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KOMMENTAR/158: Nützliche Rühmlinge für die "Hall of Fame" - Schäuble und de Maizière laudatierten (SB)




"Halls of Fame" gibt es wie Sand am Meer. Kaum ein Industriezweig, der seine herausragenden Vertreter nicht in Ruhmeshallen zur Schau stellen würde, um maximale Marken- und Produktidentifikation herzustellen. Angefangen von der Musikindustrie, der Filmbranche bis hin zur Pornoindustrie. Auch der von Staat und Kapital gestiftete Hochleistungssport in Deutschland hat 2008 damit begonnen, seine ehemaligen Leistungs- und Funktionseliten in einer virtuellen Heldenhalle auszustellen, um einerseits die gesellschaftspolitische Akzeptanz des Elitensports zu stärken, andererseits weiteren Entsolidarisierungseffekten innerhalb der Bevölkerung entgegenzuwirken. Die forcierte Ökonomisierung des Leistungs- und Spitzensports hat inzwischen so viele Deformationen und Pervertierungen nach innen wie außen hervorgebracht, daß es seinen Verfechtern zusehends schwerer fällt, für den sozialdarwinistischen Heldenzirkus bedarfsgerechte Werbeplattformen zu errichten.

Zwar gibt sich die leistungssportnahe Wissenschaft redliche Mühe, die wirtschaftliche Bedeutung des Unterhaltungsgewerbes mit Zahlenmaterial zu untermauern, damit die Trumpfkarte Business-Sport weiterhin sticht. Doch die Lobbyistenfraktionen kommen in Anbetracht nur schwer zu leugnender Fiskal-, Umwelt- und Sozialschäden, die internationale Megasportevents zu Lasten der Allgemeinheit verursachen (siehe China, Südafrika, Ukraine, Großbritannien, Rußland, Brasilien, Katar etc. pp.), in immer ärgere Erklärungsnöte. Selbst DOSB-Präsident und IOC-Vize Dr. Thomas Bach scheint aus seiner Wahrnehmungsperspektive nicht mehr sicher, "ob wir überhaupt noch in der Lage sind, ein ambitioniertes Großprojekt auf die Beine zu stellen" [1]. Als er noch den "Rückenwind in unserem Land" für die Bewerbung zu den Olympischen Winterspielen 2018 in München zu spüren vermeinte, kanzelte er die olympiakritische Bewegung als "fundamentalistische Zukunftsverweigerer" ab [2].

Solche Zuschreibungen aus dem Munde neoliberaler Spitzensportfunktionäre sind sicherlich kaum geeignet, die begründeten Bedenken und Einwände gegen die global expandierende Sportindustrie zu zerstreuen. Dazu bedarf es schon langfristig angelegter Strategien, die weniger auf Konfrontation, denn auf Partizipation und pluralistische Vereinnahmung der vielen Skeptiker, Kritiker und Gegner abzielen. Um sich vorausschauend gegen Anfechtungen zu feien, mußte sich auch die Stiftung Deutsche Sporthilfe neu aufstellen. So gab sie sich eine professionellere Führungsstruktur und agiert heute wie ein modernes Wirtschaftsunternehmen. Zur Profilierung heuerte die SDS vor kurzem sogar den Sportchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Jörg Hahn, an, der ab 1. Juli als "Direktor Kommunikation" die Fäden ziehen wird.

Der frühere SDS-Vorsitzende Hans-Wilhelm Gäb, langjähriger Industriemanager bei General Motors, war am Modernisierungskurs maßgeblich beteiligt. "Mit den Leitbegriffen 'Leistung. Fairplay. Miteinander.' wollen wir für die Prinzipien des Sports einstehen und gleichzeitig den Marken-Charakter der Sporthilfe prägen", erklärte Gäb 2007 [3], nachdem er zuvor als Teil des Markenkonzepts die "Hall of Fame des deutschen Sports" ins Leben gerufen hatte.

War die Stiftung Deutsche Sporthilfe von ihrem Gründungspräsidenten Josef Neckermann oft und gerne als "Sozialwerk des deutschen Sports" bezeichnet worden, so hat die Betonung des "Sozialen" nach dem Ende des sogenannten Kalten Krieges immer mehr an Bindekraft verloren. Nachdem sozialistische Gesellschaftsentwürfe für erledigt erklärt wurden, gibt es für das kapitalistische System auch keinen Grund, mehr als den für die Sicherung des ökonomischen Profitprinzips und die Reproduktion von Arbeitskraft unbedingt nötigen Sozialkitt in der Bevölkerung vorzuhalten. Nach Angaben des neuen Sporthilfe-Chefs Michael Ilgner sei der Begriff Sozialwerk "für uns nicht mehr zeitgemäß, da er vor allem etwas Bedürftiges ausdrückt. Wir stehen in erster Linie für Leistung in Verbindung mit den Tugenden Fairplay und Miteinander. Wir wollen die Besten am besten fördern und nicht aus Mitleid. Aber wir wollen eben nicht Erfolg um jeden Preis" [4].

