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KOMMENTAR/151: Dow Chemical bis Vattenfall - White- und Greenwashing durch Sportsponsoring (SB)




Daß Sport und Politik eng miteinander verwoben sind und beide Seiten eine ausgeprägte Kultur des Gebens und Nehmens, des Sehens und Gesehenwerdens pflegen, hat die Wahl des Bundespräsidenten einmal mehr deutlich gemacht. Fast alle Parteien hatten auch aktive oder ehemalige Spitzensportler oder Sportfunktionäre als Wahlfrauen oder -männer in die 15. Bundesversammlung entsandt, damit sie ihre Stimme abgeben und dem Staatsakt einen volkstümlichen Anstrich verleihen. Man kann davon ausgehen, daß die prominenten Sportskanonen, die in finanzieller Abhängigkeit zum staatlichen Förderbetrieb stehen, ihr Kreuz nicht an der falschen Stelle gemacht haben. Erwartungsgemäß setzten die bürgerlichen Kriegsparteien CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne ihren Konsenskandidaten Joachim Gauck durch.

Wenige Tage vor der Bundespräsidentenwahl stellte Gauck als scheidender Vorsitzender des Vereins "Gegen Vergessen - Für Demokratie" gemeinsam mit dem Deutschen Eishockeymeister Eisbären Berlin zwei neue Internet-Portale gegen Diskriminierung und für Zivilcourage im Sport vor (www.sport-mit-courage.de und www.mach-den-unterschied.de). Als geübter Rhetoriker fand der Ex-Pfarrer gemessene Worte: "Sport ist eigentlich unpolitisch, und er ist doch politisch, weil er jungen Menschen auch aus gefährdeten Lebenssituationen heraus mehrere Dinge anbietet. Ihre Kraft, die sie haben, durch Regeln eingrenzen zu lassen." [1]

Was aber, wenn die Maßregeln insbesondere des Hochleistungssports die vielbeschworene Zivilcourage nicht entwickeln, sondern eingrenzen und sogar verhindern? Ja, wenn sich herausstellt, daß die Regeln, Statuten und Richtlinien der Sportverbände und -institutionen vor allem dem Zweck dienen, eine Ordnung aufrechtzuerhalten, die es insbesondere Menschen in "gefährdeten Lebenssituationen" erschwert, ihre Stimme gegen die profitgetriebenen Machenschaften der Sportverbandskonzerne und Sponsoren zu erheben?

"Wer Hochleistungssport betreibt, hat sich der Werbung zu verpflichten. Ohne Werbung kein Zugang zur Nationalmannschaft. Der Spieler muss sich gegenüber den Werbebotschaften neutral verhalten. Reklame für Atomenergie muss er ebenso ertragen wie die Werbung für eine Brauerei. Ist er selbst überzeugter Pazifist, an ökologischen Idealen orientiert oder hält er Alkoholkonsum für eine Volkskrankheit, kann dies alles kein Grund sein, diese Werbung am eigenen Leib zu verweigern. Athleten wurden so schleichend ihrer Freiheitsrechte beraubt", schrieb einmal der Sportsoziologe und Leichtathletik-Funktionär Helmut Digel im Berliner Tagesspiegel [2]. Ohne seine eigene Rolle im Leichtathletik-Weltverband IAAF kritisch zu reflektieren, wo er als Councilmitglied für den Bereich Vermarktung und Fernsehen zuständig ist und seit neuestem auch die Marketing- und Promotion-Kommission leitet, stellte Prof. Digel mit hehren Worten das aktuelle Menschenbild im Hochleistungssport, der durch "Fremdbestimmung, kommerziellen Eigennutz, Betrug und eine gewollte Gefährdung der Gesundheit geprägt wird", in Frage und vertrat die Ansicht, daß ein solcher es nicht verdient habe, aus Mitteln des Steuerzahlers finanziert zu werden.

Doch hat ein Hochleistungssport, der nicht aus öffentlichen, sondern aus Mitteln der Privatwirtschaft finanziert wird und die Athleten gegenüber den Sponsoren mundtot und gefügig macht, gesellschaftliche Akzeptanz verdient?

In Indien haben sich Athleten für einen Boykott der Olympischen Spiele in London ausgesprochen, weil sich das Internationale Olympische Komitee (IOC) mit dem Großsponsor Dow Chemical eingelassen hat. Viele Inder sehen den US-amerikanischen Chemiekonzern in der Mitverantwortung für die Giftgas-Katastrophe von Bhopal vor knapp 30 Jahren, die rund 25.000 Einwohner mit dem Leben bezahlten. Noch heute leiden zahlreiche Menschen an schwersten gesundheitlichen Folgeschäden. Dow Chemical hatte den eigentlichen Verursacher des Unfalls, Union Carbide, 2001 übernommen.

