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KOMMENTAR/115: Let's Dance - Tim Lobinger und Andrea Petkovic auf dem Inszenierungstrip (SB)



Ein besonders "schönes" Beispiel für eine kommerzielle Leichtathletik, deren Protagonisten sich erklärtermaßen über Fernseh-Präsenz definieren und ihre "Motivation" für sportliche Höchstleistungen aus Liveübertragungen schöpfen [1], verkörpert zweifelsohne Tim Lobinger. Der 38jährige Stabhochspringer gehört zu den bekanntesten Gesichtern der deutschen Leichtathletik und zeichnet sich durch "Exzentrik" und "hohe Professionalität" aus, wie ihm allseits bescheinigt wird. Darunter ist zu verstehen, daß der ehemalige Sechsmeterspringer keine Gelegenheit ausläßt, seine Haut zu Markte zu tragen, und sei es mit blankgezogenem Hinterteil, wie etwa nach seinem Titelgewinn beim Welt-Finale 2003 in Monaco, als er den Zuschauern und Kameras - angeblich aus purer Freude - sein nacktes Gesäß präsentierte. Die provokante Geste wider den guten Geschmack darf nicht etwa als Ausdruck seiner Verachtung gegenüber den fürstlichen Honoratioren auf der Ehrentribüne oder gar als Protestsignal gegen einen "sauberen" Sport, der die Athleten zu nackten, jeder Würde und Intimsphäre beraubten Penetrationsobjekten des Anti-Doping-Regimes macht, interpretiert werden. Denn damit hätte er zweifellos einen politischen Eklat erzeugt, der ihm von den Verbandsoberen weder durch Zahlung von 5.000 Euro Strafe noch durch seine später erfolgte Entschuldigung augenzwinkernd verziehen worden wäre. Nein, seine "emotionale Übersprungshandlung" diente in erster Linie der medialen Selbstinszenierung. Und das heißt für den warenförmigen Spitzenathleten, dem die Identifikation mit dem kommerziellen Gesamtprodukt tief in Einstellung, Sprache und Habitus eingeschrieben ist, ständige Selbstprofilierung und Aufmerksamkeitsgenerierung.

Mit "Typen" oder "Originalen", nach denen die Funktionäre zur Popularisierung ihrer Sportarten so lechzen, sind nicht etwa gegen ihre Bevormundung und ökonomische Verwertung aufbegehrende Athleten gemeint, sondern medienwirksame Persönlichkeiten, die mehr noch als andere ihre individuelle Spleenigkeit exaltieren, nicht selten zum Preis eigener Entwürdigung und Entblödung. Dafür bieten insbesondere die privaten Massenmedien breiten Raum. Mit ihren Casting- und Coachingshows, angefangen von "Big Brother", "Deutschland sucht den Superstar" oder "Die Super Nanny" bis hin zu Spiel- und Sporteventshows wie "Schlag den Star", "Wok-WM" oder "Let's Dance" haben die Marktführer RTL und ProSieben für die werberelevante Zielgruppe der 14- bis 49jährigen quotenträchtige Unterhaltungsformate geschaffen, in denen Plebs und Promis in verteilten Rollen und zu unterschiedlichsten Konditionen Wettbewerbe austragen.

Zwecks Öffentlichkeitsarbeit zieht es dabei auch SportlerInnen immer öfter in die Sporteventshows, so auch Tim Lobinger, der im vergangenen Jahr an der "TV total Wok-WM" in Oberhof und dem "TV total Turmspringen" in München teilnahm. In diesem Jahr nun gab sich der Stabhochspringer ein Stelldichein in der RTL-Tanzshow "Let's Dance", wo zehn mehr oder weniger Prominente und zehn professionelle TänzerInnen um die Gunst von TV-Jury und -publikum buhlen. Allerdings machten die Promi-Sportler unter den Teilnehmern keine gute Figur. Ex-Profiboxerin Regina Halmich ("Ich will meine weibliche Seite zeigen.") wurde bereits in der ersten Show aus dem Ring befördert, Lobinger und seine Partnerin Isabel Edvardsson in der zweiten. Folgerichtig urteilte Die Welt (online), Lobinger "mag mit dem Hochsprungstab virtuos sein und auch in Sachen Anzüglichkeiten wettkampfreif agieren, wie er mit Kommentaren des Kalibers 'Im Schlafzimmer zählt die Hüfte mehr als das Gesicht' eindrucksvoll unter Beweis stellte. Für die Tanzfläche allerdings reichte das roboterhafte 'Vor und Zurück', das er zu Marvin Gayes 'Sexual Healing' hervorstolperte, nicht. Das Publikum schickte den Modell-Athleten mit dem Hang zum grenzdebilen Exhibitionismus nach Hause." [2] Die DSDS-gestählten Zuschauer hatten die Unwiderstehlichkeits-Maskerade des Stabartisten durchschaut, enttäuscht twitterte Lobinger auf seiner Homepage viermal das S-Wort.

