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MELDUNG/2281: Schwergewicht - hier ist der Gast nicht König ... (SB)



Fragwürdiger Punktsieg Dillian Whytes gegen Joseph Parker

Möge der Bessere gewinnen! Davon konnte an diesem Abend in der Londoner O2 Arena eher nicht die Rede sein. In einem wegweisenden Duell des Schwergewichts behielt der britische Lokalmatador Dillian Whyte gegen den früheren WBO-Weltmeister Joseph Parker aus Neuseeland einstimmig nach Punkten die Oberhand (113:112, 115:110, 114:111). Während für Whyte nunmehr 24 Siege und eine Niederlage zu Buche wie auch viele Türen offenstehen, mußte Parker nach 24 Erfolgen den zweiten herben Rückschlag unter fragwürdigen Umständen hinnehmen. Der Neuseeländer hatte seinen Titel im Kampf gegen Anthony Joshua im März nicht zuletzt aufgrund einer indiskutablen Leistung des Ringrichters verloren. Diesmal war es dem Referee Ian John Lewis vorbehalten, Nackenschläge, Kopfstöße, Halten und Schlagen sowie diverse weitere Regelwidrigkeiten Whytes zu tolerieren. Damit nicht genug, wertete er eine Aktion in der zweiten Runde als regulären Niederschlag, der sich in der Zeitlupe zweifelsfrei als Kopfstoß erwies. Wenngleich natürlich auch ein Unparteiischer einen schlechten Tag haben kann, mutet doch seltsam an, daß Parker bei zwei derart wichtigen Gastspielen auf britischem Boden in Folge so eklatant benachteiligt wurde.

Wie der Neuseeländer im Vorfeld befürchtet hatte, müßte er Whyte schon geschlagen auf die Bretter schicken, um diesen Kampf zu gewinnen. Fast wäre ihm das kurz vor Ende tatsächlich gelungen, als er den Lokalmatador mit einem Volltreffer niederstreckte. Der Londoner kam jedoch mühsam wieder auf die Beine und rettete sich ins Ziel, so daß Parker vielleicht 30 Sekunden fehlten, um den Sack endgültig zuzumachen. Dillian Whyte hatte neben dem irregulären Niederschlag einen weiteren, diesmal regelkonformen in der neunten Runde erzielt. Der 30jährige gebürtige Jamaikaner war deutlich schwerer als sein vier Jahre jüngerer Kontrahent in den Kampf gegangen, was zu Mutmaßungen Anlaß gab, daß ihn der beweglichere Parker ausboxen könnte. Das war genaugenommen auch der Fall, wurde aber von den Punktrichtern nicht gewürdigt, die den mit erlaubten wie unerlaubten Mitteln ackernden und phasenweise gefährlich zuschlagenden Briten favorisierten. Whyte bot keinen schlechten Auftritt, wirkte aber in den letzten drei Runden ermüdeter als der Neuseeländer, der gegen Ende immer besser zur Geltung kam. [1]

Whyte sprach hinterher von einem guten Kampf, in dem der Neuseeländer stark begonnen und zu Schluß noch einmal zugelegt habe. Dummerweise sei er selbst in der letzten Runde ausgerutscht und auf ein Knie gegangen. Das war allerdings maßlos untertrieben, hatte Parker ihn doch mit einem gewaltigen Schlag von den Beinen geholt. Der aus Auckland stammende und in Las Vegas trainierende Gast war klug und großzügig genug, seine offenkundige Benachteiligung nicht durch eine berechtigte, aber nutzlose Klage zum Thema zu machen. Es sei eine großartige Gelegenheit gewesen, abermals in England anzutreten. Whyte habe stark gekämpft und verbessere sich laufend weiter, wofür er ihm allen Respekt zolle. [2] Da der Neuseeländer nirgendwo sonst derart hochkarätige und lukrative Auftritte bekommen kann, neigt er verständlicherweise dazu, es sich mit Eddie Hearn und den britischen Fans nicht zu verscherzen.

