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FORSCHUNG/105: Friluftsliv - Outdoorkultur (f.i.t. - Sporthochschule Köln)


f.i.t. - Forschung . Innovation . Technologie
Das Wissenschaftsmagazin der Deutschen Sporthochschule Köln 2/2007

Friluftsliv - Outdoorkultur als Lehr- und Forschungsgebiet an deutschen Hochschulen
Auswirkungen der skandinavischen Outdoorkultur auf Körper und Geist im Fokus empirischer Untersuchungen

Von Gunnar Liedtke¹ und Dieter Lagerstrøm²
¹Fachbereich Bewegungswissenschaft der Universität Hamburg, ²Universität in Agder, Kristiansand (Norwegen)


Wenn in den letzten Jahren immer wieder von gesundheitlichen Problemen, Übergewicht und Adipositas oder von so genannten Zivilisationserkrankungen die Rede war, so wird in der Regel Bewegungsmangel als eine der wesentlichen Ursachen diagnostiziert. Im Zeitalter von Motorisierung, Automatisierung und Multi-Medialisierung ist die Notwendigkeit zur Bewegung im Alltag weitgehend verschwunden. Aus gesundheitlicher Perspektive betrachtet hat das Ausmaß der körperlichen Entlastung mittlerweile eine Dimension erreicht, die für die Entwicklung und Aufrechterhaltung eines psychosomatischen Gleichgewichts als problematisch bis gefährlich eingestuft werden muss. Der ursprünglich positive Prozess der körperlichen Entlastung von Schwerstarbeiten ist aus gesundheitlicher Sicht über das Ziel hinausgeschossen und befreit den Menschen nicht nur von schweren Tätigkeiten, sondern auch von gesundheitlich wichtigen und notwendigen Reizen.



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Um die übermäßigen Entlastungen im Alltag auszugleichen, wird seit Jahren versucht, Menschen zum Sporttreiben zu animieren und Sport als Mittel gegen den Bewegungsmangel zu propagieren. Der Erfolg der Werbung für den Sport scheint allerdings eher bescheiden zu sein. Nach wie vor ist ein Großteil der Deutschen für den aktiven Sport nicht oder nur unregelmäßig zu begeistern (vgl. Opaschowski, 1996; Rütten et al., 2005). In Skandinavien - allen voran in Norwegen - misst man dem klassischen Sport traditionell eine andere Bedeutung bei und legt zudem einen größeren Wert auf die Förderung von Friluftsliv, einer Outdoorkultur, in der neben dem Naturgenuss auch die Bewegung den Stellenwert des Selbstverständlichen einnimmt. Statt also auf bestimmte Sportarten oder bestimmte Aktivitätsformen zu setzen, liegt in der skandinavischen Outdoorkultur der Fokus eher auf dem Draußen-Sein, dem Leben unter freiem Himmel (was auch der Übersetzung des Begriffs 'Friluftsliv' entspricht). Die Hoffnungen, die beispielsweise in Norwegen mit dem Thema Friluftsliv verbunden sind, erstrecken sich von der allgemeine Verbesserung der Lebensqualität über die Prävention von Bewegungsmangelproblemen bis hin zur Erhaltung einer nationalen Identität, die sich zum großen Teil in der Philosophie des Friluftsliv widerspiegelt (vgl. Miljøverndepartementet, 2001). Um Friluftsliv mit seinen positiven Effekten zu fördern und zu sichern, gibt es in Norwegen eine Vielzahl gesellschaftlicher Institutionen, die sich dem Thema verschrieben haben und die alle Alters- und Bevölkerungsschichten ansprechen. Die Palette reicht hier von Angeboten in Naturkindergärten über die feste Verankerung von Friluftsliv in der Schule, der Möglichkeit des Studiums an Volkshochschulen, Aktivitätsangeboten verschiedener Anbieter bis hin zum universitären Studium (vgl. Liedtke & Lagerstrøm, 2004; Westersjø, 2007).


