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KOMMENTAR/153: Golfdiktatur Katar dient sich als Weltpolizist des Sports an (SB)




Der superreiche Golfstaat Katar, Statthalter westlicher Hegemonialinteressen im Nahen Osten, ist seinen Herren und Meistern wirklich in allen Belangen zu Diensten. Vor gut einem Jahr beteiligte sich die diktatorische Monarchie zusammen mit Saudi-Arabien und den VAE an der brutalen Niederschlagung der Demokratiebewegung in Bahrain. Das Königreich beherbergt bekanntlich den Heimathafen der 5. US-Flotte und gilt den USA ebenso wie das Scheichtum Katar, das seit 1998 Sitz des Hauptquartiers der US-Truppen im Nahen Osten ist, als wichtiger Brückenkopf eigener Gewaltprojektionen. Als erstes arabisches Land nahm Katar zudem am NATO-Bombardement auf Libyen teil, schickte Waffen, Ausbilder und entgegen der UNO-Resolution sogar Bodentruppen nach Nordafrika. Auch den Bürgerkrieg in Syrien soll Katar mit Waffenlieferungen an die Deserteure der sogenannten Freien Syrischen Armee unterstützen [1]. Wie es die Herrscherclique in Katar selbst mit der Freiheit hält, läßt sich daran ablesen, daß es in dem Land keine Parteien, Gewerkschaften oder ein Parlament gibt und den eigenen Bürgern demokratische Rechte und Freiheiten weitgehend vorenthalten werden. Frauen wurde die Teilnahme an den Olympischen Spielen bislang verwehrt.

Doch der erdgasreiche Golfstaat ist im Verbund mit anderen arabischen Diktaturen nicht nur an offenen oder verdeckten Kriegen im Dienste westlicher Herrschaftskonzeptionen beteiligt. Im globalen Krieg um die Absatzmärkte und Ressourcen nimmt auch der "Sport" einen nicht unbedeutenden Stellenwert ein. Um die kommerzielle Ausbeutung des Leistungssports ungeachtet der sozialen Widersprüche und wettbewerblichen Dysfunktionen vorantreiben zu können, vernetzen sich die großen Monopolorganisationen und -verbände des Sports immer stärker mit teils staatlichen, teils privatwirtschaftlich organisierten Kontroll-, Sicherheits- und Repressionsinstanzen. Um sich größtmögliche Legitimität zu verschaffen, sprich in den öffentlichen Raum projizierte "Glaubwürdigkeitskrisen" und "Integritätsdefizite" in eine neue Ordnung sozialrepressiver Regulation zu überführen, deren Täuschungsgehalt allgemeingesellschaftlich noch nicht durchschaut wurde, suchen die profitgetriebenen Sportautokratien den Anschluß an die "globale Sicherheitsarchitektur" und finden in Ländern mit despotischen Regimen und sprudelnden Geldquellen nahezu ideale Bedingungen vor. Wer wie Katar Abermilliarden von Petrodollar in Infrastruktur- und Bauprojekte investiert (für die Fußball-Weltmeisterschaft im Jahr 2022 sollen rund 100‍ ‍Milliarden Dollar vorgesehen sein), Unternehmen und Konzerne in aller Welt aushält sowie Fachleute und Wissenschaftskapazitäten sämtlicher Berufsgattungen mit üppigen Salären und der Aussicht auf "interessante Herausforderungen" ins Land holen kann, der ist auch in der Lage, einen Sicherheitsapparat aufzubauen, welcher die globale Sportindustrie vor Bedrohungen schützen und die "guten" von den "bösen" Räubern scheiden soll.

Ähnlich wie der skandalerprobte Fußballweltverband FIFA die internationale Polizeiorganisation INTERPOL sponsert, um seinen Ruf als "mafiaähnlicher Verein" (Deutschlandfunk) reinzuwaschen, setzt das ebenfalls von Korruptionsvorwürfen umrankte Fußball-WM-Gastgeberland Katar auf einen gutdotierten Pakt mit führenden Vertretern aus der Sicherheits-Branche. So finanziert Katar, das sich auch für die Austragung der Olympischen Sommerspiele 2020 ins Gespräch bringt, seit 2010‍ ‍das "International Centre for Sport Security" (ICSS) mit Sitz in Doha. Gegründet wurde das "gemeinnützige" Sicherheitszentrum, das als "Non-Profit-Organisation" firmiert und zahlreiche Experten der Kriminalitätsbekämpfung an Land gezogen hat, von einem früheren Mitglied aus der katarischen Militärführung. Im Aufsichtsrat des privaten Dienstleisters hat neben dem INTERPOL-Direktor Khoo Boon Hui (Singapur), dem früheren Londoner Polizeichef Lord John Stevens und dem ehemaligen FBI-Agenten und 9/11-Ermittler Ali Soufan (USA) auch der frühere DFB-Schatzmeister und WM-Organisator Horst R. Schmidt Platz genommen. Im operativen Bereich ist der Deutsche Fußballbund mit Helmut Spahn, ehemaliger Abteilungsleiter des BKA, Ex-Sicherheitsbeauftragter des DFB und -chef der FIFA-WM 2006 in Deutschland, ebenfalls prominent vertreten.

