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MELDUNG/2279: Schwergewicht - Schmierenkomödie ... (SB)



Anthony Joshua und Jarrell Miller simulieren eine Fehde

Daß Anthony Joshua und Jarrell Miller keine begnadeten Schauspieler sind, durfte man schon vermuten. Von Beruf Schwergewichtsboxer, haben sie andere Talente, die ihnen sehr viel Geld einbringen, was insbesondere für den erstgenannten Briten gilt. Daß ihr kleines Improvisationstheater, wie es nun einmal zur Bewerbung künftiger Auftritte üblich ist, so peinlich ausfallen würde, hätte man indessen nicht erwartet. [1] Die Ausgangssituation läßt sich in kurzen Worten folgendermaßen beschreiben: Anthony Joshua (UK) ist Weltmeister der WBA, WBO und IBF, der in dieser Szene nicht anwesende Deontay Wilder (USA) firmiert als Champion des Verbands WBC. Die beiden sollten endlich gegeneinander antreten, um die Frage zu klären, wer der unangefochtene König des Schwergewichts ist. Die Fangemeinde diesseits und jenseits des großen Teichs fordert diesen Kampf, Wilder will ihn, Joshua angeblich auch, doch dessen Promoter Eddie Hearn hat offenbar andere Pläne.

Joshua verteidigt seine drei Titel am 22. September im Londoner Wembley-Stadion gegen den Russen Alexander Powetkin, der aktuell Pflichtherausforderer beim Verband WBA ist. [2] Sollte der Brite wie erwartet gewinnen, ist sein nächster Auftritt für den 13. April 2019 wiederum in der Riesenarena geplant. Nimmt er es dann mit Wilder auf? Eher nicht, denn Hearn macht dem US-Amerikaner ein derart mieses Angebot, daß der WBC-Champion eigentlich ablehnen muß. Nun kommt Jarrell Miller ins Spiel. Den will der britische Promoter für seine Zusammenarbeit mit dem Streaming-Anbieter DAZN anwerben, wofür er dringend jede Menge möglichst prominenter Akteure braucht, um dem Publikum etwas zu bieten. Hearn hat mit DAZN einen Vertrag abgeschlossen, der ihm über zehn Jahre insgesamt eine Milliarde Dollar einbringen soll. Dafür muß er jedoch jede Menge Veranstaltungen in Großbritannien und den USA auf die Beine stellen, was nicht einfach sein dürfte. Doch das ist wieder eine andere Geschichte.

Da stehen nun also Joshua und Powetkin bei einer Pressekonferenz in New York auf dem Podium, da sie ja im Herbst gegeneinander kämpfen sollen. Jetzt kommt aber Miller dazu, der schnurstracks auf den Briten losmarschiert, um ihn in ein Wortgefecht zu verwickeln, während der Russe überhaupt nicht zu Wort kommt und als Zuschauer am Rande alles weitere schweigend verfolgt. Joshua, der bei seinen Ansagen für gewöhnlich ausgesucht höflich spricht und dabei eine recht hölzerne Miene zur Schau trägt, nimmt plötzlich in einem Satz drei Schimpfwörter in den Mund. Das klingt bei ihm so aufgesetzt und unbeholfen, daß es fast schon wieder komisch ist. Dann schreit Miller: "Geben wir ihnen doch, was sie wollen!" Ist das verständlich? Die Zuschauer sollen einen Kampf zwischen ihm und dem Briten wollen. Die anwesenden Fans geraten prompt aus dem Häuschen, was auf ein ziemlich niedriges Niveau ihrer Ansprüche an kleine Rollenspiele schließen läßt. Andererseits sind sie ja auch nicht im Theater und vom Wrestling her damit vertraut, was eine Fehde ist und wie sie reagieren sollen, sobald sie eine solche erkennen.

Das soll nicht heißen, daß Joshua und Miller auch nur entfernt den Eindruck einer ernsthaften Meinungsverschiedenheit erweckt hätten. Sie standen einander im wesentlichen Nase an Nase gegenüber, bis alle Fotografen ihre Bilder geschossen hatten, auf denen man nachher sehen kann, daß zwischen diesen beiden Boxern etwas im Busch ist. An dieser Stelle sei eine weitere kleine Abschweifung gestattet. Floyd Mayweather (Boxer im Ruhestand) und Conor McGregor (Mixed Martial Arts) haben im Sommer 2017 bei ihrer Werbetour durch mehrere Großstädte jeweils eine gute Stunde lang aufeinander eingepöbelt, bis sie restlos heiser waren. In London haben 10.000 Fans Eintritt bezahlt, nur um dieses Spektakel mitzuerleben. Am Ende war dieser absurde Showkampf ein solcher Publikumsmagnet vor Ort und im Bezahlfernsehen, daß Mayweather vor allem dank dieses Auftritts wieder die Forbes-Liste der weltweit bestverdienenden Promis aus Sport und Showgeschäft anführt und der Ire es auf Platz 12 geschafft hat. Was sagt uns das? Mayweather versteht sein Geschäft und überragt die vor Drehbuchschreibern strotzende Wrestlingsszene und die MMA-Inszenierungen um Haupteslänge, obwohl er nicht besonders groß gewachsen und nur ein Weltergewichtler ist oder war oder wieder sein wird, sofern er abermals aus dem sportlichen Ruhestand wiederkehrt.

