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MELDUNG/2249: Halbschwergewicht - ein unverhoffter Sinneswandel ... (SB)



Sergej Kowaljow verteidigt seinen Titel gegen Eleider Alvarez

Sergej Kowaljow verteidigt den WBO-Titel im Halbschwergewicht nicht wie zunächst angekündigt gegen Marcus Browne, den Ranglistenersten der WBO. Statt dessen trifft der 35 Jahre alte Russe auf Eleider Alvarez, der das Ranking beim Verband WBC anführt. Der Kampf wird im Sommer im Hulu Theater des Madison Square Garden in New York ausgetragen und vom Sender HBO übertragen, wobei der genaue Termin noch nicht feststeht. Während für den Weltmeister 32 Siege, zwei Niederlagen sowie ein Unentschieden zu Buche stehen, ist der Herausforderer in 23 Auftritten ungeschlagen.

Obgleich der in Montreal lebene gebürtige Kolumbianer Alvarez beim WBC Pflichtherausforderer des langjährigen Champions Adonis Stevenson gewesen war, hatte er schon eine halbe Ewigkeit vergeblich auf diesen Titelkampf gewartet. Das lag insbesondere daran, daß der Weltmeister aus Kanada zuletzt im Jahr 2013 eine Pflichtverteidigung gegen den Briten Tony Bellew bestritten hat, seither aber vom Verband nicht mehr dazu genötigt wurde. Alvarez trug allerdings auch selbst zu der mißlichen Situation bei, da er sich in zwei Fällen dafür ausbezahlen ließ, einem anderen Kandidaten den Vortritt zu lassen. Stevenson wollte Alvarez nicht, der es seinerseits nicht besonders eilig zu haben schien, dem Champion im Ring zu begegnen.

Was nun Marcus Browne betrifft, so hatte dieser darauf verzichtet, sich als Pflichtherausforderer der IBF mit dem Russen Artur Beterbijew zu messen. Statt dessen willigte er ein, gegen Sergej Kowaljow um dessen WBO-Titel zu kämpfen, zumal er auch bei diesem Verband die Rangliste anführt. Da dieser Kampf so gut wie festzustehen schien, nachdem der Kandidat aus Staten Island im Bundesstaat New York seine günstige Position beim Verband IBF nicht wahrgenommen hatte, kommt die aktuelle Nachricht um so überraschender, daß es sich Kowaljows Promoterin Kathy Duva von Main Events offenbar anders überlegt hat.

Wenngleich sie ihre Gründe für diesen Sinneswandel bislang nicht preisgegeben hat, könnte die Entscheidung damit zusammenhängen, daß Browne kürzlich wegen häuslicher Gewalt festgenommen worden ist. Möglicherweise reicht sein Team Klage wegen die Absage ein, wobei er als Pflichtherausforderer ohnehin früher oder später einen Titelkampf bekommen wird. Tritt der Verband in Aktion und ordnet eine Pflichtverteidigung an, bleibt dem Weltmeister wenig Manövrierraum, dieser Aufgabe aus dem Weg zu gehen. Besonders ärgerlich ist natürlich für Marcus Browne, daß ihm damit gleich zwei Titelkämpfe durch die Lappen gegangen sind.

Browne wäre für Kowaljow ein sehr gefährlicher Herausforderer gewesen, was zum Kurswechsel Kathy Duvas beigetragen haben mochte. Bekommt er es statt dessen mit dem 34jährigen Alvarez zu tun, steigen die Chancen des Russen, seinen Gürtel noch länger zu behalten. Kowaljow hatte den vakanten Titel im November 2017 durch einen Sieg über Wjatscheslaw Schabranskij gewonnen, der bereits in der zweiten Runde geschlagen auf den Brettern lag. Bei seiner ersten Titelverteidigung traf Kowaljow am 3. März im Madison Square Garden auf den sichtlich überforderten Igor Michalkin, für den in der siebten Runde Endstation war. Kowaljow mußte sich hinterher harsche Kritik gefallen lassen, einen derart leichten Herausforderer ausgesucht zu haben, statt beispielsweise Anthony Yarde oder Marcus Browne eine Chance einzuräumen.