Nachdem die Sporthilfe jahrzehntelang mit dem Makel behaftet war, eine aus den Reflexen der politischen Systemkonfrontation geborene Versorgungsanstalt von Eliten für Eliten zu sein, sollen die enormen Kosten für die nationale Medaillenproduktion nun auf breitere Schultern verteilt werden, um darüber höhere Akzeptanzgewinne zu erzielen. Deshalb versucht sich die Sporthilfe seit einiger Zeit als "Bürgerbewegung" zu verkaufen und wirbt mit dem nationalen Motto "Dein Name für Deutschland" für Spenden aus der Bevölkerung. Nicht aus "Mitleid", sondern aus Gründen des Nationalstolzes sollen nun die sportbegeisterten Deutschen ihr Geld in den Spitzensport stecken. Voraussetzung für das neue nationale Förder- und Kommunikationsmodell war die maßgeblich von "Bild" und "Bertelsmann" angestoßene Patriotismus-Welle in Deutschland.

Das Konzept des nationalpatriotischen Rollbacks könnte indessen aufgehen. Wie eine aktuelle wissenschaftliche Untersuchung der Berliner Sozialpsychologin Dagmar Schediwy zum wieder erstarkten Patriotismus rund um den deutschen Fußball glaubhaft darlegt, sei die Flucht in den "schwarz-rot-goldenen" Nationaltaumel mit der Zunahme prekärer Arbeits- und Lebensbedingungen verbunden, die mit der Einführung der Agenda 2010 unter Rot-Grün einen Höhepunkt erreichte. Je bedrohter die eigene soziale Situation sei, desto stärker sei die Identifikation mit Fußball-Deutschland, lautet Schediwys Fazit. "Die Nation hat in Krisenzeiten den psychologischen Vorteil, dass Zugehörigkeit nicht verloren gehen kann. Während eine Stelle gekündigt und ein Vermögen verschwinden kann, bleibt die Zugehörigkeit zur Nation für die bereits Zugehörigen bestehen", so die Wissenschaftlerin [5]. Auch sie hatte verwundert beobachtet: "Auf Public Viewings forderten keineswegs rechtsradikal wirkende junge Männer beim Anklingen der Nationalhymne die Umstehenden mit bitterernster Miene auf: 'Steh auf, wenn du ein Deutscher bist, steh auf, wenn du ein Deutscher bist!'" [6].

Auch die deutsche Ruhmeshalle zielt auf die Stärkung des Nationalgefühls. Bezeichnenderweise sorgte nicht der Umstand, daß in die "Hall of Fame des deutschen Sports" fünf Athleten aufgenommen wurden, die Mitglieder der NSDAP und damit Repräsentanten des Hitler-Regimes waren, für einen Rieseneklat. Oder daß kaum DDR-Sportler berücksichtigt worden waren. Erst als im vergangenen Jahr zwei Sportidole der DDR, Gustav-Adolf "Täve" Schur (Rad) und Renate Stecher (Leichtathletik), für die Heldenhalle nominiert werden sollten, schlugen die Wellen der Empörung hoch. In einem offenen Brief an die Sporthilfe kritisierten Dopingopfer der DDR, daß die beiden eine "vergiftete Vergangenheit" hätten. Bei Renate Stecher, so die Opfergruppe, gebe es Belege für Dopingmißbrauch, Schur sei "eine zentrale Propagandafigur des kriminellen DDR-Sports" gewesen.

Die 28köpfige Jury, die sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Sporthilfe-Gremien, des DOSB sowie ausgesuchten Politikern, Bankern, Konzernchefs und weiteren Honoratioren anderer Institutionen des Sports zusammensetzte, ließ sich nur zu gern beeindrucken. Schließlich ist der Antikommunismus seit der Gründung der Bundesrepublik quasi Staatsdoktrin. Die sportpolitische Jury, in der nur ein (!) Vertreter aus dem Osten saß, akzeptierte Renate Stecher, "Täve" Schur, der in einen zweiten offenen Brief von DDR-Doping-Opfern wegen seiner politischen Einstellung und Einbindung in das DDR-System nochmals als "Vollblutpropagandist und Denunziant" gebrandmarkt wurde, erteilte sie eine Absage.