Kein geringerer als der britische Mittelstrecken-Olympiasieger Sebastian Coe, Chef des Londoner Organisationskomitees LOCOG, soll Dow Chemical als Geldgeber angeworben haben. Für die betroffenen Inder ist es unfaßbar, daß der Chemieriese sich nun, geschmückt mit den olympischen Insignien, ein Saubermannimage verpassen kann, während er sich gleichzeitig weigert, etwa die verseuchten Gebiete zu entgiften. Um ihre Wut zu unterstreichen, verbrannten Überlebende der weltweit größten industriellen Giftgaskatastrophe aus Anlaß des 27. Jahrestages in Bophal Bildnisse von Lord Coe sowie dem Chef des NOK Indiens, der sich ebenfalls ignorant zeigte. Daß Dow Chemical das Insektizid DDT entwickelt hat, das Anfang der 1960er Jahre in Großbritannien den Frühling zum Verstummen brachte ("Silent spring"), scheint auch in der englischen Sportpresse keiner besonderen Erwähnung mehr wert zu sein. Hinweise darauf, daß der IOC-Sponsor den übelste Brandwunden verursachenden Kampfstoff Napalm herstellte, den die USA auf die vietnamesische Bevölkerung abwarf, oder daß er zusammen mit dem Herbizidhersteller Monsanto das berüchtigte Entlaubungsmittel "Agent Orange" produzierte, das bei zahlreichen Vietnamesen über Generationen hinweg schwerste gesundheitliche Schäden hervorrief, sucht man in der sponsorennahen Olympiapresse vergebens. Weil Vietnam im Gegensatz zu Indien als sportpolitischer Nobody gilt, wird die Desavouierung des vietnamesischen Volkes durch das IOC, das den Millionendeal mit Dow Chemical verteidigt, meist übergangen. Eine Protestkampagne von namhaften Athleten aus dem internationalen Sport ("Athletes Against Dow Chemical's Olympic Sponsorship"), die sich nur deshalb bilden konnte, weil der Dow-Deal das Maß ansonsten kritiklos hingenommener Sponsoren-Weißwäschen auf eklatante Weise übersteigt, sowie ein Offener Brief der Sportler, der u.a. die Verletzung der Olympischen Charta und des Ethik-Kodex beklagt, lassen das IOC bislang ebenfalls ungerührt. Die kommerziell abhängigen Olympiafunktionäre unternehmen alles, um einen Dammbruch zu verhindern, der darauf hinauslaufen könnte, daß Athleten, auch aus geringeren Anlässen, die Respektabilität von Sponsoren öffentlich anzuzweifeln beginnen. Sportler sollen nicht politisieren, sondern laufen, springen, hüpfen - je fremdbestimmter, desto pflegeleichter!

Schweigen im Wald herrscht auch in der "Sportnation" Deutschland, was das umstrittene Engagement des Energiekonzerns Vattenfall im Sport betrifft. Gemeinsam mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) präsentierte sich der Stromerzeuger am 8. März in Berlin als "Partner der deutschen Olympiamannschaft", der zwei Teams ins Leben gerufen habe: das "Team Vattenfall" und den "Olympic Talent Support". Wie die geschickt im Hintergrund operierende Deutsche Sport-Marketing GmbH (DSM) berichtete, stammten die Sportlerinnen und Sportler im Team Vattenfall und auch die jungen Talente überwiegend aus den Regionen Berlin, Hamburg und Ostdeutschland, in denen Vattenfall seine "Kernmärkte" habe. "Mit dem Ausbau seines Engagements beweist Vattenfall Nähe zu den Athletinnen und Athleten wie zum Sport insgesamt. Die Deutsche Olympiamannschaft und unsere Nachwuchstalente stehen für Spitzenleistungen, Willensstärke und Fair Play. Es ist großartig zu sehen, dass die Faszination, die von der Deutschen Olympiamannschaft ausgeht, Partner wie Vattenfall überzeugt", drosch der DOSB-Präsident und FDP-Wirtschaftslobbyist Dr. Thomas Bach munter die Phrasen des Sportmarketings. Zugleich wurde eine Liste mit den Namen der Sportlerinnen und Sportler veröffentlicht, die in den Genuß der Förderung kommen. Die Partnerschaft läuft bis 2016 und schließt die Olympischen Sommerspiele 2012 in London, die Winterspiele 2014 in Sotschi und die Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro mit ein. [3]

