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FORSCHUNG/125: Trainingstechniken für optimale Startphase der deutschen Schwimmstaffeln (idw)


Universität Kassel, Christine Mandel, 07.10.2009

Neue Trainingstechniken für optimale Startphase der deutschen Schwimmstaffeln


Kassel. Auf den Absprung und das Eintauchen kommt es an: Am Institut für Sport und Sportwissenschaft der Universität Kassel werden neue Trainingstechniken für Schwimmstaffeln im deutschen National-Kader entwickelt. So soll die Geschwindigkeit in der Startphase des Schwimmwettkampfs und damit die Gewinnchancen der deutschen Nationalmannschaft verbessert werden. Bald soll auch das Höhentraining von Schwimmern mit neuen wissenschaftlichen Methoden optimiert werden.

Die Leistungsdichte der besten Schwimmstaffeln im internationalen Wettbewerb ist enorm. In der Spitzengruppe entscheidet häufig nicht nur eine Sekunde Zeitdifferenz über einen Platz auf dem Siegerpodest. Trainingswissenschaftler Professor Dr. Armin Kibele am Institut für Sport und Sportwissenschaften der Universität Kassel arbeitet in den bundesweiten Leistungsstützpunkten des Deutschen Schwimmverbandes erfolgreich mit den Freistil- und Lagenstaffeln des Nationalkaders an der Verbesserung der Wettkampfzeiten. Entscheidende Bedeutung kommt dabei dem Staffelwechsel am Startblock zu. Durch die Optimierung dieser Phase habe man bis zu 1,5 Sekunden Zeit pro Staffeldurchgang gewinnen können, sagt Professor Kibele, Leiter des Arbeitsbereiches: Training und Bewegung. Die deutsche Junioren-Damenstaffel hat von dem Kasseler Forschungsprojekt schon profitiert. Sie wurde im Sommer in der serbischen Hauptstadt Belgrad Europameister.

Nicht auf den zeitlich kürzesten Wechsel kommt es beim Staffelwettkampf an, sondern auf den möglichst kräftigen Absprung der Staffelschwimmer vom Startblock. Gelingt der Absprung optimal, so hat der Schwimmer am Ende des so genannten Kopfdurchgangs, einer Messstrecke von 7,5 Metern nach dem Start, die Nase vorn. Das ist die wichtigste Erkenntnis, die Professor Kibele und sein Mitarbeiter Sebastian Fischer bei ihren Forschungsprojekten gewonnen haben.

Dem optimalen Absprung sind die Kasseler Wissenschaftler mit einem neuartigen, biomechanischen Messverfahren auf die Spur gekommen. Sie setzten im Training mit dem Nationalkader nicht nur eine elektronische Anschlagmatte ein, die Auskunft über die Schnelligkeit des Staffelwechsels gibt, sondern sie bauten mit finanzieller Unterstützung des Bundesinstituts für Sportwissenschaft auch einen elektronischen Messstartblock, der die Kraft ermittelt, mit der sich der Schwimmer beim Start abstößt. Von einer auf den Block montierten Druckplatte werden die Kraftwerte beim Absprung in Newton an einen Computer übertragen. Dieses Messverfahren sei im Schwimmsport europaweit einzigartig, sagt Professor Kibele. Das Forscherteam fand mit Hilfe des Messstartblocks und eines Filmanalysesystems heraus, dass der Schwimmer schneller vom Block abspringt, wenn er den Schwerpunkt seines Körpers beim Absprung mehr nach unten und nach hinten verlagert und sich möglichst horizontal abstößt, also eine hohe Flugparabel vor dem Eintauchen vermeidet.

Kasseler Erkenntnisse gehen in neuartigen Wettkampf-Startblock ein Das Kasseler Forschungsergebnis ist umso wertvoller, als der Internationale Schwimmverband bald einen neuartigen Startblock bei Wettkämpfen wie den Weltmeisterschaften 2011 in Shanghai einsetzen wird. Dieser ist mit 70 Zentimetern länger als der jetzige Wettkampfblock (50 Zentimeter), er soll stärker nach vorn geneigt sein und den Schwimmern eine zusätzliche Absprunghilfe bieten. Mit dieser neuen Form würden noch ausgefeiltere Absprungtechniken als bisher möglich, schätzt Professor Kibele und fügt hinzu: "Ich rechne damit, dass durch den neuen Startblock bald der 50-Meter-Weltrekord geknackt wird." Schon jetzt haben Weltklasse-Schwimmer unterschiedliche Varianten, um beim Staffelwechsel optimal vom Startblock wegzukommen. Beim so genannten Parallelstart stoßen sie sich mit einem Armschwung nach vorn mit beiden Füßen ab. Beim Single-Step- bzw. Double-Step-Start machen sie vor dem Absprung einen bzw. zwei Schritte nach vorn.

Auf die Kasseler Forscher wartet noch viel Arbeit. Zum einen wollen sie einen neuen, geteilten Mess-Startblock bauen, um den Nationalkader auf den Start vom 70-Zentimeter-Startblock vorzubreiten. Zum anderen muss das Eintauchen der Schwimmer nach dem Start verbessert werden. "Beim Eintauchen kann der Schwimmer viel falsch machen. Der Fehler kann so groß sein, dass die Vorteile des kräftigen Absprungs verloren gehen", sagt Sebastian Fischer, Doktorand am Institut für Sportwissenschaften und Mitarbeiter von Professor Kibele. Fischer hat ein mathematisches und grafisches Verfahren entwickelt, mit dem die Körperbewegungen und der Vortrieb des Schwimmers beim, während und kurz nach dem Eintauchen analysiert werden kann. Mit der Unterwasserkamera alleine ist das nicht möglich, weil der Sportler beim Eintauchen in einer Blasenwolke verschwindet. Ein erstes Ergebnis hat Fischer schon gewonnen: Der Schwimmer muss beim Eintauchen einen "Spin", eine Drehung um die Breitenachse des Körpers, vollziehen, um so dem Wasser möglichst wenig Widerstand zu bieten und wenig Tempo zu verlieren.


Wissenschaftliches Neuland: Messverfahren für Höhentraining von Schwimmern

In einem weiteren Forschungsprojekt wollen die Forscher um Professor Kibele das Höhentraining der deutschen Schwimmer verbessern. Wie schnell vollzieht sich eine Anpassung der Sauerstoffsättigung im Blut des Sportlers beim Training in extremer Höhe? Wie ist dort seine Herzfrequenz während eines Belastungstests? Diese Fragen gilt es zu beantworten. "Das ist absolutes Neuland", sagt Sebastian Fischer. Ein Pulsgurt, der bei Läufern im Training schon lange Standard ist, komme für Schwimmer nicht in Betracht. Man arbeite deshalb mit dem Fachgebiet Kommunikationstechnik der Uni Kassel (ComTec) unter Leitung von Prof. Dr.-Ing. Klaus David an Lösungen zur Funkübertragung von Körperfunktionsdaten.

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Kassel, Christine Mandel, 07.10.2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Oktober 2009