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KOMMENTAR/112: Leichtathleten proben den Aufstand - in eigener TV-Sache? (SB)



Für die kommerzielle Leichtathletik, die sich auf Gedeih und Verderb den Kräften der sogenannten freien Marktwirtschaft überantwortet hat, wird die Luft immer dünner. "Sie hat immer weniger Einschaltquoten, sie hat immer weniger Zuschauer, sie bekommt immer weniger Fernsehgelder, immer weniger Sendezeiten, insofern ist das, was mit der Leichtathletik passiert, natürlich schon ein schleichender Niedergang", so der Sponsoringexperte Hartmut Zastrow, Vorstand des Beratungsunternehmens Sport+Markt [1]. Seine Einschätzung stammt aus dem Sommer 2010, nur ein Jahr, nachdem in Deutschland zu besten Sendezeiten und mit guten Einschaltquoten die Weltmeisterschaft in Berlin über die Bildschirme geflimmert war.

Kurz vor dem Jahreswechsel wurde der deutschen Leichtathletik von den Ministerpräsidenten der Länder noch mehr Wasser abgegraben: Der 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrag sieht für ARD und ZDF ein eingeschränktes Verbot von Programmsponsoring ("Diese Sendung wird präsentiert von ...") nach 20 Uhr sowie an Sonntagen und bundesweiten Feiertagen vor. Ausgenommen von dieser Regelung - man höre und staune - sind Olympische Spiele sowie Partien mit deutscher Beteiligung und Eröffnungsspiel, Halbfinalspiele und Endspiel bei Welt- und Europameisterschaften im Fußball, die Halbfinals und das Endspiel im Deutschen Fußball-Pokal, sämtliche Spiele der deutschen Fußball-Nationalmannschaft und Endspiele der europäischen Fußball-Vereinswettbewerbe mit deutscher Beteiligung. Kurzum: Während die Länderchefs der finanzstarken Fußball-Wirtschaft weiterhin TV-Gelder zuschustern, werden andere Sportarten wie Leichtathletik, Schwimmen, Basketball oder Ski auf den Hungerast gesetzt. Konnten bisher die öffentlich-rechtlichen Sender einen Teil der Gelder, die sie für den Erwerb von Sportrechten ausgeben, durch Programmsponsoring refinanzieren, so fällt diese Möglichkeit durch das Sponsoringverbot zu großen Teilen weg.

"Das ist eine Regelung gegen alle Sportarten außer Fußball. Das Sponsoring ist für die Sender die einzige Chance, aufwendige Übertragungen wie etwa in der Leichtathletik zu refinanzieren. Außer dem Fußball kann das kein Verband alleine stemmen", klagte Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), ohne allerdings darauf zu sprechen zu kommen, daß die ungerechte Verteilung der Fernsehgelder aus der Verwertungsordnung des Sports im real existierenden staatsmonopolistischen Kapitalismus resultiert, welcher seit jeher die Umverteilung der Gewinne zugunsten der großen und mächtigen Kapitalgruppen organisiert. Da Kapitalismuskritik in saturierten bürgerlichen Funktionärskreisen aber tabu ist, bleibt alles beim alten: Unter entsprechenden Wehklagen der minderprivilegierten Sportarten sortieren sich die guten ins Töpfchen und die schlechten ins Kröpfchen. Insbesondere den kleineren Sportverbänden drohen sinkende Einnahmen aus dem Verkauf der Fernsehrechte oder sogar ein schwarzer Bildschirm, was wiederum Auswirkungen auf die Vielfalt der gezeigten Sportarten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen hat und einer sportlichen Monokultur Vorschub leistet.

Um die Einnahmeverluste in zweistelliger Millionenhöhe zu kompensieren, setzen ARD und ZDF den Rotstift beim Erwerb von Übertragungsrechten an - und erneut ist die Leichtathletik, immerhin olympische Kernsportart, betroffen. Erstmals seit der Leichtathletik-WM 1983 in Helsinki planen die öffentlich-rechtlichen Sender keine Live-Übertragung von den Titelkämpfen in Daegu/Südkorea (27. August bis 4. September) und zwei Jahre später in Moskau, sondern lediglich eine Zusammenfassung, falls sie die Rechte dafür bekommen sollten.

