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KOMMENTAR/192: Blatters Machtwort - flachgelegte Presse (SB)


Alles hat seinen Preis: FIFA-Präsident Joseph S. Blatter im "Zeit"-Interview



Joseph S. Blatter, der Präsident des Weltfußballverbandes FIFA, gilt als gerissener Anwalt, wendiger Kommunikator und gewiefter PR-Fachmann, der sich seiner Worte und Auftritte in der Öffentlichkeit sehr wohl bewußt ist. Der 77jährige Schweizer weiß, wie man Themen plaziert und welche Medien ihm dabei helfen, wie man Kritik leerlaufen läßt, was man an vermeintlichen Betriebsgeheimnissen ausplaudert und was man lieber verschweigt. Das tut er alles um der guten Sache willen, aus Liebe zum Fußball - womit er schon mal die halbe Miete bei Milliarden Fans eingefahren hat, die weltweit am Unterhaltungstropf des Fußballbusiness hängen. Den Rest besorgen Medienprofis wie Giovanni di Lorenzo. Der Chefredakteur der Wochenzeitung "Die Zeit", Mitherausgeber des "Berliner Tagesspiegels" und Moderator der Talkshow "3 nach 9" bei Radio Bremen bot Blatter am 16. September in Zürich die Bühne für ein unterhaltsames Heimspiel. Mehr war nicht zu erwarten. Das Fazit des "Schweizer Tagesanzeigers", auch "'Zeit'-Chefredaktor Giovanni di Lorenzo konnte den Fifa-Präsidenten nicht knacken" [1], gründet auf dem Mißverständnis, daß es zwischen Zeitungs- und Fußballunternehmen grundsätzliche Interessensgegensätze bei der kommerziellen Ausschlachtung der Unterhaltungsware Sport gäbe.

"Sie sind der härteste Knochen, der mir je untergekommen ist. Aber es hat Freude gemacht", gab sich Giovanni di Lorenzo konziliant. Härter noch, so mögen sich viele fragen, als der ehemalige deutsche Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), mit dem di Lorenzo 2011 ein vielbeachtetes Interview führte, welches sich über vier volle Seiten mit neun Fotos erstreckte, worauf noch ein gemeinsames Buch folgte, was dem Medienmacher den Vorwurf des politischen Steigbügelhalters eintrug?

"Teflon Sepp", so einer der Spitznamen von Joseph S. Blatter, wäre nicht seit fast 40 Jahren in leitenden Positionen für den Weltfußballverband tätig, wüßte er nicht solch einen Auftritt zu nutzen, um vor dem Hintergrund der sozialen Proteste und unerwarteten Widerstände in Brasilien gegen die Fußball-WM im kommenden Jahr, der politisch umstrittenen, wirtschaftlich aber ungemein lukrativen WM-Vergabe 2022 nach Katar sowie der Vorwürfe wegen Doping, Günstlingswirtschaft und Korruption im Fußball den Fifa-Kritikern ein paar wohlportionierte Futterstückchen hinzuwerfen. Die Mahlzeit ist angerichtet, wohl bekomms!

Der größte Köder ist mit Gift gespickt. Auf die Frage, ob der Zuschlag für das Wüstenemirat Katar durch die Fifa-Exekutive womöglich durch Zuwendungen beflügelt worden sei, antwortete Blatter: "Eindeutig ja! Es gab direkte politische Einflüsse. Europäische Regierungschefs haben ihren stimmberechtigten Mitgliedern empfohlen, für Katar zu stimmen, weil sie große wirtschaftliche Interessen mit diesem Land verbinden." [2]

Der erdgas- und erdölreiche Wüstenstaat schmeißt bekanntlich mit Petrodollars nur so um sich und hat "Wirtschaftspartner" aus Sportverbänden, Medien, Politik, Wissenschaft und Industrie aus ganz Europa eingekauft. Selbst den Waffenhandel, darunter auch Bombengeschäfte mit Deutschland, finanziert Katar. Mit seinem Hinweis auf "direkte politische Einflüsse" spricht Blatter nur ein offenes Geheimnis aus. Das von den Medien herbeizitierte Beispiel, wonach Uefa-Präsidenten Michel Platini wenige Tage vor der WM-Abstimmung zu einem Abendessen mit dem damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy im Élysée-Palast geladen war, an dem u.a. auch der katarische Scheich Hamad Al Thani teilgenommen hatte, worauf es zu einem Stimmenschwenk Platinis zugunsten Katars gekommen sein soll, spiegelt nur das Zusammenspiel von Staat, Privatwirtschaft und Sport wider, wie es der gängigen Praxis marktwirtschaftlicher Vorteilsnahmen entspricht. Demgegenüber stellt die von den Fußball-Bossen Blatter, Platini und Rummenigge (unlängst mit zwei unverzollten Rolex-Uhren im Wert von fast 100.000 Euro aus Katar erwischt) vorangetriebene Streitfrage, ob man die Fußball-WM in Katar besser im Winter statt im Sommer austragen sollte, eine reine Ablenkungsdiskussion dar, um das korporatistische System aus "autonomem" Sport, Wirtschaft und Politik nicht kritisch unter die Lupe nehmen zu müssen.

