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MELDUNG/2314: Schwergewicht - Zwangslage selbstgestrickt ... (SB)



Dillian Whyte braucht Dereck Chisora

Der britische Schwergewichtler Dillian Whyte reagiert erbost auf die Forderung seines Landsmanns und Wunschgegners Dereck Chisora, bei einem möglichen Kampf am 22. Dezember die Börse je zur Hälfte zu teilen. Die Veranstaltung in der Londoner O2 Arena wird von Sky Box Office im Pay-TV übertragen und dürfte sehr einträglich sein, da beide Akteure dem begeisterungsfähigen Boxpublikum auf der Insel gut bekannt sind. Offenbar schwebt Whyte eine Aufteilung im Verhältnis 75:25 vor, als sei er ein Weltmeister und sein mutmaßlicher Gegner lediglich irgendein beliebiger Herausforderer. Das läßt sich Chisora natürlich nicht bieten, der um so hartnäckiger verhandelt, seit der frühere Weltmeister David Haye sein Manager ist.

Whyte hat sich Zug um Zug selbst in eine schwache Verhandlungsposition manövriert, die Haye und Chisora weidlich ausnutzen. Ursprünglich waren auch Luis Ortiz, Jarrell Miller und Dominic Breazeale als Kandidaten im Gespräch, so daß zumindest theoretisch Alternativen winkten, sofern die Gespräche mit Chisora scheitern sollten. De facto zeichnete sich jedoch frühzeitig ab, daß Whyte und sein Promoter Eddie Hearn ihre Wahl im Grunde längst getroffen haben. Ortiz, Miller und Breazeale sind zu gefährlich und bringen in England weniger Geld als Dereck Chisora, der aus diesen beiden Gründen im Fokus des Interesses von Matchroom Boxing steht. Inzwischen haben alle drei andere Auftritte im Dezember fest vereinbart und können daher nicht einmal mehr dem Schein nach als Varianten herhalten.

Hätte man wenigstens ansatzweise mit dem Kubaner Luis Ortiz verhandelt, den das internationale Publikum bevorzugen würde, müßte Chisora auf der Hut sein, den Bogen seiner finanziellen Forderungen nicht zu überspannen. Da er jedoch weiß, daß ihn Whyte dringend braucht, hindert ihn nichts daran, mit hohem Einsatz zu pokern. Weil der Kampf im Pay-TV übertragen wird, kann Eddie Hearn nicht einen beliebigen anderen Gegner verpflichten, den das breitere Publikum kaum kennt. Soweit bekannt, hat Whyte allenfalls Adam Kownacki in der Hinterhand, der für viele eher ein unbeschriebenes Blatt sein dürfte. Er ist jung, ambitioniert und kann mit beiden Fäusten gewaltig zuschlagen, wäre demnach also ein recht gefährlicher Kandidat.

Wie Whyte nun klagt, habe man Chisora zunächst 25 Prozent und dann sogar gut 30 Prozent geboten, doch seit David Haye an Bord sei, gehe nichts mehr unter 50:50. Am Ende werde er sich eben einen anderen Gegner suchen müssen. Da stellt sich zwangsläufig die Frage, wieso eine Aufteilung in zwei gleich große Portionen bei diesem Kampf so indiskutabel sein soll. Keiner der beiden könnte allein ein wirklich großes Publikum ziehen, doch gemeinsam garantieren sie ein volles Haus und eine gute Fernsehquote. Davon abgesehen, daß Whyte natürlich möglichst viel verdienen möchte, scheint er der festen Überzeugung zu sein, eine Etage höher als sein Rivale zu residieren. Wäre er wirklich so viel besser, könnte er auch mit Luis Ortiz, Jarrell Miller, Dominic Breazeale oder Alexander Powetkin in den Ring steigen. Das Problem ist jedoch, daß er am 13. April 2019 im Londoner Wembley-Stadion Anthony Joshua herausfordern und dabei sehr viel Geld verdienen will, weshalb er den Kampf kurz vor Weihnachten keinesfalls verlieren darf. [1]

