Leibniz-Institut für Wissensmedien - 24.04.2017
Sehen Fußballfans rivalisierender Mannschaften dasselbe Fußballspiel mit anderen Augen?
Wenn sich am 26. April der FC Bayern München und Borussia Dortmund gegenüberstehen, schauen sich viele Fußball-Begeisterte das Halbfinal-Spiel um den DFB-Pokal gemeinsam an. Die Erfahrungen zeigen, dass die Erinnerungen der Fans nach einem solchen Spiel zugunsten ihrer eigenen Mannschaft verzerrt sind. Wann setzt diese Verzerrung ein? Sehen Fans rivalisierender Mannschaften bereits das Spiel anders oder kommt es erst später bei der Rückerinnerung zu dieser Verzerrung? Eine Antwort darauf haben Forscher an der Universität Tübingen, PD Dr. Markus Huff, und am Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM), Prof. Dr. Stephan Schwan, mit Hilfe einer eigens entwickelten Methode gefunden.
Tübingen, 24.4.2017 Bisher zeigte die Forschung, dass Fans nach dem Spiel
eine verzerrte Erinnerung zugunsten ihrer eigenen Mannschaft haben.
Unbeantwortet blieb die Frage: Sehen Fans bereits das Spiel anders? Dazu
hat die Arbeitsgruppe um Markus Huff in Kooperation mit der Arbeitsgruppe
von Stephan Schwan das Champions-League Finale zwischen Borussia Dortmund
und dem FC Bayern München zum Anlass genommen, den Wahrnehmungsprozess von
Fußballfans während des Spiels zu untersuchen. "Das Finale der
Champions-League war eine einmalige Gelegenheit, diese Prozesse zu
untersuchen. In einem internationalen Finale standen sich zwei deutsche
Mannschaften gegenüber. Die Begegnungen dieser beiden Rivalen sind immer
hoch emotional, was sich in der Berichterstattung im Vorfeld
wiederspiegelte", so Markus Huff.
Die Live-Übertragung des Finales sahen 58 Fußballfans - 33 Dortmund- und 25 Bayern-Fans - mit dem Ziel, den gesamten Wahrnehmungsprozess zu untersuchen. Während bei allen Fans im Anschluss an das Spiel das Gedächtnis getestet wurde, konnten bei 21 Fans die Augenbewegungen während des Spiels aufgezeichnet werden, um der Hypothese nachzugehen, ob sich die fanbasierte Verzerrung sehr früh, d. h. bereits bei der Betrachtung des Spiels abzeichnet.
Die Ergebnisse dieser groß angelegten Studie sind eindeutig: Die Wahrnehmungsprozesse glichen sich während des Spiels - die Blickbewegungen waren bei beiden Fangruppen identisch. Dagegen war die Erinnerung der Fans tatsächlich zugunsten ihrer Mannschaft verzerrt, da sie angeblich mehr Spielanteile hatte, das gegnerische Team hatte scheinbar weniger. Das Vorgehen in dieser Studie unterscheidet sich grundlegend von bisherigen Forschungsansätzen, die psychologische Prozesse fast ausschließlich im Labor erforschen. "Dies ist die erste Studie, die die Wahrnehmung und das Gedächtnis von echten Fans während einer Live-Übertragung mit eigens für dieses Experiment entwickelten Methoden untersuchte", so Markus Huff. Die Studie ermöglichte somit zum einen, dass der Rezeptionsprozess unmittelbar, also unabhängig zum Beispiel von späterer Berichterstattung, erfasst werden konnte. Zum anderen konnten in dieser Studie Blickbewegungs- und Gedächtnisprozesse gemeinsam betrachtet werden, um verlässliche Aussagen über den gesamten Prozess der menschlichen Informationsverarbeitung machen zu können.
Damit zeigt die Studie, dass die menschliche Wahrnehmung verlässlicher ist als vermutet: Selbst leidenschaftlich wahrgenommene Abläufe, die in der Erinnerung verzerrt werden, werden dennoch neutral wahrgenommen.
Die Ergebnisse der Studie wurden aktuell in der Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlicht.
Publikation
Huff, M., Papenmeier, F., Maurer, A. E., Meitz, T. G. K, Garsoffky, B., &
Schwan, S. (2017).
Fandom biases retrospective judgments not perception.
Scientific Reports, 7:43083.
doi: 10.1038/srep43083
Das Leibniz-Institut für Wissensmedien
Das Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM) in Tübingen erforscht, wie
digitale Technologien eingesetzt werden können, um Wissensprozesse zu
verbessern. Die psychologische Grundlagenforschung der rund 110
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und Hochschule, auf Wissensarbeit mit digitalen Medien, wissensbezogene
Internetnutzung und Wissensvermittlung in Museen ausgerichtet. Von 2009
bis 2016 unterhielt das IWM gemeinsam mit der Universität Tübingen
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Leibniz-Institut für Wissensmedien, Dr. Evamarie Blattner, 24.04.2017
WWW: http://idw-online.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. April 2017
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