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KOMMENTAR/197: Es rollt der Ball, der Rubel auch (SB)


ICSS-Direktor Helmut Spahn nimmt Ausbeuterstaat Katar vor "Fremdenfeindlichkeit" in Schutz



Auf diese Kritik hat "die Welt" gewartet. In einem kürzlichen Interview mit dem Springerblatt empörte sich Helmut Spahn, Direktor des umstrittenen "International Center for Sport Security" (ICSS), daß seine Wahlheimat Katar wegen der menschenunwürdigen Arbeitsverhältnisse für Ausländer ständig am Pranger steht. "Ich kann es manchmal nicht mehr hören. Wenn ich alles, was anders ist als zu Hause, ablehne, dann ist das auch eine Form von Fremdenfeindlichkeit. Katar ist nicht Deutschland oder Frankreich, man muss auch mal andere Länder, Kulturen, Religionen und Lebensformen respektieren." [1]

Ein Fremdenfeind, wer nicht das Lied seines Arbeitgebers pfeift? Helmut Spahn, ehemaliger Abteilungsleiter des BKA und Sicherheitsbeauftragter des Deutschen Fußballbundes (DFB), steht seit 2011 auf der Lohnliste der ICSS. Das private Sport-Sicherheitszentrum wurde ein Jahr zuvor in Doha von einem ehemaligen Mitglied der katarischen Militärführung, Mohammed Hanzab, eigens zu dem Zweck ins Leben gerufen, den Milliardengeschäften Katars mit Hilfe von gutvernetzten und -bezahlten Vertretern aus internationalem Sportbusiness, Politik, Sicherheitsindustrie und Polizeiagenturen institutionellen und legitimatorischen Rückhalt zu verleihen. In der Selbstdarstellung bezeichnet sich das Sicherheitsunternehmen ICSS als "Non-Profit-Organisation" oder "gemeinnützige Einrichtung im Bereich des Sports", obwohl sämtliche Mittel, die das katarische Herrscherhaus den Funktionsträgern zur Verfügung stellt, dem erklärten Ziel dienen, Doha zur "Welthauptstadt des Sports" zu machen. Zur Umsetzung des Masterplans "National Vision 2030" kaufte das erdgas- und erdölreiche Emirat im Ausland zahlreiche renommierte Experten nicht nur aus der Sicherheitsbranche, sondern auch aus Kultur, Forschung und Wissenschaft ein. Um größtmögliche Akzeptanz zu erzeugen, mußte ein internationales Agenda-Setting betrieben werden, das sowohl sportwettbewerbliche als auch marktwirtschaftliche und kriminalpräventive Prämissen auf einen gemeinsamen Nenner brachte. Nicht "Weltfrieden", sondern "security, safety and integrity" (Sicherheit, Schutz und Integrität) lautet das Sesam-öffne-dich, mit dem das ICSS seine Einflußzonen ausbaut und Netzwerke zu den international wichtigen "key decision-makers" knüpft. Als Bedrohungsszenario für den Heile-Welt-Sport, das zur "bedingungslosen Bekämpfung von Integritätsverletzungen" ermächtigt, dienen Doping, Korruption, Spiel- und Wettmanipulationen, Gewalt oder Terror. Nahezu sämtliche Probleme des Profi- und Spitzensports werden auf diese Weise zu Sicherheits- und Kriminalitätsfragen uminterpretiert. Wenn man das Wort "Sport", dessen Schutz, Redlichkeit oder Glaubwürdigkeit sich seine Funktionsträger angeblich verpflichtet fühlen, durch den Begriff "kapitalistische Marktwirtschaft" ersetzen würde, käme man der Essenz der weltweiten Imagekampagnen Katars, sich als verläßlicher Wirtschaftspartner des Westens anzupreisen, schon sehr viel näher.

Nicht erst, seitdem vergangene Woche zwei Aktivistinnen der Frauenrechts-Gruppe Femen während der ZDF-Live-Talkshow "Markus Lanz" vor die Kameras liefen, "Boykott, FIFA, Mafia" riefen und mit Slogans auf den Bäuchen, "Blut & Spiele" sowie "don't play with human rights", ihren Protest gegen Katar als Gastgeber der Fußball-WM 2022 kundtaten, ist bekannt, auf welch brutalen Verhältnissen der Bauboom im Golfstaat gründet. Arbeits- und Menschenrechtsorganisationen prangern seit Jahren die Situation der etwa 600.000 Arbeitsmigranten aus Süd- und Südostasien an, die die modernen Wettkampfarenen, luxuriösen Hotels und Wohlfühloasen für die reichen Eliten aus dem Wüstenboden stampfen. Allein für die WM-Besucher sollen jedes Jahr 25 neue Luxushotels gebaut werden. Im September hatte der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB), dessen Generalsekretärin Katar als "Sklavenstaat des 21. Jahrhunderts" bezeichnete, Hunderte von Toten prognostiziert, sollten sich die Arbeitsbedingungen nicht ändern.