Andere Wege der Selbstinszenierung geht indessen Deutschlands neuer Tennisstar Andrea Petkovic. Hier zeigt sich der zukunftsweisende Prototyp des Konformismus, der sich medienintelligent zu produzieren weiß. Die 23jährige Modell-Athletin bosnisch-serbischer Herkunft, deren Familie nach Deutschland emigrierte, schuf sich mit dem sogenannten "Petko-Dance" - eine kurze Tanzsequenz, die jedesmal nach gewonnenen Spielen aufgeführt wird - nicht nur ein unverwechselbares Markenzeichen, sondern schöpft auch bei der Nutzung moderner Kommunikationstechniken aus dem Vollen. Die schon lange eine neue Steffi Graf herbeisehnenden Sportmedien, und mit ihnen die Fans, sind hin und weg: "Andrea Petkovic twittert, was das Zeug hält, schreibt Kolumnen in Online-Portalen und Printmedien und sorgt auf ihrer Homepage mit dem Videoblog 'Petkorazzi' für humorvolle und hintersinnige Einblicke in die Welt des Profizirkus." [3] Die Süddeutsche Zeitung [4] schrieb gar, Deutschland sei gerade dabei, "sich ein bisschen zu verlieben". Wo dem Lobinger recht überschaubare "Exzentrik" attestiert wird, erkennt die SZ bei Petkovic "eine gewisse Prise Extravaganz", die bei der breiten Öffentlichkeit ankomme.

Die sendungsbewußte Einser-Abiturientin, die Politikwissenschaft an der Fern-Universität Hagen studiert, verfügt nicht nur über eine gute PR-Beratung (Vater ehemaliger Tennisprofi, jetzt Tennislehrer) und die Umgangsformen der mit modernen Kommunikationsmitteln aufgewachsenen iPod-Generation, sondern auch über das nötige Gespür, wie man sich auf gut Neudeutsch "performen" muß, um "authentisch" rüberzukommen. Dazu gehört auch eine Korrektness, die politisch nicht aneckt und schon gar nicht alte Wunden aufreißt. So schreibt die gebürtige Jugoslawin, die in Deutschland aufgewachsen ist, auf ihrer Homepage: "Je älter ich wurde, desto mehr interessierte ich mich für die Geschichte Ex-Jugoslawiens, was in diesem zerrissenen Land passiert war und warum alles auseinander gefallen ist. Ich fing an zu lesen und je mehr ich erfuhr, desto mehr lernte ich das deutsche politische System, in dem ich groß wurde, zu schätzen, mit all seinen Stärken und Schwächen."

Solche Ehrerbietungen sind offenbar nötig, um das Fanvolk nicht mit dem häßlichen Widerspruch zu konfrontieren, daß das "deutsche politische System", dessen Mütter und Väter einst heilige Schwüre ablegten, von deutschem Boden solle nie wieder Krieg ausgehen, es im März 1999 möglich machte, daß das Heimatland von Andrea Petkovic zum zweiten Mal nach dem Überfall der Wehrmacht von deutschen Soldaten angegriffen wurde. Doch auch solche "Schwächen" im System kann man zu schätzen lernen, wenn man nur bei den richtigen Politikern in die Lehre geht. So läßt die Tennisspielerin, die sich nach ihrer Sportkarriere aktiv an der Politik beteiligen will (von der "Parteigründung bis zur Wahl als Bundeskanzlerin" sei alles drin) auf ihrer Homepage wissen, daß sie bereits erste Praxis-Erfahrung "während meines Praktikums in der Hessischen Staatskanzlei" gesammelt habe: "Hessens Ministerpräsident Roland Koch bei der Arbeit zuschauen zu dürfen, war schon eine tolle Erfahrung."

