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KOMMENTAR/227: Waffenschmiede Olympia (SB)


Innere Aufrüstung: Was London erlebte und Hamburg noch überbieten könnte ...


Hamburg ist vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) mit viel Tamtam und Prominenz zur Olympiabewerberstadt für die Sommerspiele 2024 oder 2028 gekürt worden. "Sport-Deutschland" stehe geschlossen hinter der Bewerbung, lautet die nationalpathetische Phrase, mit der Politik, Sport und Wirtschaft die mißtrauisch gewordenen Bürgerinnen und Bürger in den kollektiven Olympiataumel versetzen wollen, auf daß ihnen Hören und Sehen vergeht.

Bevor Hamburg seine Kandidatur beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) einreicht (Stichtag: 15. September), sollen zunächst die Bürger der Hansestadt über eine Bewerbung abstimmen. Nur wenn die Mehrheit der abgegebenen Stimmen für Olympia in Hamburg votiert, will sich die Stadt der hochkarätigen internationalen Konkurrenz stellen. So lauten zumindest die offiziellen Zusagen in Sachen Bürgerbeteiligung, wobei immer noch unklar ist, ob es überhaupt zu einer rechtzeitigen sowie verbindlichen Erkundung des Bürgerwillens kommt. Medienberichten zufolge stellt die CDU in Frage, daß das Referendum für den Senat bindend sei, zudem wird der Termin für den Bürgerentscheid immer mehr nach hinten geschoben.

Wie groß der Aschehaufen sein wird, den die Feuer-und-Flamme-Spiele an Alster und Elbe hinterlassen, ist aufgrund fehlender Detailangaben zu den Kosten und Risiken des Megaevents bislang ebenfalls nicht seriös zu beantworten. Es gibt nur grobe und pauschale Schätzungen. Was auch immer das Olympiaestablishment an "positiven Effekten" der Spiele beschwört, fußt im wesentlichen auf Stimmungen, Hoffnungen, Spekulationen und Perspektiven. Und selbst wenn die "harten Fakten" geliefert werden könnten, wie nicht nur um ihre Stadtentwicklung besorgte Hanseaten fordern, wäre zu fragen, welche "Experten" sie erstellt haben und was sie alles unberücksichtigt ließen.

Es gibt aber jede Menge Erfahrungswerte, die sich jede/r Stimmberechtigte in Hamburg unbedingt vor Augen halten sollte. Mit "schönen Zahlen", die dann später regelrecht explodierten, haben in der Vergangenheit alle Olympiastädte aufwarten können. Die als "vorbildlich" gepriesenen Sommerspiele 2012 in London wurden konservativen Angaben zufolge rund viermal so teuer wie ursprünglich geplant (statt 3,06 am Ende 11,33 Milliarden Euro). Allein die Sicherheitskosten stiegen auf 1,3 Milliarden Euro. Die nackten Zahlen, stimmungsvollen TV-Bilder und in den öffentlichen Raum projizierten Twitter-Emotions sagen allerdings nichts darüber aus, was in der Finanzmetropole tatsächlich los war und womit auch Hamburg zu rechnen hat, sollte es das Glück oder vielmehr Pech haben, von den IOC-Heuschrecken als Nahrungsquelle auserkoren zu werden.

Um nur den Sicherheitsaspekt zu nennen: London erlebte während der mehrwöchigen Leistungsschau eine beispiellose Militarisierung des öffentlichen Raumes. Um "Terrorgefahren" von außen und "Riots" im Innern abzuwehren, wurde der Olympiapark durch einen vier Meter hohen, mit 5.000 Volt aufgeladenen Elektrozaun gesichert - "17 Kilometer lang und 100 Millionen Euro teuer" [1]. Wer das "Fest der Freude" besuchte, machte mit allem Bekanntschaft, was der neoliberale Überwachungsstaat zu bieten hat: Flächendeckende Kameraüberwachung, biometrische Kontrollen, Körperscanner, Gesichts- und Nummernschilderkennung, Wasserflaschen- und Getränkeverbote, Markenpolizisten zum Schutz der IOC-Werbepartner, Beschlagnahmen etc. Wer den "olympischen Frieden" mit ungebetenen Sozialprotesten störte, wurde von der Polizei flugs abgeführt. Um das "Sicherheitsgefühl" der Bewohner Londons zu erhöhen, kreisten Drohnen über den Stadien, gingen Kriegsschiffe auf der Themse und im Ärmelkanal vor Anker und wurden Bodenluftraketen in städtischen Park- und Wohnbereichen installiert. UK erlebte die größte Mobilisierung des polizei-militärischen Apparats seit dem 2. Weltkrieg. Mehr als 45.000 Sicherheitskräfte, darunter 12.500 Polizisten und 17.000 Soldaten, waren im Großraum London im Einsatz.

Und dieser Kelch soll ausgerechnet an Hamburg vorbeigehen - der Stadt, in der nach offizieller Version eine islamistische Terrorzelle die Anschläge vom 11. September 2001 geplant haben soll? In der sich der frühere Amtsrichter und Innensenator Ronald Barnabas Schill mit seinen "rechtsstaatlichen Offensiven" in der Sicherheits-, Ausländer- und Drogenpolitik einen landesweiten Namen als "Richter Gnadenlos" machen konnte? Wo sich nicht nur die CDU rühmt, das schärfste Polizeigesetz Deutschlands zu haben? Der Stadt, die im Falle einer erfolgreichen Olympiabewerbung genau damit wuchern wird, daß sie das gesamte Arsenal präventiv-polizeilicher Maßnahmen zur Anwendung bringen kann?

