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MELDUNG/2176: Zahlenspiele machen keine Legende (SB)



Anthony Joshua trifft in Cardiff auf Kubrat Pulew

Anthony Joshua verteidigt die Titel der WBA und IBF im Schwergewicht am 28. Oktober im Principality Stadium in Cardiff gegen Kubrat Pulew, den Pflichtherausforderer beim Verband IBF. Joshuas Promoter Eddie Hearn von Matchroom Sports war auch mit dem MGM Grand in Las Vegas im Gespräch, um den Kampf möglicherweise in der T-Mobile Arena auszutragen. Seine Wahl fiel letztendlich auf die 75.000 Zuschauer fassende Großarena in der walisischen Hauptstadt, die früher unter dem Namen Millennium Stadium auch im Boxsport Schauplatz geschichtsträchtiger Ereignisse war. So setzte sich im November 2007 der legendäre Waliser Joe Calzaghe vor rund 50.000 Fans in einem Kampf zweier Weltmeister im Supermittelgewicht gegen den Dänen Mikkel Kessler durch. [1]

Als der Sohn eines Immigranten aus Sardinien im Februar 2009 seine 15 Jahre währende Karriere beendete, würdigten ihn zahlreiche Experten als den besten Boxer, den die britische Insel je hervorgebracht habe. Der damals 36jährige Waliser blieb in 46 Kämpfen ungeschlagen und hatte die Titel der Verbände WBA, WBC, WBO und IBF, wenngleich teilweise zeitversetzt, in seinen Besitz gebracht. Sämtliche Gegner fielen der unerhört hohen Schlagfrequenz des Rechtsauslegers zum Opfer, die ein Kernstück der Boxphilosophie seines Vaters Enzo Calzaghe war. Dieser wurde zeitlebens nie als Trainer ausgebildet, war aber in diesem Metier so erfolgreich, daß er 2007 von einer anerkannten Fachzeitschrift zum weltbesten Experten seines Fachs gekürt wurde. Seine letzten beiden ebenso spektakulären wie lukrativen Kämpfe bestritt Joe Calzaghe 2008 im Halbschwergewicht gegen berühmte Gegner in den USA. Im Frühjahr besiegte er den früheren Champion aller vier Verbände im Mittelgewicht, Bernard Hopkins, knapp nach Punkten. Seine Abschiedsvorstellung gab er am 8. November 2008 im New Yorker Madison Square Garden gegen den nicht minder legendären Roy Jones jun., der sich ebenfalls nach Punkten geschlagen geben mußte.

Ob es Anthony Joshua je so weit bringen wird wie sein legendärer Landsmann, dem die Queen einen Adelstitel verlieh und der längst Einzug in die Ruhmeshalle des Boxsports in Cooperstown gehalten hat? In sportlicher Hinsicht wohl eher nicht, doch zumindest was die Zuschauerzahlen betrifft, hat der 27jährige Schwergewichtler die Legende bereits überflügelt. Am 29. April lieferte er sich vor 90.000 Zuschauern im Londoner Wembley-Stadion eine epische Schlacht mit Wladimir Klitschko und im Oktober dürfte er vor weit über 70.000 Menschen in den Ring steigen. Das wird übrigens bereits Joshuas zweiter Auftritt in Cardiff sein, der dort im Februar 2014, damals noch in der wesentlich kleineren Motorpoint Arena und lediglich im Vorprogramm, in seinem vierten Profikampf kurzen Prozeß mit Dorian Darch machte. Von seinem Fassungsvermögen abgesehen hat das Principality Stadium noch einen weiteren entscheidenden Vorteil in Gestalt eines ein- und ausfahrbaren Daches, der die noch größere Freiluftarena des Wembley-Stadions zumindest in dieser Jahreszeit in den zweiten Rang verweist.

Wenngleich der in 19 Kämpfen ungeschlagene Anthony Joshua bei seiner vierten Titelverteidigung mit Kubrat Pulew keinen sonderlich prominenten Gegner vor die Fäuste bekommt, wird der Kampf von Sky Box Office für das boxversessene britische Publikum im Pay-TV übertragen. Auch beim US-Sender Showtime, der vertraglich mit Joshua verbunden ist und bislang alle seine Titelkämpfe gezeigt hat, plant man eine Live-Ausstrahlung in den USA. Showtime verfügt über die Option, ein erstes Angebot vorzulegen, wobei es Hearn freisteht, unter Verweis auf diese Summe mit anderen Sendern wie HBO zu verhandeln. Sollte ein Konkurrent den Betrag überbieten, hat Showtime das Recht, noch einmal nachzulegen und sich damit die Übertragung zu sichern.

