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MELDUNG/2307: Schwergewicht - Windungen und Wendungen ... (SB)



Dillian Whyte manövriert sich in eine Zwickmühle

Am 13. April 2019 verteidigt der britische Schwergewichtler Anthony Joshua die Titel der WBA, WBO und IBF vor einer Riesenkulisse von bis zu 90.000 Zuschauern im Londoner Wembley-Stadion. Wunschkandidat seines Promoters Eddie Hearn ist der ebenfalls bei ihm unter Vertrag stehende Dillian Whyte. Am 1. Dezember trifft WBC-Weltmeister Deontay Wilder in Los Angeles auf den Briten Tyson Fury. Als Joshua seine Fangemeinde in den sozialen Medien darüber abstimmen ließ, wer sein Gegner im Frühjahr werden solle, machte Wilder knapp vor Fury das Rennen, während Whyte weit abgeschlagen am Ende landete. Legte man den Wunsch des Publikums zugrunde, käme also nur der Sieger des Dezemberkampfs in Frage. Das dürfte Hearn jedoch ganz anders sehen, der seinen populärsten und einträglichsten Boxer nicht der Gefahr einer Niederlage aussetzen möchte. Zwar hat er eigenen Angaben zufolge sein unannehmbar niedriges Angebot an Wilder inzwischen aufgestockt, doch ist bislang von einer Aufteilung der Börse im Verhältnis 50:50, wie sie der US-Amerikaner fordert, noch immer keine Rede.

Daher kann Dillian Whyte nach wie vor damit rechnen, daß er diese hochdotierte Revanche gegen Joshua bekommen wird, der ihn bei ihrem ersten Aufeinandertreffen am 12. Dezember 2015 vorzeitig besiegt hat. Allerdings will er zuvor noch am 22. Dezember einen Kampf austragen, für den Eddie Hearn derzeit mit Dereck Chisora verhandelt, der im Dezember 2016 knapp und umstritten gegen Whyte verloren hat. Dieses Duell der britischen Rivalen ließe sich bei Sky Box Office im Pay-TV sicher gut vermarkten, so daß der Plan aufgehen könnte. Nun kommt jedoch Luis Ortiz ins Spiel, dessen Namen mehrfach als mögliche Alternative genannt wurde, bis sich Whyte dazu hinreißen ließ, ihn selber als seinen Wunschgegner beim vorweihnachtlichen Duell zu bezeichnen. Da der Kubaner jedoch zu den allerbesten Akteuren gehört, die das Schwergewicht derzeit zu bieten hat, und zuletzt Deontay Wilder einen Kampf auf Biegen oder Brechen geliefert hat, geht man weithin davon aus, daß Whyte nicht ernsthaft vorhat, sich mit ihm zu messen. Denn verlieren darf er natürlich nicht, weil damit die Herausforderung Joshuas im April für ihn gestorben wäre.

Da Whyte an der Spitze der WBC-Rangliste steht, ist er zudem mit dem Wunsch an diesen Verband herangetreten, zum Pflichtherausforderer Wilders ernannt zu werden. Dem steht jedoch im Wege, daß Dominic Breazeale bereits dieses Vorrecht zuerkannt worden ist. Dieser wird zwar in der Rangliste erst an Nummer vier geführt, hat aber im November 2017 einen Ausscheidungskampf gegen Eric Molina gewonnen. Wie WBC-Präsident Mauricio Sulaiman dazu erklärt, sei er der festen Überzeugung, daß Dillian Whyte mit Fug und Recht an der Spitze der Rangliste stehe. Dominic Breazeale sei jedoch aufgrund bestimmter Umstände, wie sie Ende letzten Jahres geherrscht hatten, Pflichtherausforderer geworden, so daß man ihn nicht übergehen könne. Bis diese Frage geklärt sei, könnten Whyte und Ortiz einen Kampf austragen, dessen Sieger zweiter Pflichtherausforderer würde. [1]