Da sich die lukrativen und bezahlkräftigen Sportmärkte in Weltregionen verlagert haben, deren Länder aufgrund der teils autokratisch-feudalen Gesellschaftssysteme, militärischen Spannungen sowie ethnischen oder religiösen Konflikte aus westlicher Sicht als "risikoreich" oder "unsicher" gelten, sind die großen Sportverbände und -organisationen wie auch ihre Sponsoren aus Industrie und Wirtschaft daran interessiert, stabile Verhältnisse der Kapitalverwertung herzustellen. Um die Märkte und Renditen des internationalen Sports, der auch immer als Türöffner für außersportliche Geschäfte fungiert, zu schützen, werden die sozialen Konfliktkonstellationen, die der ökonomisierte Sport in vielen Bereichen durch seine kommerziellen Anreiz- und Wettbewerbssysteme überhaupt erst in die Welt setzt, kurzerhand zu Problemen nachhaltiger Kriminalprävention und Sicherheit umgedeutet.

Die hochkarätigen ICSS-Experten, die mittelbar in Diensten der Profit-Organisationen des Sports stehen, verfügen über reichlich Beziehungen und Knowhow und bedienen sich eines Instrumentariums, das Unterdrückung und Ausbeutung im kapitalistischen Weltsystem mit Strategien wie "Comprehensive Approach" (umfassender Sicherheitsansatz) oder polizeilichen Vorverlagerungsstrategien wie "Proactive Approach" (in etwa: "vorauseilender, anlaßunabhängiger Präventionsansatz") zu flickschustern sucht. Ziel des Zentrums sei, so heißt es in der Selbstdarstellung der ICSS, "die Verbesserung der Sicherheit in der Welt des Sports durch proaktives Ansprechen wirklicher Probleme und das Angebot bestmöglicher Schulung, Forschung und gezielter Beratung zu allen Aspekten der Sicherheit im Sport". Das ICSS-Team bringe einige der führenden Fachleute auf dem Gebiet der Sicherheit im Sport zusammen und sei "mit einem weltumspannenden Netzwerk von spezialisierten Praktikern verbunden, die über herausragendes Fachwissen in allen Fragen der Sicherheit im Sport verfügen". [2] Wie Interpol-Chef Khoo Boon Hui auf der 2. Internationalen Konferenz über Sicherheit im Sport, die Mitte März in Doha stattfand, sagte, heißen die Gefahren Terrorismus, Doping, Wettbetrug und Gewalt von Hooligans [3]. Der diesjährige Themenschwerpunkt auf der Veranstaltung lautete "Schaffen einer Plattform für Wachstum durch sichere Sportevents".

Damit klinkt sich das Sportgewerbe noch stärker in den globalen Sicherheitsdiskurs ein und treibt die schleichende Verpolizeilichung des Sports voran. Sportjournalisten, die in einer "effektiveren/wirklichen/echten/durchgreifenden" Kriminalitätsbekämpfung das Heil des kommerziellen Leistungs- und Spitzensports sehen und gesellschaftliche Verschlußbegriffe wie "Sicherheit und Sauberkeit" (FAZ) bereits in einem Atemzug nennen, unterstützen sie dabei. Sollte die Forderung nach einem "sauberen Sport" demnächst mit der "inneren Sicherheit" oder dem "Anti-Terror-Kampf" in ununterscheidbarer Weise verschmolzen werden, droht der totale Krieg nach innen.