Aus dem ersten Kampf gegen Dereck Chisora ging Dillian Whyte im Dezember 2017 als knapper Punktsieger hervor, wobei die Mehrzahl der Fans und Experten mit dieser Wertung nicht einverstanden war. Whyte mied in der Folge eine riskante Revanche und setzte sich statt dessen gegen die ehemaligen Weltmeister Lucas Browne und Joseph Parker durch, ohne jedoch zu überzeugen. Der 39jährige Browne wirkte behäbig und in schlechter körperlicher Verfassung, Parker wurde vom Referee klar benachteiligt und schien dennoch gewonnen zu haben, was die Punktrichter jedoch anders sahen. Als der Brite seinen Gegner in der zweiten Runde mit einem Kopfstoß zu Boden schickte, wertete Ringrichter Ian John Lewis dies als regulären Niederschlag. Danach wurde es noch schlimmer, da sich Whyte alle erdenklichen grenzwertigen bis regelwidrigen Aktionen leisten konnte, ohne daran gehindert zu werden.

Eddie Hearn betont zwar allenthalben, daß Deontay Wilder der hochkarätigste Gegner Anthony Joshua sei und man sich daher weiterhin darum bemühe, mit dem WBC-Weltmeister handelseinig zu werden. Sobald er aber auf die finanziellen Bedingungen zu sprechen kommt, zeichnet sich in aller Deutlichkeit ab, daß dieses seit langem geforderte Duell der Weltmeister im kommenden Jahr kein Thema für den britischen Promoter ist. So hat Hearn erklärt, daß die Aufteilung der Einkünfte im Verhältnis 80:20 erfolgen müsse, sofern Wilders Kampf gegen Tyson Fury am 1. Dezember in Los Angeles weniger als 300.000 Buchungen im Pay-TV erzielt. Dieses Angebot läge noch unter den 33 Prozent, die der damalige WBO-Weltmeister Joseph Parker bei seinem Duell mit Joshua am 31. März in Cardiff bekommen hat. Daß Eddie Hearn die Börse für den US-Amerikaner überhaupt am Ertrag des Dezemberkampfs bemessen will, läßt darauf schließen, daß er kein Interesse daran hat, mit Wilder überein zu kommen. Zwar stellt er eine für den WBC-Champion günstigere Aufteilung in Aussicht, sofern die Buchungen über 500.000 oder sogar jenseits einer Million liegen sollten, doch kalkuliert er offensichtlich damit, daß sich das Interesse des Publikums in den USA, dem Fury eher unbekannt ist, in Grenzen halten wird. Deontay Wilder verlangt 50:50, und da ihm Joshuas Promoter diese Aufteilung verweigern will, wird es vorerst nicht zum Kampf kommen. [2]

Anthony Joshua soll von den gefährlichsten Gegnern wie Deontay Wilder und Luis Ortiz ferngehalten werden, weshalb Eddie Hearn im April mit Dillian Whyte und später im Jahr womöglich mit Jarrell Miller oder vielleicht auch Kubrat Pulew plant. Das ist insofern kein Geheimnis, als es längst zur Sprache kam, doch zündet der Promoter des öfteren Nebelkerzen, um diese Ratio zu verschleiern und immer neue Hindernisse zu konstruieren. Was sich das britische Publikum wünscht, liegt auf der Hand. Als Joshua jüngst seine Fangemeinde in den sozialen Medien abstimmen ließ, gegen wen er im Frühjahr kämpfen soll, war das Ergebnis eindeutig. Als Wunschgegner wurde Deontay Wilder genannt, knapp gefolgt von Tyson Fury, während Dillian Whyte abgeschlagen am Ende landete. Dessen ungeachtet wird Hearn seine Vorstellungen durchsetzen, sofern Whyte den Kampf im Dezember nicht verliert. Man darf gespannt sein, wie weit Dillian Whyte und sein Promoter Dereck Chisora finanziell entgegenkommen, um ihn doch noch mit ins Boot zu holen.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2018/10/whyte-furious-says-chisora-wants-50-50-split/

[2] www.boxingnews24.com/2018/10/dillian-whyte-and-dereck-chisora-negotiations/

28. Oktober 2018


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