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KOMMENTAR/200: Testballon Olympia - Überwachung und Kontrolle (SB)


Megaevents unter Totalkontrolle - auch soziale Netzwerke werden ausgeforscht



Die repressive Welle hat den organisierten Leistungs- und Wettkampfsport voll erfaßt. Die Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD plant die Kriminalisierung von Sportregelverletzungen via Antidopinggesetz, um das Phantasma des "natürlichen" Leistungssports in die nächst höhere Ordnung repressiver Wahrheitsdichtung zu überführen, und im internationalen Sport werden Menschen- und Bürgerrechte mit den Füßen getreten, um die Absatzmärkte von (Sport-)Wirtschaft und Industrie gegen Gemeinwohlinteressen zu verteidigen. Sowohl auf der gesellschaftlichen Mikroebene bei der generalisierten Verdächtigung, biologischen Überwachung und Nacktmachung des Athleten als auch auf der Makroebene bei der polizeilichen und geheimdienstlichen Ausspionierung der globalen Internet- und Telekommunikation scheint es kaum noch Hürden gegen hoheitliche Übergriffe zu geben. Körperbiologische, soziale und datenelektronische Totalkontrolle wachsen immer mehr zusammen. Was an überwachungsstaatlichen, sicherheits- oder militärtechnischen Maßnahmen möglich ist, wird durchgeführt. Gesetze werden angepaßt oder hintergangen, Rechte verbogen, ignoriert oder verletzt.

In Rußland werden in wenigen Tagen nicht nur die teuersten, sondern auch die größten Polizei- und Militärfestspiele, die die Sportwelt je gesehen hat, über die Bühne gehen. Ähnlich wie der aktuelle Olympiaausrichter hat auch Brasilien, wo ab Juni die Fußball-WM und 2016 die Olympischen Sommerspiele ausgetragen werden, angekündigt, das umfassendste Sicherheitsprogramm der WM-Geschichte aufzulegen. In Rio arbeiten Polizei- und Militärapparat im sogenannten Integrierten Kommando- und Kontrollzentrum (CICC) Hand in Hand, weitere Filialen zur panoptischen Bevölkerungskontrolle mit Hunderten von Überwachungskameras und Sonderbefugnissen sollen überall im Land eingerichtet werden. Bereits jetzt würden die sozialen Netzwerke im Internet beobachtet, um sich auf mögliche Kundgebungen während der WM vorzubereiten, zitieren die Medien brasilianische Sicherheitsvertreter, als sei eine derartige Massenüberwachung das Selbstverständlichste von der Welt [1]. Die Nachrichten vom Zuckerhut gleichen denen aus Rußland, wo anläßlich der Winterspiele fast die gesamte elektronische Kommunikation - der US-amerikanische Geheimdienst NSA läßt grüßen - ausspioniert und überwacht wird. Um soziale Netzwerke auszuforschen und Massenproteste wie beim Confed-Cup im vergangenen Sommer bereits im Keim ersticken zu können, investiert Brasilien Unsummen in Überwachungs-, Polizei- und Spionagetechnik. Darüber hinaus veröffentlichte das brasilianische Verteidigungsministerium im Dezember eine neue Verordnung, die den Streitkräften mehr Befugnisse gibt als die Verfassung vorsieht. Wenn nötig, kann das Militär auch bei Störungen von Großveranstaltungen in der Stadt eingesetzt werden. Entsprechende Garantien soll der Weltfußballverband FIFA eingefordert haben.

Nicht ohne Grund befürchten KritikerInnen wie Luana Xavier Pinto Coelho, einst Studentin an der Technischen Universität Darmstadt und heute Rechtsberaterin der brasilianischen Nichtregierungsorganisation Terra de Direitos (Erde der Rechte), "dass die Regierungen (in Brasília und in den Bundesstaaten) gegen Proteste zu polizeilicher Repression und einer Überwachung der sozialen Bewegungen und Netzwerke greifen, ja zu Staatsterrorismus, wie wir ihn nur aus der Zeit der Militärdiktatur kennen. Alles mit dem Ziel, große Demonstrationen während der WM zu verhindern". Die auf Verfassungsrecht spezialisierte Anwältin konstatiert in einem Interview bitter: "Es ist erbärmlich, dass eine Volksdemokratie wie die unsere im Zweifelsfall ihr autoritärstes Gesicht zeigt, um die Profitinteressen des privaten Kapitals zu sichern." [2]