Das Schweigen des Promoters nach dem Erfolg seines Boxers sprach Bände. Hearn ist bekanntlich nicht auf den Mund gefallen und hätte im Falle eines beeindruckenden Sieges die Gelegenheit sicher genutzt, Dillian Whyte als möglichen Gegner Anthony Joshuas am 13. April 2019 ins Gespräch zu bringen. Das unterließ er klugerweise, wäre ihm doch geharnischter Protest des Publikums sicher gewesen. Da alle Welt das langersehnte Duell der Weltmeister Joshua (WBA, WBO, IBF) und Deontay Wilder (WBC) einfordert, welches Hearn offenbar zu verhindern trachtet, darf er den Bogen nicht überspannen. Theoretisch könnten Whyte und Parker eine Revanche austragen, die mit einem besseren Referee und drei zuverlässigen Punktrichtern sicher reizvoll wäre. Dazu wird es aber kaum kommen, da der Neuseeländer günstigstenfalls auf Dereck Chisora hoffen kann, der im Vorprogramm kurzen Prozeß mit Carlos Takam machte.

Dillian Whyte wird in den Ranglisten der Verbände WBC (1), WBO (2) und IBF (bis vor kurzem 1) an ausgezeichneten Positionen geführt. Er hat Anthony Joshua zu Amateurzeiten besiegt, mußte sich dem Champion aber im Dezember 2015 geschlagen geben, als ihn eine schwere Schulterverletzung beeinträchtigte. Seit dieser einzigen Niederlage seiner Profikarriere hat er acht Kämpfe gewonnen, wobei die Erfolge gegen den Australier Lucas Browne und nun gegen Joseph Parker die wichtigsten waren. Er würde sich gerne noch einmal mit Anthony Joshua messen, hielt der Londoner mit seinem Wunschgegner nicht hinter dem Berg. Da er jedoch noch eine Menge zu lernen habe, wäre ein weiterer Kampf zur Vorbereitung angebracht, schlägt er eine Zwischenetappe vor.

Der in 21 Auftritten ungeschlagene Anthony Joshua verteidigt seine Titel am 22. September gegen den russischen Pflichtherausforderer Alexander Powetkin. Dann soll am 13. April nächsten Jahren ein Kampf im Londoner Wembley-Stadion folgen, dessen Fassungsvermögen von 90.000 auf 100.000 Plätze erweitert wird. Um die Riesenarena zu füllen, ist ein prominenter Gegner vonnöten, der im Prinzip mit Deontay Wilder bereitsteht. Hearn will ihn jedoch mit einer Pauschale von 15 Millionen Dollar abspeisen, die angesichts der zu erwartenden Erlöse von über 100 Millionen Dollar unannehmbar ist. Als Alternative könnte entweder der US-Amerikaner Jarrell Miller oder eben doch Dillian Whyte in Frage kommen, die beide bei Hearn unter Vertrag stehen, der damit die volle Kontrolle behielte.

Deontay Wilder tritt unterdessen gegen Dominic Breazeale an, hat nun aber ein vorerst informelles Angebot des britischen Promoters Frank Warren erhalten, sich gegen Ende des Jahres mit Tyson Fury zu messen. Diese faustdicke Überraschung ist vorerst noch spekulativ, da die Finanzierung geklärt werden müßte. Warren traut sich aber offenbar zu, den WBC-Champion mit 50 Millionen Dollar zu überzeugen, und Fury ist bereits Feuer und Flamme, obwohl er nach mehrjähriger Abwesenheit erst einen Aufbaukampf bestritten und leichterdings gewonnen hat. Wenn er sich am 18. August Francesco Pianeta als nächsthöhere Hürde vornimmt, wird dem Vernehmen nach Deontay Wilder als interessierter Gast am Ring erwartet. Sind damit die Karten neu gemischt? Das vermag niemand mit Sicherheit zu sagen, da im Boxsport nun einmal keine Drehbücher geschrieben werden, an die sich alle Beteiligten halten müßten.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2018/07/dillian-whyte-decisions-joseph-parker-results/#more-267700

[2] www.espn.com/boxing/story/_/id/24220361/dillian-whyte-defeats-joseph-parker-unanimous-decision

1. August 2018


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