Seit 2005 hat die Hamburger Polizei zum Beispiel das Recht, aufgrund ihrer "Lageerkenntnisse" sogenannte Gefahrengebiete zu definieren, in denen sie "Personen kurzfristig anhalten, befragen, ihre Identität feststellen und mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen" darf (§ 4 Abs. 2 PolDVG). Mehr als 40 "Gefahrengebiete" hat die Polizei seitdem ausgerufen. Viele unbescholtene Bürgerinnen und Bürger haben inzwischen unliebsame Bekanntschaft mit "Sonderbefugniszonen", "Aufenthaltsverboten", "verdachtsunabhängigen Personenkontrollen" und weiteren präventiv-polizeilichen Maßnahmen machen müssen. Ende 2013 waren sie mit Rückendeckung von Bürgermeister Olaf Scholz, Innen- und Sportsenator Michael Neumann sowie dem SPD-Senat am Beispiel der Stadtteile Altona, St. Pauli und Sternschanze durchexerziert worden, nachdem es zu Auseinandersetzungen um ein alternatives Kulturzentrum sowie die Wohnungs- und Bleiberechtspolitik der Stadt gekommen war.

Die innere Aufrüstung in Hamburg wurde 2005 mit der weltweiten Bedrohungslage nach dem 11. September, den Gefahren durch den internationalen Terrorismus und die Organisierte Kriminalität gerechtfertigt. Und natürlich fehlten auch Fingerzeige auf Hooligans sowie die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland nicht. Was würde wohl passieren, wenn die Olympischen Spiele an die Alster vergeben würden, zumal unter den aktuellen sicherheits- und verteidigungspolitischen Prämissen der Bundesregierung, wonach Deutschland wieder "mehr Führung" und "Verantwortung" in der Welt übernehmen muß? Würde die zunehmende Beteiligung der Bundeswehr an kriegerischen Auseinandersetzungen rund um den Globus dazu führen, daß Hamburg während der Spiele kein militärisch befestigter Hochsicherheitstrakt wird? Oder müßte man, auch mit Blick auf die Sperrzonen und Ausnahmezustände in London oder Rio de Janeiro, nicht vielmehr vom Gegenteil ausgehen? Als London die Sommerspiele bekam und tags darauf mehrere Bomben in der City explodierten, wurde der Sicherheitsetat schlagartig verdoppelt. Selbst wenn es in Deutschland zu keinem derartigen Gewaltakt kommt, dann werden eben andere Vorwände geschaffen, um die Sicherheitsspirale anzukurbeln. "Polizei schmuggelt Bombenattrappe auf Olympiagelände", lautete 200 Tage vor den Londoner Spielen die öffentlichkeitswirksame Schlagzeile. [2]

Bundestagsabgeordnete der Grünen, die die Osterweiterung der NATO propagandistisch schönreden und wesentlichen Anteil am neuen kalten Krieg zwischen Rußland und den Euroländern haben, fordern im Chor mit Verteidigungsministerin von der Leyen (CDU) inzwischen eine "EU-Armee". Gleichzeitig plant die Bundesregierung im Inland eine neue "Anti-Terror-Einheit", deren Waffen und Aufgabengebiete sie praktisch in den Stand einer paramilitärischen Polizeitruppe versetzen. Gerade hat die Regierungskoalition vor dem Hintergrund der NSU- und NSA-Skandale eine "Verfassungsschutzreform" durchgewunken, die den aggressiven Ausbau der Geheimdienste betreibt und V-Leute-Einsätze, Massenüberwachung und zentrale Datensammlungen auf eine neue Gesetzesgrundlage stellt. Mit welchen Bedrohungskulissen hätte man zu rechnen, wenn die Schlapphüte ihren Cyberkrieg auch während der "Social-Media-Games" in Hamburg spielen?

Passend dazu die kürzlich vom Bundeskabinett beschlossene Kriminalisierung des Selbstdopings nach dem neuen "Anti-Doping-Gesetz", was Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sogar als Vorteil gegenüber anderen Olympiabewerbern pries, die ein solches Gesetz nicht hätten. Im gleichen Zuge forderte sein Geistesbruder Thomas de Maizière (CDU) eine bessere Medaillenausbeute deutscher Sportler bei internationalen Großereignissen: "So hart, wie es klingt: Medaillen und Spitzenplätze sind das Ziel der Spitzensportförderung. Am Ende der Operation sollen mehr Medaillen stehen als jetzt." [3] Kein Wort indessen in der das Gesetz begrüßenden Journaille über den Zusammenhang von "mehr Medaillen", "mehr Doping" und "mehr Repression". Statt dessen Jubelmeldungen über mehr Millionen an öffentlichen Geldern, die in die Spitzensportförderung und Big-Brother-Abteilung der Dopingbekämpfung fließen - und nichts davon taucht später in den Kostenkalkulationen für Olympia auf! Und wer weiß, vielleicht machen sich 2024 oder 2028 bereits alle Bürger strafbar, die sich mit indexierten Substanzen, Medikamenten oder Nahrungsmitteln in Freizeit, Schule oder Beruf einen "unfairen" Wettbewerbsvorteil verschafft haben ...

Man könnte im Kontext der Olympiabewerbung weitere eklatante Beispiele für die innere Aufrüstung anführen - und würde im sportindustriellen Komplex doch nur auf taube Ohren stoßen. Ob das auch für die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger der Freien und Hansestadt Hamburg gilt?

Fußnoten:

[1] http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/thema_nt/article108396524/Militarisierung-Olympischer-Spiele.html. 27.07.2012.

[2] http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/london-polizei-schmuggelt-bombenattrappe-auf-olympiagelaende-a-808106.html. 09.01.2012.

[3] http://www.welt.de/sport/olympia/article138401206/De-Maiziere-fordert-mehr-Medaillen-vom-Spitzensport.html. 14.03.2015.

29. März 2015


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