In Österreich, wo das Führungspersonal der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) kürzlich abdanken mußte, weil herauskam, wes Geistes Kind die ehrenwerten Dopingfahnder wirklich sind, wenn sie sich allein wähnen [4], trat Anfang April als Teil des "Anti-Terror-Pakets" das novellierte Sicherheitspolizeigesetz (SPG) in Kraft, das nach Ansicht zahlreicher Kritiker alle Menschen des Alpenlandes unter Generalverdacht stellt und die Unschuldsvermutung aufhebt. Während die präventivstaatliche Aufzeichnung aller Telefon- und Internetdaten im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung sowie die "erweiterte Gefahrenforschung", nach der jeder Bürger von der Polizei "bis auf die Unterhose ausgezogen werden" dürfe, wie die Piratenpartei Österreichs (PPÖ) anmahnte, von besorgten Bürgern heftig kritisiert wurde, fand mit keiner Silbe Erwähnung, daß die generalverdächtigten Sportler diesen physischen und datenelektronischen Striptease bereits seit Jahren am eigenen Leib erfahren, ohne daß dies nennenswerte Proteste hervorgerufen hätte. Schlimmer noch, um das neue Sicherheitspolizeigesetz in der Begutachtungsphase der Öffentlichkeit verdaulich zu machen, wurden "Terror und Doping" in den österreichischen Schlagzeilen gleichrangig nebeneinandergestellt. In nahezu identischen Medienberichten hieß es im September vergangenen Jahres, daß durch das SPG nicht nur mehr Möglichkeiten "zum Vorgehen gegen potenzielle Terroristen" geplant seien. Wie die Krone-Zeitung berichtete, sollten auch im Doping-Bereich die Ermittlungsmöglichkeiten ausgedehnt werden. Dazu bediente sich die Regierung einer Definitionsänderung: Vergehen gegen das Anti-Doping- Bundesgesetz gelten - wie im Falle von Drogenkriminalität - nun ebenfalls als "gefährliche Angriffe". [5]

Die vagen Formulierungen und der schwammige Gesundheits- und Gefahrenbegriff, die keiner ernsthaften Überprüfung standhalten, schon gar nicht mit Blick auf den gesundheitsschädlichen und gefahrenträchtigen Hochleistungssport, könnten sich als Blaupause erweisen, um eine präventive Kriminalitätsbekämpfung mit allen Mitteln sicherheitsstaatlicher Bürgerbespitzelung freizusetzen. Wenn nicht nur Terrorismus, sondern bereits Doping "eine Gefahr für Leben und Gesundheit" darstellt und als "gefährliche Angriffe" ausgelegt werden kann (siehe SPG-Novelle), könnte nahezu jede leistungssteigernde, nach willkürlichen Maßgaben auf den Dopingindex gesetzte Applikationshandlung des Bürgers unter Verdacht gestellt und als "Gefahr" inkriminiert werden.

Die Kriminalisten und Geheimdienstler des ICSS, die von der erzreaktionären islamischen Golfmonarchie Katar aus ein weltumspannendes Netzwerk knüpfen wollen, um Doping, Korruption, Wettbetrug, Fan-Gewalt und Terrorgefahren durch "proaktives Ansprechen wirklicher Probleme" bekämpfen zu können, sehen nicht in den Profit-Organisationen des Sports eine Gefahr für die Allgemeinheit (zu Lasten der Bürger haben sich allein die Kosten für die militarisierten Olympischen Spiele in London Schätzungen zufolge etwa verzehnfacht!), sondern streben im Gegenteil eine "Kooperation" mit den Wachstumsmonopolisten und ihren transnationalen Protektoraten an. Im Januar erklärte der neue ICSS-Chef Helmut Spahn: "Wir müssen die Marke ICSS bekanntmachen. Vorrangiges Ziel ist es, die Kontakte mit den Vereinten Nationen, dem IOC und der FIFA zu vertiefen und die Kooperation dann voranzutreiben." Ferner sagte der ehemalige Leiter des Spezialeinsatzkommandos (SEK) der hessischen Polizei: "Wir müssen eine Datenbank einrichten. Und wenn wir das Know-how haben, dann fragt man uns nach." [6] Diese Nachfrage besteht bereits: Fast alle bedeutenden Sportevents der nächsten zehn Jahre werden von der ICSS betreut.

Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA), die sich eine Kontrollgewalt über die Sportler anmaßt, nach der sich selbst die Polizeien in faschistischen oder diktatorischen Regimen die Finger lecken würden, unterhält bereits Datenbanken, welche die "proaktive" Ausforschung der Privatsphäre in vorher nie dagewesenem Ausmaß möglich machen und bei Bedarf auch als Hinweisgeber für staatliche Ermittlungsbehörden genutzt werden können. Letzte Schranken sind hier noch nicht gefallen, doch die Disziplinarapparate des Sports beginnen sich bereits an vielen Stellen mit wissenschaftlichen Instituten und staatlichen Behörden zu vernetzen, wie u.a. auch die Zusammenarbeit von WADA und INTERPOL zeigt.