Kein Wort indessen davon, daß der schwedische Energieriese die "Faszination" des Sports nutzt, um die Menschen auf "seinen" Kernmärkten für die alles andere als umweltfreundlichen Konzerninteressen einzunehmen. Vattenfall betreibt klimaschädliche Kohlekraftwerke und versucht vor allem in Ostdeutschland die technologisch zweifelhafte Kohlendioxid-Verpressung in den Boden (CCS - Carbon Dioxide Capture and Storage) durchzusetzen. Mittels Kultur-, Sozial- und Sportsponsoring unternimmt das Unternehmen große Anstrengungen, sich das Wohlwollen der Bürger zu erkaufen. Das Geld für die Imagekampagnen stammt von den Profiten, die der Konzern zu Lasten der Bevölkerung erwirtschaftet, etwa indem er in Brandenburg Braunkohle abbaut, ohne einen Cent für die Rohstoffhebung zu bezahlen. Im Zuge des Abbaus und der Nutzung der weitläufigen Gebiete wurden und werden etwa in der Lausitz ganze Dörfer abgerissen und Landschaften verwüstet [4]. Nur selten findet man in den Medien Hinweise darauf, daß die Bewohner selbst durch das Eigentumsrecht nicht vor ihrer Devastierung (Vertreibung) geschützt sind.

Daß die Sponsoren-Weißwäsche im Sportbereich mit dem Greenwashing im Umweltbereich Hand in Hand geht, bleibt jedoch nicht überall unbemerkt. Im Sommer 2010 hatte ein Bündnis aus verschiedenen Umweltinitiativen gegen das von Vattenfall gesponserte Cyclassic-Radrennen protestiert. Die Organisationen betonten damals in einer Pressemitteilung: "Wir haben nichts gegen den Radsport und viele von uns sind nicht nur aus Klimaschutzgründen begeisterte RadfahrerInnen. Aber wir nehmen nicht hin, dass einer der größten deutschen Klimakiller-Konzerne den Radsport mit seinem Sponsoring missbraucht und damit von seiner Mitverantwortung für die stattfindende Klimakatastrophe abzulenken versucht. Als Greenwashing hat diese schönfärberische Verdrehung der Wirklichkeit einen Namen bekommen!" [5]

Würden die Athleten, wie vom Neu-Bundespräsidenten Joachim Gauck erklärt und gewünscht, ihre "Kraft" durch Regeln eingrenzen lassen und sich an die ungeschriebenen Gesetze des Sportsponsorings halten, wonach die Produkte und die Geschäftspolitik der "finanziellen Wohltäter" in der Öffentlichkeit nicht kritisiert werden dürfen (nach den Statuten kann vereins- oder verbandsschädigendes Verhalten abgemahnt und mit dem Ausschluß aus dem Sportbetrieb geahndet werden!), wären sie für immer zum undemokratischen Stillschweigen verurteilt. Im Kulturbereich hat sich bereits eine Protestbewegung aus zum Teil prominenten Autoren und Künstlern gebildet, die nicht mehr länger bereit sind, den "Kulturmißbrauch" des Atomkonzerns Vattenfall, der die sogenannten Vattenfall-Lesetage mit Rückendeckung von Regionalpolitikern sponsert, hinzunehmen. Mitte März wurde die Gegenveranstaltung "Lesen ohne Atomstrom - die erneuerbaren Lesetage 2012" der Öffentlichkeit vorgestellt.

Indessen ist nicht damit zu rechnen, daß der Freiheits- und Demokratieprediger Joachim Gauck die Olympioniken zur "Zivilcourage" ermuntert, damit sie gegen den "Sportmißbrauch" durch die Partnerschaft von DOSB und Vattenfall Einspruch erheben können. Sollte also doch die alte Bedeutung von "Regel", die auf das lateinische Verb regere "geraderichten, lenken, herrschen" zurückgeht, Allgemeingültigkeit in der kapitalgelenkten Demokratie besitzen?

Anmerkungen:

[1] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/sport/1704754/. 27.3.2012.

[2] http://www.tagesspiegel.de/sport/position-wo-bleibt-die-menschenwuerde/1278208.html. 27.3.2012.

[3] http://www.dsm-olympia.de/informieren/aktuelles/nachricht/artikel/56/vattenfall-praesentiert-foerderprogramm-fuer-olympioniken.html. 27.3.2012.

[4] Ausführlicher Bericht und Interviews im SCHATTENBLICK:
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0012.html http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0009.html http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0010.html

[5] http://stop-greenwashing.blogspot.de/p/presse.html. 27.3.2012.

30. März 2012