Und was macht Japan, um soziale Proteste und KritikerInnen niederzuhalten, zumal vor dem Hintergrund der Olympischen Sommerspiele 2020, wo sich das Land als eine Nation präsentieren will, die mit Hilfe der Spiele das Trauma der Nuklearkatastrophe erfolgreich überwunden hat? Im März 2011 hatte bekanntlich eine Erdbeben- und nachfolgende Tsunamikatastrophe im direkt an der Küste gelegenen Atomkraftwerk Fukushima Daiichi schwere Schäden angerichtet. In den Reaktoren 1 bis 3 kam es zu Kernschmelzen, die unvermindert andauern. Explosionen setzten große Mengen an radioaktivem Material frei und kontaminierten Luft, Böden, Wasser und Nahrungsmittel. Nach wie vor fließen Millionen Liter radioaktiv verseuchten Grund- und Kühlwassers in den Pazifik ab, und ein Ende ist nicht absehbar. Die Zahl der Menschen, die durch den Kontakt mit Radioaktivität erkrankt oder bereits gestorben sind, ist nicht bekannt. Doch es mehren sich Berichte, die darauf hindeuten, daß die japanische Regierung buchstäblich alles unternehmen wird, um die Folgen des Supergaus zu vertuschen und "Normalität" vorzugaukeln.

Aktivisten, Umweltorganisationen oder Fachinformationsdienste befürchten, daß sich der japanische Staat in die Zeit des Militarismus zurückentwickelt. In einer alarmierenden Pressemeldung wies der unabhängige Informationsdienst Strahlentelex darauf hin, daß die japanische Regierung am 25. Oktober 2013 einen Gesetzentwurf gegen den Verrat von Staatsgeheimnissen auf den Weg gebracht hat. Der Gesetzesvorlage zufolge soll die Weitergabe von nicht näher definierten "bestimmten Geheimnissen" zum Schutz der nationalen Sicherheit durch Beamte, Abgeordnete oder andere Personen (u.a. Journalisten) mit bis zu 10 Jahren Freiheitsentzug bestraft werden. Weil die Formulierungen in dem Gesetz vage gehalten sind und die Behörden selbst festlegen können, was diese "bestimmten Geheimnisse" sein sollen, sehen Kritiker darin einen massiven Eingriff in die Presse- und Informationsfreiheit der Bürger, berichtet Strahlentelex. Betroffen von dem Gesetz wären nicht nur militärische Informationen, sondern auch Informationen über die Pannen auf dem Gelände der havarierten Atomreaktoren von Fukushima Daiichi sowie der Höhe und Auswirkungen der radioaktiven Belastungen auf die Bevölkerung. [3]

Unabhängig davon, ob die Gesetzesvorlage vom Kabinett des nationalkonservativen Ministerpräsidenten Shinzo Abe tatsächlich vollumfänglich umgesetzt werden kann, zeigt allein die politische Absicht, mit welchen Mitteln KritikerInnen der offiziellen Katastrophen- und Verlautbarungspolitik eingeschüchtert oder mundtot gemacht werden sollen.

Ein anderes Mittel, um Vorbehalte und Bedenken zu zerstreuen und ein für das kommende Sportgroßereignis günstiges Meinungsklima in der Welt zu erzeugen, läßt sich ganz traditionell mit "Geldgeschenken" herstellen. So hat die japanische Regierung kurz vor Weihnachten ein saftiges Sportentwicklungsprogramm für Länder der Dritten Welt verabschiedet. Mit rund 13,5 Millionen US-Dollar will die japanische Regierung den Sport in mehr als 100 Staaten fördern. Junge Japaner sollen in die Welt hinausgehen und helfen, Schulen zu bauen, Ausrüstung zu verteilen und neue Sport-Ausbildungsprogramme zu schaffen, kündigte Premierminister Abe an. Darüber hinaus sind IOC-Mitglieder sowie Sporttrainer und -lehrer aus dem Ausland eingeladen, sich in Japan weiter ausbilden zu lassen. Auch dafür stellt die Regierung erhebliche finanzielle Mittel und Einrichtungen zur Verfügung. Und natürlich soll auch der Anti-Doping-Kampf in Asien gestärkt werden, was sowohl die "Ich-habe-nichts-zu-verbergen"-Athleten als auch die "Der-Argwohn-läuft-mit"-Skeptiker, welche unausgesprochen den totalen (= effektiven) Antidopingkrieg fordern, auf derselben Leimspur hält.

So kann man die vielzitierten olympischen Träume der Athleten und IOC-Mitglieder, die am Fördermitteltropf hängen, auch kaufen. Ähnlich wie Rußland oder Brasilien wird auch Japan die Olympischen und Paralympischen Spiele durchziehen - sei es mit militärischer Droh- und polizeilicher Zugriffsgewalt, sei es mit staatlicher Bespitzelung, Desinformation oder Einschüchterung, sei es mit Geldgeschenken, Entwicklungshilfe oder Sportstipendien.

Fußnoten:

[1] http://www.handelsblatt.com/fussball-wm-wm-2014-brasilien-mit-umfassendstem-sicherheitsprogramm/9371706.html. 22.01.2014.

[2] http://www.npla.de/de/poonal/4571-proteste-waehrend-fussball-wm-koennten-massive-repression-ausloesen. 16.01.2104.

[3] http://www.strahlentelex.de/Stx_13_644-645_S07-08.pdf.

2. Februar 2014