Friluftsliv als Gegenstand der Lehre

Ausgehend von Aktivitäten der Deutschen Sporthochschule Köln, die das Thema Friluftsliv in verschiedenen Projekten seit 1996 aufgegriffen hat und wo Friluftsliv seit dem Jahr 2000 auch fester Bestandteil des Curriculums ist, wird Friluftsliv in zunehmenden Maße auch in Deutschland ein relevantes Thema (vgl. Lagerstrøm & Liedtke, 2004; Liedtke & Lagerstrøm, 2007). So zeigte eine Untersuchung über die Verbreitung von erlebnisorientierten Outdoorausbildungen an sportwissenschaftlichen Einrichtungen deutscher Hochschulen, dass Friluftsliv ein Thema ist, dass immerhin an sechs Einrichtungen in der Lehre verankert ist (vgl. Wagner, 2006).

Im Gegensatz zu den häufig im Outdoorbereich vertretenen Ansätzen von erlebnisorientierten Methoden zur Ausbildung einzelner Kompetenzen, wie sie z.B. im Teambuilding- oder Incentive-Bereich Verwendung zu finden sind, orientiert sich das an der Deutschen Sporthochschule Köln und an der Universität Hamburg entwickelte Curriculum für den Bereich Friluftsliv vor allen Dingen an der oben aufgezeigten Problemstellung, einen inaktiven, durch Bewegungsmangel geprägten Lebensstil zu kompensieren. Dies kann und soll vor allen Dingen durch das Erleben und Erfahren basaler Naturzusammenhänge (inklusive der eigenen Position innerhalb dieser Zusammenhänge) geschehen, um dadurch eine natürliche Grundlage für einen auf Fitness, Gesundheit und Wohlbefinden ausgerichteten Lebensstil zu schaffen beziehungsweise wieder zu aktivieren. Um dieser Problemstellung gerecht zu werden, sieht das Curriculum folgende Inhalte vor:

 • Grundlagen des Friluftslivs (Entstehung, Tradition, gesetzliche Grundlagen, Komplexität der Friluftsliv-Bewegung, Philosophie und geistige Haltung).

 • Gesellschaftliche Relevanz und Berufsperspektiven in den Bereichen schulische und außerschulische Jugendarbeit, Gesundheitssport, Tourismus sowie weitere Möglichkeiten handlungsorientierter Pädagogik.

 • Vielfältigkeit der Erlebniswelten in der Natur.

 • Vermittlung von Fähigkeiten und Fertigkeiten, um im Friluftsliv und in natursportlichen Situationen mit geringem Gefährdungspotenzial mit Gruppen verantwortungsvoll agieren zu können (vgl. Liedtke & Lagerstrøm, 2007).

Die bisherigen Erfahrungen mit dieser Art der Ausbildung können sowohl in der Akzeptanz der Studierenden als auch in der inhaltlichen Ausrichtung als überaus positiv bewertet werden. Durch die Fokussierung auf Aspekte der Friluftsliv-Philosophie und der geistigen Haltung erhält die Beschäftigung mit verschiedenen Aktivitäten wie Wandern, Paddeln, Skilaufen, Nahrungssuche und -zubereitung oder Biwakieren eine Tiefe, die über die reine Beschäftigung mit technischen Fähigkeiten und Fertigkeiten deutlich hinausgeht.

Während in der Skandinavischen Kultur Friluftsliv traditioneller Bestandteil ist und man sich mit den Erfahrungswerten des gesunden Menschenverstands in Bezug auf die Wirksamkeit von Friluftsliv zufrieden gegeben hat, wurden dort bislang kaum systematische Untersuchungen durchgeführt, in denen objektivierbare gesundheitliche Wirkungsweisen und Nachhaltigkeit von Friluftsliv-Programmen erhoben wurden. Aus diesem Umstand heraus erschien es notwendig, dass sich neben der Lehre auch die Forschung - zumindest an der Deutschen Sporthochschule Köln und an der Universität Hamburg - in den letzten Jahren vermehrt der Bedeutung von Friluftsliv und Bewegungsaktivitäten in der Natur zugewandt hat. So wurde beispielsweise im Jahr 2005 eine Arbeit fertig gestellt, die sich mit der besonderen Bedeutung von Natur als Erlebnisraum befasst (vgl. Liedtke, 2005).