Diesen politisch unverfänglichen Plauderton, der sich auf den ersten Blick in jede Richtung interpretieren läßt, findet man bei nahezu allen karrierebewußten Profisportlern wieder. Der ehemalige hessische Ministerpräsident war viele Jahre das Law-and-Order-Aushängeschild der CDU. Mit einer ausländerfeindliche Ressentiments bedienenden Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gewann er 1999 die hessische Landtagswahl. Bei einem weiteren Wahlkampf legte er nahe, daß Jugendkriminalität vor allem ein Problem von Migranten sei. Seine Profilierung als rechter Frontmann der CDU setzte er auf dem Rücken der Schwächsten in der Gesellschaft fort. Vergangenes Jahr machte er Schlagzeilen mit der Forderung nach einer "Arbeitspflicht" für Hartz-IV-Empfänger, denen auch "niederwertige Arbeit" abzuverlangen sei, weil das Arbeitslosenhilfe-System auch "ein Element der Abschreckung" enthalten müsse. "Sonst ist das für die regulär Erwerbstätigen, die ihr verfügbares Einkommen mit den Unterstützungssätzen vergleichen, unerträglich", schürte Koch den Sozialneid. Noch kurz vor seinem Rücktritt forderte er einschneidende Sozialkürzungen in allen Bereichen, etwa bei der Bildung und Kinderbetreuung.

Inzwischen verdingt sich Roland Koch beim Mannheimer Baukonzern Bilfinger Berger, ab Juli als Vorstandschef. Den Wechsel in die Wirtschaft gab er wenige Monate nach der Ankündigung seines Amtsverzichts Ende Mai 2010 bekannt. Kochs Jahreseinkommen bei Deutschlands zweitgrößtem Baukonzern wird unbestätigten Meldungen zufolge mit mindestens 1,5 Millionen Euro angegeben, das Vierfache seiner bisherigen Bezüge. "Ist das eine Belohnung dafür, dass in Kochs Amtszeit als Ministerpräsident Bilfinger und Berger den Auftrag bekommen hat, eine neue Startbahn des Frankfurter Flughafens zu bauen?", fragte selbst das Boulevardblatt der "Stern" (29.10.10), pflichtgemäß ein "Geschmäckle" anmahnend.

Ist Andrea Petkovic nun eine Zynikerin, da sie die "tolle Erfahrung" während ihres Praktikums in der Hessischen Staatskanzlei hervorhebt, oder eine Bewunderin der Arbeit von Roland Koch? Letzteres scheint wohl der Fall zu sein, denn auch sie bereitet ihren Karrierewechsel vor, nur in umgekehrter Richtung zu Koch: Von der Tenniswirtschaft in die Politik - weil "das Leben nicht nur aus Nehmen, sondern auch aus Geben besteht", wie Petkovic angibt. Wieso "nur aus Nehmen"? Geht Hochleistungssport nicht auch und vor allem auf die Knochen? Hat sie denn nicht bereits "gegeben", etwa als sie 2008 ihren (ersten) Kreuzbandriß erlitt? Und weiß sie denn nicht, daß die Krankenakte von Steffi Graf, mit der sie jüngst in deren Wohnsitz Las Vegas eine lockere Trainingsstunde absolvierte, mehr Seiten umfaßt als die sportliche Erfolgsgeschichte ihres Idols?

"Sollte ich die Möglichkeit bekommen, mich politisch zu engagieren, so würde ich das Augenmerk besonders auf die Generation zwischen 25 und 40 Jahren legen, die meiner Meinung nach in unserer Gesellschaft viel zu kurz kommt", schreibt Andrea Petkovic zielgruppenadäquat. "Also keine Angst vor Wahlen - ihr wisst ja nun, wo Ihr später das Kreuz setzen müsst."

So ähnlich reden auch die konservativen Politiker, wenn sie sich Sorgen um die "leistungsstarken" und "nutzbringenden" Mitglieder der Gesellschaft machen, während sie Programme entwerfen, wie die zunehmende Kinder- und Altersarmut in Deutschland verwaltet und der "überflüssige" Bevölkerungsteil zu "gemeinnütziger Bürgerarbeit oder Gemeindearbeit" (Koch) herangezogen werden kann. Indes, wer den "Petkovic-Dance" nicht konsumistisch, sondern politisch zu deuten vermag, für den erübrigt sich die Frage nach dem Kreuz ohnehin.

Anmerkungen:

[1] Siehe www.kein-wm-blackout.org

[2] www.welt.de. "Als das Publikum über Tim Lobinger den Stab brach". Autor: Sven Gantzkow. 31.03.2011

[3] www.fr-online.de. "Miss Tausendsassas letzter Tanz". Autor: Reinhard Sogl. 29.03.2011

[4] www.sueddeutsche.de. "Und überall Liebe." Von Michael Neudecker. 30.03.2011

7. April 2011