Joshua hingegen ist ein Riese von Gestalt, hat Muskeln wie ein Bodybuilder, gute Manieren und ist auf der britischen Insel derart populär, daß er locker das Wembley-Stadion mit 90.000 Zuschauern füllt, wenn sein Gegner auch nur halbwegs bekannt ist. Wenngleich er mit seinem Auftritt als erzürnter Bösewicht nicht einmal die Rolle beim Schülertheater bekäme, hat er die Taschen voller Geld - bei weitem nicht so viel wie Mayweather, der aber auch ständig kostspielig mit seinem Reichtum protzen muß, um sicherzustellen, daß ihm die Leute weiterhin die Millionen nachwerfen. Eddie Hearns Trumpf im ewigen Verhandlungspoker mit Deontay Wilder bleibt ebendieser Umstand, daß Joshua in England eine Geldmaschine ist, an die der WBC-Weltmeister in finanzieller Hinsicht auch in den USA nicht heranreicht. Um es einmal so auszudrücken: Joshua kann mit fast jedem Gegner viel Geld und mit Wilder noch mehr Geld machen. Umgekehrt kann Wilder nur mit Joshua viel Geld verdienen, während ansonsten erheblich weniger für ihn abfällt.

Warum will Hearn diesen Kampf höchstwahrscheinlich verhindern? Weil er Deontay Wilder offenbar für zu gefährlich hält, um ihn mit Joshua in den Ring zu lassen. Da der tendenziell geschäftsschädigende Vorwurf, die Briten hätten Angst vor Wilder, des öfteren im Raum steht, muß sich der Promoter eine Finte einfallen lassen: Er bietet dem US-Amerikaner nicht wie üblich einen prozentualen Anteil der Börse, sondern lediglich eine Pauschale von 15 Millionen Dollar. Da ein Gesamterlös von deutlich über 100 Millionen Dollar erwartet wird, schneidet Wilder bei diesem Angebot schlecht ab. Statt wie gefordert die Hälfte, bekäme er weniger als ein Pflichtherausforderer, obgleich er selbst Weltmeister ist. Daß Joshua und Miller aufs Podium steigen, um dort ein Wortgefecht zu inszenieren, ist ein weiterer deutlicher Hinweis darauf, daß Hearn diesen Kampf für das Frühjahr 2019 eingeplant hat. Zuvor muß Anthony Joshua aber gegen Alexander Powetkin gewinnen und Jarrell Miller am 6. Oktober in Chicago bei einer von DAZN übertragenden Veranstaltung die Oberhand behalten, wofür noch ein passender Gegner gesucht wird.

Alexander Powetkin war von 2011 bis 2013 regulärer Weltmeister der WBA und besiegte dabei Cedric Boswell, Marco Huck, Hasim Rahman und Andrzej Wawrzyk. Er büßte seinen zweitrangigen Titel im Kampf gegen Wladimir Klitschko ein und kassierte dabei vier Niederschläge, wofür nicht zuletzt der Größenunterschied eine maßgebliche Rolle spielte. Seither hat Powetkin acht Auftritte in Folge gegen Andrej Rudenko, Manuel Charr, Christian Hammer, Carlos Takam, Mike Perez, Mariusz Wach, Johann Duhaupas und David Price gewonnen. Beim Sieg über Price am 31. März wurde er in der dritten Runde stehend angezählt und konnte in der Folge von Glück reden, daß der Brite Konditionsprobleme bekam und nicht mehr nachlegen konnte. Vor einigen Jahren wäre der Russe eine kaum zu überwindende Hürde gewesen. Wenngleich er in jüngerer Zeit eine Reihe achtbarer Gegner geschlagen hat, ließ der inzwischen 38jährige Powetkin in seinen letzten drei Kämpfen doch Schwächen erkennen, so daß Anthony Joshua für den Auftritt im Wembley-Stadion als haushoher Favorit gehandelt wird.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2018/07/jarrell-miller-a-possibility-for-anthony-joshua-in-april-2019/#more-266953

[2] www.boxingnews24.com/2018/07/anthony-joshua-vs-alexander-povetkin-official-for-september-22/#more-266798

20. Juli 2018


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