Wenn es eine "Fremdenfeindlichkeit" zu attestieren gibt, dann liegt sie wohl eher auf seiten des Emirats. Die ausländischen Wanderarbeiter auf den Baustellen des WM-Gastgebers leiden nicht nur unter mangelnden Gesundheits- und Sicherheitsstandards, sondern auch unter zum Teil menschenunwürdigen Unterbringungen. Nach Angaben der Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses im Europäischen Parlament, Barbara Lochbihler, sei die Unfallhäufigkeit in Katar acht Mal so hoch wie auf Baustellen der Nachbarländer. Wie die Grünen-Politikerin kürzlich in Straßburg erklärte, gäbe es kein kostenloses Trinkwasser, die Arbeiter verdienten 8 bis 11 Dollar am Tag für 9 bis 11 Stunden schwerster körperlicher Arbeit in der Hitze. Zwar verlange das Arbeitsgesetz von Katar, maximal vier Arbeiter in einem Zimmer unterzubringen. Doch Untersuchungen hätten ergeben, daß im Durchschnitt 8 bis 18 Männer in einem Zimmer lebten - ohne Klimaanlage. [2]

In zahlreichen Fällen sind die Ausbeutungsverhältnisse sicherlich noch dramatischer, als von der EU-Parlamentarierin geschildert. Nach Gewerkschaftsangaben sind die Migranten in entlegenen Lagern untergebracht und dürfen die Geschäfte, Restaurants und andere öffentliche Orte nicht betreten. Während katarische Staatsangehörige im Monat durchschnittlich 7.352 Dollar im Monat verdienen, wird ein Migrant im Baugewerbe mit 192 Dollar entlohnt. Trotz des auf Katar ausgeübten Drucks, den Arbeitsschutz im Vorfeld der WM zu verbessern, ist die Verletzungsrate auf den Baustellen mittlerweile auf Rekordhöhe angestiegen. Arbeitsrechte oder Schutzbestimmungen sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen - trotz aller gegenteiliger Beteuerungen von Offiziellen aus Katar oder eines ICSS-Direktors Helmut Spahn, der im Welt-Interview behauptete, daß bei den Katarern "die Arbeitsbedingungen für ausländische Arbeitnehmer und Menschenrechte ganz oben auf der Agenda stehen. Da passiert sehr viel."

Im Duktus eines fußballerischen Höhenfliegers Franz Beckenbauer, der vor wenigen Wochen im Fernsehen sagte, er habe "noch kei­nen ein­zi­gen Skla­ven in Katar ge­se­hen. Die lau­fen alle frei rum" [3], verteidigt auch Helmut Spahn seinen Brötchengeber: "Eine generelle pauschale Ausbeutung von Arbeitnehmern sehe ich in Katar nicht." Gleichzeitig rechtfertigt Spahn das zu Zwangsarbeitsverhältnissen führende Kafala-System von Katar mit den Worten, daß dieses "historische Gründe" habe: "80 Prozent der Menschen dort sind Ausländer. Es ist schwierig für ein Land mit weniger als 300.000 Einheimischen, die Ein- und Ausreise von so vielen Ausländern staatlich zu regeln. Daher wurde dieses System eingeführt. Aber ich bin mir sicher, dass es hier Modifikationen geben wird." [1]

Gemäß Kafala-System benötigt jeder migrantische Arbeitnehmer für sein Arbeitsvisum einen einheimischen Sponsor, der für ihn bürgt. Ein Wechsel des Arbeitgebers wird so vielen unmöglich gemacht, ebenso wie die Ausreise, da über 80 Prozent der Arbeitgeber die Pässe der Neuankömmlinge einkassieren, um größtmöglichen Druck auf ihre "Arbeitssklaven" ausüben zu können, die zum Teil monatelang auf ihren kargen Lohn warten oder gar nicht bezahlt werden. Außerdem dürfen sie keiner Streikorganisation beitreten. Um überhaupt nach Katar zu kommen, bezahlen die Arbeiter teilweise bis zu 1000 Dollar Gebühren an dubiose Vermittler - die Hungerlöhne reichen dann später oftmals nicht aus, um sich von den Schulden zu befreien. Dieses Zwangsverhältnis nutzen die katarischen Arbeitgeber wiederum, um die Wanderarbeiter bei der Stange zu halten. "Modifikationen" des Kafala-Systems, wie sie Helmut Spahn vorschweben mögen, ändern nichts an den grundsätzlichen Ausbeutungsverhältnissen in dem reichen Wüstenstaat, dessen Einwohner das höchste Pro-Kopf-Einkommen der Welt haben.