ICSS-Datenbanken, die Informationen im Zusammenhang mit Doping, Korruption, Wettbetrug, Fan-Gewalt und Terrorgefahren sammeln und sich im Besitz einer kaum kontrollierbaren, privaten Sportsicherheitsfirma mit Sitz im "demokratischen Musterland" Katar befinden, könnten das Ensemble vernetzter Sicherheit komplettieren. Kritische Stimmen gegen die Polizei- und Kriegsdienste Katars gibt es im sportmedialen Komplex so gut wie keine, weil die stark an den Funktionsversprechen unternehmerischer Compliance-Systeme orientierten Sportjournalisten über die hegemonialen Leitbegriffe "Sauberkeit und Sicherheit", die scheinbar keiner Hinterfragung mehr bedürfen, bereits eingefangen sind.

Da Katar riesige Geldsummen in verschiedenste Wissenschaftsbereiche pumpt, singt auch die akademische Zunft vorzugsweise das Lied des Brötchengebers. Allenfalls setzt es Kritik, wenn Sportwissenschaftler auf ihrem ureigensten Terrain die Macht der Petrodollar zu spüren bekommen und nicht am großen Kuchen teilhaben können. So hatte sich Katar in eine Doppel-Ausstellung eingekauft, die u.a. Ende August im Martin-Gropius-Bau in Berlin unter dem Titel "Mythos Olympia - Kult und Spiele" zu sehen sein wird. Ein Teil der Ausstellung, "Olympia in der Moderne", war von Wissenschaftlern entworfen worden, die mit kritischer Intention auch die vielfältigen Probleme, Instrumentalisierungspotentiale und Schattenseiten des modernen Olympia dokumentieren wollten. Doch kraft des katarischen Geldes wurde dieser Ausstellungsteil kurzerhand ausgebootet und seine Konzeption in die Hände des IOC-freundlichen "Qatar Sports Museum" gelegt. Dieses bombastische Museum, das sich zur Zeit in Bau befindet, ist Teil der Olympiabewerbung Katars und soll dabei helfen, sich überall Liebkind zu machen. Gunter Gebauer, Philosophie-Professor an der FU Berlin und in Mitleidenschaft gezogener Beitragspender des geschaßten Ausstellungsteils, übte gesalzene Kritik: "Man will die unabhängige Wissenschaft rausschmeißen und statt dessen eine willfährige Wissenschaft mit akademischen Höflingen einrichten von Leuten, die sozusagen Taschenträger für das Internationale Olympische Komitee sind und Botschaften verbreiten, die eigentlich nur das hohe Lied des Olympismus singen." [7]

Dieses Lied wird leider nicht nur von Sportwissenschaftlern, sondern auch von anderen Funktionsträgern zur Sicherung des Sport-Business gesungen. Die vom katarischen Staat finanzierten ICSS-Experten in Doha bezeichnen sich selbst übrigens als "unabhängig".

Anmerkungen:

[1]‍ ‍http://www.tagesspiegel.de/zeitung/golfstaaten-bieten-rebellen-waffen-an-un-menschenrechtsrat-verurteilt-damaskus/6279388.html. 20.4.2012.

[2]‍ ‍http://www.theicss.org/wp-content/uploads/2012/03/ICSS021.12-The-ICSS-signs-MOU-with-Germanys-IfF-FINAL-German.pdf. 20.4.2012.

[3]‍ ‍http://www.dradio.de/dlf/sendungen/sport/1706765/. 20.4.2012.

[4]‍ ‍In österreichischen Medien wurden im Zusammenhang mit dem für 6 Jahre gesperrten ehemaligen Langlauf-Olympiasieger Christian Hoffmann Ausschnitte eines möglicherweise illegal mitgeschnittenen Tonprotokolls veröffentlicht, das die Mitglieder des NADA-Gremiums dem Vorwurf von Sexismus, Inkompetenz und Unprofessionalität aussetzt.

[5]‍ ‍http://www.krone.at/Oesterreich/Polizei_erhaelt_mehr_Befugnisse_gegen_Terror_und_Doping-Anti-Terror-Paket-Story-297001. 20.4.2012.

[6]‍ ‍http://1asport.de/sport/fussball/dfb/000087979/spahns-neustart-weisses-blatt-und-gruener-garten.html. 20.4.2012.

[7]‍ ‍http://www.dradio.de/dlf/sendungen/sport/1625603/. 20.4.2012.

22.‍ ‍April 2012