bob Arum kaum dazu zu bewegen sein, sich mit einem konkurrierenden Promoter ins Benehmen zu setzen, zum anderen ist Crawford ein versierter Konterboxer, der den Gegner dank seiner Beweglichkeit zumeist schlecht aussehen läßt, ohne sich ihm zum offenen Schlagabtausch zu stellen. Manny Pacquiao hat bekanntlich keine Lust, Crawford im Ring nachzulaufen, und daher bislang stets abgewinkt, wenn dessen Name als möglicher Gegner genannt wurde. Das dürfte auch für eine Reihe anderer namhafter Akteure gelten, sofern ihnen dafür nicht eine satte Börse geboten wird.

Alles in allem steckt Terence Crawford also in einer recht vertrackten Situation. Steigt er in Weltergewicht auf, hat Arum ihm dort nur Jeff Horn oder vielleicht noch Jessie Vargas zu bieten. Würde er durch einen Sieg über den Australier neuer WBO-Champion, sähe die Sache nicht viel besser aus. Studiert man die Rangliste dieses Verbands, findet sich als einzig prominenter Name der des Argentiniers Lucas Matthysse, der jedoch aufgrund von Verletzungen schon lange nicht mehr im Ring gestanden hat und Crawfords Popularität daher keinen Schub verleihen könnte. Ob dieser das Limit wechselt oder doch im Halbweltergewicht bleibt, macht letzten Endes keinen Unterschied, solange Bob Arum nicht über seinen Schatten springt und Geschäfte mit anderen Promotern macht. Es steht jedoch zu befürchten, daß der greise Promoter sein Reich, das jahrzehntelang Bestand behalten hat, für den Rest seiner Tage abschotten wird und damit den Spielraum seiner Boxer dauerhaft einschränkt. Terence Crawford wird wohl zu Hause in Nebraska überaus populär bleiben, doch darüber hinaus nur einem kleinen Kreis von Boxfans zur Freude gereichen, die technische Brillanz und Konterstärke bevorzugen und genießen. [1]


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/08/terence-crawford-vacates-ibf-140-lb-title/#more-241786

2. September 2017


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