Das Sport-Sicherheitszentrum spielt eine besondere Rolle in Katars Entwicklungsplänen. Laut Eigenwerbung des ICSS ist die "International Sport Security Conference" eine jährliche Veranstaltung, die die "wichtigsten Entscheidungsträger, Experten und Praktiker aus der Welt des Sports zusammenbringt". Im diesem Jahr soll die Veranstaltung rund "233 Millionen Menschen in Märkten wie Brasilien, Rußland, Großbritannien, Japan, China und im ganzen Nahen Osten" erreicht haben, was einem Werbewert-Äquivalent ( AVE) von 5,6 Mio. US-Dollar entspreche, behauptet das Sicherheitsunternehmen [4]. Daß die ICSS-Experten die drängensten Probleme des Sports nicht dort ansiedeln, wo sich die räuberischen Interessen von FIFA, UEFA oder IOC am allerdeutlichsten manifestieren, nämlich bei der kommerziellen Ausschlachtung des Sports zu Lasten von Mensch, Umwelt und Natur, wirft ein Schlaglicht darauf, wo die Prioritäten der Sicherheitsexperten tatsächlich liegen. Es geht um nichts weniger, als um die Sicherung der Märkte und Profite des sportindustriellen Komplexes mit Hilfe von institutionellen Netzwerken und überstaatlichen Kooperationen. Es spricht Bände, daß Think Tanks und Lobbyorganisationen aus den führenden EU-Staaten Frankreich und Deutschland, die zu den Hauptprofiteuren der katarischen Investitionen zählen und deren Regierungen nach Aussage von Fußballweltverbandschef Joseph Blatter Druck auf die FIFA-Wahlmänner ausgeübt haben sollen, damit Katar die WM 2022 bekommt, enge "Partnerschaften" mit der ICSS eingegangen sind. [5]

Zum in den letzten Jahren aufgebauten Netzwerk des ICSS gehören das "Institut für Fankultur" (IfF) an der Universität Würzburg, in dem sich deutsche Politik- und Polizeiwissenschaftler die Hände reichen, sowie die französische Universität Paris I (Panthéon-Sorbonne). Das sportjuristische Institut schreibt dem ICSS u.a. Pläne, wie man gemeinsame Anstrengungen zur Vereinheitlichung der Gesetzeslage in Sachen Wettbetrug umsetzen kann. "Wettbetrug" ist ein Problem des kommerziellen Sports, das die ICSS-Experten und -Multiplikatoren inzwischen zu einem globalen Superthema gepuscht haben, das in seiner Bedeutung sogar noch vor der Dopingproblematik rangieren soll. Die Leiterin der Sportrechtsfakultät an der Universität Paris, Sophie Dion, war auch Sportberaterin des französischen Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy - eben jenes Staatschefs, der laut 20seitigem Untersuchungsdossier der Sportzeitung France Football zusammen mit UEFA-Präsident Platini in die sogenannte Qatargate verwickelt sein soll, in deren Gefolge es zu einer Reihe von Vorteilsgeschäften zwischen Paris und Katar kam.

Weitere kooperative Netzwerkaktivitäten unterhält das ICSS zur European Lotteries (EL), einer Dachorganisation der nationalen Lotterien in ganz Europa, und zur Vereinigung European Professional Football Leagues (EPFL). Im Februar unterzeichnete das ICSS eine Vereinbarung mit der Integrity Vice Presidency (INT) der World Bank Group, die u.a. den ersten National Sport Integrity Index (NSII) etablieren soll. Vor wenigen Tagen ist es dem privaten Sicherheitsdienstleister gelungen, unter den Schutzschirm der UNESCO zu schlüpfen, einer Unterorganisation der Vereinten Nationen (UN). Um die "Integrität des Sports zu schützen" und Korruption und Spielmanipulationen auf globaler Ebene anzugehen, so heißt es offiziell, ist die UNESCO eine "strategische Partnerschaft" mit der ICSS eingegangen. [6]

Der "historische Moment für ICSS und UNESCO" (ICSS-Präsident Mohammed Hanzab) fand weder in den deutschen Medien noch in der Sponsoren- und Verbandspresse das leiseste Echo - die Vermutung liegt nahe, weil Katar gerade als ausbeuterischer "Sklavenstaat" Schlagzeilen macht. Da paßt es schlecht ins Bild, die vom katarischen Herrscherhaus finanzierte Lobby- und Networking-Organisation ICSS als Hüterin von "Fairplay und Redlichkeit" zu feiern.

Fußnoten:

[1] http:/www.welt.de/sport/article122612818/Kritik-an-Katar-ist-Form-von -Fremdenfeindlichkeit.html. 05.12.2013.

[2] http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=PV&reference=20131121&secondRef=ITEM-015-02&language=DE&ring=P7-RC-2013-0498

[3] http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2030336/Doha-Ausbeutung-der-Arbeiter?setTime=108.032#/beitrag/video/2030336/Doha-Ausbeutung-der-Arbeiter. 17.11.2013.

[4] http://www.securingsport.com/news/icss-launches-securing-sport-2014-2/. 03.06.2013.

[5] http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/sport_nt/article122177578/Deutscher-Druck-pro-Katar-WM.html. 22.11.2013.

[6] http://www.theicss.org/uncategorized/unesco-and-icss-join-forces-to-protect-sport-integrity/. 10.12.2013.

19. Dezember 2013