Der 36jährige Kubrat Pulew hat 25 Auftritte gewonnen und einen verloren. Er lebt in Sofia, steht bei Promoter Kalle Sauerland unter Vertrag und wird derzeit von Ulli Wegner trainiert. An den Olympischen Spielen 2008 in Beijing nahm er für die bulgarische Mannschaft teil, mußte sich allerdings bereits seinem ersten Turniergegner geschlagen geben. Seine einzige Niederlage im Profilager hat der Bulgare gegen Wladimir Klitschko bezogen, der ihn am 15. November 2014 in Hamburg in der fünften Runde besiegte. Seither hat Pulew fünf Auftritte in Folge gewonnen, darunter gegen den Briten Dereck Chisora, den ehemaligen WBC-Champion Samuel Peter und zuletzt Kevin Johnson aus den USA.

Der mit 1,94 m nicht eben kleine Bulgare muß sich auf einen noch größeren Gegner einstellen, da Joshua 1,98 m mißt. Eine neue Erfahrung ist das für Pulew dennoch nicht, zumal er, von Klitschko einmal abgesehen, hoch gewachsene Kontrahenten wie Tony Thompson (1,96 m), Alexander Dimitrenko (2,01 m) und Alexander Ustinow (2,02 m) besiegt hat. Allerdings schlägt der Brite wirksamer als diese drei genannten Akteure zu und hat bereits angekündigt, er wolle seine makellose Serie vorzeitiger Siege auch gegen Kubrat Pulew fortsetzen. Im Kampf mit Wladimir Klitschko mußte der Bulgare mehrmals zu Boden gehen, da er dessen gefährliche Linke, ob als harter Jab oder wuchtiger Haken geschlagen, nicht unter Kontrolle brachte. Sobald Pulew angriff und mit der Rechten zum Schlag ansetzte, kam ihm der Weltmeister mit einem linken Haken zuvor, den er damals noch ausgezeichnet einzusetzen verstand.

Dies zu studieren oder gar als Blaupause zu verwenden hilft Joshua jedoch kaum weiter, da er in technischer Hinsicht nicht an Klitschko heranreicht und zumindest aus der Distanz keinen so schnellen linken Haken wie der Ukrainer schlagen kann. Der Brite walzt unter Einsatz seiner Masse vorzugsweise auf den Gegner los und versucht, in der Halbdistanz seinen wuchtigen rechten Uppercut oder einen anderen, zumeist mehr geschobenen als geschlagenen Treffer zu landen. Pulews Stärke ist hingegen ein steifer Jab, wobei er eher wie ein Schwergewichtler traditionellen Stils nicht allzu beweglich auf den Füßen ist, was gleichermaßen für den muskelbepackten Briten gilt. Wahrscheinlich wird der Herausforderer also versuchen, sich den Champion mit seinem Jab vom Leib zu halten und ihn so zu beeinträchtigen, daß der Brite in seinem Drang gebremst wird. [2]

Dieser wiederum dürfte bestrebt sein, die Distanz zu verkürzen, um wild auf Pulew einzuschlagen, bis der Herausforderer womöglich zu Boden geht oder aus dem Kampf genommen wird. Die größte Schwäche des Briten sind indessen gravierende Konditionsprobleme, da er sich das im Boxsport kontraproduktive Erscheinungsbild eines Bodybuilders antrainiert hat und sein Herz-Kreislaufsystem offenbar die überbordende Muskelmasse nicht ausreichend versorgen kann. Wenngleich er sein Training dem Vernehmen nach inzwischen in Richtung Ausdauer umgestellt hat, wird er noch immer nach wenigen Minuten heftiger Angriffe längere Pausen einlegen müssen, um Luft zu schöpfen. Das könnte Pulews Chance sein, entschieden nachzusetzen und Joshua in solchen Erholungsphasen in Bedrängnis zu bringen. [3]


Fußnoten:

[1] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/20584322/anthony-joshua-make-next-defense-vs-kubrat-pulev-oct-28-wales

[2] http://www.boxingnews24.com/2017/09/anthony-joshua-vs-kubrat-pulev/#more-242072

[3] http://www.boxingnews24.com/2017/09/joshua-ill-show-pulev-im-bully-inside-ring/#more-242201

7. September 2017


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