Die DDR-Dopinggeschädigten lehnen die "Hall of Fame des deutschen Sports" keinesfalls grundsätzlich ab, sondern begrüßen ausdrücklich ihren Aufbau ("Sie könnte ein moderner Symbolraum werden, eine notwendige Orientierung für Sport und Gesellschaft, gerade aufgrund der schweren Hypotheken des deutschen Sports."). Auch den "Ethikkodex" der Deutschen Sporthilfe (Sportliche Leistung, Fairplay, Haltung und Vorbild) halten sie nicht für eine wertepolitische Nebelkerze, um Kinder und Jugendliche in den Eliteschulen des Sports zu einem ethisch saubercodifizierten Leidensweg in den Tretmühlen leistungssportlicher Körperausbeutung zu bewegen. Sie sehen auch nicht in der vom Sportartikelkonzern Adidas großzügig gesponserten Heldenhalle ein ganz banales Marketinginstrument, das dem internationalen Wettrüsten im Hochleistungssport eine erinnerungsgeschichtliche Legitimationsbrücke bauen und der nationalen Eventindustrie einen zeitgemäßen Impetus verleihen soll. Im Gegenteil, die Dopinggeschädigten der DDR vermögen in der deutschen Ehrenhalle ein "so schönes wie ernstes Vorhaben" zu erkennen.

Angesichts solcher Ergebenheitsadressen ließ sich die Sporthilfe nicht lange bitten. Den Vorwurf, Hitler-Deutschland, Doping und SED-Staat zu verharmlosen, quittierte sie vor wenigen Wochen mit einer außergewöhnlichen Nominierungsrunde. In vier Sonderkategorien nahm die Jury fünf neue Mitglieder auf, deren Biografien auch nach "ethisch-moralischen Gesichtspunkten" bewertet wurden, wie es in den Medien anerkennend hieß. Bei einem feierlichen Akt am 25. Mai in Berlin wurden die nordische Skisportlerin Antje Harvey-Misersky und ihr Vater Henner Misersky (besondere Biografie durch das Thema Doping - Trainer Misersky verweigerte sich in der DDR der Dopinganordnung für seine Athleten, plädiert heute für ein Antidopinggesetz; die Tochter mußte in der DDR eine Zwangspause nehmen), der Chemnitzer Radfahrer Wolfgang Lötzsch (besondere Biografie durch die DDR-Zeit - weigerte sich, in die SED einzutreten und wurde deshalb aus dem Förderkader geworfen), Ruder-Olympiasieger und Sportphilosoph Prof. Hans Lenk (besondere Biografie im Einsatz für die Werte des Sports - Kritiker des "Dopianismus" und Befürworter einer harten staatlichen Regulierung des Dopingproblems) und die ehemalige Hochspringerin Gretel Bergmann-Lambert (besondere Biografie durch die NS-Zeit - durfte als Jüdin nicht an den Olympischen Spielen 1936 teilnehmen) in die "Hall of Fame" aufgenommen. Dazu noch "Gentleman"-Boxer Henry Maske, dem darüber hinaus die "Goldene Sportpyramide" für sein Lebenswerk überreicht wurde. Maske fungierte während des DDR-Anschlusses als Integrationsfigur bundesdeutscher Identitäts- und Einheitsfiktionen. Der private Fernsehsender RTL hatte Maske gezielt zum "deutschen Helden" aufgebaut, die Printmedien bejubelten den Profiboxer als "Einheitsbotschafter" und "gesamtdeutsches Sportidol". Zudem warb der Verein "Wir für Deutschland" mit dem Bild des Boxers in großformatigen Anzeigen für nationale Aufbruchstimmungen, während abgewickelte Ossis in den "blühenden Landschaften" vergeblich nach sozialer Sicherheit und glückverheißendem Wohlstand suchten.

Die hauptsächlich zu Lasten des DDR-Sports gehenden Nominierungen der eigens eingeführten Kategorie "besondere Biografien" rechnen sich die Dopinggeschädigten der DDR und ihr Unterstützerkreis insbesondere in den öffentlich-rechtlichen Verdachtsprangern als Erfolg des letztjährigen Proteststurms an. Für die meist nur halbherzig vorgetragenen Proteste, daß der bereits 2006 in die "Hall of Fame" aufgenommene Sporthilfegründer Josef Neckermann Arisierungsgewinne mit dem Eigentum von Juden machte, das diese zu Schleuderpreisen an ihn verkaufen mußten, oder daß das NSDAP-Mitglied Willi Daume, Mitbegründer der Sporthilfe und einflußreicher BRD-Spitzenfunktionär, in seinem Dortmunder Unternehmen, das für die Nazis u.a. kriegswichtige Panzerketten herstellte, Zwangsarbeiter beschäftigte und 1943 Informant des SS-Sicherheitsdienstes geworden war, mußte die Nominierung der 98jährigen, in die USA ausgewanderten Jüdin Gretel Bergmann-Lambert als Mahnung ausreichen.