Die Bedeutung von Natur als Erlebnisraum

Dass Menschen für Outdoor-orientierte Freizeitaktivitäten gerne die Natur aufsuchen beziehungsweise sich in einen Raum begeben, der als natürlich oder naturnah empfunden wird, ist immer wieder in der Literatur beschrieben worden (vgl. z. B. Deutsche Gesellschaft für Freizeit, 1999; Kjøde, Marek & Bennet, 1979). In der Arbeit über "die Bedeutung von Natur im Bereich der Outdooraktivitäten" wurde der Frage nachgegangen, inwieweit Menschen in einer von ihnen als natürlich empfunden Umgebung Erlebnisqualitäten erlangen, die in einer als menschlich geprägt empfundenen Umgebung nicht oder nicht so leicht zu erlangen sind. In dieser Untersuchung konnte herausgearbeitet werden, dass zum Einen der Bereich der Natur selbst eine wesentliche Erlebniskomponente ist - ein Ergebnis, das nicht sonderlich überrascht - und dass zum Anderen eine Reihe weiterer Erlebnisqualitäten auftreten, die unter dem Begriff Kontexterleben zusammengefasst wurden - Kontexterleben im Sinne von "Erleben von Zusammenhängen". Folgende Erlebnisqualitäten konnten in dieser Erlebnisdimension identifiziert werden:

 • Ästhetik: Dinge, Raum oder Landschaft, als schön, hässlich oder erhaben wahrnehmen. Eng verbunden mit dem Erleben von Stimmung und Atmosphäre, wodurch die ästhetische Wahrnehmung an Tiefe gewinnt.

 • Stimmung und Atmosphäre: Wahrnehmen von verschiedenen Stimmungen oder Atmosphären, die von der Natur, Landschaft oder anderen Umständen ausgehen können.

 • Eingebundenheit: Das Gefühl haben, in verschiedene Zusammenhänge eingebunden zu sein. Die Zusammenhänge, in denen man eine Eingebundenheit verspürt, können naturbezogener, gesellschaftlicher oder situationsbezogener Natur sein.

 • Freiheit: Ein Gefühl von Freiheit erleben; das Gefühl haben, nicht in irgendwelche Zusammenhänge eingebunden zu sein.

 • Klarheit: Das Gefühl haben, dass sich Probleme oder Fragen lösen und sich eine gedankliche Klarheit einstellt.

 • Werte: Gedankliches Erleben von Aspekten oder Maßstäben, anhand derer etwas als wertvoll erachtet wird.

 • Intensität: Erleben mit einer höheren Intensität. Im Zuge intensiven Erlebens wird aus der Charakterisierung anderer Erlebnisse durch das Adjektiv intensiv in bestimmten Situationen eine eigene Erlebnisform: das Erleben von Intensität.

Wie eine Rekonstruktion empirischer Daten zeigen konnte, treten die oben angeführten Erlebnisqualitäten bevorzugt in einer als natürlich empfundenen Umgebung auf. Natur kann somit als ein Ort besonderer Erlebnisse bezeichnet werden, und damit auch - je nach persönlicher Neigung - als ein Ort für besonders angenehme oder eher unangenehme Erlebnisse und Erfahrungen.


Friluftsliv als gesundheitsfördernde Outdoorkultur

Aus den umfangreichen Untersuchungsdaten zu den psychosomatischen Einflüssen von Friluftsliv sollen im Folgenden exemplarisch und stellvertretend die Parameter von psychischer und physischer Befindlichkeit sowie der Herzfrequenzvariabilität dargestellt werden.

So zeigte eine Untersuchung zur Befindlichkeit, die im Jahr 2005 an einer Kölner und Hamburger Studierendengruppe durchgeführt wurde, dass in Bezug auf gesundheitliche Wirkungen vor allen Dingen die Aktivitätsform des Wanderns hohe Werte erzielt, unabhängig davon, in welcher Phase der Exkursion der Block "Wandern" zum Einsatz kam (vgl. Thom, 2006).

