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KOMMENTAR/208: Ehre, Opfer, Untertan ... (SB)


Kontinuität nach Hoeneß-Verurteilung: Bayern München übergibt Sporthilfe einen Spendenscheck



Die unangenehme "Causa" Uli Hoeneß hat sich für die Stiftung Deutsche Sporthilfe (DSH) scheinbar wie von selbst erledigt. Vor dem Antritt zu seiner dreieinhalbjährigen Haftstrafe wegen Steuerhinterziehung gab der ehemalige Präsident des deutschen Fußball-Rekordmeisters Bayern München die "Goldene Sportpyramide" zurück, die ihm 2009 für sein Lebenswerk verliehen worden war. "Mit der Niederlegung dieser Auszeichnung endet automatisch auch die Mitgliedschaft in der Hall of Fame, da diese daran gekoppelt ist. Hoeneß hat mit seinem Schritt dieses Thema zunächst einmal für uns beendet", zeigte sich DSH-Chef Michael Ilgner erleichtert, daß Hoeneß einem möglichen Ausschluß aus der virtuellen Ruhmeshalle zuvorgekommen ist. Die Erleichterung wird auch von den Sportmedien geteilt. "Die Sporthilfe kann erstmal aufatmen", heißt es in einem dpa-Bericht, den verschiedenste Zeitungen veröffentlichten. Als Betreiberin der Ruhmeshalle bleibe ihr "erspart", im aufsehenerregenden Fall des langjährigen Bayern-Patrons unangenehme Konsequenzen ziehen zu müssen. [1]

Das Mitgefühl mit der Deutschen Sporthilfe gründet sich auf der strukturellen und ökonomischen Teilhaberschaft der Massenmedien am Heldengeschäft des Sports. Das Hoch- und Niederschreiben von Athleten oder Funktionären, die mal als erfolgreiche oder vorbildliche Leistungsträger gefeiert, mal als tragische, abgehalfterte oder gefallene, mit den Normen und Werten der Gesellschaft in Konflikt geratene "Sünder", "Betrüger" oder "Lügner" konnotiert werden, ist tief verankert im Heldensystem des Sports, von der Soziologie bisweilen als "letztes Heldensystem" moderner Gesellschaften beschrieben.

Der erfolgreiche Ex-Nationalspieler, Unternehmer und Vereinsfunktionär Uli Hoeneß war aufgrund seiner Leistungen für den deutschen Fußball sowie einer Reihe klug investierter Moralhandlungen 2009 als "Fußballmanager mit sozialem Gewissen" in die "Hall of Fame des deutschen Sports" aufgenommen worden. Der Sport-Medien-Komplex, der ihn als herausragende Sportlerpersönlichkeit aufs Ehrenpodest gehoben hatte, betreibt nun - wie es einem Helden gebührt - auch seine symbolische Tötung: Der "Börsenzocker" und "Steuerpreller" habe sich als "Heuchler" und "Doppelmoralist" entpuppt, damit sei auch seine Rolle als "öffentlicher Mahner", als "vermeintliches Leit- und Vorbild" passé - so der durchgängige Tenor in den sogenannten Qualitätsmedien. Dies steht nicht im Widerspruch dazu, daß die Hof- und Sponsorenpresse dem gefallenen Engel ob seiner Verdienste den Rücken stärkt und im Zusammenspiel mit den Funktionsträgern der FC Bayern München AG die Wiederkehr des Uli Hoeneß herbeisehnt oder bereits in die Wege leitet, zumal der 62jährige entsprechende Ambitionen bereits durchblicken ließ. Hier arbeiten sich lediglich in unterschiedlichen Abhängigkeitsverhältnissen stehende Journalisten in entgegengesetzter Marschrichtung am Heldenberg des Sports ab. Daß Uli Hoeneß mit der Berichterstattung in den Medien scharf ins Gericht ging ("Plötzlich war ich ein Arschloch, ein Schwein, ein Mann, der den Leuten das Geld aus der Tasche zieht, den Leuten das Geld vorenthält." [2]), zeigt zumindest, daß er auch für die Rolle des zu Unrecht geprügelten Steuerhinterziehers taugt. Spätestens dann, wenn der heroische Opfergang des Großverdieners in den Knast beendet ist, wird ihn die leistungs- und erfolgsorientierte Sportjournaille wieder auf den Schultern tragen, zumindest solange der FC Bayern gewinnt.

