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KOMMENTAR/014: Blutbad in Palästina - Sportler haben andere Sorgen (SB)



Der Krieg Israels gegen die im Gaza-Streifen territorial, wirtschaftlich und politisch strangulierte palästinensische Bevölkerung weist inzwischen alle Anzeichen eines Vernichtungsfeldzugs auf. Die rund 1,5 Millionen Menschen, davon rund die Hälfte Kinder und Jugendliche, sind auf einem Gebiet, das etwa der Größe Braunschweigs entspricht, den Raketen, Bomben und Brandgranaten, die mit tödlicher Fracht im Minutentakt auf sie herabstürzen, nahezu schutzlos ausgeliefert. Unter dem Vorwand, die Hamas, die demokratisch gewählte Regierung der Palästinenser, auszuschalten, bereitet die israelische Militärmaschinerie der bereits vor Kriegsbeginn am 27. Dezember durch Blockaden lebenswichtiger Güter ausgezehrten Bevölkerung die Hölle auf Erden. Drei Wochen Krieg mit bislang rund 1300 Toten, unzähligen Verstümmelten und ihr Leben lang Traumatisierten auf seiten der Palästinenser haben unbeschreibliches Leid, für das die Vorstellungskraft hiesiger Wohlstandsbürger, die über die westlichen Fernsehkanäle nur einen Bruchteil des grausigen Geschehens zu sehen bekommen und unter einer Glocke proisraelischer Kriegspropaganda leben, kaum hinreicht. Welchen Schrecken die vereinzelten Kassam-Raketen, die vom Gazastreifen aus auf israelisches Gebiet abgefeuert wurden, um mit zunehmender Verzweiflung ein Signal des Widerstandes gegen den mit den Jahren immer unerträglicher gewordenen Belagerungszustand zu geben, auch immer in Israel ausgelöst haben mögen - im Jahr 2008 bis zum ersten Luftschlag der Israelis wurde kein israelischer Einwohner durch eine solche Rakete getötet -, nichts könnte das massive Bombardement einer auf engstem Raum konzentrierten und jeder Fluchtmittel beraubten Bevölkerung rechtfertigen.

Hatten sich anläßlich der Olympischen Sommerspiele in Peking noch weit über hundert internationale Sportstars berufen gefühlt, in einem offenen Brief an den chinesischen Präsidenten Hu Jintao die Einhaltung der Menschenrechte sowie eine friedliche Lösung der Tibet-Frage und anderer Konflikte zu fordern, so bleibt ein konzertierter Protestschrei namhafter Sportler angesichts des israelischen Blutbades im Gazastreifen wie erwartet aus. Offensichtlich mangelt es an entsprechenden Stimmungsmachern aus den Reihen hiesiger Politiker und Journalisten, die noch im Vorfeld der Olympiade voller Tatendrang waren, etwa die vom selbsternannten Gottkönig Dalai Lama aufgebrachte Legende vom "kulturellen Völkermord" (Spiegel Online) in Tibet zur Blüte zu treiben.

Auch die grüne Spitzenpolitikerin Kerstin Müller, die behauptet hatte, die olympische Idee werde in Tibet und in angrenzenden Regionen "in einem Blutbad ertränkt" (Deutschlandfunk, 25.08.2008), scheint es im Falle der Palästinenser, deren Blutzoll in keinem Vergleich zum Tibetkonflikt steht, plötzlich die gut geölte Stimme humanitärer Betroffenheit verschlagen zu haben. Zwar heißt es in ihrer Partei, die israelische Militäroperation sei "eine der bisher blutigsten israelischen Militäraktionen in den palästinensischen Gebieten" (7.1.09, www.gruene.de), gleichzeitig wird aber behauptet, die "Hamas hat mit dem Bruch der Waffenruhe die israelische Militäroffensive provoziert. Weil die Hamas den Raketenbeschuss nicht einstellt, hat Israel ein Recht auf Selbstverteidigung" (6.1.09). Damit machen sich die Grünen die israelische Kriegspropaganda zueigen, deren Stoßrichtung hierzulande frühzeitig von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) justiert worden war, als sie in einem Telefonat mit Israels Ministerpräsident Ehud Olmert der radikal-islamischen Hamas die "eindeutige und ausschließliche" Verantwortung für die Eskalation im Gaza-Streifen zugewiesen hatte. Diese von den USA und europäischen Regierungen gestützte Schuldzuweisung im Zusammenspiel mit dem Terrorismus-Stigma, das der Entmenschlichung des palästinensischen Widerstandes dient, macht es bis dato möglich, daß ein Großteil der hiesigen Bevölkerung die israelische Militäroffensive zwar nicht unbedingt gutheißt, aber doch "nachvollziehen" kann, so daß eine eindeutige und entschiedene Parteinahme zugunsten der drangsalierten Palästinenser unterbleibt.