Eleider Alvarez, der 2008 an den Olympischen Spielen in Beijing teilgenommen hatte, konnte sich zuletzt gegen Jean Pascal, Lucian Bute, Norbert Dabrowski und Robert Berridge durchsetzen. Er machte dabei eine gute Figur, während es ihn im November 2015 größte Mühe kostete, ganz knapp nach Punkten gegen Isaac Chilemba die Oberhand zu behalten. Allerdings trat er gegen Pascal und Bute zu einem Zeitpunkt an, als beide den Zenit ihres Könnens längst überschritten hatten. Alvarez ist zweifellos ein guter Boxer, hat es aber in den neun Jahren, die er nun schon im Profilager aktiv ist, nicht geschafft, sich in den höchsten Rängen durchzubeißen. Mit seinen 34 Jahren scheint er ein Niveau erreicht zu haben, daß kaum noch steigerungsfähig ist. [1]

Sergej Kowaljow war früher Weltmeister der Verbände WBA, WBO und IBF im Halbschwergewicht, als dessen führender Akteur er galt, zumal Adonis Stevenson als WBC-Champion in einer anderen Sphäre seine Kreise zog. Die beiden Niederlagen setzte es für den Russen in vielbeachteten Prestigekämpfen gegen Andre Ward, der vordem das Supermittelgewicht dominiert hatte. Als die beiden 2016 in Las Vegas zum ersten Mal aufeinandertrafen, dominierte Kowaljow zu Anfang das Geschehen und erzielte in der zweiten Runde einen Niederschlag. Ward war klar, daß er auf diese Weise nur verlieren konnte, worauf er seine Taktik komplett auf das Wühlen, Klammern und Schlagen im Infight umstellte. Damit kam Kowaljow überhaupt nicht zurecht, der aber dennoch alles in allem die klareren Treffer erzielte und mindestens sechs Runden die Oberhand hatte. Das hätte zusammen mit dem Extrapunkt für den Niederschlag ausreichen müssen, um zu gewinnen, da Ward in erster Linie den Kampf verhindert hatte. Um so erstaunlicher war die Wertung der Punktrichter, die dem Kalifornier den Zuschlag gaben.

Nachdem viele Fans und Experten der Auffassung waren, Kowaljow sei bei dieser Niederlage über den Tisch gezogen worden, sah man der Revanche erwartungsvoll entgegen. Abermals konnte man Andre Ward eine taktische Meisterleistung attestieren, da er dem körperlich überlegenen Russen sehr geschickt Paroli bot. Dennoch war er auch diesmal keineswegs der überlegene Akteur und mußte um den Sieg bangen, bis er Kowaljow in der achten Runde mit drei Tiefschlägen in Folge zu Boden zwang. Ringrichter Tony Weeks, der ansonsten als kompetenter und erfahrener Referee bekannt ist, übersah nicht nur alle drei Tiefschläge, sondern brach den Kampf sofort ab, als sich der Russe zu Boden krümmte. Dieser absonderliche Ausgang der Revanche, in der Kowaljow weder der schlechtere Boxer noch tatsächlich geschlagen war, gab dem Verdacht neue Nahrung, daß die Lobby des Russen jenen Interessen klar unterlegen war, die Andre Ward gewinnen sehen wollten.

Wenngleich der Kalifornier auf dem ersten Höhepunkt seiner Karriere als Sieger des internationalen Super-Six-Turniers und Weltmeister zweier Verbände im Supermittelgewicht unübertroffen war, mangelte es ihm stets an Popularität, was nicht zuletzt auf seine höchst effektive, aber sehr unattraktive Kampfesweise am Rande des Regelwerks zurückzuführen war. Als es jedoch gegen den Russen Kowaljow ging, paarten sich nationalchauvinistische Töne mit der Behauptung, daß der Champion ein dumpfer Haudrauf, der Herausforderer hingegen ein intelligenter Techniker und Taktiker sei. Ohne Wards Leistung in Abrede zu stellen oder moralisch auf Fairneß abzuheben, konnte man sich doch kaum des Eindrucks erwehren, daß Sergej Kowaljow ein Weltmeister in Feindesland gewesen war, bis man ihn bei passender Gelegenheit mit vereinten Kräften zu Fall brachte, ohne konkret nachweisbare Spuren zu hinterlassen.

Inzwischen hat sich der Russe zwar zumindest den WBO-Titel zurückgeholt, doch ist ihm der Nimbus der Unüberwindlichkeit und womöglich auch die damit verbundene Zuversicht abhanden gekommen. Er wird von den einschlägigen Medien deutlich zurückhaltender und kritischer bewertet als in der Vergangenheit, so daß sein zweiter Anlauf, sich die Vorherrschaft im Halbschwergewicht zu sichern, noch steinigere Wege als der erste bewältigen muß.


Fußnote:

[1] www.boxingnews24.com/2018/04/sergey-kovalev-vs-eleider-alvarez/#more-261210

21. April 2018


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