Ohnehin tun Sportjournalisten gut daran, ihre eigene Rolle im Heldensystem des Spitzensports nicht allzu gründlich zu hinterfragen. Denn nur so bleibt auch ihr Mitwirkung an der umstrittenen "Hall of Fame des deutschen Sports" produktiver Bestandteil staatstragender Glorifikation. So fungiert neben dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) auch der Verband Deutscher Sportjournalisten (VDS) als "ideeller Partner" oder "Träger" der Hall of Fame, wie die Deutsche Sporthilfe stolz hervorhebt. Der Berufsverband, der rund 3.600 Sportjournalistinnen und Sportjournalisten vertritt, hat neben Sporthilfe und DOSB ein Vorschlagsrecht, wer in die Hall of Fame aufgenommen werden soll. Eine übergeordnete Jury aus ausgesuchten Vertretern von VDS, DSH, DOSB, Politik, Wirtschaft und weiteren Sportinstitutionen sowie seit 2012 auch aller noch lebenden Mitglieder der Hall of Fame bestimmt dann, wer letztendlich einen Ehrenplatz in der Ruhmeshalle erhält.

Um sich gegen profunde Kritik, etwa durch Geschichts-, Politik- oder Sozialwissenschaftler, zu wappnen, hat der deutsche Elitenförderer quasi einen Schutzschirm um die Heldenhalle gelegt. "Die Hall of Fame des deutschen Sports wird in ihrer Entwicklung von Fachleuten begleitet, erhebt für sich allerdings nicht den Anspruch, selbst wissenschaftlich zu sein, und ist daher auch als Forum für wissenschaftliche Auseinandersetzungen nicht geeignet", heißt es auf der vom Sportartikelkonzern adidas "begleiteten" Internetseite der Hall of Fame [3]. Damit bleiben die Heldenkonstruktionen und -mythologien des Sports weitgehend unangetastet und der hin und wieder aufbrausende Streit um echte oder falsche Sporthelden eine Goldgrube des Sportentertainments, im Rahmen der "political correctness" die Nuggets der Personalisierung und Emotionalisierung zu schürfen.

"Auch die Aberkennung der Zugehörigkeit ist - bei entsprechendem neuen Kenntnisstand - grundsätzlich möglich", heißt es allgemeinverbindlich von seiten der Sporthilfe, die im Fall von Uli Hoeneß nun in Zugzwang geraten war. Als Maßstab für einen möglichen Entzug gelte für die Sporthilfe der Paragraph 4 des staatlichen Gesetzes über "Titel, Orden, Ehrenzeichen", berichtete dpa unmittelbar nach der Verurteilung von Hoeneß, nachdem Vorstand und Aufsichtsrat der Stiftung in den Wochen zuvor die Sache Hoeneß bereits prüfen ließen. Danach würde ein "unwürdiges Verhalten", insbesondere das Begehen einer entehrenden Straftat, zum Ausschluß führen, wenn ein Gericht auf eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr entscheidet. [4]

Der auf Talkshowniveau siedelnde Eigenanspruch der Sporthilfe, "die mehr als hundertjährige Geschichte des deutschen Sports und seiner Persönlichkeiten im Gedächtnis zu bewahren und Diskussionen darüber anzuregen", hatte immerhin ausgereicht, die beiden - laut Selbstdarstellung - "größten Führungspersönlichkeiten der Stiftung Deutsche Sporthilfe", Josef Neckermann und Willi Daume, vor einer Verbannung aus der Hall of Fame zu bewahren, obwohl die Unternehmer kriegswichtige Leistungen für Hitler-Deutschland erbracht und davon nicht wenig profitiert hatten. Im Zuge der Entnazifizierungsverfahren waren die beiden NSDAP-Mitglieder als "Mitläufer" bzw. "Unbelasteter" eingestuft worden, so daß ihren weiteren Karrieren nichts mehr im Weg stand. Insbesondere Neckermann, der sich durch die Arisierung jüdischen Vermögens bereicherte, konnte dadurch im westlichen Nachkriegsdeutschland zu einer Symbolfigur des Wirtschaftswunders aufsteigen ("Neckermann macht's möglich"), der sich gleichzeitig für den elitären Leistungssport engagierte, da dieser als die marktwirtschaftlichen Kräfte zum Ausdruck bringender Konterpart zum medaillenträchtigen Hochleistungssport des Ostblocks gebraucht wurde. So erwarb sich der Herrenreiter einen Ruf als "Vater der Athleten" und "Bettler der Nation", der bei reichen Privatpersonen unermüdlich Spendengelder für die Sportler eingetrieben habe.

Die Legende von den Millionären, deren Mild- und Wohltätigkeit so viel in der deutschen Kultur- und Sportlandschaft bewirkt hätten, gehört zu den großen Heldenerzählungen des Kapitalismus. Insbesondere die Unterhaltungsindustrie verbreitet pausenlos das Gefühl, jeder könne - mit etwas Glück und Anstrengung - reich werden. Reichtum ist immer noch ein zentrales Leitbild der Gesellschaft. Tatsächlich konzentrieren sich laut den Armuts- und Reichtumsberichten der Bundesregierung rund zwei Drittel des Vermögens auf etwa die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung - gemeint sind damit vor allem die größeren mittelständischen Unternehmer und die reichen Unternehmerfamilien in Deutschland -, während gut 60 Prozent der Bevölkerung über kein oder nur sehr wenig Vermögen verfügen.