Mit diesem Winkelzug hat sich Sulaiman Manövrierraum verschafft, ohne einen der beiden Kandidaten vor den Kopf zu stoßen. Er hat Whyte ein Angebot unterbreitet, das der Brite höchstwahrscheinlich nicht annehmen wird. Aus Sicht des Verbands wäre ein Kampf gegen den 39jährigen Kubaner vorzuziehen, da Dereck Chisora im Laufe seiner wechselvollen Karriere bereits achtmal den kürzeren gezogen hat. Das bringt Dillian Whyte in die Zwickmühle, da er sich einerseits nicht die Blöße geben will, er stehe nicht zu seinem Wort, weil er Angst vor Ortiz habe. Andererseits dürfte er sich im klaren darüber sein, daß er dem Kubaner nicht gewachsen ist, dessen Talent, Erfahrung und Angriffswucht ihn überfordern würden. Seit Whyte vor zwei Jahren bei Eddie Hearn angeheuert hat, sind ihm umstrittene Siege gegen Chisora und den Neuseeländer Joseph Parker mehr oder minder in den Schoß gefallen. Doch selbst der Einfluß seines Promoters könnte ihn nicht vor den mächtigen Schlägen retten, würde Luis Ortiz auch nur annähernd so überzeugend zur Sache gehen wie im Kampf gegen Wilder, dem er annähernd ebenbürtig war, bis ihn der WBC-Weltmeister schließlich mit seiner gefürchteten Rechten auf die Bretter schickte.

Hearn hat zwar den Kubaner als Option für den 22. Dezember erwähnt, aber keinen Zweifel daran gelassen, daß dies nur die zweite Wahl für den Fall eines Scheiterns der Verhandlungen mit Dereck Chisora sei. Der ist zwar keinesfalls der bestmögliche Gegner, brächte aber das meiste Geld bei vertretbarem Risiko. Für die britische Fangemeinde wäre dies attraktiv, während sie mit Ortiz weniger vertraut ist. Dillian Whyte wird sich also vor dem Kubaner wie auch vor Wilder hüten, ehe er nicht ein zweites Mal mit Anthony Joshua im Ring gestanden hat. Sollte es dazu kommen und Whyte abermals verlieren, würde er sicher versuchen, einen Titelkampf gegen den WBC-Champion zu bekommen.

Eine mögliche Alternative böte Jarrell Miller, der sich absehbar den Gürtel des regulären WBA-Weltmeisters sichern wird. Der US-Amerikaner würde zwar einen Kampf gegen Anthony Joshua allemal vorziehen, doch da er ebenfalls bei Hearn unter Vertrag steht, fügt er sich dessen Agenda und nimmt ersatzweise die zweitrangige Trophäe als Trostpreis aufs Korn. Miller hatte zeitweise versucht, sich auf ein Kampfgewicht herunterzuhungern, das ihm vorteilhafter erschien. Seitdem er jedoch wieder mit seinem Normalgewicht von über 140 Kilo in den Ring steigt, das seinem Kampfnamen "Big Baby" alle Ehre macht, fühlt er sich wesentlich wohler und macht von seinem Können bestmöglich Gebrauch. Das bekam jüngst der polnische Veteran Tomasz Adamek zu spüren, der über 40 Kilo leichter und absolut chancenlos gegen Miller war, der ihn in der ersten Runde deklassierte und den höchst ungleichen Kampf gleich zu Beginn der zweiten beendete.

Whyte wird sich folglich kaum mit Miller anlegen, zumal ihm dessen Titel ohnehin nicht weiterhelfen würde. Nur ein Sieg über den WBC-Weltmeister, so unwahrscheinlich er auch sein mag, brächte ihn in Besitz einer Trophäe, die ihn für einen dritten Kampf gegen Anthony Joshua attraktiv erscheinen ließe. Wie oben ausgeführt, ist die Verbandsführung des WBC aber nicht bereit, Whyte ohne weiteres zum Pflichtherausforderer zu erklären. Also wäre der Brite darauf angewiesen, daß der US-Amerikaner seinen Titel freiwillig gegen ihn verteidigt. Das wird jedoch nicht geschehen, da Wilder bereits erklärt hat, Whyte müsse sich zuerst mit Luis Ortiz messen und gewinnen, wenn er eine Chance bekommen wolle.

Doch das ist alles Zukunftsmusik, und um die Leserschaft nicht vollends mit Spekulationen zu verwirren, zurück zu den sogenannten harten Fakten. Dillian Whyte und sein Promoter Eddie Hearn wollen Dereck Chisora im Dezember und dann im Frühjahr den Kampf gegen Anthony Joshua. Alles in britischer Hand und unter Kontrolle von Matchroom Sports - sofern nicht Chisora querköpfig einen Strich durch die Rechnung macht, indem er entweder die Gespräche platzen läßt oder doch unterschreibt, aber sich selber ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk beschert und Whyte besiegt. Damit finge die Kette des Wenn und Aber von vorne an, die bei diesem Sport, in dem selten geboxt, aber unablässig darüber geredet wird, naturgemäß die halbe Miete ist.


Fußnote:

[1] www.boxingnews24.com/2018/10/wbc-welcomes-dillian-whyte-vs-luis-ortiz-in-final-eliminator/

11. Oktober 2018


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