Wie weitreichend die Funktionseliten bis in die Medien hinein bereits an einem Strang ziehen, zeigt die aktuelle Dopingdiskussion auf mustergültige Weise. Um Doping im Sport wenn schon nicht auszurotten, dann doch wenigstens eindämmen zu können, werden in der Medienöffentlichkeit nahezu ausschließlich Lösungsstrategien propagiert, die auf eine stramme Kriminalisierungspolitik hinauslaufen. Kaum ein Sportjournalist, der nicht nach härteren Gesetzen und scharfer staatlicher Doping-Verfolgung rufen würde. Es gibt nur wenige gesellschaftliche Bereiche, wo sich dermaßen unkritisch mit den Law-and-order-Forderungen der Antidopingjäger auseinandergesetzt wird wie im zwischen Gefälligkeitsjournalismus und Verdachtsberichterstattung schwankenden Mediensport.

Das macht sich auch ein aalglatter Funktionär wie Joseph S. Blatter zunutze, weil er erkannt hat, daß man im Anti-Doping-Mainstream am besten die saubere Welle der Repression reitet. Vorbildliche Haltungsnoten haben sich in Deutschland bereits die Verbandspräsidenten Clemens Prokop (Leichtathletik) und Rudolf Scharping (Radsport) verdient. Die Woge, die sie schieben, bricht erst dann zusammen, wenn nicht mehr die kriminalistische, den Business-Sport absichernde Frage im Vordergrund steht, sondern die soziale, womit allerdings aufgrund der Entpolitisierung des Sports und der wettbewerblichen Funktionalisierung der Athleten nicht zu rechnen ist. So fordert Blatter im "Zeit"-Interview ein größeres Engagement im Kampf gegen Doping beim Fußball. "Bei der Bekämpfung des Dopings hinken wir hinterher. Wir haben noch keine richtige Lösung gefunden." Zugleich spricht sich Blatter für die Einführung eines Anti-Doping-Gesetzes in Deutschland aus - eine Forderung, wie sie auch von tiefschwarzen, lodengrünen und rosaroten PolitikerInnen erhoben wird. Man müsse ein solches Gesetz verabschieden, "dann kann die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) richtig loslegen, das heißt: den Fußball genau so wie die Leichtathletik überrollen und gezielt eingreifen". [2]

Solche Aussagen kommen gut an in der Öffentlichkeit und gewinnen noch an Zugkraft, weil sich die Moralapostel natürlich fragen, ob es sich hier nur um das Lippenbekenntnis eines Pharisäers handelt, der sich lediglich dem Scheine nach als "echter Dopingkritiker" ausgibt. In diesem Spektrum bewegt sich die Diskussion tatsächlich, man braucht sich nur die entsprechenden Blogs und Foren im Internet anzuschauen, wo mit großem Eifer die Löcher im Kontrollsystem und die Bremser in Politik und Verbänden angeprangert werden, als sei Big Brother unser aller Freund und erst mit der Zusammenarbeit von NADA und NSA (National Security Agency der USA) ein effektiver Antidopingkampf wirklich gewährleistet.

Gib dem Affen Zucker, wird sich Blatter vielleicht gedacht haben. Warum nicht wie die Leichtathletik auch den Fußball unter Generalverdacht stellen und mit Kontrollen überziehen? Sportler und Spieler lassen sich doch sowieso alles gefallen, wichtig ist nur, daß der Ball rollt und der Reibach stimmt.

Den sportpolitischen und juristischen Rollback seiner eigenen Person muß der Fifa-Boß nicht fürchten. Das seien die anderen gewesen, behauptet Blatter auf die Frage di Lorenzos, ob er etwas von den Bestechungsgeldern gewußt habe, wie sie etwa im Zuge des Schmiergeldskandals um die frühere Rechtevermarktungsfirma ISL/ISMM an mehrere hochrangige Fifa-Funktionäre - im Raume stehen mindestens 100 Millionen Euro - geflossen sind. Millionen-Zahlungen wie an Ex-Fifa-Präsident João Havelange (Brasilien) sind bereits gerichtlich festgestellt worden, gegen Blatter selbst gibt es laut Schweizer Staatsanwaltschaft nichts zu ahnden. Antworten, so Blatter im "Zeit"-Interview, werde er in seinem Buch geben, es werde "Payback" heißen. "Zurückzahlen?", fragt di Lorenzo nach, worauf Blatter antwortet: "Rache". [1]

Diese Botschaft hat gesessen. Die Andeutung, daß der langjährige Präsident eines der mächtigsten Sportverbände der Welt irgendwann Roß und Reiter nennen und publizistisch abrechnen könnte, dürfte ausreichen, daß ihm so schnell keiner in die Quere kommt - weder europäische Politiker noch rivalisierende Sportfunktionäre. Jeder aus der ehrenwerten Familie weiß um seine profitable Rolle im "Payback"-System des Sports, der Rest ist Schweigen.

Fußnoten:

[1] http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/region/Blatter-bleibt-ein-harter-Knochen/story/25316342. 17.09.2013.

[2] Überarbeiteter Auszug aus einem öffentlichen Gespräch in Zürich
http://www.zeit.de/2013/39/sepp-blatter-interview. 19.09.2013. Nr.39

26. September 2013