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MELDUNG/2288: Mittelgewicht - raufen oder laufen ... (SB)



Daniel Jacobs gegen Serhij Derewjantschenko um den IBF-Titel

Daniel Jacobs kämpft am 27. Oktober im New Yorker Madison Square Garden gegen Serhij Derewjantschenko um den vakanten IBF-Titel im Mittelgewicht. Die Veranstaltung wird vom Sender HBO übertragen. Es geht dabei um den Gürtel, der Gennadi Golowkin aberkannt wurde, weil er es ablehnte, ihn gegen den Pflichtherausforderer dieses Verbands zu verteidigen und statt dessen die Revanche gegen Saul "Canelo" Alvarez vorzieht, die Mitte September in Las Vegas über die Bühne geht. Die IBF setzte dem Kasachen gewissermaßen die Pistole auf die Brust, indem sie ihn vor die Alternative stellte, entweder im Sommer gegen Derewjantschenko oder wenige Wochen später gegen den Mexikaner anzutreten, da beides zusammen aus zeitlichen Gründen unmöglich war. Wenngleich Golowkin stets darauf aus gewesen war, sämtliche Gürtel im Mittelgewicht zusammenzuführen, mußte er sich von dieser Trophäe verabschieden, da der Rückkampf gegen "Canelo" weitaus lukrativer und bedeutsamer für seine Karriere ist.

Das Duell des New Yorker Lokalmatadors gegen den Ukrainer könnte sich als attraktiver und hochklassiger Titelkampf erweisen, doch hängt der Verlauf in erheblichem Maße davon ab, welche taktische Marschroute Jacobs bevorzugt. Er ist in der Wahl seiner Mittel durchaus variabel und kann sich einem offenen Schlagabtausch stellen, nicht minder geschickt aber auch in ständiger Bewegung bleiben und sich dem Gegner entziehen. Sollte er letzteres wie bei seiner Niederlage gegen Gennadi Golowkin im vergangenen Jahr vorziehen, droht den Zuschauern eine eher langweilige Darbietung. Bei seinem letzten Auftritt gegen Maciel Sulecki im April kämpfte Jacobs hingegen zwölf Runden lang den Sieg aus, was er sich deswegen erlauben konnte, weil sein Gegner über keine Schlagwirkung verfügte, die ihm gefährlich wurde. Der 28jährige Sulecki erwies sich als relativ leichte Beute, da er dem versierteren Favoriten keine gleichwertigen Qualitäten entgegenzusetzen vermochte.

Im Falle Golowkins rannte Jacobs jedoch größtenteils weg, da er offensichtlich die Schläge des Kasachen fürchtete. Daraus resultierte zwangsläufig ein nicht sonderlich attraktiver Kampf, zumal der Herausforderer wiederum zu geschickt war, um sich stellen zu lassen. Als die beiden am 18. März 2017 vor fast 20.000 Zuschauern im Madison Square Garden aufeinandertrafen, ging der Kasache anfangs vorsichtig zu Werke und arbeitete später fleißig mit Jab, übte aber nicht unablässig Druck auf den Gegner aus, der die gewaltige Rechte des Champions nur gelegentlich mit voller Wucht zu spüren bekam. Dennoch dominierte Golowkin den Kampf, da er vorwärts marschierte, häufiger schlug und gefährlicher traf als Jacobs. In der vierten Runde mußte der New Yorker zum dritten Mal in seiner Karriere zu Boden gehen, in der neunten schwankte er heftig und wurde vom Pausengong gerettet.

Dem Herausforderer ging es offenbar vor allem darum, die gefürchteten Volltreffer des Kasachen tunlichst zu meiden. Er setzte auf seine Beweglichkeit, klammerte häufig und schubste den Gegner mitunter sogar zurück. Sein Trainer schärfte ihm in den Pausen immer wieder ein, er solle den Schlagabtausch meiden und statt dessen boxen, um seine technischen Finessen auszuspielen. Auf diese Weise bot Jacobs ein relativ schwer zu treffendes Ziel und machte das Beste aus seinen Möglichkeiten, nach Punkten einigermaßen mitzuhalten. Allerdings lag auf der Hand, daß er mit dieser eher passiven Kampfesweise kaum gewinnen konnte, da selbst in Runden auf gleicher Augenhöhe Golowkin den aktiveren Eindruck hinterließ.