Ähnlich interessante Ergebnisse ergeben sich für den Parameter der Herzfrequenzvariabilität, der Aussagen über Stresseinflüsse und über die Aktivität des Autonomen Nervensystems erlaubt.

So zeigte beispielsweise eine Messungsreihe während einer Winterexkursion, dass sich die Total-Power-Werte von Probanden durch die Übernachtung in einer Schneehöhle steigerten - und das obwohl die Versuchspersonen die Nacht eher als unruhig, ungewohnt und nur "mäßig kuschelig" bezeichneten. Durch Gewohnheiten geprägtes subjektives Empfinden ist offensichtlich nicht in allen Fällen ein zuverlässiger Parameter für körperliche Befindlichkeiten.

Betrachtet man die vorliegenden Erfahrungen aus Skandinavien und die bislang vorliegende wissenschaftliche Datengrundlage, so scheint Friluftsliv eine hervorragende Möglichkeit sowohl für die Entwicklung als auch für die Aufrechterhaltung eines lebenslangen aktiven und natürlichen Lebensstils zu sein. Durch die im Friluftsliv gegebenen Ansätze (z.B. "Learning by Doing", "miteinander statt gegeneinander", "Einfachheit statt Kompliziertheit" usw.) und die für den Menschen aus seiner stammesgeschichtlichen Entwicklung stammende Anpassung an Fortbewegung in einer natürlichen Umgebung (vor allen Dingen durch Gehen und Laufen) scheint Friluftsliv auch auf der Verhaltensebene ein Ansatz zu sein, der gut zu den Bedürfnissen des Menschen zu passen scheint. Konzepte und Programme für verschiedenen Zielgruppen zu entwickeln und Strategien aufzuzeigen, wie sich das Prinzip eines aktiven und natürlichen Lebensstils auch in urbanen Ballungsräumen umsetzen lässt, wird die große Herausforderung der Zukunft sein.


Literatur bei den Autoren.

Dr. Gunnar Liedtke arbeitete von 2002 bis 2005 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Natursport und Ökologie der Deutschen Sporthochschule Köln mit den Arbeitsschwerpunkten Natursport, Friluftsliv und Gesundheit. Seit 2004 ist er am Fachbereich Bewegungswissenschaft der Universität Hamburg tätig.
E-Mail: g.liedtke@uni-hamburg.de

Ass. Prof. Dr. Dieter Lagerstrøm war bis 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin an der Deutschen Sporthochschule Köln. Mittlerweile arbeitet er an der University in Agder, Kristiansand/Norwegen mit den Arbeitsschwerpunkten Gesundheitssport, Fitness, Sporttherapie, Friluftsliv, Test- und Trainingssysteme.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. 1:
Erlebnisorientierte Outdoorausbildung an deutschen Hochschulen
Befragung zur erlebnisorientierten Outdoorausbildung an sportwissenschaftlichen Einrichtungen deutscher Hochschulen (EP = Erlebnispädagogik, OE = Outdoor Education) (vgl. Wagner, 2006).

Abb. 2a und 2b:
Erhebung von psychischen und physischen Befindlichkeiten während einer Friluftsliv Exkursion im Jahr 2005. Erhoben wurden Daten von Studierenden der Deutschen Sporthochschule Köln (Gruppe K, Abb. 2a) und der Universität Hamburg (Gruppe HH, Abb. 2b) (Thom, 2006, S. 62).

Abb. 3:
Beispiel für eine Auswertung von Spektralanalysen. Über die Betrachtung der verschiedenen Frequenzbänder können Aussagen über verschiedene gesundheitliche Parameter gemacht werden (nach Thom, 2006, S. 48).

Abb. 4:
Darstellung der Total-Power-Messung vor und nach der Übernachtung in Schneehöhlen (Latsch et al., 2004, S. 191).


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Quelle:
F.I.T.-Wissenschaftsmagazin der Deutschen Sporthochschule Köln,
Nr. 2/2007 (12. Jahrgang), Seite 30-36
Herausgeber: Univ.-Prof. mult. Dr. Walter Tokarski
Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln
Deutsche Sporthochschule Köln
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F.I.T. Wissenschaftsmagazin erscheint zweimal pro Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juni 2008