Die durch Steuergelder in den Markt gebrachten Kaderathleten proben nun den Aufstand. Unterstützt von Ex-Größen der deutschen Leichtathletik fordern sie in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel, weitere Politiker und die TV-Intendanten von ARD und ZDF, doch noch eine Live-Übertragung von den diesjährigen Weltmeisterschaften in Südkorea möglich zu machen. "Angesichts der immer weiter steigenden Kosten für Fußballrechte befürchten wir bei gleichbleibendem Gebührenaufkommen, dass die Sportarten jenseits des Fußballs mehr und mehr aus den Programminhalten des Hauptprogramms von ARD und ZDF gedrängt werden", heißt es in dem Schreiben.

Was allerdings nur die halbe Wahrheit darstellt. Denn auch die unter expansivem Wettbewerbsdruck stehende Leichtathletik fordert immer höhere TV-Preise zu Lasten aller Gebührenzahler, also auch solcher, die sich aus unterschiedlichsten Gründen vom kommerziellen Spitzensport abgewandt haben. Und das sicherlich nicht nur aus Gründen des "Sportbetrugs", sondern wegen all der politischen Instrumentalisierungen, sozialen Mißbräuche, ökonomischen Abhängigkeiten und körperlichen Zurichtungen, wie sie der staatstragende Hochleistungssport, der sich in einer sozialrepressiven und wachstumsideologischen Todesspirale befindet, repräsentiert.

Während die finanziell abhängigen Spitzenathleten, wer will es ihnen verdenken, um öffentliche Anerkennung für ihre Schweiß-, Blut- und Tränenshow kämpfen, zumal wertvolles Terrain auch an anderer Stelle verloren geht, da immer mehr Stadien mit Leichtathletik-Bahnen zu reinen Fußball-Arenen umgebaut werden, führen Rechteverkäufer hinter den Kulissen einen handfesten Bieterstreit. Medienberichten zufolge sollen ARD/ZDF nur sechs (später neun) Millionen Euro für die Liveübertragungsrechte an den kommenden zwei Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Südkorea und Rußland geboten haben, während die schwedische Rechteagentur IEC, die im Auftrag des Internationalen Leichtathletikverbandes IAAF die TV-Lizenzen verkauft, 15 Millionen Euro (später 12) gefordert haben soll. Dem Rechtepoker liegt allerdings ein noch viel größerer Krieg um marktbeherrschende Stellungen zugrunde, wie der Deutschlandfunk [2] berichtete: "Denn IEC gehört zum französischen Mischkonzern Lagadere. Dessen Sportrechtetochter strebt die weltweite Marktführerschaft an und hat der Europäischen Rundfunk-Union EBU mit überteuerten Rechteeinkäufen den Fehdehandschuh hingeworfen. So hat IEC 80 Millionen Euro für die Fernsehrechte an den Leichtathletik-Weltverband gezahlt und versucht nun, sich das Geld zurückzuholen, unter anderem bei den EBU-Mitgliedern ARD und ZDF."

Der Protest der Leichtathleten, auf deren Rücken ein Verdrängungswettbewerb zwischen Medienunternehmen tobt, ist im Internet auf www.kein-wm-blackout.org zusammengefaßt. Dort geben die Blogbetreiber selbst das beste Beispiel dafür ab, daß ihnen die TV-gerechte Vermarktung ihrer Leidenschaft offenbar alles ist. So wurde zum "Schlüsselsymbol" der Solidarisierungskampagne ein Athlet erkoren, dem ein Fernsehbildschirm über den Kopf ("TV-Head") gestülpt ist, was sofort die Assoziation weckt, daß Spitzensportler auch nichts anderes im Kopf haben als ihre mediale Vermarktung und Präsenz. Um den Bogen zu den Fans zu schlagen, heißt es dazu etwas angestrengt: "Für die deutschen Athleten, die das ganze Jahr über hart trainieren, ist das frustrierend und demotivierend. Denn ohne Live-Übertragung bleiben die Athleten für ihre Fans ohne Gesicht!"