Auf die steuerbegünstigten Einkommens- und Vermögenseliten, deren gesellschaftliche Macht wie selbstverständlich hingenommen wird, stützt sich auch die Deutsche Sporthilfe. Ihre Funktions- und Kampagneträger verweisen ständig darauf, wieviel der Eliten- und Leistungsförderer zum Medaillenruhm Deutschlands beigetragen hat ("90 Prozent aller Goldmedaillen der Bundesrepublik Deutschland bei Olympischen Spielen wurden von Sporthilfe-geförderten Athleten gewonnen."). Das soll bei der sportifizierten Bevölkerung offenbar Identifikation und Dankbarkeit gegenüber den großen Sportförderern, Sponsoren und Unternehmen hervorrufen.

Wohl nicht zufällig führt der Medienmanager Werner E. Klatten den Vorsitz im Aufsichtsrat der Sporthilfe, verfügt er doch als Schwager von Susanne Klatten über beste "familiäre" Verbindungen zu den Reichtumseliten in der Bundesrepublik. Susanne Klatten gehört wie Michael Otto, Hasso Plattner oder Stefan Quandt zu den "Superreichen", die ihre vermeintliche Wohltätigkeit gern über finanzielle Zuwendungen an Spendenorganisationen, Stiftungen oder auch Parteien unterstreichen, ohne selbst in den Vordergrund zu treten. Gleichzeitig sorgen Stiftungen und Spenden für Steuerminderung bei den "großzügigen" Geldgebern, denen Steuerabgaben ohnehin ein großes Übel sind. Regelmäßig erscheinen Warnungen, daß der Wirtschaftsstandort Deutschland gefährdet sei, wenn die Reichen stärker zur Kasse gebeten werden. Auch der Fleischer- und Fußballkonzernchef Uli Hoeneß, der seine millionenschweren Börsenspekulationen auf Konten in der Schweiz abwickelte, warnte einst, die Reichensteuer würde Superreiche zwingen, ihr Geld in die Schweiz zu bringen. Mit Blick auf Hoeneß kommentierte die stellvertretende Linken-Vorsitzende Sarah Wagenknecht spitz: "Nun steht fest: Das tun sie auch ohne Reichensteuer."

"Wir sind als Institution ihm gegenüber nicht unvoreingenommen, sogar parteiisch, das muss ich einfach so sagen. Mitglieder unserer Gremien sind ihm zum Teil langjährig eng verbunden", räumte Sporthilfe-Chef Michael Ilgner ein. Die Deutsche Sporthilfe habe vom FC Bayern und auch von Hoeneß persönlich in einer einzigartigen Art und Weise profitiert. "Es hat viele Aktionen gegeben, die uns, nicht nur finanziell, sehr geholfen haben und die auch für unsere Athleten sehr wertvoll waren", so Ilgner. [1]

Zu den großen Geldgebern der Sporthilfe-Stiftung gehört neben Lufthansa, Telekom, Deutsche Bank oder Mercedes Benz auch der Rekordverdiener FC Bayern München, der sich seinerseits auf Wirtschaftsunternehmen wie VW, Audi, Allianz, Telekom oder Adidas stützt und seinen Einfluß weit in Politik und Medien ausgebreitet hat.

Am 15. März, nur zwei Tage nachdem Uli Hoeneß zu einer Haftstrafe vom Landgericht München verurteilt worden war, überreichte Bayern München einen offiziellen Spendenscheck in Höhe von insgesamt 220.000 Euro an die DSH. Sporthilfe-Chef Michael Ilgner nahm ihn bei einer symbolträchtigen Aktion persönlich in Empfang. [5] Der Scheck zeigt, daß es im Heldensystem des Sports nicht um einzelne Personen geht oder um deren Verfehlungen, sondern um Besitzstandswahrung und Kontinuität. Die Sporthilfe soll ein Instrument der herrschenden Reichtumseliten bleiben, die gesellschaftlichen Widersprüche mit Ruhmeshallen, Medaillen und Nationalgefühlen zu befrieden.

Fußnoten:

[1] http://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/uli-hoeness-nicht-mehr-in-deutscher-hall-of-fame-12918806.html. 01.05.2014.

[2] http://www.spiegel.de/sport/fussball/fc-bayern-uli-hoeness-deutet-rueckkehr-an-a-967328.html. 02.05.2014.

[3] http://www.hall-of-fame-sport.de/leitbild.html

[4] http://www.welt.de/sport/fussball/bundesliga/fc-bayern-muenchen/article125855674/Hoeness-droht-Ausschluss-aus-der-Hall-of-Fame.html. 16.03.2014.

[5] https://www.sporthilfe.de/FC_Bayern_uebergibt_220_000_Euro_an_die_Sporthilfe.dsh. 15.03.2014.

14. Mai 2014