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KOMMENTAR/135: Eklat um Ariane Friedrich verpufft - Aspire Academy in Katar nicht ohne Kritik (SB)



War das jetzt eine Bild-Zeitungs-Ente oder ein als Kommunikationspanne getarnter PR-Gag von Hochspringerin Ariane Friedrich und ihrem Trainer Günter Eisinger? Oder von beidem etwas? Am 12. Oktober empörte sich bild.de [1], daß "unser Hochsprung-Star" nicht zu einem geplanten Trainingslager in Katar dürfe, "weil sie eine Frau ist!" Trainer Eisinger, der auch als väterlicher Freund, Motivator, Psychologe, Berater und Manager der Weltklasseathletin reüssiert, wird mit den Worten zitiert: "Uns wurde mitgeteilt, dass weibliche Athleten in der Aspire-Academie in Doha nicht erwünscht seien. Die zwei Milliarden teure größte Sporthalle der Welt gehört einem Privatmann. Der macht seine eigenen Regeln."

Die Presseagenturen griffen das Thema bereitwillig auf. "Ich finde das höchst eigenartig und werde den Leichtathletik-Weltverband informieren", wurde Trainer Günter Eisinger Tags darauf von der Deutschen Presse-Agentur zitiert [2]. Weil sie als weibliche Athletin nicht erwünscht sei, habe Friedrich das geplante zweiwöchige Trainingslager abgesagt, hieß es. Gleichzeitig erklärte dpa, daß Eisinger von der Verwaltung alternativ ein Sporthotel in der Nähe angeboten worden sein soll - für 238 US-Dollar pro Nacht und Einzelzimmer. "Unter diesen Umständen fahren wir da auf keinen Fall hin", beschied Friedrich.

Während Teile der Medien an der vermeintlichen Geschlechterungleichbehandlung in Katar Anstoß nahmen, blieb die allenthalben zu lesende Verlautbarung, das Trainingszentrum "Aspire Academy for Sports Excellence" am Stadtrand von Doha gelte als eines der mondänsten und teuersten überhaupt und werde weltweit beworben, unkommentiert. Dies mag damit zusammenhängen, daß es der 2004 gegründeten Aspire Academy gelungen ist, durch eine fürstliche Lockmittelpolitik zum internationalen Mekka des Elitesports zu avancieren. Die Karotte, auf die sich Athleten, Funktionäre und Medien gleichermaßen stürzen, heißt "exzellente Bedingungen". Das Leistungszentrum erfüllt praktisch alle Anforderungen, die sich ein moderner, sportwissenschaftlich optimierter und sportmedizinisch kontrollierter Hightech-Spitzensportler zu erträumen vermag. Es ist Spitzensportförderung pur, eine Mischung aus staatssozialistischer Ost- und kapitalistischer Westförderung. Ähnlich wie sich die DDR mit Hilfe der "Diplomaten im Trainingsanzug" repräsentieren wollte, versucht die Monarchie Katar über den Hochleistungssport in der internationalen Staatenwelt Anerkennung zu finden. Während die vom westlichen Militärblock politisch und ökonomisch bekämpfte DDR nicht über unbegrenzte Mittel und Ressourcen verfügte, um dem Dauerdruck standzuhalten, kann der prowestliche Dienerstaat Katar aufgrund seines Erdgas- und Erdöl-Reichtums den hungrigen Löwen auf unbestimmte Zeit noch genügend Futterstücke zwischen die Zähne schieben.