Da eine Olympiade nicht unmittelbar bevorsteht, sich über den Köpfen der an der WM teilnehmenden Handballer gerade ein Doping-Skandal, der den Olympiastatus der Sportart angeblich in Frage stellt, zusammenbraut und sich deutsche Topleichtathleten nach einem offenen Brief an das Bundesinnenministerium, den Deutschen Olympischen Sportbund, den Deutschen Leichtathletik-Verband und an die Presse, worin sie sich u.a. für die Weiterbeschäftigung des dopingbelasteten Ex-DDR-Trainers Werner Goldmann verwenden, den Zorn des politisch willfährigen Sport-Medien-Komplexes aufgeladen haben, gibt es in der Tat keine Aussicht, daß sich die Sportprominenz über die eigenen Belange hinaus für die Sache der Palästinenser einsetzen wird.

Den letzten nennenswerten, gegen den drohenden USA-Überfall auf den Irak gerichteten Appell "Sportlerinnen und Sportler für den Frieden" hatte es Anfang 2003 in Deutschland gegeben. Rund 2500 Athleten hatten sich an der vom zweifachen Straßenradsport-Weltmeister Gustav-Adolf "Täve" Schur, der olympischen Leichtathletik-Silbermedaillengewinnerin Gunhild Hoffmeister und des Turn-Olympiasiegers Klaus Köste initiierten Aktion beteiligt, darunter weit über 100 ehemalige und aktuelle Olympiasieger.

Das sportpolitische Establishment hatte daraufhin die Initiative, die vor allem in den neuen Bundesländern eine breite Diskussion über Sport und Politik auslöste, als "parteipolitisch motiviert" (Vorsicht PDS!) zu diskreditieren versucht. "Es war ein plumper und vordergründiger Versuch einiger Sportlerinnen und Sportler, die Friedenssehnsucht der Menschen durch eine parteipolitische Instrumentalisierung des Sports zu missbrauchen", schrieb etwa der sportpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Klaus Riegert, in einer Pressemitteilung (24.2.03). "Klar ist: Niemand will Krieg. Der Friedensstörer ist der menschenverachtende Diktator Saddam Hussein, nicht eine Weltgemeinschaft, die sich vor diesem Diktator schützen will", behauptete der CDU-Mann dreist, der damit fast nahtlos die Propaganda des US-Präsidenten George W. Bush wiedergab, der bekanntlich einen herbeigelogenen völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Irak vom Zaun brach, den bis heute Abertausende Menschen mit dem Leben bezahlten.

Mit ähnlichen Propagandafloskeln zur Rechtfertigung des Massakers in Palästina hat man es nun erneut zu tun, allerdings rauscht es im deutschen Blätterwald nicht annähernd so stark wie im Vorfeld des Irakkrieges. Auch fliegen hierzulande keine Schuhe, wie etwa während des Europacup-Basketball-Spiels zwischen Turk Telekom Ankara und Bnei Hasharon (Israel). Aufgebrachte türkische Fans hatten wegen des Einmarsches in den Gazastreifen mit symbolischen Schuhwürfen einen Boykott des Basketball-Matches gegen die israelische Mannschaft durchgesetzt. Eine Erstürmung der Ankara-Atatürk-Sporthalle wurde von mehr als 1000 Sicherheitskräften verhindert. Das Spiel sollte ohne Zuschauer wieder angepfiffen werden, doch die Israelis blieben in der Umkleidekabine. Daher wird die Vereinigung der europäischen Basketball-Ligen ULEB die Partie mit 20:0 für die Türken werten.

19. Januar 2009