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FORSCHUNG/117: Augsburger Sportwissenschaftler auf der Spur des Relativaltereffekts (idw)


Universität Augsburg - 17.03.2009

Augsburger Sportwissenschaftler auf der Spur des Relativaltereffekts


Augsburg/CW - Untersucht man die Geburtsdaten von Nachwuchssportlern aus leistungsselektierten Stichproben wie etwa von Nationalmannschaften oder den Nachwuchsteams von Bundesligisten, so trifft man sehr häufig auf den "Relative Age Effect" (RAE). Überproportional viele Leistungssportler sind sehr früh im Jahr geboren, da sie nur durch ihre relative Position innerhalb ihres Jahrgangs bessere Chancen haben, selektiert zu werden. Die Verbreitung dieses Effekts, seine Ursachen und Abhängigkeiten sowie praktische Konsequenzen für Vereine, Verbände und Eltern sind Forschungsgegenstand in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Martin Lames vom Institut für Sportwissenschaft der Universität Augsburg.

RAE systematischer Fehler bei der Talentauswahl

Da man eigentlich davon ausgehen muss, dass Talente sich nicht durch ein spezielles Relativalter auszeichnen, sondern gleichmäßig über das ganze Jahr verteilt sind, zeugt ein RAE von einem systematischen Fehler in der Talentauswahl. Es werden einfach die momentan stärksten Spieler ausgewählt und nicht primär diejenigen, die perspektivisch am meisten versprechen. Dann hat man vermehrt die physisch stärkeren Spieler, die biologisch am weitesten entwickelt sind, im Kader. Unter diesen sind verständlicherweise die im Jahr früh Geborenen sehr häufig vertreten. Der RAE ist im deutschen Nachwuchssport weit verbreitet, man findet ihn in allen Altersstufen und in vielen Sportarten.

"Sehr markant ist der RAE im höherklassigen Nachwuchsfußball. Unser Rekord bisher ist die U10 Mannschaft eines Bundesligisten, in der die Hälfte der Spieler in den ersten 6 Wochen des Jahres geboren wurde, kein einziger Spieler stammt aus der zweiten Jahreshälfte. Dies ist aber keinesfalls ein Ausreißer, vielmehr ist es eine Regel in diesem Leistungs- und Altersbereich, dass die Hälfte der Spieler im ersten Quartal geboren ist", erläutert Lames die Auswirkung des Effekts.

Fatalerweise setzt bei einer Auswahl nach dem RAE ein Teufelskreis ein, der die Kluft noch vergrößert. "Der Auswahlprozess führt zu einem Motivationsschub und zu einer verbesserten Förderung, die beide wiederum die Leistung erhöhen", erläutert die wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Claudia Augste den Mechanismus des RAE.

Auswirkung des RAE abhängig von der Sportart und dem Selektionsniveau

Die Augsburger Wissenschaftler fanden zahlreiche interessante Zusammenhänge. So sind beispielsweise aus einer Reihe von Gründen Sportlerinnen vom RAE weniger betroffen als Sportler und je höher das Selektionsniveau, desto stärker kommt der Effekt zum Tragen. Außerdem ist der RAE in verschiedenen Sportarten unterschiedlich ausgeprägt, abhängig von der Bedeutung der physischen Voraussetzungen und den spezifischen Konkurrenzverhältnissen.

Sehr interessant ist die Entwicklung des RAE mit zunehmendem Alter. Einerseits nivelliert sich der auf die biologische Reife zurückzuführende Vorsprung, andererseits hat die frühe Selektion zu zusätzlichen Vorteilen geführt, die noch weiter wirksam sind.

Verletzungsanfälliger, vorzeitiger Verschleiß wegen RAE

Schließlich gibt es noch die Schattenseite des RAE: Die früh Geförderten leiden im Höchstleistungsalter mehr unter Verletzungen, sie scheiden häufiger aus den Kadern aus und sind sogar unterproportional vertreten in Leistungsgruppen mit höherem Alter wie beispielsweise bei den Fußballprofis über 30 Jahre. "Möglicherweise rächt sich hier, dass man auf einer physischen Basis ausgewählt wurde und nicht etwa auf einer perspektivisch-sportlichen", meint Lames das Problem erkannt zu haben: "So sind viele unserer älteren Fußball-Nationalspieler wie Ballack, Frings, Klose, Westermann und Lahm spät im Jahr geboren. In unserer aktuellen Handballnationalmannschaft findet man sogar den umgekehrten RAE. Hier ist fast die Hälfte im letzten Drittel des Jahres geboren!"

Bedeutsam für Talentförderung

Doch für die Augsburger Sportwissenschaftler ist der RAE kein reines Zahlenspiel, es geht um praktische Konsequenzen. Der RAE stellt die Talentfördersysteme der Verbände auf den Prüfstand. Ein extremer RAE steht für ein ineffizientes System, in dem echte Talente nicht gefördert werden, Untalentierte jedoch in den Genuss teurer Fördermaßnahmen gelangen. Es muss nicht nur die Talentselektion auf eine perspektivische Basis gestellt werden, sondern es sollte gleichzeitig ein Systemwechsel stattfinden. Lames: "Wer seine Talentauswahl nur auf Basis der momentanen Leistungsfähigkeit trifft und Nachwuchstrainer nach ihren Wettkampferfolgen bezahlt, der hat Talentförderung nicht richtig verstanden!"

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution58


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Augsburg, Claudius Wiedemann, 17.03.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. März 2009