Es ging vor allem darum, den weithin schallenden Mißmut von DDR-Dopinggeschädigten, die ihr persönliches Trauma zum Vehikel der Projektion für einen inquisitorischen Kreuzzug gegen alles ihnen Verdächtige gemacht haben, den Wind aus den Segeln zu nehmen und ihnen gefällige Kandidaten zu präsentieren. Dies ist trotz des Wermutstropfens, daß SDS-Chef Ilgner ankündigte, herausragende sportliche Leistung würden auch in Zukunft das entscheidende Kriterium für die "Hall of Fame" bleiben, voll und ganz gelungen. Da die Sporthilfe außerdem ihre Juryzusammensetzung verändert hat, wonach ab jetzt auch alle noch lebenden Mitglieder der "Hall of Fame" stimmberechtigt sind (statt 28 nun 62 mit weiterhin großem West-Ost-Gefälle), dürfte die Corporate Identity der Eliten und solcher, die gerne dazugehören möchten, nochmals gestärkt worden sein. Da die im Kern sozialfeindlichen Forderungen des DDR-Dopingopfer-Klüngels nach einer "konsequenten", "lückenlosen" und mit Steuergeldern immer teurer finanzierten Dopingbekämpfung (siehe das wechselweise, zum Teil sogar intrigante Eintreten für die Dopingpolizeien WADA und NADA) auf überwachungsstaatliche Regelungen hinauslaufen, die die Freiheitsrechte der Bürger mit den Füßen treten, bilden sie das integrative Paßstück zum autoritären Präventions- und Sicherheitsstaat, dem die Verkriminalisierung des Sports nur recht sein kann.

Kann man es Zufall nennen, daß die politischen Gewährsmänner dieser Entwicklung, die die Bürger in Armutsfallen und militärische Kriege treiben, den sechs neuen Hall-of-Fame-Mitgliedern auch die Laudatio in Berlin hielten? Man muß es fast schon als Treppenwitz der Geschichte bezeichnen, daß Verteidigungsminister Dr. Thomas de Maizière (CDU) die Lobrede auf den Boxer Henry Maske hielt, der den "technisch sauberen Kampf" verkörpert, während Finanzminister Dr. Wolfgang Schäuble (CDU) den fünf anderen Neuaufnahmen (Bergmann-Lambert, Lötzsch, Lenk, Harvey und Misersky) huldigte, die den "sauberen Sport" repräsentieren. Nach Angaben der FAZ empfanden alle Ausgezeichneten die Feier mit den Laudatoren auf Ministerrang als "würdevoll". Die ethisch und politisch korrekten Vorzeigesportler waren offensichtlich so stolz und ergriffen, daß sie diesmal glatt vergaßen, einen Proteststurm zu entfachen. Kein geringerer als ihr Laudator Wolfgang Schäuble hatte die medizinisch-pharmakologische Leistungsbeeinflussung vor dem Sportausschuß des Deutschen Bundestages laut Protokoll vom 28.09.1977 mit den Worten unterstützt: "Wir wollen diese Mittel nur sehr eingeschränkt und nur unter der absolut verantwortlichen Kontrolle der Sportmediziner (...) einsetzen (...), weil es offenbar Disziplinen gibt, in denen ohne den Einsatz dieser Mittel (...) in der Weltkonkurrenz nicht mehr mitgehalten werden kann." [7]

Anmerkungen:

[1] http://www.mainpost.de/sport/Ueberregional-Thomas-Bach-London-wird-auf-alle-wirken;art20426,6820179. 15.6.2012.

[2] http://schattenblick.net/infopool/sport/fakten/sfber666.html

[3] http://schattenblick.net/infopool/sport/fakten/sfber367.html

[4] http://www.rhein-zeitung.de/sport_artikel,-Deutsche-Sporthilfe-erfolgreich-modernisiert-_arid,149466.html. 16.6.2012.

[5] http://www.heise.de/tp/blogs/6/152165. 15.6.2012.

[6] http://www.dagmar-schediwy.de/ 15.6.2012.

[7] Der ehemalige DDR-Spitzenfunktionär Thomas Köhler schreibt in seinem Buch "Zwei Seiten der Medaille", daß auch in der Bundesrepublik flächendeckend gedopt worden sei und hochrangige Funktionäre davon gewußt hätten. Neben dem früheren NOK-Präsidenten Willi Daume bezieht sich Köhler auch auf die Aussage des damals 35jährigen Schäuble vor dem Bundestagssportausschuß, nachdem zuvor vom Deutschen Sportbund (DSB) eine "Grundsatzerklärung für den Spitzensport" (gegen Doping) beschlossen worden war.

18. Juni 2012