Obwohl Jacobs zu Recht nach Punkten verlor, beklagte er sich hinterher bitter, der bessere Boxer gewesen zu sein, den man jedoch bei der Wertung benachteiligt habe. Wenngleich er der erste Gegner des Kasachen seit 2008 war, der nicht vorzeitig verloren hatte, beließ er es nicht bei dieser respektablen Leistung, sondern stellte mit seiner Behauptung den Kampfverlauf auf den Kopf. Noch ein Jahr später erzählte er jedem, der ihm zuhörte, warum er Golowkin im Grunde besiegt habe. De facto hatte er sich jedoch mit seinem Sicherheitsboxen der Chance beraubt, vielleicht doch den Sieg davonzutragen. Allerdings hätte er höchstwahrscheinlich im Falle einer anderen Taktik noch schneller verloren. Wenngleich im Boxen vieles möglich und auch ein Außenseiter stets für eine Überraschung gut ist, spricht doch viel dafür, daß er sich ein offenes Duell mit dem Kasachen schlichtweg nicht leisten konnte. So gesehen war seine überwiegende Vorgehensweise, schnell zu punkten und sich dann sofort aus dem Staub zu machen, die einzige Möglichkeit, bis zum Schlußgong durchzuhalten.

Für Daniel Jacobs, der 34 Auftritte gewonnen und zwei verloren hat, ist der Kampf gegen Derewjantschenko die bestmögliche Gelegenheit, sich einen Titel zu sichern und seine Karriere wiederzubeleben. Sein britischer Promoter Eddie Hearn hat große Pläne mit ihm, sofern der 31jährige US-Amerikaner die Oberhand behält. Dann nämlich könnte er sich möglicherweise mit dem Sieger der Revanche zwischen Golowkin und Saul Alvarez messen, die am 15. September aufeinandertreffen. Jacobs hat derzeit einen Vertrag mit HBO, der in absehbarer Zeit ausläuft. Solange er mit diesem Sender assoziiert ist, der auch die Auftritte Golowkins und "Canelos" überträgt, stünden in dieser Hinsicht keine Probleme ins Haus. Erneuert HBO den Vertrag mit Jacobs nicht, sähe sich Hearn genötigt, seinen Mittelgewichtler über den Streamingdienst DAZN zu präsentieren. In diesem Fall müßte Golowkin oder "Canelo" schon sehr an dem IBF-Titel interessiert sein, um bei DAZN aufzutreten und dafür auf das wesentlich lukrativere Pay-TV bei HBO zu verzichten.

Ob dem Kasachen nach wie vor so viel an der Trophäe der IBF liegt, ist ungewiß. Da er Daniel Jacobs schon einmal besiegt hat und nicht zu den Boxern gehört, die aus freien Stücken mehrmals gegen denselben Gegner antreten, um das Publikum abermals zu melken, wäre sein Interesse an einer Revanche mit dem New Yorker vermutlich gering. Was die Fangemeinde betrifft, würde diese wohl ein Kampf gegen Jermall Charlo (Interimschampion des WBC), Billy Joe Saunders (WBO-Weltmeister), Demetrius Andrade oder vielleicht sogar Serhij Derewjantschenko oder Ryota Murata (regulärer WBA-Weltmeister) vorziehen. [1] Sollte sich Golowkin gegen "Canelo" durchsetzen, wäre nach dem ohnehin fragwürdigen Unentschieden vom letzten September definitiv geklärt, wer von beiden die Szene dominiert. Dennoch ist ein dritter Kampf nicht auszuschließen, sofern Verlauf und Ausgang des zweiten auch nur entfernt eine Begründung dafür liefern. Denn ein bedeutenderes und einträglicheres Duell als dieses läßt sich gegenwärtig in der Gewichtsregion nicht auf die Beine stellen.


Fußnote:

[1] www.boxingnews24.com/2018/08/daniel-jacobs-vs-sergiy-derevyanchenko-announced-for-october-27-at-msg-ny/

25. August 2018


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