An der Aspire Academy, in der auch Know-how aus vielen deutschen Unternehmen steckt, sind zahlreiche Trainer, Sportwissenschaftler, Leistungsdiagnostiker, Biochemiker, Physiotherapeuten, Sportmediziner, Sportpsychologen und Talentescouts aus aller Welt beschäftigt. Der ehemalige Olympiastützpunktleiter aus München, Dr. Thomas Flock, fungierte beim Aufbau der Akademie als Generaldirektor, sein Kollege aus Köln, Dr. Andreas Bleicher, als Sportdirektor. Weil keine umständlichen demokratischen Entscheidungswege in dem autoritären Regime zu gehen waren und ihnen das Herrscherhaus praktisch alle Mittel zur Verfügung stellte, brauchten die Baumeister nicht zu kleckern. Eines der augenfälligsten Bauwerke auf dem weitläufigen Areal ist zweifellos der Aspire-Dome. Die größte Sporthalle der Welt überdacht ein Fußball-Stadion, eine Leichtathletikarena, eine Schwimmhalle, eine Turnhalle, Fechtbahnen, Squash-Anlagen, Tennis-Courts und weitere Sportplätze. Anbei sind Freizeitanlagen, Wohnheime, ein luxuriöser Hotel-Tower, Vorlesungs- und Seminarräume, weitere Fußballfelder, ein nationales Fußballstadion, ein Ladys-Club speziell für Frauen sowie Muskeltrainings- und Physiotherapie-Räume errichtet worden. International einmalig das supermoderne Sportklinikzentrum "Aspetar": In den 25 Altitude-Rooms kann sogar Höhentraining in Lagen bis zu 4000 m simuliert werden - die erlaubte Form des physikalisch-technischen Dopings. Das alles sei "nicht Wahnsinn, sondern das, was man braucht, nur auf eine exklusive Art und Weise", erklärte der Sportwissenschaftler Andreas Bleicher in der kürzlich ausgestrahlten WDR-Sendung "sport inside" [3] mit leuchtenden Augen. Es gehe darum, "Weltklasseleistungen zu produzieren und zum anderen die Sportkultur im Lande zu revolutionieren".

Um das Prestige-Projekt zum Erfolg zu führen, versucht das 1,7-Millionen-Einwohner-Land, in dem nur 243.000 einen katarischem Paß besitzen, nicht nur die Einheimischen zu modernen Gesundheits- und Fitneßaktivitäten zu bewegen. Mit dem weltweit größten Scouting-Programm soll auch qualitativ hochwertige Athletenmasse gezüchtet werden. Jedes Kind in Katar im Alter von sechs Jahren wird auf sportliche Fähigkeiten getestet, nur die Besten dürfen auf die Sportakademie. Um für die Fußball-WM 2022 im eigenen Land gerüstet zu sein, sichtete Aspire seit 2007 in 15 Entwicklungsländern mehr als 700.000 Jungen. Aus dieser Menge werden regional jeweils die drei besten Fußballer ausgewählt und mit einem Stipendium in Katar belohnt. Die ausländischen Toptalente dienen dem Zweck, das Trainings- und Wettkampfniveau für die einheimischen Kataris zu erhöhen und sie an die internationale Wettkampfhärte zu gewöhnen, damit sie dann bei der Fußball-WM 2022, wenn die Welt zu Gast ist, "sportliche Leckerbissen" präsentieren können, die auch den Gaumen der anspruchsvollen Fußballnationen erfreuen. Produktiver Nebeneffekt der Talentezucht: Die Stipendiaten heben das Niveau der ausländischen Jugend- und später Männer-Nationalmannschaften, was der Fußballwirtschaft in Afrika, Asien oder Lateinamerika sicherlich entgegenkommt. FIFA und UNO sowie die nationalen Verbände unterstützen das Casting-Projekt. Neben "weltweit tonangebenden Politikern" und "Sportlegenden", wie Aspire wirbt, geben sich auch die europäischen Spitzenklubs in Doha die Klinke in die Hand. Alle sind ganz erpicht darauf, die kommenden Champions irgendwann einmal in die eigenen Profiligen transferieren zu können. Auch ein Wechsel der Staatsbürgerschaft ist nicht ausgeschlossen, wobei die Verantwortlichen in Katar betonen, daß kein Stipendiat zum Paßwechsel gezwungen werde.

In der Bundesrepublik ist es bislang noch gesellschaftspolitischer Konsens, daß der Staat keine systematisch durchgeführte Talenteauslese betreibt, wie es etwa im DDR-Sport der Fall war, wo Jungen und Mädchen schon im Kindergartenalter unter leistungssportlichen Eignungsaspekten vermessen und kategorisiert wurden. Dieser Konsens wird insbesondere von konservativen Politikern aufzuweichen versucht, die seit jeher die Bedeutung sportlicher Erfolge "für die Identifikation mit dem eigenen Land und in der Außenwirkung gegenüber anderen Staaten" propagieren. So dringt die CDU-Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen seit Jahren darauf, daß flächendeckend sogenannte sportmotorische Tests für Kinder in den Grundschulen (Klasse 2 und 4) "zur Erfassung aller sportlichen Talente" eingeführt werden, um international konkurrenzfähigen Spitzensport sicherzustellen [4].