Auf welch wackligen Beinen das Plädoyer der Leichtathleten für mehr Programmvielfalt steht, verrät auch der Umstand, daß die Kampagneträger eine fundierte Antwort auf die ARD/ZDF-Argumente, welche den Vorwurf einer sportlichen Monokultur unter öffentlich-rechtlicher Verantwortung relativieren, bislang schuldig geblieben sind. Der Hinweis auf die aktuelle Sport-Bild (16.03.11), wo ausschnittsweise einige Zahlen einer Messung der IFM Sports Group präsentiert werden, die in dieser selektiven Form sogar aufzeigen, daß Fußball (317 Stunden) und Wintersport (284 Stunden) im vergangenen Jahr ähnlich lange live übertragen wurden, reicht da beileibe nicht aus. So konnte ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky im Interview mit dem Göttinger Tageblatt [3] bislang unwidersprochen erklären: "Etwa acht Prozent im Programm der ARD sind Sportübertragungen, und dies übrigens nur in Jahren mit Fußball-Großereignissen und Olympischen Spielen. Ansonsten liegt der Anteil des Sports eher bei sechs Prozent. Mehr können wir auch nicht leisten, weil wir ja nicht unbegrenzt über Mittel und Personal verfügen. Dennoch habe wir im vergangenen Jahr 80 Sportarten im Ersten und in den dritten Programmen gezeigt." Auch den Vorwurf, die ARD würden nicht die Breite des Sports, sondern vor allem den Fußball abbilden, ließ Balkausky aus seiner Sicht ins Leere laufen: "Das stimmt hinten und vorne nicht. Im vergangenen Jahr waren 25 Prozent der Sportberichterstattung in der ARD Fußball. Von den restlichen 75 Prozent ist ein Viertel Wintersport, und der ganze Rest verteilt sich auf Sommersportarten."

Solange sich die Leichtathleten selbst nur über Einschaltquoten und Live-Übertragungen definieren (kein-wm-blackout: "Nur die motiviert zu Höchstform, fesselt Zuschauer vor den Bildschirmen, hält Sportarten langfristig attraktiv und sichert Deutschlands guten Ruf und Zukunft als Sportnation."), bleiben sie ein Funktionspartikel des marktwirtschaftlichen Verdrängungswettbewerbs, der wenige Gewinner und viele Verlierer produziert. Rechteagenturen wie IEC sind knallhart kalkulierende und eine Monopolstellung anstrebende Profitunternehmen, denen die Sportler lediglich Mittel zum Zweck sind. Solange die Leichtathleten und IEC praktisch deckungsgleiche Interessen verfolgen, wirkt die Forderung nach "mehr Vielfalt" im Fernsehen sowie der Verweis auf Sportarten wie "Tischtennis, Volleyball, Rudern, Reiten oder Basketball", die im Fernsehen "kaum noch oder gar nicht mehr stattfinden", eher wie ein Schachzug von Marketingexperten, auch die medialen Hungerleider noch vor den eigenen Karren zu spannen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Echte Solidarität hätten die Leichtathleten bewiesen, wenn sie sich mit den Parias auf eine Stufe gestellt und im Vorfeld der Verhandlungen demonstrativ auf Livebilder verzichtet hätten, damit sich statt dessen Sportverbände, deren Welt- und Europameisterschaften noch nicht einmal in Zusammenfassungen auf der Mattscheibe erscheinen, präsentieren können.

Dessen ungeachtet hat der DLV in Sachen Lobbyismus noch ein As im Ärmel. Am 23. März, zwei Tage bevor die TV-Verantwortlichen entscheiden wollen, ob sie die WM live übertragen, will sich der Sportausschuß des Deutschen Bundestages mit der Frage befassen, ob es Leitlinien für ARD und ZDF hinsichtlich der Übertragung einer bestimmten Kategorie internationaler Events geben könnte. Sportausschuß-Vorsitzende ist Dagmar Freitag (SPD), zugleich Vizepräsidentin im Leichtathletik-Verband. Die ehemalige Weitspringerin hatte in der Vergangenheit immer weiszumachen versucht, daß sie ihre Ämter auseinanderhalten könne und Interessenskonflikte auszuschließen seien. Nun wird sie vom Sportinformations-Dienst mit den bemerkenswerten Worten zitiert: "Wir sehen uns als Vermittler, denn man darf hier niemanden an den Pranger stellen. Wichtig ist, dass eine Lösung im Sinne der Leichtathletik gefunden wird."

Anmerkungen:

[1] www.dradio.de. Jugend meidet die Leichtathletik. Olympischer Kernsportart droht die Bedeutungslosigkeit. Von Heinz Peter Kreuzer. 29.08.2010

[2] www.dradio.de. Poker um die Übertragungsrechte. Leichtathleten bangen um ihre TV-Präsenz. Von Heinz Peter Kreuzer. 26.02.2011

[3] www.goettinger-tageblatt.de. Interview mit ARD-Sportkoordinator Balkausky zum Streit um Randsportarten im Fernsehen. 09.03.2011

16. März 2011