Obwohl das autokratische Regime Katar interkontinentale Ausleseprogramme geradezu feudalen Ausmaßes betreibt, erfährt seine leistungssportliche Selektionspolitik außer ein wenig Skepsis nahezu keinen kritischen Widerhall in den hiesigen Medienlandschaft. So irritiert auch nicht, daß von Hunderttausenden Kindern aus Entwicklungsländern, die nach fußballerischen Tauglichkeitsmerkmalen getestet werden, nur ganz wenige ein Stipendium erhalten. Die Eltern der erwählten Jungen sollen mit 6.000 Dollar im Jahr entschädigt werden, was für die Familien aus ärmlichen Verhältnissen eine Riesensumme darstellt und sie dankbar und abhängig gegenüber ihren Gönnern macht. Hier würden Fußballträume für Kinder aus armen Ländern wahrgemacht, behaupten die professionellen Menschenfischer, die als ausgewiesene Kenner auch der akademischen Leistungssportszenen genau wissen, welchen Ton sie anschlagen und welche Verheißungen sie aussprechen müssen, um Affirmation zu erzeugen.

"Das letzte Ziel in Südafrika erwies sich als reich an Naturtalenten, die teilweise aus den ärmsten und entlegensten Teilen des Landes kamen", bilanzierte die Aspire Academy, als vor ein paar Jahren drei 12jährige von über 85.000 südafrikanischen Jungen bei Testspielen ausgesiebt wurden [5]. "Einige Jungen mussten sich Fussballschuhe von Freunden oder Angehörigen leihen, um bei den Tests eine Chance zu haben." Während ständig suggeriert wird, alle Kinder würden vom größten Fußball-Scouting-Programm der Welt profitieren, obwohl nur ein verschwindend geringer Teil für wertvoll und nützlich erachtet wird, verdeutlicht das Talente-Grabbing ungewollt noch ein anderes Problem: Die Macher der "Aspire Football Dreams" müssen deswegen so großflächige Scoutings veranstalten, weil in den armen Ländern gar keine adäquaten Bildungs- und Sozialnetze existieren, aus denen heraus normalerweise die Begabten gefischt werden, wie dies etwa in reichen Ländern der Fall ist. Doch statt eben diese Sozialstrukturen aufzubauen und finanziell großzügig zu unterstützen, schöpft die Aspire Academy vor allem die sportlichen "Rohdiamanten" aus den Entwicklungsländern ab, um sie dann in der eigenen Kaderschmiede zurechtzuschleifen und als Schmuckstücke gelungener Talenteförderung zu präsentieren. Die Fixierung auf "Weltklassepotential" schließt alle Normalbegabten von vornherein aus, ganz zu schweigen von "unsportlichen" Kindern. Es geht ausschließlich um Elitenproduktion für Eliten und die leistungssporttypische Überhöhung respektive Verklärung individueller Verwertungschancen.

Was für den Fußball zutrifft, gilt in modifizierter und reduzierter Form auch für andere olympische Sportarten. Für die Talentezucht in der Leichtathletik beackert der ehemalige Berliner Bundestrainer Uwe Hakus das Feld. Das Emirat Katar bemüht sich darum, den Zuschlag für die Leichtathletik-WM 2017 zu bekommen und muß zu diesem Zweck Mitbewerber London ausstechen. Das Aufgabengebiet von Cheftrainer Hakus erstreckt sich von der Jugend-Nationalmannschaft über das Juniorenteam bis hin zum Seniorenprogramm. Weil das Scheichtum großzügig die Geldschatulle öffnet, herrscht bei allen Elitetrainern und -wissenschaftlern, die auf dem neusten Stand des trainingsmethodisch und ressourcentechnisch Möglichen ihre Berufsträume erfüllen können, Goldgräberstimmung. "Über Geld", erklärte der Regierungsangestellte Hakus, "wird hier nicht gesprochen". Deshalb könne er auch keine Auskunft über Budgets oder Kosten geben. Was bisher beantragt wurde, sei noch nie abgelehnt worden [6].

Was den ehrgeizigen Plänen des Emirats nicht unmittelbar nützt, muß indessen teuer bezahlt werden. Kaum hatten Hochspringerin Ariane Friedrich und ihr Trainer Günter Eisinger den Eindruck vermittelt, Frauen seien in Doha nicht willkommen, meldete sich die Aspire Academy zu Wort und dementierte entsprechende Medienberichte. "Zu keiner Zeit wurde eine Einladung an Ariane Friedrich zurückgezogen. Wir bieten ihr die gleichen Bedingungen wie allen anderen internationalen Athleten", heißt es in einer offiziellen Erklärung der Akademie auf ihrer Website [7]. Allerdings sei es eine normale Praxis, die Athleten zu bitten, für ihre Unterkunft zu zahlen. Kostenlos könnten nur die Studenten in den Gruppenquartieren der Akademie wohnen. Eisinger selbst erklärte gegenüber leichtathletik.de [8], daß ein Teil der Medien es falsch dargestellt habe. Katar habe nicht die Einreise verboten, die Probleme bezögen sich vielmehr auf die Unterkunft direkt in der Aspire Akademie in Doha, wo Frauen - wie Eisinger mitgeteilt bekommen habe - nicht erwünscht seien.

Also alles nur ein kommunikatives Mißverständnis? Keineswegs. Anders als im Sportwunderland DDR regiert im fernen Katar ein monarchischer Wohlfahrtsstaat, der inmitten der Wüste seine pompöse Sportoase mit luxuriöser Hotelanlage, Shopping-Mall und anderen exquisiten Konsumangeboten nicht gebaut hat, um ausländische Gäste an den Freuden kollektiv erschwinglichen Gemeinwohls teilhaben zu lassen, sondern um sie nach dem kapitalistischen Profitprinzip abzukassieren. Das ist die Gleichbehandlung, die die Aspire Zone Foundation (AZF) meint, wenn sie in hehren Worten unterstreicht, "den Athleten aus aller Welt erstklassige Trainingsmöglichkeiten und Sportanlagen unabhängig von Nationalität und Geschlecht zu bieten". Wenn alle gleichermaßen zur Kasse gebeten werden, entspricht das absolut den Grundsätzen geschäftstüchtig organisierter Chancengleichheit. Daß dem Tandem Friedrich/Eisinger die alternative Unterkunft für schlappe 238 US-Dollar pro Nacht und Einzelzimmer zu happig ist, verrät in aller Deutlichkeit, daß exzellente Trainingscamps keineswegs für jedermann erschwinglich sind. Man muß schon nützlich, privilegiert oder reich sein.

Ariane Friedrich wird wohl auf bewährte Hausmittel in Frankfurt am Main zurückgreifen müssen, um sich wieder in Form zu bringen. Ihr noch nicht vollständig auskurierter Achillessehnenriß aus dem vergangenen Jahr ist auch ein Preis, den Spitzenathleten für ihre Weltklasseleistungen zu zahlen haben, ohne daß er den Fabrikanten des elitären Weltsports in Rechnung gestellt würde. Weil letztere aber um die Verderblichkeit der Athleten wissen, haben sie im Zusammenspiel mit den Sportverbänden vorgesorgt: Damit immer ausreichend frische und medaillenträchtige Sportlerware für die nationalen und internationalen Märkte zur Verfügung steht, muß eben großmaßstäblich gesiebt werden. Möglichst auch in solchen Regionen, wo noch unverbrauchte "Naturtalente" wohnen, die wohl alles dafür geben würden, um aus den armen und elenden Verhältnissen zu entkommen.

Anmerkungen:

[1] www.bild.de. "Friedrich darf nicht ins Katar-Quartier". 12.10.2011.

[2] www.fr-online.de. "Ariane Friedrich sagt Trainingslager in Katar ab". dpa. 13.10.2011.

[3] www.wdr.de/tv/sport_inside/sendungsbeitraege/2011/0926/aspire.jsp
"Trainingsakadamie XXL"

[4] http://cdu-nrw-fraktion.de/index.php?id=405&tx_ttnews%5Btt_news%5D=9818&cHash=aa83d5a61919f426b06a81865ba5fdf1
Positionspapier der CDU-Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen. Von Holger Müller. 04.01.2010.

[5] www.presseportal.de/pm/59893/1020711/vom-soweto-township-zur-aspire-academy

[6] www.leichtathletik.de. "Uwe Hakus - Cheftrainer in der Wüste von Katar". Von Peter Schmitt. 13.03.2010.

[7] www.asqire.qa/common/newsdetail.aspx?newsid=299

[8] www.leichtathletik.de/index.php?NavID=1&SiteID=28&NewsID=35025&Year=2011&IsArchive=1

25. Oktober 2011